Der Begriff der "Authentizität" spielt in den Debatten über "Orientalismus", "Postkolonialität" und "Hybridisierung" eine wichtige Rolle. Hier wird das auf Nietzsche sich berufende neue genealogische Denken in die aktuelle kulturübergreifende Forschung übertragen. Andererseits entdeckt die in der Aufklärung wurzelnde Hermeneutik der Authentizität in der Notwendigkeit der Anerkennung kultureller Differenz eine Einschränkung der politischen Philosophie der Freiheit. Diese Widersprüche aufzudecken und in die Analyse gesellschaftlicher Wirkungen von "Authentizität" einzubringen, ist das Anliegen dieses Bandes.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Jörg Ulrich hat eine ausserordentlich gelehrte Rezension geschrieben, von der der Laie nur den ersten und den letzten Satz versteht. Im ersten weist Ulrich darauf hin, dass auch schmale Bücher "schwer im Kopf liegen können". Im letzten lobt er den Autor, der wie es scheint interessante Fragen stellt. Dazwischen referiert Ulrich langatmig das Buch, wobei er ausgiebig zitiert, leichthin mit Begriffen wie "autopoietisches System" jongliert oder Sätze wie diese in die Luft wirft: "Der Authentizitätsbegriff stammt aus der identitätslogischen Konstitution des Subjekts in der europäischen Aufklärung". Ziemlich autoerotisch, finden wir.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2000Viereckige Eier sind fast alle aus Beton
Das Authentische ist selbst Importware: Georg Stauth betrachtet die Paradoxien, die der Globalisierung innewohnen
Wenn man nicht bereits wüsste, dass auch schmale Bücher bisweilen von außerordentlichem Gewicht sein und schwer im Kopf liegen können, man lernte es spätestens bei der Lektüre der nur knappe sechzig Seiten umfassenden Abhandlung über "Authentizität und kulturelle Globalisierung", die der Bielefelder Soziologe und Orientalist Georg Stauth publiziert hat.
In dem Maße, in dem die Soziologie sich heute von ihrer klassischen Bestimmung als "geschichtssüchtige Wissenschaft" löst und bemüht ist, die "geschichtsnostalgische Überfrachtung des Gesellschaftsbegriffs" dadurch über Bord zu werfen, dass sie Gesellschaft in erster Linie, von Luhmann geprägt, als autopoietisches System denkt, läuft sie notwendigerweise in die Falle des Dilemmas von Authentizitäts- und Ursprungsdenken einerseits sowie Kritik und Affirmation andererseits. Die schlimmen Erfahrungen, die man in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Ursprungs- und Eigentlichkeitsdenken machte, führten zunächst zu der vom Liberalismus vollzogenen Neutralisierung der sozial und politisch gefährlichen Gründelei, indem "Ursprung" kurzerhand durch ein bloßes "Recht auf Ursprung" ersetzt wurde.
An dieser Stelle nun kommt der Begriff der Authentizität ins Spiel. Der Authentizitätsbegriff stammt aus der identitätslogischen Konstitution des Subjekts in der europäischen Aufklärung. Das mit sich identische Subjekt wird hier als gesellschaftliches An-sich-Sein gesetzt und vermittelt sich mit allen anderen Subjekten dadurch, dass diese sich "gegenseitig anerkennen als sich gegenseitig anerkennend", wie es in der etwas verschlungenen, aber gleichwohl die Sache treffenden Sprache Hegels heißt.
Unter den Vorzeichen kultureller Globalisierung nun, so Stauth, erhält der Begriff Authentizität eine doppelte Bedeutung. Er bezieht sich zum einen auf die Einzigartigkeit der einzelnen Person und zum anderen auf eine kulturelle Einzigartigkeit in der kollektiven Identität von Völkern. Im Zusammenhang mit den Debatten um Multikulturalismus in der Weltgesellschaft kommt er vor diesem Hintergrund zu der Diagnose, "dass die Suche nach kultureller Authentizität die Gesellschaft verändert und dass Kultur übergreifender Dialog enthistorisiertes Authentizitätsdenken erst hervorruft". Was als weltimmanente Konstitution von Subjekt und Gesellschaft gedacht wird, rutscht hier unversehens wieder in die Sphäre transzendentaler Begründungen angesichts der grassierenden Heilsungewissheit. Die je eigene Selbstvergewisserung wird zur Darstellung von Eigentlichkeit im Sinne einer "simulativen Repräsentationsarbeit". In Kultur übergreifender Sicht reicht die individualistische Repräsentation jedoch nicht an das Problem heran, und die Identitätsfindung qua Differenzsuche schlägt fehl "etwa aus der Sicht des Islams, wo sich das handelnde Individuum auf eine Immanenz und Transzendenz unmittelbar verbindende Heilsgewissheit verlassen kann". Hier kann "Authentizität nicht als individuelle, sondern nur als kollektive ,Differenz' gedacht werden".
