Berlin ist immer eine (Zeit-)Reise wert
„Ah! Neue Post-Mädchen!“ (S. 11) Im Spätsommer `76 zieht Hanna aus Greifswald nach Berlin, um im Postamt am Fuß des Fernsehturms zu arbeiten. Die Zustellerin Babs stammt aus einem Dorf in Thüringen und will mit ihrer neuen Stelle vor allem ihrer Mutter
entkommen, für sie sie immer noch die Nachzüglerin und nicht die erwachsene Frau ist. Sie teilen sich…mehrBerlin ist immer eine (Zeit-)Reise wert
„Ah! Neue Post-Mädchen!“ (S. 11) Im Spätsommer `76 zieht Hanna aus Greifswald nach Berlin, um im Postamt am Fuß des Fernsehturms zu arbeiten. Die Zustellerin Babs stammt aus einem Dorf in Thüringen und will mit ihrer neuen Stelle vor allem ihrer Mutter entkommen, für sie sie immer noch die Nachzüglerin und nicht die erwachsene Frau ist. Sie teilen sich ihre Wohnung in einem Frauenwohnheim im Plattenbau in Hohenschönhausen mit Trudi, die schon länger im Ministerium für Post- und Fernmeldewesen als Schreibkraft arbeitet und fast alles machen würde, um in den Westen zu kommen.
„… ich bin gern die Beobachterin. Ich mag es, mir die Dinge von außen anzuschauen. Ich stehe nicht so gern im Mittelpunkt.“ (S. 54) Hanna ist die Stillste von ihnen. Sie zieht gern mit ihrer Kamera durch die Stadt und fotografiert alltägliche Szenen, die das Leben ungeschönt zeigen. Ihre Mutter war Lehrerin, hat sich aber nicht an den staatlich verordneten Lehrplan gehalten und Berufsverbot bekommen. Darum tut Hanna alles, um nicht aufzufallen. Doch dann lernt sie Peter kennen, der tagsüber als Fahrstuhlführer im Fernsehturm arbeitet und abends als Musiker auftritt. Als Wolf Biermann aus der DDR ausgewiesen wird, bezieht er dazu Stellung und gerät ins Visier der Stasi.
Babs ist schlagfertig, aber immer noch ungeküsst, weil ihre Brüder sehr gut auf sie aufgepasst haben. Trotzdem vermisst sie ihre Familie und die Natur sehr. Sie verguckt sich in den jugoslawischen Gastarbeiter Miro, obwohl ihr sein Umfeld und Umgang nicht gefallen. Aber er sorgt dafür, dass sie ihr Heimweh vergisst.
Trudi hatte es nicht immer leicht, deswegen nimmt sie sich jetzt einfach, was sie will. Sie zeigt den „Neuen“, was man in Berlin alles erleben kann. Dafür lernt sie von ihnen, was echte Freundinnen sind und dass diese sogar eine Familie ersetzen können. Und sie hat eine Liebelei mit ihrem Vorgesetzen, der dafür ihre schlampige Arbeitsmoral deckt. Aber dann wird sie enttäuscht und ein geheimnisvoller Fremder macht ihr ein verlockendes Angebot.
„Wie sich herausgestellt hat, kann jeder zum Verräter werden.“ (S. 198)
Kati Stephan erzählt in ihrem neuen Roman von drei jungen Frauen in der DDR, die der Enge ihres bisherigen Lebens entkommen wollen. In Berlin ist alles etwas bunter und vielfältiger, ein kleines bisschen freier, aber auch gefährlicher, weil die Stasi noch genauer hinsieht, ob jemand mit dem Klassenfeind paktiert. Alle drei geraten sie in Versuchung bzw. den Verdacht, das zu tun.
Wie schon in ihrem Roman „Mauerträume“ lässt sie die Zeit und das Lebensgefühl wieder auferstehen. Ich konnte mich gut in Hanna und Babs hineinversetzen, in die Spannung, wenn eine völlig neuer Lebensabschnitt beginnt. Mir gefällt, wie sich die drei unterschiedlichen Frauen und ihre Freundschaft entwickeln, wie sie noch erwachsener und abgeklärter werden.
Eine fesselnde Geschichte übers Erwachsenwerden, Freundschaft, Verlieben und Träumen in einem Land, das seine Bewohner reglementiert und überwacht hat.