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Ausreiten der Ecken war ein Lieblingsausdruck Aby Warburgs aus seiner Militärzeit bei der Kavallerie. Er benutzte ihn auch gegenüber Fritz Saxl als Mahnung, keine Abkürzungen zu nehmen, sich der Mühe detailgenauer Arbeit zu unterziehen, denn sonst könnten sie "nicht ordentlich zusammen marschieren. Ihre Zeit und Ihr Leben kann ich nicht höher einschätzen als das meinige: Kanonenfutter für respektable Fragezeichen." (Brief vom 23.12.1911) Der Band behandelt den frühen Briefwechsel zwischen dem Kultur- und Kunsthistoriker Aby Warburg und seinem zukünftigen Mitarbeiter und späteren Leiter der…mehr

Produktbeschreibung
Ausreiten der Ecken war ein Lieblingsausdruck Aby Warburgs aus seiner Militärzeit bei der Kavallerie. Er benutzte ihn auch gegenüber Fritz Saxl als Mahnung, keine Abkürzungen zu nehmen, sich der Mühe detailgenauer Arbeit zu unterziehen, denn sonst könnten sie "nicht ordentlich zusammen marschieren. Ihre Zeit und Ihr Leben kann ich nicht höher einschätzen als das meinige: Kanonenfutter für respektable Fragezeichen." (Brief vom 23.12.1911) Der Band behandelt den frühen Briefwechsel zwischen dem Kultur- und Kunsthistoriker Aby Warburg und seinem zukünftigen Mitarbeiter und späteren Leiter der Bibliothek, Fritz Saxl, der am Ausbau der Bibliothek zu einem Forschungsinstitut entscheidenden Anteil hatte. Die Korrespondenz gibt Einblick in die persönliche und professionelle Annäherung und Beziehung zwischen dem Hamburger Wissenschaftler und seinem jungen Wiener Kollegen und zeigt die Idealkonstellation des anspornenden Warburg und des suchenden und findenden Saxl, der für Warburg bald zum unentbehrlichen Fachkollegen wurde: "Wieviel Leute gibt es denn, die dasselbe Problem erleben und ihm angehören?" (Brief Warburg an Saxl vom 20.4.1913). Sie zeigt aber auch einen von Existenzangst und Selbstzweifeln gepeinigten Saxl, dessen behutsame und sorgende Haltung später wesentlich zur Gesundung des unter dem Druck des Ersten Weltkrieges zusammengebrochenen Warburg betrug." Und ich weiß auch, daß ich die Verpflichtung hab, den Fulg. met. und den Albricus zu publizieren. Aber verstehen Sie denn nicht, daß in mir noch so ein entsetzlicher Wunsch steckt nach Leben, nach jung sein?" (Brief Saxl an Warburg vom 14.10.1915) Die auch als Zeitdokument höchst aufschlußreiche Untersuchung von Dorothea McEwan wird ergänzt durch einen Anhang von 46 weitgehend unveröffentlichten Briefen. Der anläßlich des fünfzigsten Todestages Fritz Saxls entstandene Band ist der erste der Reihe "Kleinen Schriften", die in Zusammenarbeit von Warburg-Haus, Hamburg, und Warburg Institute, London, im Dölling und Galitz Verlag entsteht.
Autorenporträt
Dorothea McEwan arbeitet seit 1993 als Archivarin am Warburg Institute in London.Davor forschte sie in Archiven in Europa und im Nahen Osten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2013

„Erschütternde Liebe und Treue“
Lange unbesungen, tritt der Kunsthistoriker Fritz Saxl jetzt in einer neuen Biografie aus dem Schatten des Ziehvaters Aby Warburg
Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, heißt es. Bei Aby Warburg, dem zu mythischer Größe angewachsenen Gründungsvater der Bildwissenschaft, war beides im Übermaß vorhanden, und der Schatten, den er warf, so übermächtig, dass mehrere Menschen darin Platz fanden. Zwei Hochbegabte teilten das nicht immer einfache Los, im Kielwasser eines Genies zu segeln. Neben der Philosophin Gertrud Bing, die nach Warburgs Tod dessen „Gesammelte Schriften“ in einer vorbildlichen Edition herausgab, war dies vor allem der Kunsthistoriker Fritz Saxl, der die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg leitete und erster Direktor des Warburg Institute in London wurde.