Das individualistische Anerkennungsprinzip muss unter diesem Gesichtspunkt global notwendig scheitern, da es "auf Kulturen trifft, die die auf der Würde des Einzelnen gegründete Anerkennungsethik nicht kennen und nicht anerkennen". So kann etwa die islamische Revolution von 1979 in Iran keineswegs am Maßstab europäischer Revolutionen gemessen werden, in denen sich eine unterdrückte Klasse als "historisches Subjekt" gegen die unterdrückende Klasse erhebt. Im Zentrum dieser Revolution stand überhaupt kein Subjekt nach dieser Lesart, sondern die "Befreiung" einer "authentischen" Kultur. "Es ging vor allem um das spirituelle Massenereignis, die Verkörperung religiöser Ideen."
Stauth fordert in Anknüpfung an Nietzsche und Foucault eine "genealogische Soziologie", die eine "Bewertung der Grundlagen der westlichen Zivilisation" zum Ziel haben müsse. Die rationalistische Verengung des Umgangs der westlichen Kultur mit nichtwestlichen Kulturen liefert diesen gewissermaßen erst die Grundlage der viel beklagten "fundamentalistischen Selbstperzeption". Die Untersuchung des modernen Authentizitätsdenkens und seiner Wirkungen im Zeitalter der Globalisierung erscheint als erstrangiges Desideratum sozialwissenschaftlicher Forschung.
Zentral dabei ist für die europäische Zivilisation die prägende Kraft des Christentums sowie insgesamt die gesellschaftliche Funktion von Religion überhaupt, mithin die von Jürgen Habermas aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit eines modernen Äquivalents für die "vereinigende Kraft der Religion". Möglicherweise feiert der das neunzehnte Jahrhundert bestimmende Wunsch nach Überwindung und Abschaffung der Religion durch die Wissenschaft im modernen Authentizitätsdenken sein bisher unerkanntes Comeback. Die Suche nach Authentizität bildet die Grundlage der westlichen Wissenschaft, sie ist ein "westliches Kulturinstrument, das in die sich als nichtwestlich begreifende Kultur eingeführt wird". Nicht in der Immanenz der westlichen Kultur wird somit die Frage nach der Authentizität zur "Schicksalsfrage", sondern erst im Kontakt der Kulturen, die über diesen Begriff vermittelt werden sollen. Die Verabsolutierung des Authentischen in den Vorstellungen von einer Weltgesellschaft läuft geradewegs hinaus auf ihr Gegenteil: die Verabsolutierung der Differenz. Dies zeigt, "dass jede wissenschaftliche Perspektive, die selbst nur auf die Konstruktion von Authentischem zielt, zu kurz greift".
Wissenschaft, Sozialwissenschaft vor allem, hätte somit von eigenen Authentizitätsgelüsten sozusagen einen Schritt zurückzutreten und müsste sich den mit dem Authentizitätsproblem gesetzten komplexen Fragen stellen, zu denen der Autor in seiner kurzen Abhandlung nur hinführen kann. Doch immerhin: Der, welcher die Nüsse gibt, ist zu loben - auch wenn er sie nicht knackt.
JÖRG ULRICH
Georg Stauth: "Authentizität und kulturelle Globalisierung". Paradoxien kulturübergreifender Gesellschaft. Transcript Verlag, Bielefeld 1999. 60 S., br., 19,80 DM.
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Das Authentische ist selbst Importware: Georg Stauth betrachtet die Paradoxien, die der Globalisierung innewohnen
Wenn man nicht bereits wüsste, dass auch schmale Bücher bisweilen von außerordentlichem Gewicht sein und schwer im Kopf liegen können, man lernte es spätestens bei der Lektüre der nur knappe sechzig Seiten umfassenden Abhandlung über "Authentizität und kulturelle Globalisierung", die der Bielefelder Soziologe und Orientalist Georg Stauth publiziert hat.
In dem Maße, in dem die Soziologie sich heute von ihrer klassischen Bestimmung als "geschichtssüchtige Wissenschaft" löst und bemüht ist, die "geschichtsnostalgische Überfrachtung des Gesellschaftsbegriffs" dadurch über Bord zu werfen, dass sie Gesellschaft in erster Linie, von Luhmann geprägt, als autopoietisches System denkt, läuft sie notwendigerweise in die Falle des Dilemmas von Authentizitäts- und Ursprungsdenken einerseits sowie Kritik und Affirmation andererseits. Die schlimmen Erfahrungen, die man in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Ursprungs- und Eigentlichkeitsdenken machte, führten zunächst zu der vom Liberalismus vollzogenen Neutralisierung der sozial und politisch gefährlichen Gründelei, indem "Ursprung" kurzerhand durch ein bloßes "Recht auf Ursprung" ersetzt wurde.
An dieser Stelle nun kommt der Begriff der Authentizität ins Spiel. Der Authentizitätsbegriff stammt aus der identitätslogischen Konstitution des Subjekts in der europäischen Aufklärung. Das mit sich identische Subjekt wird hier als gesellschaftliches An-sich-Sein gesetzt und vermittelt sich mit allen anderen Subjekten dadurch, dass diese sich "gegenseitig anerkennen als sich gegenseitig anerkennend", wie es in der etwas verschlungenen, aber gleichwohl die Sache treffenden Sprache Hegels heißt.
