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Tankstelle, Drive-in oder Parkhaus: allesamt Beispiele auto-naher Bauten. Was bisher jedoch kaum beachtet wurde: Das merkwürdige Verhältnis von Automobil und Immobilie reicht weit über diese Straßenrandphänomene hinaus. Das Auto beeinflusst als ungleich beweglicherer Gegenspieler die Architektur von der Moderne bis in unsere Gegenwart.Der Architekturhistoriker Erik Wegerhoff erzählt erstmals die Geschichte dieser besonderen Beziehung von Bewegung und Statik: Er widmet sich Le Corbusiers Faszination für Rennautos, der Schönheit der Gerade, Erich Mendelsohns Mossehaus als Beruhigungsmittel für…mehr

Produktbeschreibung
Tankstelle, Drive-in oder Parkhaus: allesamt Beispiele auto-naher Bauten. Was bisher jedoch kaum beachtet wurde: Das merkwürdige Verhältnis von Automobil und Immobilie reicht weit über diese Straßenrandphänomene hinaus. Das Auto beeinflusst als ungleich beweglicherer Gegenspieler die Architektur von der Moderne bis in unsere Gegenwart.Der Architekturhistoriker Erik Wegerhoff erzählt erstmals die Geschichte dieser besonderen Beziehung von Bewegung und Statik: Er widmet sich Le Corbusiers Faszination für Rennautos, der Schönheit der Gerade, Erich Mendelsohns Mossehaus als Beruhigungsmittel für den Berliner Verkehr, einem Land ohne Fußgänger, dem Kampf des ADAC gegen die Parkraumnot, einer Therme am Ende der Straße - und der ökologisch bedingten Bremsbewegung von Auto und Architektur.Wie nebenbei entsteht aus den Szenen dieser Beziehung und dem neuen Blick auf berühmte und weniger bekannte Bauten eine andere, höchst originelle Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts - unterhaltsam geschrieben und reichhaltig bebildert.
Autorenporträt
Erik Wegerhoff, 1974 geboren, ist Dozent für Theorie und Geschichte der Architektur und Redakteur bei der ¿Schweizerischen Bauzeitung ¿ TEC21¿. Er promovierte an der ETH Zürich bei Andreas Tönnesmann, forscht, lehrt und schreibt zur Poetik der Infrastruktur, Aneignungen und Umbauten und zu zeitgenössischer Architektur. Bei Wagenbach erschienen sind von ihm »Das Kolosseum«, »On the Road ¿ Über die Straße« und, zusammen mit Joseph Imorde, »Dreckige Laken. Die Kehrseite der Grand Tour«.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent und Architekturkritiker Michael Mönninger wirkt etwas verdutzt bei der "unermüdlichen Heiterkeit", mit der Erik Wegerhoff in seinem Buch dem Auto begegnet - manch einer habe die Erfindung des Autos immerhin schon mit der der Atombombe verglichen, merkt er an. Er nimmt das aber erst einmal hin und folgt dem Autor durch seine Essays, die das Verhältnis von Auto und Architektur in den Blick nehmen: So geht es etwa um die ersten "schnurgeraden" Autostrecken, die aber keinen Bremsweg einplanten und zu vielen Unfällen führten, bevor das Thema Beschleunigung und Verlangsamung im Bau berücksichtigt wurde; um von der Bewegungsenergie des Autos inspirierte Hausentwürfe wie das von Le Corbusier 1924, oder um den "italienischen Bewegungsfuturismus" in der Fiat-Stockwerksfabrik in Turin, gibt Mönninger wieder. Das scheint er alles hinreichend interessant zu finden, vermisst dann aber ein wenig thematische Flexibilität - gewünscht hätte es sich etwa eine Vertiefung des Themas Parken, das von Wegerhoff als bloße "Schattenseite der Mobilität" abgetan werde. Für den Kritiker eine oft "klug kombiniertes" Buch, das ihn jedoch die "Horror"-Aspekte einer autozentrierten Stadtplanung nicht vergessen lässt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2023

