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Die Deutschen schwanken zwischen Staatsvergottung und Staatsverspottung. In den letzten Jahren jedoch sieht sich der Staat Angriffen ausgesetzt, die nicht nur aus der Wirtschaft kommen. Sie laufen alle auf die Forderung hinaus, daß der Staat zurückgedrängt gehöre, wenn nicht sogar »abgeschafft«. In einer globalisierten Welt, so die zentrale Behauptung, können die Leistungen des Staates besser von privaten Organisationen erbracht werden, vom Transportwesen über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bis hin zur modernen Kriegsführung. Der Markt regele alles besser, der Staat störe…mehr

Produktbeschreibung
Die Deutschen schwanken zwischen Staatsvergottung und Staatsverspottung. In den letzten Jahren jedoch sieht sich der Staat Angriffen ausgesetzt, die nicht nur aus der Wirtschaft kommen. Sie laufen alle auf die Forderung hinaus, daß der Staat zurückgedrängt gehöre, wenn nicht sogar »abgeschafft«. In einer globalisierten Welt, so die zentrale Behauptung, können die Leistungen des Staates besser von privaten Organisationen erbracht werden, vom Transportwesen über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bis hin zur modernen Kriegsführung. Der Markt regele alles besser, der Staat störe bloß.

Erhard Eppler hält dagegen. In seinem umsichtig argumentierten und durch viele Beispiele belegten Plädoyer macht er deutlich, wie wichtig der Staat ist und daß wir keineswegs auf ihn verzichten können. Dabei wird sichtbar, daß der frühere Entwicklungsminister auch den Süden der Erde im Blick hat.
Autorenporträt
Eppler, ErhardErhard Eppler war einer der einflussreichsten Programmatiker der deutschen Sozialdemokratie. Als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Kabinett Willy Brandts begleitete er den politischen Aufbruch zu Beginn der siebziger Jahre. Auch nachdem er sich in den neunziger Jahren von seinen Ämtern zurückgezogen hatte, griff er publizistisch in aktuelle politische Debatten ein.Erhard Eppler wurde 1926 in Ulm geboren. Er studierte Deutsch, Englisch und Geschichte und promovierte im Jahr 1951. Bis 1961 arbeitete er als Lehrer, parallel dazu war er parteipolitisch aktiv: seit 1952 in der von Gustav Heinemann gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei, ab 1956 in der SPD, für die er 1961 in den Bundestag einzog. Kurt Georg Kiesinger berief ihn 1968 zum Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, einen Posten, den er auch unter Willy Brandt und Helmut Schmidt bis 1974 innehatte. Von 1973 bis 1992 leitete Eppler die Grundwertekommission der SPD, von 1973 bis 1989 war er (mit

einer Unterbrechung in den Jahren 1982-1984) Mitglied im Präsidium seiner Partei. Eppler engagierte sich nicht nur in der Parteipolitik, sondern auch in der Evangelischen Kirche in Deutschland, in den Jahren 1989-1991 war er Präsident des Kirchentags.Seit seinem Rückzug aus der offiziellen Politik widmete sich Eppler dem Schreiben. Als 1992 Kavalleriepferde beim Hornsignal erschien, verortete Siegfried Unseld den Autor Eppler in der Tradition von Böll, Grass und Johnson: »Eppler stellt sich als Aufgabe seines Buches, unsere Freiheit wie auch unsere Gebundenheit gegenüber der Sprache wieder bewußt zu machen, eine Sprache zu finden, die den Gefahren, die drohen, angemessen ist.«Erhard Eppler starb am 21. Oktober 2019 im Alter von 92 Jahren in seiner Wahlheimat Schwäbisch Hall.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2005

