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Mit dem Diplom einer Stockholmer Eliteschule in der Hand sucht Richard Swartz Anfang der siebziger Jahre in Osteuropa nach einem Weg, sich dem väterlichen Willen zu entziehen. Ein Prager unter Pragern will er sein, den Alltag mit ihnen teilen. Der Mangel regiert - vom Toilettenpapier bis zur Moral. Anders als viele seiner Generation hält er den Sozialismus nicht für reformierbar. Er trifft auf Gastgeber, die Austernlöffel auslegen, obwohl es seit Jahrzehnten keine Austern gibt in Prag, einer Stadt, von der seine Freundin Jarka behauptet, dass in ihr nur Hunde gut und anständig leben könnten.…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Diplom einer Stockholmer Eliteschule in der Hand sucht Richard Swartz Anfang der siebziger Jahre in Osteuropa nach einem Weg, sich dem väterlichen Willen zu entziehen. Ein Prager unter Pragern will er sein, den Alltag mit ihnen teilen. Der Mangel regiert - vom Toilettenpapier bis zur Moral. Anders als viele seiner Generation hält er den Sozialismus nicht für reformierbar. Er trifft auf Gastgeber, die Austernlöffel auslegen, obwohl es seit Jahrzehnten keine Austern gibt in Prag, einer Stadt, von der seine Freundin Jarka behauptet, dass in ihr nur Hunde gut und anständig leben könnten. Richard Swartz erzählt von menschlicher Nähe und großer Zuneigung, aber auch von Not und Lüge in einer Diktatur.
Autorenporträt
Richard Swartz, 1945 in Stockholm geboren, war Osteuropa-Korrespondent des Svenska Dagbladet, er lebt abwechselnd in Stockholm, Wien und Sovinjak (Istrien) und schreibt für verschiedene internationale Zeitungen. Bücher: u. a. Room Service. Geschichten aus Europas Nahem Osten (1997), Blut, Boden & Geld (2017) und bei Zsolnay Wiener Flohmarktleben (2015) und Austern in Prag (2019).

Andrea Fredriksson-Zederbauer, geboren 1969, lebt in Wien, ist Mitherausgeberin der Zeitschrift Wespennest und übersetzerin aus dem Schwedischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2019

Die Bierkneipe als Ort des stillen Streiks
Übungen in Desillusion: Richard Swartz erzählt vom Leben in Prag nach 1968

In "Oblomow" beschrieb Iwan Gontscharow um 1859 den Niedergang eines russischen Aristokraten. In dem über fünfhundert Seiten starken Roman geht es um den Gutsherrn Oblomow, der seine Tage in Träumereien versunken auf dem Diwan verschwendet. Dass es um seine Ländereien immer schlechter bestellt ist, stimmt ihn zwar etwas traurig. Gegen den Zerfall etwas zu unternehmen, dazu sieht er sich jedoch außerstande. Auch die Anstrengungen eines Deutschrussen namens Stolz, Oblomow aus seiner Lethargie zu befreien, bleiben ohne Wirkung. So schlittern Oblomow und sein Landgut langsam ins lange vorhergesehene Verderben.

Aber was passiert, wenn die Lethargie eines Oblomows die Bevölkerung einer ganzen Stadt befällt? Das schildert der schwedische Journalist und Schriftsteller Richard Swartz in seinem Buch "Austern in Prag - Leben nach dem Frühling". In die Rolle des klarsichtigen Stolz schlüpft der Autor dabei selbst: Swartz war 1970 in die damalige tschechoslowakische Hauptstadt gekommen, um eine Dissertation in Wirtschaftswissenschaften zu schreiben. Anstatt sich in seine Studien zu vertiefen, treibt er sich aber tagelang herum und stellt sich als scharfsinniger Beobachter der Prager Gesellschaft heraus. So ist der autobiographisch geprägte Text zur einen Hälfte Roman und zur anderen sachlicher Bericht eines Zeitzeugen.

Der junge Mann hatte in Stockholm gerade seinen Hochschulabschluss gemacht, daraufhin droht ihm das Leben als Erwachsener seine Freiheit zu nehmen. Er beschließt zu fliehen, und zwar ausgerechnet in eine Stadt, deren Befreiungsbemühungen zwei Jahre vorher von sowjetischen Soldaten brutal niedergeschlagen wurden. Jetzt sind die Prager desillusioniert und begnügen sich damit, ihre Sorgen zusammen mit ihren Träumen in Bier zu ertränken. Schließlich ist Bier das einzige Lebensmittel, das in guter Qualität und erst noch im Überfluss vorhanden ist.