Verkehrsberuhigt euch
Neue Bücher zeigen, wie das Auto unsere Städte und Häuser geprägt hat.
Der Blick auf die Straßen wiederum zeigt, dass es damit noch lange nicht vorbei ist.
Schnee ist natürlich auch eine Sache, die sehr verkehrsberuhigend wirken kann, wie sich eben wieder im habituell heckgetriebenen München gezeigt hat. Immerhin ist das eine Stadt, die ihren Besuchern als Wahrzeichen eben nicht als Erstes die Türme der Frauenkirche präsentiert, sondern den Slogan „Freude am Fahren“ an diesem Hochhaus in Freimann – jedenfalls denen, die von Norden her reinfahren, was aber zuletzt, wie gesagt, etwas schwieriger war. Offensichtlich ist Schnee da sogar effizienter als alle Poller, Bodenschwellen und Blumenkübel. Verglichen damit ist Schnee aber auch ästhetisch endlich einmal ein Argument fürs Nichtfahren, dem sich – abgesehen von dem eher beschwörenden Wort Winterdienst – wenig entgegenhalten lässt. Ähnlich verhält es sich sonst nur mit Büchern.
Denn wirklich gute Bücher kann man schlecht beim Fahren goutieren, schon gar nicht solche mit Bildern, selbst wenn es darin um das Fahren geht. In diesem Jahr sind nun gleich zwei der schönsten Bücher erschienen, die es zum Einfluss der Automobilität auf Städtebau und Architektur bislang gibt. Beide sind bei aller Gelehrsamkeit so ein Vergnügen, dass man von Freude am Blättern sprechen kann.
Das eine stammt von dem Architekten und Bauwelt-Redakteur Ulrich Brinkmann und heißt „Vorsicht auf dem Wendehammer!“ Untertitel: „Die Straße als Element des Städtebaus“, eigentlicher Inhalt: „Ansichtspostkarten in der DDR und Bundesrepublik 1949–1989“.
Ansichtskarten, die in erster Linie Straßenbauwerke und -verkehr abbilden, haben verlässlich den Schauwert des Bizarren. Das weiß man spätestens seit den Sammelbänden „Boring Postcards“, mit denen der britische Fotograf Martin Parr vor Jahrzehnten schon Bestseller-Erfolge feiern konnte. Seine „langweiligen Postkarten“ aus aller Welt, vor allem aber den USA, stammten meist aus den Fünfziger- bis Siebzigerjahren und zeigten sehr oft Highways, Kreuzungen, Autobahnbrücken. Was daran langweilig erscheint, muss einmal spektakulär gewirkt haben: Ausdruck eines Infrastrukturstolzes, der heute fremd geworden ist, buchstäblich nothing to write home about. Eher sieht man heute Fotos davon, wenn in den Medien von der Einsturzgefahr der mittlerweile maroden Brücke die Rede ist.
Aber bei Parr blieb das alles unkommentiert. Brinkmann hingegen nimmt entsprechende Postkarten aus den beiden deutschen Staaten zum Anlass, diesen Infrastrukturstolz im Kontext von Wiederaufbau und Systemkonkurrenz zu analysieren. Das Ergebnis: Nie sahen sich Castrop-Rauxel und Dresden, Dortmund und Rostock ähnlicher. Oft kann man Westen und Osten nur an den Automodellen unterscheiden oder an der Reklame, und oft sind diese Dinge ja ohnehin die interessantesten auf dem Bild: die Merkwürdigkeiten neben den Sehenswürdigkeiten – und je zeitloser die einen, desto mehr Gegenwart und Zukunftszuversicht liegt in den anderen.
Ein Hobbyfotograf würde warten, bis das mittelalterliche Schwabentor in Freiburg ungestört vor ihm liegt, der Postkartenfotograf hat gewartet, bis knallrot die Straßenbahn durch das Gemäuer rollt. Im Osten ist fast immer ein so ausgewogener Mix aus Pkw, Bussen und, auffällig wichtig: Müttern mit Kinderwagen auf den Bildern, dass man es mit Arrangements zu tun zu haben scheint.
Brinkmann liefert laufend solche Beobachtungen. Sein Text zu den Bildern bietet viel auf einmal: ikonologische Bildanalyse der Postkarteninszenierungen, Architekturgeschichte des Nachkriegswiederaufbaus in den jeweiligen Innenstadtlagen, schließlich Phänomenologisches, etwa unter der Überschrift „Marktplatz wird Parkplatz“. Denn sprachlich ist das auch prägnant; für die Bilder der Schnellstraßen, auf denen man nur sehr vereinzelt mal ein Auto sieht und niemals einen Stau, findet er den schönen Begriff „Verkehrserwartungsland“.