  Lange unbesungen, tritt Fritz Saxl nun aus dem Schatten seines geistigen Ziehvaters. Vor Kurzem erschienen zwei Schriften des Österreichers in einer Neuauflage („Gebärde, Form, Ausdruck“). Und jetzt, endlich, liegt auch eine Biografie Saxls vor. Sie stammt aus berufener Feder. Dorothea McEwan war lange Archivarin am Londoner Warburg Institute. Große Verdienste erwarb sich McEwan bereits, indem sie die mehr als 30 000 Briefe der Warburg-Korrespondenz katalogisiert und in englischsprachigen Zusammenfassungen zugänglich gemacht hat. Über den Briefwechsel zwischen Saxl und Warburg hat sie bereits zwei Bücher geschrieben, und auch in ihrer vorzüglich geschriebenen neuen Saxl-Biografie greift McEwan vor allem auf die Briefschätze im Archiv zurück. Das macht ihre Erzählung sehr lebendig, auch wenn die Würdigung der wissenschaftlichen Arbeiten Saxls manchmal zu kurz kommt. Dafür aber wird der Leser mit einem umfangreichen Anhang entschädigt.
  Als sich die Wege Fritz Saxls und Aby Warburgs im Jahre 1910 kreuzten, war Saxl ein junger Mann von zwanzig Jahren, der bei Max Dvorak in Wien Kunstgeschichte studierte und sich auf die Rembrandt-Forschung und die Geschichte der Sterngläubigkeit in Antike und Mittelalter spezialisierte. Aby Warburg hatte sich seit zwei Jahren ebenfalls in dieses entlegene Forschungsgebiet vertieft. Sein Hauptinteresse galt dem Nachleben der Antike und der Spannung zwischen „Mathematik und Dämonenfurcht“ in der Astrologiegeschichte.
  Damit begann ein reger Austausch, freundschaftlich und durchaus auf Augenhöhe. Von Beginn an übernahm der 44-jährige Privatgelehrte Aby Warburg dabei die Rolle des väterlichen Freundes. Während der frühreife Fritz Saxl in Wien im Alter von nur 22 Jahren über Rembrandt promovierte, arbeitete Warburg fieberhaft an seiner epochalen Studie zum Freskenzyklus des Palazzo Schifanoia in Ferrara, die er im Oktober 1912 auf dem Kunsthistorischen Kongress in Rom zum Vortrag brachte. Seine Entschlüsselung des Freskenprogramms bedeutete die Geburtsstunde der Ikonologie und den Durchbruch der kulturwissenschaftlichen Methode Warburgs. Fritz Saxl, der im Publikum saß, erkannte die Tragweite des Moments. Viele Kollegen, schrieb er, seien danach in der Überzeugung nach Hause gefahren, „das Herandämmern einer neuen Ära in der Kunstgeschichte“ miterlebt zu haben.
  Zwei Jahre später kam Fritz Saxl zu Aby Warburg nach Hamburg, um sein Assistent zu werden. Mittlerweile war er verheiratet, was seinem Chef nicht behagte, „da seine Beweglichkeit darunter leiden müsse“. Schon früh sprachen beide über die Institutionalisierung der kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburgs. Saxl begriff sofort, dass sie das intellektuelle Rückgrat für Warburgs Studien war, eine „Einheit lebendigen Denkens“ (Saxl) bildete, die keiner starren Systematik zu unterwerfen war.
  Der Erste Weltkrieg durchkreuzte alle kühnen Gelehrtenpläne. Saxl trat seinen Dienst an der Front im Dienst Österreich-Ungarns an, während der kränkelnde Warburg zu seinem großen Bedauern nicht in den Kriegsdienst eintreten konnte. Der kontinuierliche Briefwechsel in dieser Zeit ist ein schönes Zeugnis für die Freundschaft der beiden Männer. Dorothea McEwans Buch liest sich in den Kriegsepisoden wie ein Krimi, fast filmisch schneidet sie zwischen den Akteuren hin und her. Erstaunt erfährt man, dass Saxl in seinem Artilleriestand noch Zeit fand zum Forschen und zum Korrekturlesen der Druckfahnen seines „Verzeichnisses astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters in römischen Bibliotheken“ (1915), eines bis heute unverzichtbaren Standardwerkes.
  Nach dem Krieg kehrt Fritz Saxl zunächst nach Österreich zurück, während Warburg in Hamburg einen schweren psychischen Zusammenbruch erleidet. Abys Bruders Max Warburg bietet Saxl eine Stelle in der Bibliothek an, die Saxl 1920 antritt. So packend Dorothea McEwan die Kriegsjahre schildert, so seltsam blass erscheint die Folgezeit, die Aby Warburg zwischen 1921 und 1924 im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen verbringt.
