L'auteure se pose des questions dans ce livre en forme d'autoportrait qui à la manière d'un tableau joue avec les couleurs et les motifs pour raconter l'étrangeté d'un regard, le sien. Un regard qui l'a rendue écrivaine, qui lui a donné la force d'être à la fois attentive aux moindres variations d'un visage, d'un paysage et d'être indifférente, presque absente.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2011Die Frau neben dem Bananenstrauch
Ich träume mir mein Wesen: Die Schriftstellerin Marie NDiaye sollte ein Selbstporträt schreiben, doch dann überlegte sie es sich anders - und zeichnete das Bild ihrer selbst als eine Mischung aus Vermutungen, Erinnerungen, Verfälschungen und Projektionen.
Es ist ein witziges Spiel, das die in Berlin lebende französische Erfolgsautorin Marie NDiaye mit dem eigenen Spiegelbild treibt. Das im Titel ihres neuen Buches annoncierte "Selbstporträt" fungiert als Deklaration, die allerdings von den ersten Seiten an unterlaufen wird. Damit packt sie das vordergründige Leserinteresse am Schopf, um es sofort zu düpieren. Wer möchte denn nicht, angetrieben von banaler Neugierde, erst einmal ein paar Zusatzinformationen erfahren über eine geheimnisvolle Schriftstellerin, die Marie NDiaye ohne Zweifel ist?
Die vierundvierzig Jahre alte Autorin, als Tochter einer französischen Lehrerin und eines Senegalesen in Frankreich aufgewachsen, lebt seit 2007 mit ihrem Mann und den drei Kindern in Berlin. Ihre Heimat, die ihr vor zwei Jahren für den kämpferischen Roman "Drei starke Frauen" mit dem Prix Goncourt die renommierteste französische Literaturauszeichnung verlieh, verließ sie im Zorn. Ihre Kritik an Sarkozys Immigrationspolitik, die sie als verabscheuenswürdig bezeichnete, provozierte einen heftigen Schlagabtausch unter französischen Intellektuellen und Politikern über die Redefreiheit preisgekrönter Künstler. Deutschland als neue Wahlheimat hat auch mit diesem lautstarken Protest an der Atmosphäre polizeilicher Überwachung zu tun, die Marie NDiaye in Frankreich wahrzunehmen glaubt - wobei es sich, kein Zweifel, um eine Heimat bis auf weiteres handelt. Denn das Setting des Ausbruchs, des Abschieds und des Neuanfangs an einem unbekannten Ort war schon immer zwingende Konstante ihres Schreibens. Sie braucht das vibrierend Fremde für die Inspiration, den Wechsel der Kulisse für die Einfälle. Amsterdam, Rom, Barcelona oder Guadeloupe sind Stationen ihres Lebens.
Wer sich nun allerdings genauere Details zum Autorinnenleben im neuen, in Frankreich bereits 2005 erschienenen Buch "Selbstporträt in Grün" erhofft, bewegt sich auf der falschen Fährte, auch wenn die Spielvorgabe ursprünglich sehr wohl autobiographisch war. "Autoportrait en vert" erschien im Pariser Verlag Mercure de France in der Reihe "Traits et Portraits", die Selbstdarstellungen von Cinéasten, Modeschöpfern, Lyrikern und Malern vorstellt. Marie NDiaye aber hat nicht journalistisches Enthüllen, sondern spielerisches Verhüllen im Sinn.
