Ein Bildband der profiliertesten Fotografin des literarischen Lebens.Das fotografische Werk von Isolde Ohlbaum prägt seit vielen Jahren unser Bild von den Gesichtern der deutschen Literatur und auch der ins Deutsche übersetzten Literatur. Sie hat zahlreiche Bildbände mit geradezu klassischen Autorenportraits veröffentlicht. Zeitungen und Buchverlage verwenden ihre Fotos, um die Autoren ins Bild zu setzen.Seit vielen Jahren begleitet Isolde Ohlbaum die Frühjahrstagungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die alle zwei Jahre im Ausland stattfinden. Bei diesen »Auswärtsspielen« steht nicht das repräsentative oder charakteristische Einzelportrait im Vordergrund, sondern Ohlbaum zeigt Momente und Konstellationen, Gesprächsszenen, gemeinsame Lesungen, Stadtspaziergänge und die An- und Abreisen.Mit sensiblen Einstellungen und dem spontanen Blick ihres Objektivs nimmt der Betrachter an Szenen des literarischen Lebens teil, die viele Überraschungen bereithalten: Wer steht mit wem beim Kaffee? Wer ist wem in freundschaftlicher Geste zugewandt? Wer ist mit wem auf einem Spaziergang ins Gespräch vertieft? Der große Zusammenhang der Literatur rückt als Ganzes ins Bild, wenn Isolde Ohlbaum die Autoren nach Budapest (1998), Krakau (2000), Turin (2002), St. Petersburg (2004), Kopenhagen (2006) und Lemberg/Czernowitz (2008) begleitet.Ein Essay von Wilhelm Genazino eröffnet den eindrucksvollen Bildband.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2009Dichtung groß in Fahrt: Die Reisen der Deutschen Akademie
Jean Cocteau zufolge sind Dichter Wesen, die eine Pfeife verschlucken und dafür eine Dampflokomotive ausspucken können, und wenn man prominente französische Vertreter dieser so raren wie schützenswerten Gattung vor seinem inneren Auge Revue passieren lässt, traut man den meisten derart auffällige Zugehörigkeitsbeweise durchaus zu. Woran aber soll man deutsche Dichter und Denker erkennen, wenn sie einfach nur in Bussen sitzen, durch Parks schlendern, reden, eine Zigarette rauchen (ohne Verschlucken), sich ins Wort oder auch mal um den Hals fallen? Mit anderen Worten: Wie identifiziert man den Dichter und Denker, eine Spezies, die gemeinhin nicht als Herdentier gilt, wenn er nicht annonciert oder in eindeutigen Situationen - also an Tastaturen, auf Podien und vor Mikrofonen - zu sehen ist, sondern einfach unter seinesgleichen unterwegs auf einer Gruppenreise?
Uneingeweihte könnten beim zufälligen Betrachten dieses Bildbandes glauben, es handle sich um die aufwendige Dokumentation eines Ehemaligentreffens. Tatsächlich jedoch erzählt er von lauter Aktivenfahrten: den Frühjahrstagungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die sich so im Jahr ihres sechzigjährigen Bestehens bei aller Zeitlosigkeit höchst lebensnah und ungravitätisch zeigen kann. Denn während der Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb gern als Klassenfahrt des deutschen Literaturbetriebs mit Kickerambitionen apostrophiert wird, handelt es sich bei den Frühjahrstagungen, zu denen es die Mitglieder der Darmstädter Akademie regelmäßig über die Landesgrenzen hinweg zieht, um "Auswärtsspiele" der ersten deutschen Autorenliga - wobei die Reisen stets auch etwas von einem heiteren Familienausflug haben.
Seit vielen Jahren begleitet die Fotografin Isolde Ohlbaum die Reisen der Akademie. Ihre Aufnahmen bezeugen jene Atmosphäre vertrauter Verbundenheit, die entsteht, wenn Menschen sich im besten Sinne wahrgenommen und erkannt, doch nie beobachtet fühlen. Mit "Auswärtsspiele" legt Ohlbaum nun ein Album der vergangenen zehn Jahre vor; die Stationen reichen von Budapest (1998) über Krakau (2000), Turin (2002), St. Petersburg (2004) und Kopenhagen (2006) bis nach Lemberg (2008). Es ist ein herrliches Bilderbuch geworden, in dem man nicht nur vielen geschätzten Bekannten, sondern auch großen Toten wiederbegegnen kann: Neben George Tabori, Wolfgang Hilbig, Hilde Domin, Walter Boehlich oder Reinhart Koselleck sind das vor allem Joachim Fest, hier zu sehen im Gespräch mit Reinhard Baumgart, dazwischen Peter Hamm (oben links), und Oskar Pastior, der in Kopenhagen zusammen mit Herta Müller, Ilma Rakusa und Anita Albus den Ausführungen eines Kollegen lauscht (unten links). Es gibt solche, ohne die auf diesen Reisen nichts geht, wie den Energetiker Albrecht Schöne und Akademiepräsident Klaus Reichert (unten); andere, die seltener, dann aber nachhaltig mit von der Partie sind, wie Ivan Nagel und Norbert Miller (oben rechts) oder Rüdiger Safranski, umrahmt von Mitstreitern (Mitte links).