Fast ein bisschen schade ist es da, dass der Titel „Vorsicht auf dem Wendehammer!“ mehr nach purem Spott klingt als bei Brinkmanns Vorgänger. Der hieß „Achtung vor dem Blumenkübel – die Fußgängerzone als Element des Städtebaus“, und im Doppelsinn des Wortes Achtung als Warnung wie aber auch als Anerkennung war besser ausgedrückt, wie ambivalent diese Postkartenmotive sind. Die funktionalistische Neuaufteilung der Stadt in Straßen nur für Kfz und solche nur für Fußgänger, die heute als wesentlicher Grund für Ödnis unserer Städte beklagt wird: Sie war offensichtlich einmal das, was man sehen und zeigen und mit Briefmarke hintendrauf herumschicken wollte.
Um eine „Würdigung der kreativen Kraft des Autos“, und zwar „ohne den Zorn, der die kritische Literatur über die Auswirkungen des Autos auf die gebaute Umwelt kennzeichnete, zu oft pauschal beschimpft als ,autogerechte Stadt‘“, geht es auch dem anderen Buch, Erik Wegerhoffs „Automobil und Architektur“.
Kaum zu glauben, dass der Band auf seiner Habilitationsschrift an der ETH Zürich beruht. So elegant, überraschend und frei von akademischem Jargon kurvt Wegerhoff durch die Architekturgeschichte, dass man beim Lesen eher das Gefühl hat, einer Spritztour in einem Cabriolet beizuwohnen. (Zum Beispiel in einem Alfa Romeo 2600 Spider, wie er auf dem Titelbild seines Buches thront, nämlich am Ende der geschwungenen Auffahrt aufs Dach des Zürcher Hochhauses zur Palme.)
Das geht schon damit los, dass er allenfalls nebenher auf Tankstellen, Parkhäuser und andere Bauten fürs Automobil zu sprechen kommt, dafür gleich zum Auftakt aber auf: Bahnhöfe. Heute wird die Bahn in Deutschland oft als Synonym für Entschleunigung durch Verspätung wahrgenommen, aber im 19. Jahrhundert machte das maschinengetriebene Tempo noch Angst. Es ist eine einleuchtende These, dass die Kopfbahnhöfe oft antiken Tempeln, romanischen Burgen oder gotischen Domen glichen, um die Prellböcke am Ende der Gleise ästhetisch zu überhöhen: „Massive Architekturen verhinderten das Vordringen der technischen Bewegung in die Stadt“, sie setzten der Geschwindigkeit „ein entschiedenes Ende in vertrauten architektonischen Formen“. Aber manchmal, und damit setzt nun Wegerhoffs Buch ein, manchmal donnerte dann eben doch eine nicht zu bremsende Lok durch die Wand ins stuckverschnörkelte Bahnhofsrestaurant. Nach dieser ersten „Kollision von Statik und Dynamik“ wird die Mobilität, speziell die Automobilität, dann ein ganzes Jahrhundert lang in einen „kreativen Konflikt“ mit den Immobilien treten. Wegerhoff nimmt seine Leser mit auf die ersten Autobahnen als Bauten zur Normalisierung der Hochgeschwindigkeit und in die frühen Häuser Le Corbusiers, wo sich die Bewegung von der Garage aus als „promenade architecturale“ fortsetzt – allerdings noch zu Fuß.
Im Zürcher Hochhaus zur Palme wird man 1961 dann wie gesagt schon über eine Ringelrampe mit dem Cabrio bis aufs Dach fahren. In der Zwischenzeit wird Erich Mendelsohn „die Eisenenergie“ des Großstadtverkehrs materialästhetisch beim Wort nehmen und das Haus des Mosse-Verlags mit horizontalen Bändern dynamisieren, um es der Wahrnehmung aus dem Auto anpassen.
Aber nach dieser Phase der Ästhetisierung von Tempo und Beschleunigung dann die Schubumkehr: Wegerhoff beschreibt die Jahrzehnte seit den Sechzigern als gewaltiges Abbremsen, nun mit Oberflächen, Materialien und Formen der Entschleunigung, selbst Straßenbelägen, die auf Verlangsamung zielen: Poller, Speed Bumps, Betonblumenkübel. Das ästhetische Niveau ist oft genug beklagt worden. Wo aber für die Sprache ein ähnlich ästhetischer Sinn herrscht wie für das Spiel von Gas und Kupplung, muss auch ein Begriff wie „ruhender Verkehr“ auf Entzücken stoßen. Wegerhoff endet nur eben nicht mit der großen Wiederentdeckung des Fußgängers, etwa auf der Architekturbiennale von 1980. Sondern in der Therme Vals, vom Schweizer Baumeister Peter Zumthor als Zen-Tempel der Selbstversenkung ans Ende einer windungsreichen Alpenstraße gebaut, die allerdings erst einmal hochfahren muss, wer hinwill. Dabei fällt ein bisschen unter den Tisch, dass es am Abreisetag auch wieder runtergeht, zurück in den Verkehrsalltag.
