»Kaum jemand hat die subversive Kraft antidemokratischer und autoritärer Ideologien und Regime so präzise analysiert wie Masha Gessen.« Carolin Emcke Nicht nur Russland, Ungarn oder die Türkei sind autokratische Staaten. In den USA werden täglich demokratische Prozesse missachtet, korrodieren Rechtsystem und kulturelle Normen, verfallen Bürger dem Versprechen radikaler Einfachheit, der Aufteilung der Welt in »Us« und »Them«. Vor dem Hintergrund einer im postsowjetischen Russland verbrachten Jugend beschreibt Masha Gessen das Versagen von Institutionen, Medien und Opposition und das Ende der Würde in der US-amerikanischen Politik. Das Buch ist eine messerscharfe und schonungslose Analyse, wie Autokratien entstehen, eine Anleitung zum Widerstand - und ein Handbuch für den Wiederaufbau der Zivilgesellschaft in einem Land, das auch nach einer Abwahl Trumps nicht zur Tagesordnung übergehen kann. »Das platonische Ideal eines Anti-Trump-Buchs.« The Washington Post »Eine unverzichtbare Stimme in der heutigen Zeit.« Timothy Snyder, Autor von »Über Tyrannei. 20 Lektionen für den Widerstand« »Masha Gessens Überlegungen zu den weltweit grassierenden autokratischen Regierungsformen sollten Pflichtlektüre für jeden denkenden Menschen sein.« Daniel Schreiber
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Michael Hochgeschwender ist enttäuscht von Masha Gessens Buch über Trump. Die Autorin mixt Bekanntes über Trumps Narzissmus und Lügenhaftigkeit mit Klagen und der Darstellung von (durchaus berechtigten) Ängsten, findet der Rezensent. Über die strukturellen Ursachen und Bedingungen solcher Machtausübung erfährt Hochgeschwender bei Gessen leider nichts. Gessens Vergleich von Trump und Putin mit Hitler und Stalin scheint dem Rezensenten zudem allzu nuancenarm. Wirklich lesenswert ist das Buch für ihn da, wo die Autorin Trumps Sprache und inszenatorische Praktiken unter die Lupe nimmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2020Ein Mann für den Tod der Politik
Masha Gessen fällt es nicht leicht, zum Phänomen Donald Trump neue Einsichten beizutragen
Noch ein Buch zu Donald Trump? Ist das wirklich nötig? Bringt es echten Erkenntnisgewinn? In diesem Fall muss man die Frage leider verneinen. Vor allem im ersten Teil bietet Masha Gessen weithin Bekanntes. Dass Donald Trump ein zynischer Lügner und Narzisst ist, konnte aufmerksamen Beobachtern spätestens seit seiner gesteigerten Medienpräsenz in den neunziger Jahren nicht entgangen sein, ebenso wenig sein gespaltenes Verhältnis zur Demokratie. Man denke nur an die von ihm maßgeblich geprägten Kampagnen gegen Barack Obama oder gegen angebliche schwarze Vergewaltiger in New York - selbst als deren Unschuld längst bewiesen war.
Sein Wahlkampf ließ gleichfalls nichts Gutes erwarten, und bereits die Inaugurationsrede belegte, wohin die Reise gehen würde. Vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an log er und führte das ihm anvertraute Land von Krise zu Krise. Es kann daher nicht verwundern, wenn Gessen sich sorgt und dem Präsidenten vorwirft, Amerika in eine Autokratie zu verwandeln. Und es ist nicht minder verständlich, wenn dabei den Institutionen der Vereinigten Staaten vorgeworfen wird, massiv zu versagen.
Daher stellen weder die Wiederholung der immer gleichen Geschichten noch die dabei zum Ausdruck kommenden Sorgen und Ängste das grundlegende Problem dieses Buches dar, sondern das Fehlen einer vertiefenden Analyse der Ursachen und Bedingungen trumpistischer Machtausübung. An einer Stelle verweist Gessen knapp auf die an Beispielen für schräge oder korrupte Präsidenten gewiss nicht arme Geschichte der Vereinigten Staaten, ohne diesen historischen Exkurs dann zum Ausgangspunkt für Fragen nach den Strukturbedingungen gehäufter Fehlleistungen zu machen.