Angenehm uneitel und eindeutig wird so auch die von Wilhelm Genazino in seinem einleitenden Essay aufgeworfene Frage beantwortet. Deutsche Dichter und Denker erkennt man daran, dass sie von Isolde Ohlbaum fotografiert werden.
fvl
Isolde Ohlbaum: "Auswärtsspiele". Autoren unterwegs. Mit einem Essay von Wilhelm Genazino. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 158 S., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jean Cocteau zufolge sind Dichter Wesen, die eine Pfeife verschlucken und dafür eine Dampflokomotive ausspucken können, und wenn man prominente französische Vertreter dieser so raren wie schützenswerten Gattung vor seinem inneren Auge Revue passieren lässt, traut man den meisten derart auffällige Zugehörigkeitsbeweise durchaus zu. Woran aber soll man deutsche Dichter und Denker erkennen, wenn sie einfach nur in Bussen sitzen, durch Parks schlendern, reden, eine Zigarette rauchen (ohne Verschlucken), sich ins Wort oder auch mal um den Hals fallen? Mit anderen Worten: Wie identifiziert man den Dichter und Denker, eine Spezies, die gemeinhin nicht als Herdentier gilt, wenn er nicht annonciert oder in eindeutigen Situationen - also an Tastaturen, auf Podien und vor Mikrofonen - zu sehen ist, sondern einfach unter seinesgleichen unterwegs auf einer Gruppenreise?
Uneingeweihte könnten beim zufälligen Betrachten dieses Bildbandes glauben, es handle sich um die aufwendige Dokumentation eines Ehemaligentreffens. Tatsächlich jedoch erzählt er von lauter Aktivenfahrten: den Frühjahrstagungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die sich so im Jahr ihres sechzigjährigen Bestehens bei aller Zeitlosigkeit höchst lebensnah und ungravitätisch zeigen kann. Denn während der Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb gern als Klassenfahrt des deutschen Literaturbetriebs mit Kickerambitionen apostrophiert wird, handelt es sich bei den Frühjahrstagungen, zu denen es die Mitglieder der Darmstädter Akademie regelmäßig über die Landesgrenzen hinweg zieht, um "Auswärtsspiele" der ersten deutschen Autorenliga - wobei die Reisen stets auch etwas von einem heiteren Familienausflug haben.
Seit vielen Jahren begleitet die Fotografin Isolde Ohlbaum die Reisen der Akademie. Ihre Aufnahmen bezeugen jene Atmosphäre vertrauter Verbundenheit, die entsteht, wenn Menschen sich im besten Sinne wahrgenommen und erkannt, doch nie beobachtet fühlen. Mit "Auswärtsspiele" legt Ohlbaum nun ein Album der vergangenen zehn Jahre vor; die Stationen reichen von Budapest (1998) über Krakau (2000), Turin (2002), St. Petersburg (2004) und Kopenhagen (2006) bis nach Lemberg (2008). Es ist ein herrliches Bilderbuch geworden, in dem man nicht nur vielen geschätzten Bekannten, sondern auch großen Toten wiederbegegnen kann: Neben George Tabori, Wolfgang Hilbig, Hilde Domin, Walter Boehlich oder Reinhart Koselleck sind das vor allem Joachim Fest, hier zu sehen im Gespräch mit Reinhard Baumgart, dazwischen Peter Hamm (oben links), und Oskar Pastior, der in Kopenhagen zusammen mit Herta Müller, Ilma Rakusa und Anita Albus den Ausführungen eines Kollegen lauscht (unten links). Es gibt solche, ohne die auf diesen Reisen nichts geht, wie den Energetiker Albrecht Schöne und Akademiepräsident Klaus Reichert (unten); andere, die seltener, dann aber nachhaltig mit von der Partie sind, wie Ivan Nagel und Norbert Miller (oben rechts) oder Rüdiger Safranski, umrahmt von Mitstreitern (Mitte links).
Angenehm uneitel und eindeutig wird so auch die von Wilhelm Genazino in seinem einleitenden Essay aufgeworfene Frage beantwortet. Deutsche Dichter und Denker erkennt man daran, dass sie von Isolde Ohlbaum fotografiert werden.
fvl
Isolde Ohlbaum: "Auswärtsspiele". Autoren unterwegs. Mit einem Essay von Wilhelm Genazino. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 158 S., br., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Thomas Steinfeld sind die allermeisten Autorenfotos in diesem Band von Isolde Ohlbaum einfach zu nah und zu nett. Er sieht den Bildern zu sehr an, dass die Fotografin lange schon zur Familie der abgebildeten Schriftsteller dazugehört. Eine formelle Selbstverständlichkeit hat sich eingeschlichen, findet Steinfeld, die selbst Gechlechter- und Altersunterschiede plättet, als wären sie alle immer gleich, die Hilbigs, Kerteszs, Krügers in Turin, Krakau, Lemberg oder wo sonst es die Mitglieder der Darmstädter Akademie so hin verschlägt auf ihren "Vereinsreisen". Dazu passt für Steinfeld auch, dass die schwarzweißen Bilder nichts über Gründe und Ziele der Reisen verraten. Neben einigen technischen Schnitzern, wie misslungenen Bildausschnitten und verzogenen Winkeln, sorgt das beschriebene künstlerische Problem dafür, dass Steinfeld den Band nicht durchweg genießen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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