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Tankstelle, Drive-in oder Parkhaus: allesamt Beispiele auto-naher Bauten. Was bisher jedoch kaum beachtet wurde: Das merkwürdige Verhältnis von Automobil und Immobilie reicht weit über diese Straßenrandphänomene hinaus. Das Auto beeinflusst als ungleich beweglicherer Gegenspieler die Architektur von der Moderne bis in unsere Gegenwart.Der Architekturhistoriker Erik Wegerhoff erzählt erstmals die Geschichte dieser besonderen Beziehung von Bewegung und Statik: Er widmet sich Le Corbusiers Faszination für Rennautos, der Schönheit der Gerade, Erich Mendelsohns Mossehaus als Beruhigungsmittel für…mehr

Produktbeschreibung
Tankstelle, Drive-in oder Parkhaus: allesamt Beispiele auto-naher Bauten. Was bisher jedoch kaum beachtet wurde: Das merkwürdige Verhältnis von Automobil und Immobilie reicht weit über diese Straßenrandphänomene hinaus. Das Auto beeinflusst als ungleich beweglicherer Gegenspieler die Architektur von der Moderne bis in unsere Gegenwart.Der Architekturhistoriker Erik Wegerhoff erzählt erstmals die Geschichte dieser besonderen Beziehung von Bewegung und Statik: Er widmet sich Le Corbusiers Faszination für Rennautos, der Schönheit der Gerade, Erich Mendelsohns Mossehaus als Beruhigungsmittel für den Berliner Verkehr, einem Land ohne Fußgänger, dem Kampf des ADAC gegen die Parkraumnot, einer Therme am Ende der Straße - und der ökologisch bedingten Bremsbewegung von Auto und Architektur.Wie nebenbei entsteht aus den Szenen dieser Beziehung und dem neuen Blick auf berühmte und weniger bekannte Bauten eine andere, höchst originelle Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts - unterhaltsam geschrieben und reichhaltig bebildert.
Autorenporträt
Erik Wegerhoff, 1974 geboren, ist Dozent für Theorie und Geschichte der Architektur und Redakteur bei der ¿Schweizerischen Bauzeitung - TEC21¿. Er promovierte an der ETH Zürich bei Andreas Tönnesmann, forscht, lehrt und schreibt zur Poetik der Infrastruktur, Aneignungen und Umbauten und zu zeitgenössischer Architektur. Bei Wagenbach erschienen von ihm 'Das Kolosseum', 'On the Road - Über die Straße' und, zusammen mit Joseph Imorde, 'Dreckige Laken. Die Kehrseite der Grand Tour'.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent und Architekturkritiker Michael Mönninger wirkt etwas verdutzt bei der "unermüdlichen Heiterkeit", mit der Erik Wegerhoff in seinem Buch dem Auto begegnet - manch einer habe die Erfindung des Autos immerhin schon mit der der Atombombe verglichen, merkt er an. Er nimmt das aber erst einmal hin und folgt dem Autor durch seine Essays, die das Verhältnis von Auto und Architektur in den Blick nehmen: So geht es etwa um die ersten "schnurgeraden" Autostrecken, die aber keinen Bremsweg einplanten und zu vielen Unfällen führten, bevor das Thema Beschleunigung und Verlangsamung im Bau berücksichtigt wurde; um von der Bewegungsenergie des Autos inspirierte Hausentwürfe wie das von Le Corbusier 1924, oder um den "italienischen Bewegungsfuturismus" in der Fiat-Stockwerksfabrik in Turin, gibt Mönninger wieder. Das scheint er alles hinreichend interessant zu finden, vermisst dann aber ein wenig thematische Flexibilität - gewünscht hätte es sich etwa eine Vertiefung des Themas Parken, das von Wegerhoff als bloße "Schattenseite der Mobilität" abgetan werde. Für den Kritiker eine oft "klug kombiniertes" Buch, das ihn jedoch die "Horror"-Aspekte einer autozentrierten Stadtplanung nicht vergessen lässt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2024

In permanenter Beschleunigung

So viel kreative Kraft verdient eine Würdigung: Erik Wegerhoff zeigt, wie das Automobil die moderne Architektur bis in die Wohnzimmer hinein geprägt hat.

Die wahrhaft apokalyptische Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts, so schrieb der amerikanische Architekturhistoriker Kenneth Frampton 1999, war nicht die Atombombe, sondern das Automobil. Der Zynismus dieses Vergleichs wird verständlicher, wenn man die Menschenleben, Städte und Landschaften zusammenzählt, die dem hundertjährigen Krieg auf den Straßen zum Opfer fielen. Der Zürcher Architekturtheoretiker Erik Wegerhoff lässt sich von solchen Mahnungen nicht davon abhalten, dem Jahrhundert des Autos einen begeisterten Nachruf zu widmen. Sein Buch "Automobil und Architektur" zielt mit zehn Essays in erklärter historischer Distanz auf eine "Würdigung der kreativen Kraft des Autos", jedoch "ohne den Zorn über die Auswirkungen des Autos auf die Umwelt".

Stattdessen verfolgt Wegerhoff die Koevolution von Gebäuden und Fahrzeugen und schildert eingangs am Beispiel der Bahnhofspaläste des neunzehnten Jahrhunderts, wie die Statik der Architektur auf die Dynamik der Mobilität traf. Mit ihren Säulenfronten und Triumphbogenportalen dienten die Stationen nicht nur als Stadttore für die Ausfahrt ins Freie, sondern auch als "Prellböcke" gegen die schnellen Einfahrten - auch wenn in Paris 1895 oder Frankfurt am Main 1901 zuweilen Züge ungebremst bis in die Empfangshallen und Bahnhofsrestaurants durchbrachen.