Sie stellt das ursprüngliche Konzept mutwillig auf den Kopf. Die vorgegebene Versuchsanlage dient ihr nur als Trampolin, um sich elastisch von der platten Selbstbespiegelung abzufedern. "Selbstporträt in Grün" ist ein trickreiches Vexierspiel mit den rätselhaften Facetten des eigenen Ich. Ein ständiges Gleiten, Schillern und Verwandeln geht durch dieses Buch und bestimmt den Erzählfluss. Denn die "Frauen in Grün" erscheinen unerwartet in immer neuer Form aus dem Textfluss. Bald ist es das gespenstische Bild einer Frau, die plötzlich neben dem Bananenstrauch steht; dann die Erinnerung an eine rigide Person aus der Kindheit: eine eckige, grobe Frau in langen Karoröcken, Rollkragenpullovern, mit grünen Augen; dann wieder erscheint eine Figur in grünen Shorts und Sandalen - eine quicklebendige, reizende Person, welche die Erzählerin für ihre Freundin Christina hält. Frauen in Grün zeigen sich mit unterschiedlichen Masken und Kostümen. Plötzlich tauchen sie wie mirakulöse Schemen aus dem Nichts auf - und versinken sogleich wieder im undurchdringlichen Nebel der Erinnerung. Festhalten kann man sie nicht, beschreiben nur bedingt, abschließend definieren schon gar nicht. Es sind halb reale, halb geträumte Wesen, die aber immer in einer Beziehung zur Erzählerin stehen.
Zu diesem Konzept der Fragmentierung des Ichs passt die keineswegs einer logischen Chronologie unterworfene Erzählanlage. Marie NDiaye klebt Fetzen von Ereignissen aus der Vergangenheit bruchlos aneinander. Ihr Selbstporträt kennt keine Kapiteleinteilungen. Neue Abschnitte sind häufig mehr oder weniger willkürlich mit Daten zwischen den Jahren 2000 und 2003 versehen - wieder ein deutliches Signal, dass es in diesem "Selbstporträt in Grün" keineswegs um die kohärente Abbildung der Wirklichkeit geht. Vielmehr hebt die Autorin in scheinbar zufälligem Rhythmus versunkene Bewusstseins- und Erlebnis-Seinschichten ans Licht. Ihre "autobiographische Figur" ist nicht greifbar, sondern eine Mischung aus Vermutung, Erinnerung, Verfälschung und Projektion. Nicht das eingerahmte, genau strukturierte Bild einer Frau will sie uns zeigen, sondern gebrochene Abbilder von "Frauen in Grün".
Dieses Ich ist nicht zu greifen und nicht zu fassen, sondern einem ununterbrochenen Wandel unterworfen. Es ist gleichzeitig fremd und vertraut, überraschend und alltäglich. Und so bekommt der Leser am Ende doch eine Form von Selbstporträt serviert. Marie NDiaye gelingt es mit der Strategie der Zersplitterung, gleichzeitig die Fassade der Frau in den Blick zu nehmen und hinter der vordergründigen Silhouette alle Schatten des Ichs anzudeuten, die ihm auch noch einbeschrieben sind.
PIA REINACHER
Marie NDiaye: "Selbstporträt in Grün". Roman.
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Arche Verlag, Hamburg 2011. 128 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ich träume mir mein Wesen: Die Schriftstellerin Marie NDiaye sollte ein Selbstporträt schreiben, doch dann überlegte sie es sich anders - und zeichnete das Bild ihrer selbst als eine Mischung aus Vermutungen, Erinnerungen, Verfälschungen und Projektionen.
Es ist ein witziges Spiel, das die in Berlin lebende französische Erfolgsautorin Marie NDiaye mit dem eigenen Spiegelbild treibt. Das im Titel ihres neuen Buches annoncierte "Selbstporträt" fungiert als Deklaration, die allerdings von den ersten Seiten an unterlaufen wird. Damit packt sie das vordergründige Leserinteresse am Schopf, um es sofort zu düpieren. Wer möchte denn nicht, angetrieben von banaler Neugierde, erst einmal ein paar Zusatzinformationen erfahren über eine geheimnisvolle Schriftstellerin, die Marie NDiaye ohne Zweifel ist?
