Einer seiner preisgekrönten Aphorismen lautet: Um den Schein zu wahren, verbirgt sich Größe oft im Unscheinbaren. Überzeugt hat die Juroren zum einen die gleichmäßige Qualität der eingereichten Aphorismen , zum anderen die bildhafte Umsetzung . Neben der philosophisch-inhaltlichen Fundierung sind es genau diese Gütekriterien der bildhaft-metaphorischen und sprachlich-stilistischen Ausgestaltung, die auch die Texte dieser Veröffenlichung mit dem originellen Titel Aussätzer auszeichnen. ...Er selbst ist kein epischer Charakter ; seine Texte sind kurz und prägnant, dabei jeweils mehr als ein Spruch, ein Einspruch. Das berühmt-berüchtigte Potenzproblem des Aphoristikers (nach Hanns-Hermann Kersten: je kürzer- desto besser ) wird auch von ihm beklagt: Der Aphoristiker ist ein schlechter Liebhaber kaum auf der Höhe, kommt er schon zum Punkt. ...Was ihn durchgängig zu kritisch-aphoristischen Kommentaren herausfordert, ist das Geschwätzige, das Laute in unserer Kommunikationsgesellschaft. Dies belegen die folgenden Beispiele:: Die schlimmste Lärmbelästigung ist das Platzen von Sprechblasen. / Im Rauschen der Informationsflut hört man den Ertrinkenden nicht. / Die Bilderflut zerstört jede Anschauung. Darin wird sein zentrales Anliegen, Aphorismen zu schreiben, deutlich: Aphorismen sind für ihn kleine Lichtungen im Phrasenwald. ...Hier einige bissig-appetitliche Kostproben: Er sank immer tiefer, bis auf die Höhe der Zeit. / Eine Zeit, in der sich alles bewegt, ist nicht zwangsläufig eine bewegte Zeit. / Hoffentlich kommen unsere Nachkommen nicht nach uns! / Wir betreiben Raubbau an der Zeit: von der langen Weile bleiben nur noch Schrecksekunden. ... Neben den grundlegenden Stilmitteln der Verknappung und Überraschung beherrscht er gleichermaßen den wirkungsvollen rhetorischen Kniff der Pointierung und Übertreibung: Beim Versuch des aufrechten Gangs bringen es viele nur bis zum Strammstehn. Von der beißenden, (selbst)ironischen Kritik bleibt auch sein Geburts- und Heimatland Schweiz nicht verschont: Um den Horizont der Schweiz zu erweitern, müsste man Berge versetzen können. Oder als lakonische (Schein-)Definition: Die Schweiz, ein Alptraum. Ferner finden wir bei Nollé auch viele sprachliche Neuschöpfungen (Neologismen), so u.a. Egotripper , Sprach-Emissionen , Uhrteil , Bildungsdrohung , Broschürenkunst , Bodybuilder der Literatur . Der Aphorismus in Frageform kommt ebenfalls vor: Mit wem betrügt man sich selbst? / Was nützt Langlebigkeit in einer kurzlebigen Zeit? / Er ist Vorstand der Firma, warum sollte er hinter ihr stehen? ... Nollés Aussätzer stellen eine viel versprechende Bereicherung der gegenwärtigen Aphorismus-Landschaft dar.(Aus dem Vorwort von Jürgen Wilbert)