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Peter Henisch ist einem großen Publikum in erster Linie als Romancier bekannt: von der Kleinen Figur meines Vaters über den Schwarzen Peter bis zu Großes Finale für Novak reicht sein mehr als 20 Titel umfassendes literarisches uvre. Mit seinen Essays, Feuilletonbeiträgen und Kolumnen wiederum erhebt er seit 40 Jahren konsequent und kontinuierlich seine Stimme zu aktuellen Fragen und politischen Missständen; aber auch die Literatur - die eigene und die der anderen - kann und soll für ihn nicht von der politischen Realität und der realen Politik getrennt und in einen Elfenbeinturm verbannt…mehr

Produktbeschreibung
Peter Henisch ist einem großen Publikum in erster Linie als Romancier bekannt: von der Kleinen Figur meines Vaters über den Schwarzen Peter bis zu Großes Finale für Novak reicht sein mehr als 20 Titel umfassendes literarisches uvre. Mit seinen Essays, Feuilletonbeiträgen und Kolumnen wiederum erhebt er seit 40 Jahren konsequent und kontinuierlich seine Stimme zu aktuellen Fragen und politischen Missständen; aber auch die Literatur - die eigene und die der anderen - kann und soll für ihn nicht von der politischen Realität und der realen Politik getrennt und in einen Elfenbeinturm verbannt werden. 'Kritik hat er allerdings nie in der landesüblichen Form der rhetorischen Übertrumpfung betrieben', so Karl-Markus Gauß über Peter Henisch; vielmehr verstehe es dieser, 'sich der Routine wohlfeiler Empörung zu versagen und stattdessen den empörenden Verhältnissen geduldig auf den Grund zu gehen'. So ist der 70. Geburtstag, den Henisch und mit ihm die literarische Öffentlichkeit im September feiern wird, ein idealer Zeitpunkt, diese Werkgruppe zu einem repräsentativen Band zu versammeln. In akribischer Editionsarbeit wurden nahezu hundert Texte aufgespürt und in sechs Unterkapitel gegliedert: von Beiträgen zu Zeitgeschehen und Politik, zur Literatur über Momentaufnahmen und Reisebilder bis zu Reden und Interviews.Für Walter Famler, der für dieses Buch ein Nachwort geschrieben hat, ist bei Peter Henisch der Status des kritischen Intellektuellen gekennzeichnet durch 'seine im Geist des Blues schwingende empathische Melancholie etwa oder die Selbstdefinition als passionierter Außenseiter, als der er sich neben anderen, die längst zu zynischen Insidern geworden sind, weiter behauptet.'
Autorenporträt
Peter Henisch, geboren 1943 in Wien. Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte und Psychologie. Mitbegründer, Liedtexter und Sänger der Gruppe 'Wiener Fleisch und Blut' (1975) sowie Mitbegründer der Zeitschrift 'Wespennest'. Seit 1971 lebt er als freischwebender Schriftsteller in Wien, Niederösterreich und der Toskana. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Anton-Wildgans-Preis, Literaturpreis der Stadt Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2013

Umso schlimmer für die Wirklichkeit

Quasi una fantasia: In seinem neuen Roman "Mortimer & Miss Molly" erzählt Peter Henisch wunderbar leichthändig und unaufdringlich von Liebe, Leid und Lust.

Liebe und Illusion gehen gern Hand in Hand. Doch oft folgt dem Liebestraum die Ernüchterung. Das müssen auch die Liebenden in Peter Henischs jüngstem Roman irgendwann erfahren. In "Mortimer & Miss Molly" trifft in einem Sommer in den achtziger Jahren der Turiner Marco, der gerade sein Medizinstudium beendet hat, aber lieber Regisseur werden möchte, in Siena die Wiener Kunsthistorikerin Julia, die dort Italienisch lernt. Die beiden verlassen die Stadt, landen in einem Dorf in der Crete und beschränken ihren Radius zunächst auf die Kuhle eines Hotelbetts, wo sie sich in der Sprache Frischverliebter verständigen, die ohne viele Worte auskommt.

Wenn von Marco gesagt wird, er würde lieber Filme drehen, so ist das kein unbedeutendes Detail. Peter Henisch, Autor zahlreicher Romane und Gedichte, Musiker und Mitbegründer der Zeitschrift "Wespennest", der heute siebzig wird, führt in "Mortimer & Miss Molly" neuerlich vor, wie virtuos er Handlung und Konstruktion seiner Romane miteinander zu verzahnen weiß, dabei feine Anspielungen an Mythen, Filme und Literatur einwebt, erzähltechnisch versiert, leichthändig und unaufdringlich einer märchenhaften Unmittelbarkeit entgegensteuert, um das Erzählte in seiner Gestaltetheit umso intensiver nachhallen zu lassen.

"Mortimer & Miss Molly" beginnt wie ein Film oder ein Theaterstück, bei dem ein Scheinwerfer einen Kreis aus Licht auf die dunkle Bühne wirft. Die Bühne ist in diesem Fall ein in dem fiktiven Dorf San Vito gelegener, geometrisch gestalteter Renaissancegarten namens Horti Valentini, den der Toskana-Liebhaber Henisch den Horti Leonini in San Quirico d'Orcia nachempfunden hat. Mortimer Mellows, ein amerikanischer Soldat, muss 1944 mit seinem Fallschirm in der kreisförmigen Mitte des Gartens notlanden, nahe dem Haus, in dem Miss Molly, die englische Gouvernante einer reichen italienischen Familie, seit Jahren lebt. Doch all das ist vielleicht nur Phantasie, was Henisch kenntlich macht, indem er, ähnlich wie Raymond Federman in "Eine Liebesgeschichte oder sowas", den Konjunktiv wählt: "Die Geschichte könnte damit beginnen, dass Mortimer vom Himmel fällt." Was für ein erster Satz, in dem jemand als deus ex machina und fallender Engel zugleich in die Handlung plumpst. Mortimer versteckt sich bei Molly vor den deutschen Besatzern, und die beiden erleben die göttlichen und irdischen Momente der Liebe.