Wegerhoff begründet seine Hommage als „Abschied“: „Die Beziehung von Architektur und Automobil ist am Ende und damit reif für die Geschichte.“ Das klingt so rund, wie das klingen muss in einem Buch, das schließlich ein Ende braucht. Auch Brinkmann stellt den Autoverkehr als Atavismus hin, um von hinten draufzuschauen. Beide betonen ein Bekenntnis zur „Postautomobilität“. Allerdings ist das ein Begriff, der im Moment vielleicht eher das Bild von Postautos evoziert, die durch die neue Lieferökonomie nun zusätzlich die Straßen bevölkern, wo sie meist in zweiter Reihe halten müssen. Von einer Zeit nach der Automobilität kann man mit Blick auf die Straßen zurzeit nicht wirklich reden. Es ist eine politische, nicht zuletzt klimapolitische Idealvorstellung, die hier als Tatsache hingestellt wird.
Aber das beißt sich nicht nur mit dem Augenschein, sondern auch mit den Zahlen: Sowohl die der Zulassungen als auch die der Fahrschüler steigen. Der Zustand von Deutscher Bahn und öffentlichem Nahverkehr – die Berliner Verkehrsbetriebe etwa müssen wegen Personalmangels schon regelmäßig Fahrten ausfallen lassen – lässt das Auto vielen heute offenbar wieder alternativlos erscheinen. Von einer Beruhigung des Verkehrs ist unter diesen Umständen mehr zu hören als zu sehen. Bauliche Maßnahmen gegen den Autoverkehr führen bei den betroffenen Anwohnern regelmäßig eher zu Erregung. Auch in den ausländischen Städten, die gern als Vorbild für ein neues Zeitalter der Autofreiheit präsentiert werden, ist es beim genauen Hinsehen komplizierter. Im Schachbrettraster von Eixample in Barcelona, wo jede zweite Straße für den Durchgangsverkehr gesperrt wurde, muss man es auf den jeweils dazwischenliegenden Pisten dafür erst einmal schaffen, nicht überfahren zu werden. In den Metropolen der sogenannten Schwellenländer wächst der Verkehr ohnehin allenfalls einer Beruhigung durch Vollstau entgegen.
Politiker, die die Fußgängerverzonung deutscher Innenstädte wieder vorantreiben wollten, wurden zuletzt auch deutlich abgestraft, in Berlin von den Wählern, in Hannover vom Koalitionspartner. Hannover sollte beim Wiederaufbau nach dem Krieg zu einem Inbegriff der „autogerechten Stadt“ werden; dass der grüne Oberbürgermeister jetzt aus dem Zentrum ausdrücklich einen Inbegriff der autoungerechten Stadt machen wollte, war der mitregierenden SPD eine zu drastische Auslegung des Wortes Verkehrswende. Dieser oft etwas apodiktisch verwendete Begriff wiederum beschreibt zwar gut das Gefühl, dass es „so nicht mehr weitergehen kann“, lässt aber offen, wie weit zurück genau gegangen werden soll. Etwas von guter, alter Zeit schwingt nun einmal immer mit, wenn vom Wenden, also von Umkehr die Rede ist: Sehnsucht nach einer Welt, die noch nicht so verkorkst war. Genau das wäre aber etwas, das die wachsende Zahl der Autofahrer heute auch mit Blick auf die vielen betörend freien Fahrbahnen in Ulrich Brinkmanns Buch empfinden könnte.
Selbst Wegerhoffs Studie hat nostalgisches Potenzial, wo sie an die ingenieurtechnische Lösungswut erinnert. Denn auch wenn die Schneeberge von München Momente so stillen Einhaltens gebracht haben mögen wie sonst nur der Bergschnee um die Therme von Vals: Irgendwann wollen die Leute dann halt doch wieder los, manche aus Freude am Fahren, die meisten eher aus Notwendigkeit. In Zukunft vermutlich dann nur noch häufiger allradgetrieben.
PETER RICHTER
Nie sahen sich
Castrop-Rauxel und
Dresden ähnlicher
Sehnsucht nach
einer Welt, die noch
nicht so verkorkst war
„Verkehrserwartungsland“: Postkarte von der Leningrader Straße in Dresden aus den 1970ern. Heute heißt sie Petersburger Straße und ist deutlich voller. Hinter der langen Hochhausscheibe rechts im Bild liegt, wie sollte es anders sein, eine fast genauso breite Fußgängerzone.
Foto: Brueck & Sohn, Meissen
Ulrich Brinkmann: Vorsicht auf dem Wendehammer! Die Straße als Element des Städtebaus. Ansichtspostkarten in der DDR und Bundesrepublik 1949-1989. DOM publishers, Berlin 2023, 288 Seiten. 28 Euro
Erik Wegerhoff: Automobil und Architektur. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023, 240 Seiten. 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2024