In den Bierkneipen kommen die Prager zusammen. Die andauernde kollektive Trunkenheit ist aber auch eine Form des Widerstands. Denn wer sich betrinkt, braucht nicht an einem System teilzunehmen, das ohnehin nichts anderes will, als die zu Untertanen degradierten Staatsbürger möglichst still zu halten. Swartz beschreibt die Trinkerei als stillen Streik der Bevölkerung. "Als Protest ist das nicht besonders mutig. Eine kleinbürgerliche Weigerung oder eine Form kindlichen Trotzes, aber dennoch ziemlich wirkungsvoll. Denn in Prag wird sehr wenig gearbeitet, und sobald Bier in der Nähe ist, überhaupt nicht."

Die wenigen nennenswerten Erlebnisse seiner Prager Zeit hat Swartz in kurzen Episoden zusammengefasst. Erzählende und analytische Passagen wechseln sich ab, vermischen sich aber auch in einem fort. Das Buch funktioniert wie ein Spiel, bei dem der Autor bald mit einer Frage, bald mit einem Beispiel sich selbst Steilvorlagen zu seinen Überlegungen gibt. So entsteht ein Stimmungsbild dessen, was zu Beginn der siebziger Jahre noch Alltag war, heute über weite Strecken aber kaum noch vorstellbar ist. Belehrend wird Swartz nie, denn trotz aller Sachlichkeit stellt er das Erzählen über das Erklären.

Das Kunststück, das Gontscharow in seinem "Oblomow" vorführt, gelingt auch Richard Swartz. Er erzählt die völlige Ereignislosigkeit, lässt dabei aber selbst auf keiner Seite Langeweile aufkommen. Was Swartz in seinen Untersuchungen der Hauptstadt der damaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zutage fördert, ist in der Regel kurios genug, um nicht deprimierend zu sein. Das Lebensmittelgeschäft um die Ecke verkauft beispielsweise Konservendosen, bei denen man nie weiß, was genau sie enthalten. Über Weihnachten kann der junge Mann nicht nach Hause fahren, weil er - der erst seit ein paar Monaten in der Stadt ist - keinen offiziellen Nachweis darüber erbringen kann, dass er kein Kind gezeugt hat. Und ein Führerschein schließlich ist für eine Flasche importieren Whisky beim Polizeimajor höchstpersönlich zu haben.

Panzer in der Stadt: Die Niederschlagung des Prager Frühlings in der Nacht zum 21. August 1968 durch sowjetische, polnische, ungarische und bulgarische Truppen nahm den Lebensgeist. So könnte ein Fazit nach der Lektüre lauten. Richard Swartz hat dieser Ausgangslage mit "Austern in Prag - Leben nach dem Frühling" ein Buch abgewonnen, das informativ und poetisch zugleich ist.

OLIVER CAMENZIND.

Richard Swartz: "Austern in Prag". Leben nach dem Frühling.

Zsolnay Verlag, Wien 2019. 255 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Kunstvoll, mit melancholischem Witz und feiner Selbstironie." Franz Haas, Neue Zürcher Zeitung, 03.09.19

"Richard Swartz versteht es in seinen mit milder Ironie gewürzten Erinnerungen feinfühlig und stilvoll, eine schillernde Perle aus der verschlossenen Auster der Zeitgeschichte zu lösen." Oliver vom Hove, Die Presse, 31. 08.19

"Memoirenliteratur vom Feinsten. Beeindruckend, wie sehr Erzählen und Reflektieren einander durchdringen, wie abstrakte und gleichzeitig symbolische Bilder den Text literarisch aufladen und zu einer dichten Erzählung machen." Gerhard Zeillinger, Der Standard, 16.03.19

"Swartz beobachtet genau und reflektiert mit einleuchtendem sarkastischen Witz. Er findet scharf geschnittene Bilder für eine prachtvolle Stadt in trübem Zustand. Mit immer neuen, gut ausgewählten Detailbeobachtungen gelingt Swartz ein überzeugendes Gesamtbild." Hans-Peter Kunisch, WDR3 Mosaik, 11.03.19