Aber es bedürfte gar keiner breit angelegten historischen Untersuchung, um sich dem Phänomen Trump auf einer Ebene zu nähern, die sich nicht in bloßer Denunziation seiner Persönlichkeit erschöpft. Trump und Gessens Lieblingsfeind Putin mögen, wie behauptet wird, dumm sein. Einerseits ist diese Dekonstruktion der Mythen um die vorgeblich so genialen Macher ganz erfrischend, andererseits stellt sich augenblicklich die Frage: "So what?"
Einen Irrweg schlägt Gessen ein, wenn beide, Trump und Putin, als moralisch böse dargestellt und mit Stalin und Hitler verglichen werden. Im Moralrausch gehen da sämtliche Nuancen verloren, und Trumps Gegnerin nähert sich bedenklich dem Niveau des kritisierten Präsidenten. Diese Art der Polemik führt nicht weiter, denn die bloße Personalisierung verkürzt den Blick auf das Umfeld. Autoritäres Denken und Handeln bedarf der breiten Folgebereitschaft. Man sollte nicht vergessen, wie bereitwillig Millionen von Menschen, nicht allein in den Vereinigten Staaten, sondern weit darüber hinaus, Trump, Putin, Erdogan und andere Inszenatoren einer spezifisch männlich konnotierten Macht anhimmeln.
Gleichzeitig verraten die führenden Politiker der Republikaner nahezu ohne Zögern sämtliche Werte, die sie noch vor fünf Jahren wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, vom freihändlerischen Internationalismus über die Religion bis zur Charakterfrage. Die Republikanische wie die Demokratische Partei sind beide dringend reformbedürftig, sie wirken müde, ausgelaugt und ohne jede Vision für die Zukunft. Rührt Trumps scheinbare Stärke von dieser Schwäche der traditionellen oligarchischen Eliten? Und ganz nebenbei hatte er außerdem - ungeachtet der Unkenrufe von Experten aller Couleur - vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie durchaus Erfolge im wirtschaftlichen Bereich, also dort, wo Menschen die Auswirkungen von Politik unmittelbar spüren.
Allerdings fällt es schwer, über Trumps Führungsversagen in der Pandemie hinwegzuschauen. Selbst seinen eingefleischten Anhängern dürfte dies nicht entgangen sein. Dennoch lebt sein Wahlkampf vorwiegend aus der Angst und der Wut, deren Symptom, nicht deren Ursache der Präsident ist. Er wird mit jedem Toten bei den gegenwärtigen Protesten zu wuchern wissen. Und seine Abwahl wird an den systemischen Defiziten des Landes kaum etwas ändern.
All diese Aspekte vernachlässigt oder unterschlägt Gessen, obwohl ihre Diskussion das Gebot der Stunde wäre. Nur an einer Stelle wird etwa auf die sehr wohl vorhandenen autoritären Züge in Barack Obamas Präsidentschaft, etwa in Fragen der Migration, des Grenzschutzes oder der illegalen Tötung von Staatsfeinden durch Drohnen, erinnert. Vom politischen Einfluss großer Konzerne und Lobbyorganisationen ist gleichfalls kaum die Rede. Stattdessen richtet sich die Kritik vorwiegend gegen die liberalen Medien, die angeblich zu milde und zurückhaltend mit dem Wüterich im Weißen Haus umgingen. Glaubt Gessen wirklich, eine schärfere Berichterstattung hätte das Phänomen Trump verhindern können?
Trotz dieses Defizits ist das Buch dort wirklich lesenswert, wo Gessen die Sprache des Präsidenten und die inszenatorischen Praktiken seiner Administration im Detail beschreibt. Hier tritt nicht allein der Mechanismus der Dauerlüge zutage, sondern ein blanker Zynismus der Machtausübung. In einer bezeichnenden Geschichte werden die Medienvertreter im Weißen Haus von der Sprecherin des Präsidenten gezwungen, vor jeder Frage ein Bekenntnis zu etwas Positivem abzulegen, und fast alle gehorchen; nur einer wagt so etwas wie subversive Ironie im Angesicht der Zumutung.