Schnurgerade wie Bahngleise bestanden auch die ersten spezialisierten Autostraßen in Deutschland wie die Berliner Avus 1921 oder Abschnitte der "HaFraBa"-Achse von Hamburg über Frankfurt nach Basel aus Rennstrecken, die ohne Kreuzungen, Kurven oder Kontrollen für vorher undenkbare Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern ausgelegt waren. Weil aber immer mehr Autofahrer erst kopfüber im Straßengraben zum Stillstand kamen, wuchs das Bewusstsein für das Spannungsverhältnis von Beschleunigen und Abbremsen. Mit den NS-Reichsautobahnen, die laut ihrem Chefplaner Todt "zum Kunstwerk in der Landschaft" werden sollten, beschreibt Wegerhoff, wie sich Deutschland in einen einheitlichen Geschwindigkeitsraum verwandelte.

Aus der physikalischen Massenträgheit mobiler Objekte leitet Wegerhoff auch die Grundspannung des modernen Bauens ab, das mit Eisenbeton-Konstruktionen ein höheres stabiles Gleichgewicht aus Tragen und Lasten, Zug und Druck erreicht. Für den Maler und Rennfahrer Amédée Ozenfant entwarf Le Corbusier 1924 ein Wohnhaus in Paris, das die Bewegungsenergie des Autos in der Erdgeschossgarage aufnahm und fußläufig über eine Wendeltreppe bis in die Wohnräume darüber fortsetzte. Bei seiner Villa Savoye leitete Le Corbusier den Grundriss vom Wendekreis der einfahrenden Fahrzeuge ab und setzte die kinetischen Impulse als "promenade architecturale" vertikal über Rampen, Spiralen und Bandfenster in Form von Windschutzscheiben fort. Und in seinen Architekturtraktaten verglich er Rennwagen und griechische Tempel als ebenbürtige Vorbilder höchster technischer Standards.

Während Le Corbusier das Auto nur ästhetisierte, ohne die Technik zu verstehen, schuf der Ingenieur Giacomo Mattè-Trucco 1923 mit der Fiat-Stockwerksfabrik im Turiner Stadtteil Lingotto, was die anderen Modernisten nur als Inspirationsquelle beschrieben: das Auto als Krönung der Architektur. Auf fünf Etagen wurden die Wagen sukzessive von unten nach oben zusammengebaut, dabei über majestätische Spiralrampen bewegt und auf der einen Kilometer langen ovalen Rennstrecke auf dem Dach ausprobiert. Mit diesem italienischen Bewegungsfuturismus konnten es die deutschen Expressionisten nicht aufnehmen. Aber den Besten unter ihnen wie Erich Mendelsohn gelang es, mit der stromlinienförmigen Skulptur seines Berliner Mosse-Verlagshauses 1923 die Architektur vom bloßen Zuschauer zum Teilnehmer am Straßenverkehr zu machen. Allerdings zielte schon bei Mendelsohn die Körperhaftigkeit und ruhige Horizontale der Fassaden auf Spannungsausgleich für die nervösen Städter.

Hier überrascht Wegerhoff mit seinem Hauptthema: Nicht nur für die permanente Beschleunigung brauchen Autos viel Raum, sondern ebenso beim Abbremsen und Stillstehen. Doch einen Schwenk von der Architektur auf die Infrastruktur will der Autor nicht machen. So geht er der räumlichen und administrativen Organisation des Parkens als "enttäuschender Schattenseite der Mobilität" nur flüchtig nach. Von der Reichsgaragenordnung 1939 bis zum Neuaufbau nach 1945 wachsen die Flächen für Stehen, Warten und Parken fast bis auf die Hälfte der Verkehrsflächen an, weshalb in Fachkreisen selbst kleine Erfindungen wie das platzsparende, fischgrätartige Schrägparken gefeiert wurden.

Sehr ausführlich fällt das Porträt des deutschamerikanischen Kritikers Peter Blake aus, der mit seinem illustrierten Pamphlet "God's Own Junkyard" 1964 erstmals die Stadtzerstörung durch Autos anprangerte, wodurch das von Gott erwählte Amerika zu einem Schrottplatz verkommen sei. Klug kombiniert sind die folgenden Kapitel über die Erfindung der Spielstraße und die gleichzeitige Wiederentdeckung der fußläufigen Stadträume durch die "Strada Novissima" auf der Architekturbiennale in Venedig 1980. Nicht einsichtig wird, warum das Buch in einer Sackgasse der Schweizer Alpen endet, wo der Architekt Peter Zumthor in seiner Luxustherme Vals die bewegungsmüden Menschen "entkleidet und in eine Welt der körperlichen Synästhesien taucht".

Leider übergeht Wegerhoff Automissionare wie Frank Lloyd Wright oder Sigfried Giedion, die mit den schönsten Absichten die schrecklichsten aller zersiedelten Verkehrswelten propagierten. Auch ignoriert der Autor die Erfindung der Fußgängerzone als Kollateralschaden der autogerechten Stadt. Dabei hätten Leitfossilien wie die Rotterdamer Lijnbaan oder die Treppenstraße in Kassel, beide von 1953, das Horrorpanorama wirksam abgerundet, das eine Stadtplanung angerichtet hat, die seit einem Jahrhundert fast ausschließlich aus Verkehrsplanung besteht und die trotz Wegerhoffs unermüdlicher Heiterkeit noch lange nicht überwunden ist. MICHAEL MÖNNINGER

Erik Wegerhoff: "Automobil und Architektur". Ein kreativer Konflikt.

Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2023.

240 S., Abb., br., 32,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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