In permanenter Beschleunigung

So viel kreative Kraft verdient eine Würdigung: Erik Wegerhoff zeigt, wie das Automobil die moderne Architektur bis in die Wohnzimmer hinein geprägt hat.

Die wahrhaft apokalyptische Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts, so schrieb der amerikanische Architekturhistoriker Kenneth Frampton 1999, war nicht die Atombombe, sondern das Automobil. Der Zynismus dieses Vergleichs wird verständlicher, wenn man die Menschenleben, Städte und Landschaften zusammenzählt, die dem hundertjährigen Krieg auf den Straßen zum Opfer fielen. Der Zürcher Architekturtheoretiker Erik Wegerhoff lässt sich von solchen Mahnungen nicht davon abhalten, dem Jahrhundert des Autos einen begeisterten Nachruf zu widmen. Sein Buch "Automobil und Architektur" zielt mit zehn Essays in erklärter historischer Distanz auf eine "Würdigung der kreativen Kraft des Autos", jedoch "ohne den Zorn über die Auswirkungen des Autos auf die Umwelt".

Stattdessen verfolgt Wegerhoff die Koevolution von Gebäuden und Fahrzeugen und schildert eingangs am Beispiel der Bahnhofspaläste des neunzehnten Jahrhunderts, wie die Statik der Architektur auf die Dynamik der Mobilität traf. Mit ihren Säulenfronten und Triumphbogenportalen dienten die Stationen nicht nur als Stadttore für die Ausfahrt ins Freie, sondern auch als "Prellböcke" gegen die schnellen Einfahrten - auch wenn in Paris 1895 oder Frankfurt am Main 1901 zuweilen Züge ungebremst bis in die Empfangshallen und Bahnhofsrestaurants durchbrachen.

Schnurgerade wie Bahngleise bestanden auch die ersten spezialisierten Autostraßen in Deutschland wie die Berliner Avus 1921 oder Abschnitte der "HaFraBa"-Achse von Hamburg über Frankfurt nach Basel aus Rennstrecken, die ohne Kreuzungen, Kurven oder Kontrollen für vorher undenkbare Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern ausgelegt waren. Weil aber immer mehr Autofahrer erst kopfüber im Straßengraben zum Stillstand kamen, wuchs das Bewusstsein für das Spannungsverhältnis von Beschleunigen und Abbremsen. Mit den NS-Reichsautobahnen, die laut ihrem Chefplaner Todt "zum Kunstwerk in der Landschaft" werden sollten, beschreibt Wegerhoff, wie sich Deutschland in einen einheitlichen Geschwindigkeitsraum verwandelte.