Diese kenntnisreiche Darstellung der sprachlichen Praktiken des Autoritarismus oder dessen, was gern Autoritarismus wäre, verleiht dem Buch im zweiten Teil eine Präzision und Tiefe, die im ersten Teil fehlt. Es geht tatsächlich um den Tod der Politik, wie Gessen betrübt schlussfolgert. Was am Ende übrig bleibt, ist die selbstverliebte Inszenierung weißer, männlicher und offen rassistischer Machtansprüche, deren Grenzen gleichwohl von Gessen nirgendwo ausgelotet werden. Weniger Apokalyptik und mehr Tiefe durch sozioökonomische Analyse hätten dem Buch zweifellos gutgetan.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER
Masha Gessen:
"Autokratie überwinden".
Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Karlheinz Dürr.
Aufbau Verlag, Berlin 2020. 299 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Masha Gessen fällt es nicht leicht, zum Phänomen Donald Trump neue Einsichten beizutragen
Noch ein Buch zu Donald Trump? Ist das wirklich nötig? Bringt es echten Erkenntnisgewinn? In diesem Fall muss man die Frage leider verneinen. Vor allem im ersten Teil bietet Masha Gessen weithin Bekanntes. Dass Donald Trump ein zynischer Lügner und Narzisst ist, konnte aufmerksamen Beobachtern spätestens seit seiner gesteigerten Medienpräsenz in den neunziger Jahren nicht entgangen sein, ebenso wenig sein gespaltenes Verhältnis zur Demokratie. Man denke nur an die von ihm maßgeblich geprägten Kampagnen gegen Barack Obama oder gegen angebliche schwarze Vergewaltiger in New York - selbst als deren Unschuld längst bewiesen war.
Sein Wahlkampf ließ gleichfalls nichts Gutes erwarten, und bereits die Inaugurationsrede belegte, wohin die Reise gehen würde. Vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an log er und führte das ihm anvertraute Land von Krise zu Krise. Es kann daher nicht verwundern, wenn Gessen sich sorgt und dem Präsidenten vorwirft, Amerika in eine Autokratie zu verwandeln. Und es ist nicht minder verständlich, wenn dabei den Institutionen der Vereinigten Staaten vorgeworfen wird, massiv zu versagen.
Daher stellen weder die Wiederholung der immer gleichen Geschichten noch die dabei zum Ausdruck kommenden Sorgen und Ängste das grundlegende Problem dieses Buches dar, sondern das Fehlen einer vertiefenden Analyse der Ursachen und Bedingungen trumpistischer Machtausübung. An einer Stelle verweist Gessen knapp auf die an Beispielen für schräge oder korrupte Präsidenten gewiss nicht arme Geschichte der Vereinigten Staaten, ohne diesen historischen Exkurs dann zum Ausgangspunkt für Fragen nach den Strukturbedingungen gehäufter Fehlleistungen zu machen.
Aber es bedürfte gar keiner breit angelegten historischen Untersuchung, um sich dem Phänomen Trump auf einer Ebene zu nähern, die sich nicht in bloßer Denunziation seiner Persönlichkeit erschöpft. Trump und Gessens Lieblingsfeind Putin mögen, wie behauptet wird, dumm sein. Einerseits ist diese Dekonstruktion der Mythen um die vorgeblich so genialen Macher ganz erfrischend, andererseits stellt sich augenblicklich die Frage: "So what?"
Einen Irrweg schlägt Gessen ein, wenn beide, Trump und Putin, als moralisch böse dargestellt und mit Stalin und Hitler verglichen werden. Im Moralrausch gehen da sämtliche Nuancen verloren, und Trumps Gegnerin nähert sich bedenklich dem Niveau des kritisierten Präsidenten. Diese Art der Polemik führt nicht weiter, denn die bloße Personalisierung verkürzt den Blick auf das Umfeld. Autoritäres Denken und Handeln bedarf der breiten Folgebereitschaft. Man sollte nicht vergessen, wie bereitwillig Millionen von Menschen, nicht allein in den Vereinigten Staaten, sondern weit darüber hinaus, Trump, Putin, Erdogan und andere Inszenatoren einer spezifisch männlich konnotierten Macht anhimmeln.