Unter den Vorzeichen kultureller Globalisierung nun, so Stauth, erhält der Begriff Authentizität eine doppelte Bedeutung. Er bezieht sich zum einen auf die Einzigartigkeit der einzelnen Person und zum anderen auf eine kulturelle Einzigartigkeit in der kollektiven Identität von Völkern. Im Zusammenhang mit den Debatten um Multikulturalismus in der Weltgesellschaft kommt er vor diesem Hintergrund zu der Diagnose, "dass die Suche nach kultureller Authentizität die Gesellschaft verändert und dass Kultur übergreifender Dialog enthistorisiertes Authentizitätsdenken erst hervorruft". Was als weltimmanente Konstitution von Subjekt und Gesellschaft gedacht wird, rutscht hier unversehens wieder in die Sphäre transzendentaler Begründungen angesichts der grassierenden Heilsungewissheit. Die je eigene Selbstvergewisserung wird zur Darstellung von Eigentlichkeit im Sinne einer "simulativen Repräsentationsarbeit". In Kultur übergreifender Sicht reicht die individualistische Repräsentation jedoch nicht an das Problem heran, und die Identitätsfindung qua Differenzsuche schlägt fehl "etwa aus der Sicht des Islams, wo sich das handelnde Individuum auf eine Immanenz und Transzendenz unmittelbar verbindende Heilsgewissheit verlassen kann". Hier kann "Authentizität nicht als individuelle, sondern nur als kollektive ,Differenz' gedacht werden".
Das individualistische Anerkennungsprinzip muss unter diesem Gesichtspunkt global notwendig scheitern, da es "auf Kulturen trifft, die die auf der Würde des Einzelnen gegründete Anerkennungsethik nicht kennen und nicht anerkennen". So kann etwa die islamische Revolution von 1979 in Iran keineswegs am Maßstab europäischer Revolutionen gemessen werden, in denen sich eine unterdrückte Klasse als "historisches Subjekt" gegen die unterdrückende Klasse erhebt. Im Zentrum dieser Revolution stand überhaupt kein Subjekt nach dieser Lesart, sondern die "Befreiung" einer "authentischen" Kultur. "Es ging vor allem um das spirituelle Massenereignis, die Verkörperung religiöser Ideen."
Stauth fordert in Anknüpfung an Nietzsche und Foucault eine "genealogische Soziologie", die eine "Bewertung der Grundlagen der westlichen Zivilisation" zum Ziel haben müsse. Die rationalistische Verengung des Umgangs der westlichen Kultur mit nichtwestlichen Kulturen liefert diesen gewissermaßen erst die Grundlage der viel beklagten "fundamentalistischen Selbstperzeption". Die Untersuchung des modernen Authentizitätsdenkens und seiner Wirkungen im Zeitalter der Globalisierung erscheint als erstrangiges Desideratum sozialwissenschaftlicher Forschung.
Zentral dabei ist für die europäische Zivilisation die prägende Kraft des Christentums sowie insgesamt die gesellschaftliche Funktion von Religion überhaupt, mithin die von Jürgen Habermas aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit eines modernen Äquivalents für die "vereinigende Kraft der Religion". Möglicherweise feiert der das neunzehnte Jahrhundert bestimmende Wunsch nach Überwindung und Abschaffung der Religion durch die Wissenschaft im modernen Authentizitätsdenken sein bisher unerkanntes Comeback. Die Suche nach Authentizität bildet die Grundlage der westlichen Wissenschaft, sie ist ein "westliches Kulturinstrument, das in die sich als nichtwestlich begreifende Kultur eingeführt wird". Nicht in der Immanenz der westlichen Kultur wird somit die Frage nach der Authentizität zur "Schicksalsfrage", sondern erst im Kontakt der Kulturen, die über diesen Begriff vermittelt werden sollen. Die Verabsolutierung des Authentischen in den Vorstellungen von einer Weltgesellschaft läuft geradewegs hinaus auf ihr Gegenteil: die Verabsolutierung der Differenz. Dies zeigt, "dass jede wissenschaftliche Perspektive, die selbst nur auf die Konstruktion von Authentischem zielt, zu kurz greift".
Wissenschaft, Sozialwissenschaft vor allem, hätte somit von eigenen Authentizitätsgelüsten sozusagen einen Schritt zurückzutreten und müsste sich den mit dem Authentizitätsproblem gesetzten komplexen Fragen stellen, zu denen der Autor in seiner kurzen Abhandlung nur hinführen kann. Doch immerhin: Der, welcher die Nüsse gibt, ist zu loben - auch wenn er sie nicht knackt.
JÖRG ULRICH
Georg Stauth: "Authentizität und kulturelle Globalisierung". Paradoxien kulturübergreifender Gesellschaft. Transcript Verlag, Bielefeld 1999. 60 S., br., 19,80 DM.
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"Kluges, knappes Büchlein." Johannes Salzwedel, Der Spiegel, 45 (2000) Besprochen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.03.2000, Jörg Ulrich