Aus der physikalischen Massenträgheit mobiler Objekte leitet Wegerhoff auch die Grundspannung des modernen Bauens ab, das mit Eisenbeton-Konstruktionen ein höheres stabiles Gleichgewicht aus Tragen und Lasten, Zug und Druck erreicht. Für den Maler und Rennfahrer Amédée Ozenfant entwarf Le Corbusier 1924 ein Wohnhaus in Paris, das die Bewegungsenergie des Autos in der Erdgeschossgarage aufnahm und fußläufig über eine Wendeltreppe bis in die Wohnräume darüber fortsetzte. Bei seiner Villa Savoye leitete Le Corbusier den Grundriss vom Wendekreis der einfahrenden Fahrzeuge ab und setzte die kinetischen Impulse als "promenade architecturale" vertikal über Rampen, Spiralen und Bandfenster in Form von Windschutzscheiben fort. Und in seinen Architekturtraktaten verglich er Rennwagen und griechische Tempel als ebenbürtige Vorbilder höchster technischer Standards.

Während Le Corbusier das Auto nur ästhetisierte, ohne die Technik zu verstehen, schuf der Ingenieur Giacomo Mattè-Trucco 1923 mit der Fiat-Stockwerksfabrik im Turiner Stadtteil Lingotto, was die anderen Modernisten nur als Inspirationsquelle beschrieben: das Auto als Krönung der Architektur. Auf fünf Etagen wurden die Wagen sukzessive von unten nach oben zusammengebaut, dabei über majestätische Spiralrampen bewegt und auf der einen Kilometer langen ovalen Rennstrecke auf dem Dach ausprobiert. Mit diesem italienischen Bewegungsfuturismus konnten es die deutschen Expressionisten nicht aufnehmen. Aber den Besten unter ihnen wie Erich Mendelsohn gelang es, mit der stromlinienförmigen Skulptur seines Berliner Mosse-Verlagshauses 1923 die Architektur vom bloßen Zuschauer zum Teilnehmer am Straßenverkehr zu machen. Allerdings zielte schon bei Mendelsohn die Körperhaftigkeit und ruhige Horizontale der Fassaden auf Spannungsausgleich für die nervösen Städter.

Hier überrascht Wegerhoff mit seinem Hauptthema: Nicht nur für die permanente Beschleunigung brauchen Autos viel Raum, sondern ebenso beim Abbremsen und Stillstehen. Doch einen Schwenk von der Architektur auf die Infrastruktur will der Autor nicht machen. So geht er der räumlichen und administrativen Organisation des Parkens als "enttäuschender Schattenseite der Mobilität" nur flüchtig nach. Von der Reichsgaragenordnung 1939 bis zum Neuaufbau nach 1945 wachsen die Flächen für Stehen, Warten und Parken fast bis auf die Hälfte der Verkehrsflächen an, weshalb in Fachkreisen selbst kleine Erfindungen wie das platzsparende, fischgrätartige Schrägparken gefeiert wurden.

Sehr ausführlich fällt das Porträt des deutschamerikanischen Kritikers Peter Blake aus, der mit seinem illustrierten Pamphlet "God's Own Junkyard" 1964 erstmals die Stadtzerstörung durch Autos anprangerte, wodurch das von Gott erwählte Amerika zu einem Schrottplatz verkommen sei. Klug kombiniert sind die folgenden Kapitel über die Erfindung der Spielstraße und die gleichzeitige Wiederentdeckung der fußläufigen Stadträume durch die "Strada Novissima" auf der Architekturbiennale in Venedig 1980. Nicht einsichtig wird, warum das Buch in einer Sackgasse der Schweizer Alpen endet, wo der Architekt Peter Zumthor in seiner Luxustherme Vals die bewegungsmüden Menschen "entkleidet und in eine Welt der körperlichen Synästhesien taucht".

Leider übergeht Wegerhoff Automissionare wie Frank Lloyd Wright oder Sigfried Giedion, die mit den schönsten Absichten die schrecklichsten aller zersiedelten Verkehrswelten propagierten. Auch ignoriert der Autor die Erfindung der Fußgängerzone als Kollateralschaden der autogerechten Stadt. Dabei hätten Leitfossilien wie die Rotterdamer Lijnbaan oder die Treppenstraße in Kassel, beide von 1953, das Horrorpanorama wirksam abgerundet, das eine Stadtplanung angerichtet hat, die seit einem Jahrhundert fast ausschließlich aus Verkehrsplanung besteht und die trotz Wegerhoffs unermüdlicher Heiterkeit noch lange nicht überwunden ist. MICHAEL MÖNNINGER

Erik Wegerhoff: "Automobil und Architektur". Ein kreativer Konflikt.

Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2023.

240 S., Abb., br., 32,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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