Gleichzeitig verraten die führenden Politiker der Republikaner nahezu ohne Zögern sämtliche Werte, die sie noch vor fünf Jahren wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, vom freihändlerischen Internationalismus über die Religion bis zur Charakterfrage. Die Republikanische wie die Demokratische Partei sind beide dringend reformbedürftig, sie wirken müde, ausgelaugt und ohne jede Vision für die Zukunft. Rührt Trumps scheinbare Stärke von dieser Schwäche der traditionellen oligarchischen Eliten? Und ganz nebenbei hatte er außerdem - ungeachtet der Unkenrufe von Experten aller Couleur - vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie durchaus Erfolge im wirtschaftlichen Bereich, also dort, wo Menschen die Auswirkungen von Politik unmittelbar spüren.
Allerdings fällt es schwer, über Trumps Führungsversagen in der Pandemie hinwegzuschauen. Selbst seinen eingefleischten Anhängern dürfte dies nicht entgangen sein. Dennoch lebt sein Wahlkampf vorwiegend aus der Angst und der Wut, deren Symptom, nicht deren Ursache der Präsident ist. Er wird mit jedem Toten bei den gegenwärtigen Protesten zu wuchern wissen. Und seine Abwahl wird an den systemischen Defiziten des Landes kaum etwas ändern.
All diese Aspekte vernachlässigt oder unterschlägt Gessen, obwohl ihre Diskussion das Gebot der Stunde wäre. Nur an einer Stelle wird etwa auf die sehr wohl vorhandenen autoritären Züge in Barack Obamas Präsidentschaft, etwa in Fragen der Migration, des Grenzschutzes oder der illegalen Tötung von Staatsfeinden durch Drohnen, erinnert. Vom politischen Einfluss großer Konzerne und Lobbyorganisationen ist gleichfalls kaum die Rede. Stattdessen richtet sich die Kritik vorwiegend gegen die liberalen Medien, die angeblich zu milde und zurückhaltend mit dem Wüterich im Weißen Haus umgingen. Glaubt Gessen wirklich, eine schärfere Berichterstattung hätte das Phänomen Trump verhindern können?
Trotz dieses Defizits ist das Buch dort wirklich lesenswert, wo Gessen die Sprache des Präsidenten und die inszenatorischen Praktiken seiner Administration im Detail beschreibt. Hier tritt nicht allein der Mechanismus der Dauerlüge zutage, sondern ein blanker Zynismus der Machtausübung. In einer bezeichnenden Geschichte werden die Medienvertreter im Weißen Haus von der Sprecherin des Präsidenten gezwungen, vor jeder Frage ein Bekenntnis zu etwas Positivem abzulegen, und fast alle gehorchen; nur einer wagt so etwas wie subversive Ironie im Angesicht der Zumutung.
Diese kenntnisreiche Darstellung der sprachlichen Praktiken des Autoritarismus oder dessen, was gern Autoritarismus wäre, verleiht dem Buch im zweiten Teil eine Präzision und Tiefe, die im ersten Teil fehlt. Es geht tatsächlich um den Tod der Politik, wie Gessen betrübt schlussfolgert. Was am Ende übrig bleibt, ist die selbstverliebte Inszenierung weißer, männlicher und offen rassistischer Machtansprüche, deren Grenzen gleichwohl von Gessen nirgendwo ausgelotet werden. Weniger Apokalyptik und mehr Tiefe durch sozioökonomische Analyse hätten dem Buch zweifellos gutgetan.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER
Masha Gessen:
"Autokratie überwinden".
Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Karlheinz Dürr.
Aufbau Verlag, Berlin 2020. 299 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Masha Gessen erklärt, wie weit Donald Trump die Demokratie in den USA schon ausgehöhlt hat. Ihre Analyse ist klar und scharf (...).« Matthias Kolb Süddeutsche Zeitung 20200615