Die Sünde wider den Markt
Der frühere SPD-Minister Erhard Eppler verteidigt die Notwendigkeit des starken Staates
Dass der Staat im 21. Jahrhundert schlechte Karten hat, wird niemanden wundern, der ins 20. Jahrhundert zurückblickt.” Der Satz steht im einleitenden Kapitel von Erhard Epplers Buch, in dem es darum geht, die Gründe der heute so verbreiteten Staatsfeindschaft zu beleuchten. In der Tat, wer an den Staatsterror der Nazis und der Stalinisten denkt, wer sich daran erinnert, wie auch in der Bundesrepublik nach 1945 obrigkeitsstaatliches Denken und Handeln zunächst vielfach fortlebte, der wird verstehen, dass viele den Staat eher mit Skepsis betrachten.
Aber Skepsis oder Misstrauen ist etwas anderes als die heute gängige Auffassung, dass der Staat und jede Form der staatlichen Regulierung nicht nur ineffizient und unzumutbar teuer, sondern auch freiheitsfeindlich seien. Heute haben wir es vielfach mit einer pauschalen Gegnerschaft zu tun, die den fundamentalen Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und den Unrechtsstaaten der Nazis und Stalinisten verwischt. Die modische Staatsfeindschaft speist sich aus zwei Quellen: aus einer romantischen Überschätzung der Zivilgesellschaft, wie sie im grün-alternativen Milieu verbreitet ist, und aus dem neoliberalen Marktfundamentalismus.
Dass es keineswegs, wie vielfach unterstellt, ein Gewinn an Freiheit bedeutet, wenn der Staat sich auflöst, lässt sich am deutlichsten in einigen Ländern Afrikas und Lateinamerikas beobachten, wo der Zerfall staatlicher Strukturen dazu geführt hat, dass die Mehrheit der Bevölkerung hilflos der Ausbeutung von Geschäftemachern ausgeliefert ist und in einem Zustand permanenter Bedrohung durch Warlords und verbrecherische Gangs lebt. Aber auch in den reichen Ländern des Westens hat, wie der inzwischen 78-jährige Eppler beklagt, der Vormarsch der neoliberalen Ideologie mit ihrer einseitigen Bevorzugung der Marktregulierung und ihrer pauschalen Ablehnung jeder Form der politischen Gestaltung zu einer gefährlichen Schwächung der Staatlichkeit geführt. Auch hier werde mehr und mehr die Minimalvoraussetzung für Zivilität, das Gewaltmonopol des Staates, untergraben; auch hier führe eine neoliberal inspirierte Finanz- und Steuerpolitik immer öfter dazu, dass der Staat handlungsunfähig werde und die gesellschaftlichen Probleme ins Uferlose wüchsen.
Makabrer Treppenwitz
Dabei ist nach Eppler - 19 Jahre lang Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD - die Notwendigkeit des Umsteuerns offensichtlich. Wer angesichts der wachsenden ökologischen und sozialen Probleme die Entwicklung weiter den Kräften des Marktes überlasse, beschleunige die Fahrt in die Katastrophe. „Vielleicht”, so der Autor, „nennen es unsere Nachfahren einmal einen makabren Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet in dem Augenblick, als die gänzlich neue, unabweisbare Aufgabe des Staates, aus einer nicht zukunftstauglichen Entwicklung eine zukunftstaugliche zu machen, für die Wissenschaft feststand, eine Ideologie ihren Siegeszug antrat, die all das, was nun erkennbar nötig wurde, als Sünde wider den Markt denunzierte.” Weil Nachhaltigkeit sich nicht von selbst verstehe und der Markt eher das Gegenteil fördere, hänge die Zukunft unserer Nachkommen mehr denn je von einem funktionierenden Staat und planvoller politischer Kooperation ab.
Was heißt das für uns in Europa? Das zentrale Problem, schreibt Eppler, sei hier, dass die negative Integration, also der Abbau von Integrationshindernissen, funktioniere, weil hierfür die al-
lein voll handlungsfähige Kommission in Brüssel zuständig sei. Die positive
Integration, die Einigung auf Entwicklungsziele und gemeinsam akzeptierte Rahmenbedingungen, funktioniere aber nicht, weil dies nach wie vor Einstimmigkeit unter den mittlerweile 25 Mitgliedsstaaten voraussetze. „Wenn die EU-Kommission, um den Wettbewerb in der Union zu perfektionieren, zwar dem deutschen System der Kreissparkassen zu Leibe rücken darf, wenn die Kommission in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine wettbewerbswidrige Subventionierung sehen darf, gleichzeitig aber nicht dafür zuständig ist, dass auch Großunternehmen zur Finanzierung des Staates angemessen beitragen, dann nimmt sie den Staaten mehr, als sie ihnen gibt.” Dieses Problem kann aber nach Eppler nicht durch einen Rückzug in nationale Selbstgenügsamkeit behoben werden, sondern allein durch eine politisch voll handlungsfähige Union.
Die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, das zeigt dieses Buch mit aller Eindringlichkeit, sind nicht dadurch zu lösen, dass wir die Verantwortung auf den Markt abschieben. Ihre Lösung bedarf der Politik. Und eben darum kann das Fazit nur lauten: „Der Staat ist kein Auslaufmodell. Ohne sein Gewaltmonopol ist die technische Zivilisation des 21. Jahrhunderts nicht lebensfähig.”
JOHANO STRASSER
ERHARD EPPLER: Auslaufmodell Staat? Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 2005. 240 Seiten, 10 Euro.
Weil Nachhaltigkeit sich nicht von selbst verstehe, hängt nach der Überzeugung von Erhard Eppler die Zukunft unserer Nachkommen mehr denn je von einem funktionierenden Staat und von planvoller politischer Kooperation ab. Die modische Staatsfeindschaft speist sich seiner Ansicht nach aus einer romantischen Überschätzung der Zivilgesellschaft und aus dem neoliberalen Marktfundamentalismus.
Foto: ddp
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Überzeugend findet Rezensent Johanno Strasser dieses Buch von Erhard Eppler, in dem sich der frühere SPD-Minister gegen die Auflösungsprozesse des Staates unter dem Diktat des neoliberalen Marktfundamentalismus wendet. Wie er berichtet, führt Eppler vor Augen, wie der Vormarsch der neoliberalen Ideologie zu einer gefährlichen Schwächung der Staatlichkeit geführt hat. Angesichts der wachsenden ökologischen und sozialen Probleme dürfe die Entwicklung nicht weiter den Kräften des Marktes überlassen werden. Eppler zeige "mit aller Eindringlichkeit", dass die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht dadurch zu lösen sind, dass wir die Verantwortung auf den Markt abschieben. Ihre Lösung bedürfe der Politik. Zustimmend zitiert Strasser Epplers Fazit: "Der Staat ist kein Auslaufmodell. Ohne sein Gewaltmonopol ist die technische Zivilisation des 21. Jahrhunderts nicht lebensfähig."

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»Die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, das zeigt dieses Buch mit aller Eindringlichkeit, sind nicht dadurch zu lösen, dass wir die Verantwortung auf den Markt abschieben. Ihre Lösung bedarf der Politik, darum kann das Fazit nur lauten: 'Der Staat ist kein Auslaufmodell. Ohne sein Gewaltmonopol ist die Zivilisation des 21. Jahrhunderts nicht lebensfähig.'« Süddeutsche Zeitung