  Fritz Saxl übernahm Leitung und Organisation der Bibliothek, unterstützt durch Gertrud Bing, die dazugestoßen war. Zugleich kümmerte er sich mit einer an Selbstaufgabe grenzenden Fürsorge um den schwer erkrankten Freund Warburg, zu dessen Heilung Saxl in ganz entscheidender Weise beitrug. Saxl war Warburgs Verbindung zur Welt und bestätigte ihn in seiner Identität als Wissenschaftler. Die Zusammenarbeit beider in den Klinikjahren brachte zwei Glanzleistungen hervor, die Lutherschrift und den legendären Vortrag über die Hopi-Indianer, der unter dem Titel „Schlangenritual“ Warburgs späten Nachruhm sichern sollte. Dass diese Jahre für Fritz Saxl oft qualvoll waren, spart McEwan aus, obwohl sie seine Leistungen in dieser Zeit so ausführlich würdigt. Davide Stimilli hat in dem Buch „Die unendliche Heilung“ (2007) aufschlussreiche Dokumente aus der Hand Fritz Saxls ausgebreitet, in denen ein zweifelnder Forscher Kontur gewinnt, der um die Emanzipation von dem großen Vorbild ringt und unter dem „strengen Saturn-Vater“ (Saxl) Warburg leidet.
  Aby Warburg, der nur selten Worte des Lobes fand, vergaß seinem Freund die Unterstützung in den Kreuzlinger Jahren nie, die er als „erschütternde Liebe und Treue“ würdigte. Nach der Rückkehr Warburgs konnte Fritz Saxl endlich seine eigenen Forschungen wieder aufnehmen. In seiner Ehe seit Jahren unglücklich, fing Saxl eine Beziehung zu seiner Kollegin Gertrud Bing an, die Warburg erfolglos zu unterbinden suchte, die aber, obwohl sich Saxl nie von seiner Frau scheiden ließ, bis zu seinem Tod unerschüttert blieb. Nach dem Tod Aby Warburgs im Jahre 1929 wurde Saxl dann Leiter der „Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg“ in Hamburg (KBW), die seit 1926 in einem Neubau neben Warburgs Haus untergebracht war. Seiner Weitsicht in den Jahren bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten war es zu verdanken, dass die gesamte KBW, als dreijährige Dauerleihgabe getarnt, am 13. Dezember 1933 nach London verschifft werden konnte: „Hermia schwimmt!“, lautete ein konspiratives Telegramm an Fritz Saxl in dieser „Stunde null zwischen KBW und Warburg Institute“ (McEwan).
  Erst in der Emigration, so scheint es bei McEwan, kam Fritz Saxl zu sich selbst. „Er hält sich rein äußerlich gerader als in Hamburg“ und habe in London „Festigkeit und Heiterkeit“ gefunden, so sah es seine Lebensgefährtin Gertrud Bing. In England schaffte Fritz Saxl das unglaubliche Kunststück, den Aufbau der Warburg-Bibliothek und den Umbau zu einem Forschungsinstitut ein zweites Mal und unter schwierigeren Bedingungen zu stemmen. Darüber hinaus setzte er sich in den Dreißigerjahren für Freunde und Weggefährten wie Ernst Cassirer, Raymond Klibansky und Erwin Panofksy ein, dem er seit der gemeinsamen Arbeit an ihrem Aufsatz über Dürers „Melencolia I“ (1923) freundschaftlich verbunden war. Sehr plastisch schildert McEwan die Jahre des Zweiten Weltkriegs. In dieser schwierigen Interimsperiode mit ständigen Sorgen um Finanzierung und Verbleib der Bibliothek erwies sich Saxl als meisterhafter Netzwerker und Stratege. Gute Nachrichten gab es erst wieder 1944, als das Warburg Institute in die öffentliche Hand überging und der Fortbestand der Bibliothek als Teil der University of London (heute zu deren „School of Advanced Study“ gehörig) damit dauerhaft gesichert werden konnte. „A Present from Germany“, so bejubelte die englische Presse diesen Zugewinn durch Warburgs Nachlass.
  Mit aller Kraft trieb Fritz Saxl die Umwandlung des Warburg Institute zu einem universitären Forschungszentrum voran, bis er 1948 an einem Herzinfarkt starb. Saxl hatte sich „buchstäblich zu Tode gearbeitet“, wie McEwan ohne Übertreibung konstatiert. Eine Aby-Warburg-Biografie, die Saxl angefangen hatte, blieb unvollendet. Saxl hätte die Arbeit daran nie zu Ende gebracht, weil er nicht seine eigene Rolle hätte schildern können, „ohne die eine Warburg-Biografie nur die halbe Geschichte enthalten würde“, so Gertrud Bing. Diesen enormen Anteil Fritz Saxls am „Projekt Warburg“ jetzt erhellt zu haben, darin liegt das Verdienst der Biografie von Dorothea McEwan.
JUTTA VON ZITZEWITZ
Beim „Herandämmern einer
neuen Ära der Kunstgeschichte“
war Fritz Saxl dabei
Der Neuaufbau der berühmten
Warburg-Bibliothek in London
war eine Meisterleistung
  
  
Dorothea McEwan: Fritz Saxl. Eine Biografie. Aby Warburgs Bibliothekar und erster Direktor des Londoner Warburg Institutes. Böhlau Verlag, Wien/
Köln/Weimar 2012.
344 Seiten, 39 Euro.
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