Marco und Julia erfahren all dies aus dem Mund Mortimers, der eines Abends vor ihrer Zimmertür steht und ihnen von der Vergangenheit zu erzählen beginnt. Doch ehe die Geschichte über die Liebe "im Widerstand gegen die Zeit" zum Ende gekommen ist, verschwindet er - und bleibt es. Das Erzählte hat sich aber in Julias und Marcos Kopf festgesetzt. Sie fassen den Plan, ein Drehbuch zu schreiben, das ausspinnt, wie es weitergegangen sein könnte. Ihre Phantasie befeuert auch ihre Liebe. Sie treffen sich wieder, reisen jeden Sommer nach San Vito, um mit Mortimers und Mollys Liebesgeschichte ihre eigene immer neu zu beleben, bis die Frage, ob sich die "periodische Sommerliebe in eine Liebe für alle Jahreszeiten" verwandeln ließe, drängend im Raum steht.

Die dräuende Krise bricht schließlich aus im Streit über die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Illusion, über die Frage, ob Mortimer die beiden auf eine falsche Fährte gelockt hat. Ein alter Arzt aus dem Nachbardorf zeigt sich amüsiert, als Marco und Julia ihm von Mortimer und Miss Molly erzählen. Die beiden ein Paar? Unmöglich! Marco schenkt schließlich dem Arzt Glauben. Die Wirklichkeit sehe eben anders aus, als Julia und er sie sich ausgemalt haben. Wenn Julia mit einem wütenden, hegelianisch gefärbten "Umso schlimmer für die Wirklichkeit" kontert, um am Ideal einer erfüllenden und erfüllten Liebe festzuhalten, ist sie darin ihrem Schöpfer nicht unähnlich. Auch Henisch wendet sich im Schreiben gegen eine Auffassung von Wirklichkeit, die sich mit den Verhältnissen abfindet. In "Mortimer & Miss Molly" dekliniert er in der Spiegelung zweier Liebesgeschichten Möglichkeitsformen der Liebe allerdings nicht durch, um der Wirklichkeit zu entfliehen, sondern um ihr etwas vom Zauber zurückzugeben, den sie verliert, wenn sie sich auf das Sicht-, Mess-, Plan- und Verhandelbare beschränkt und Traum und Utopie verrät.

Hallräume für Träume und Utopien eröffnen auch die zeitgeschichtlichen und literarischen Essays und Reden Henischs aus rund vierzig Jahren, die der Band "Außenseiter aus Passion" versammelt. Sie zeigen den Autor in engagierter Auseinandersetzung mit dem komplizierten Wechselspiel von Wirklichkeit und Traum, von Begrenzung und Freiheit. Diese Fragen sind Gegenstand der Texte, in denen geliebte fiktive Gestalten wie Puh, der Bär, verehrte Künstler wie Mozart, Karl May, E. T. A. Hoffmann, oder Jim Morrison auftreten. Daneben findet sich Anekdotisches, etwa das Erlebnis mit einem Frankfurter Taxifahrer, dem 1995 auf Henischs Frage nach einem Buch eines österreichischen Schriftstellers lediglich Hitlers "Mein Kampf" einfällt. Doch zynisch geht es bei Henisch nie zu. Stattdessen durchzieht seine Texte eine freundliche Ironie, die er als "ästhetisch produktive Haltung gegen den Tod" begreift. Aufschlussreich auch seine Reflexionen über eigene Romane, darunter der bekannteste "Die kleine Figur meines Vaters" (1978), der mit Blick auf Fotografien und auf Grundlage von Interviews rekonstruiert, wie Walter Henisch, Pressefotograf und Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg, Teil des nationalsozialistischen Propagandaapparates wurde, obwohl er sich neutral glaubte.

In diesem zeitgeschichtlich wichtigen Roman ist die Wirklichkeit zugunsten trauriger Selbsttäuschungsmanöver in den Hintergrund getreten. In "Mortimer & Miss Molly" dagegen, so viel sei hier verraten, wird das Verhältnis von Wirklichkeit und Illusion im zwischen Be- und Entzauberung schwankenden, pointenreichen Finale in Lust und Lebensfreude aufgehoben: Marco und Julia könnten den Erzählfaden womöglich weiterspinnen. Indem der Roman vermittelt, dass auch Sprache der Liebe Nahrung sein kann, spiegelt sich in ihm zudem der liebende Blick seines Autors auf das eigene Tun.

BEATE TRÖGER

Peter Henisch: "Mortimer & Miss Molly". Roman.

Deuticke Verlag, Wien 2013. 224 S. geb., 19,90 [Euro].

Peter Henisch: "Außenseiter aus Passion". Texte zu Politik. Literatur und Gesellschaft (1972 bis 2013).

Nachwort von Peter Famler. Sonderzahl Verlag, Wien 2013. 444 S., br., 29,- [Euro].

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