Über den Gedanken, eine Lebensgeschichte in der Verbindung zweier einander scheinbar ausschließender Prinzipien - nach 'Dichtung und Wahrheit' - zu schreiben, ist viel gesprochen, nicht selten auch polemisch geurteilt worden. Zu jener einfacheren Lesart, hier helfe Erfindung den Fakten nach, wo die Erinnerung versage, hat Goethe selbst sich unbefangen bekannt, zugleich aber den höheren in jener Begriffsverbindung aufgehobenen Sinn von 'Wahrheit' genannt: »Es sind lauter Resultate meines Lebens, und die erzählten einzelnen Fakten dienen bloß, um eine allgemeine Beobachtung, eine höhere Wahrheit zu bestätigen.« Aus der Idee, sein Leben »in einer chronologischen Folge« darzustellen, wurde schließlich die Bildungsgeschichte seiner Epoche. Als Darstellung seines Lebens und als Zeitbild schließen sich die Elemente von Goethes Selbstbiographie ebenso zusammen, wie ihr Autor sich an seinem Zeitalter entwickelt, es verkörpert und ihm zuletzt seinen Namen gibt. - Dichtung und Wahrheit beschreibt den frühen Abschnitt von Goethes Leben bis 1775, wird also - zu einem Gesamtbild von Goethes Leben - durch andere selbstbiographische Schriften und Zeugnisse ergänzt. Sie alle überragt Dichtung und Wahrheit gleichwohl bei weitem. Mit dieser Autobiographie wird das Genre grundsätzlich erneuert, mit ihr steht an einem Neu-Beginn zugleich schon ein Muster und Meisterwerk.