Die vierundvierzig Jahre alte Autorin, als Tochter einer französischen Lehrerin und eines Senegalesen in Frankreich aufgewachsen, lebt seit 2007 mit ihrem Mann und den drei Kindern in Berlin. Ihre Heimat, die ihr vor zwei Jahren für den kämpferischen Roman "Drei starke Frauen" mit dem Prix Goncourt die renommierteste französische Literaturauszeichnung verlieh, verließ sie im Zorn. Ihre Kritik an Sarkozys Immigrationspolitik, die sie als verabscheuenswürdig bezeichnete, provozierte einen heftigen Schlagabtausch unter französischen Intellektuellen und Politikern über die Redefreiheit preisgekrönter Künstler. Deutschland als neue Wahlheimat hat auch mit diesem lautstarken Protest an der Atmosphäre polizeilicher Überwachung zu tun, die Marie NDiaye in Frankreich wahrzunehmen glaubt - wobei es sich, kein Zweifel, um eine Heimat bis auf weiteres handelt. Denn das Setting des Ausbruchs, des Abschieds und des Neuanfangs an einem unbekannten Ort war schon immer zwingende Konstante ihres Schreibens. Sie braucht das vibrierend Fremde für die Inspiration, den Wechsel der Kulisse für die Einfälle. Amsterdam, Rom, Barcelona oder Guadeloupe sind Stationen ihres Lebens.
Wer sich nun allerdings genauere Details zum Autorinnenleben im neuen, in Frankreich bereits 2005 erschienenen Buch "Selbstporträt in Grün" erhofft, bewegt sich auf der falschen Fährte, auch wenn die Spielvorgabe ursprünglich sehr wohl autobiographisch war. "Autoportrait en vert" erschien im Pariser Verlag Mercure de France in der Reihe "Traits et Portraits", die Selbstdarstellungen von Cinéasten, Modeschöpfern, Lyrikern und Malern vorstellt. Marie NDiaye aber hat nicht journalistisches Enthüllen, sondern spielerisches Verhüllen im Sinn.
Sie stellt das ursprüngliche Konzept mutwillig auf den Kopf. Die vorgegebene Versuchsanlage dient ihr nur als Trampolin, um sich elastisch von der platten Selbstbespiegelung abzufedern. "Selbstporträt in Grün" ist ein trickreiches Vexierspiel mit den rätselhaften Facetten des eigenen Ich. Ein ständiges Gleiten, Schillern und Verwandeln geht durch dieses Buch und bestimmt den Erzählfluss. Denn die "Frauen in Grün" erscheinen unerwartet in immer neuer Form aus dem Textfluss. Bald ist es das gespenstische Bild einer Frau, die plötzlich neben dem Bananenstrauch steht; dann die Erinnerung an eine rigide Person aus der Kindheit: eine eckige, grobe Frau in langen Karoröcken, Rollkragenpullovern, mit grünen Augen; dann wieder erscheint eine Figur in grünen Shorts und Sandalen - eine quicklebendige, reizende Person, welche die Erzählerin für ihre Freundin Christina hält. Frauen in Grün zeigen sich mit unterschiedlichen Masken und Kostümen. Plötzlich tauchen sie wie mirakulöse Schemen aus dem Nichts auf - und versinken sogleich wieder im undurchdringlichen Nebel der Erinnerung. Festhalten kann man sie nicht, beschreiben nur bedingt, abschließend definieren schon gar nicht. Es sind halb reale, halb geträumte Wesen, die aber immer in einer Beziehung zur Erzählerin stehen.
Zu diesem Konzept der Fragmentierung des Ichs passt die keineswegs einer logischen Chronologie unterworfene Erzählanlage. Marie NDiaye klebt Fetzen von Ereignissen aus der Vergangenheit bruchlos aneinander. Ihr Selbstporträt kennt keine Kapiteleinteilungen. Neue Abschnitte sind häufig mehr oder weniger willkürlich mit Daten zwischen den Jahren 2000 und 2003 versehen - wieder ein deutliches Signal, dass es in diesem "Selbstporträt in Grün" keineswegs um die kohärente Abbildung der Wirklichkeit geht. Vielmehr hebt die Autorin in scheinbar zufälligem Rhythmus versunkene Bewusstseins- und Erlebnis-Seinschichten ans Licht. Ihre "autobiographische Figur" ist nicht greifbar, sondern eine Mischung aus Vermutung, Erinnerung, Verfälschung und Projektion. Nicht das eingerahmte, genau strukturierte Bild einer Frau will sie uns zeigen, sondern gebrochene Abbilder von "Frauen in Grün".
Dieses Ich ist nicht zu greifen und nicht zu fassen, sondern einem ununterbrochenen Wandel unterworfen. Es ist gleichzeitig fremd und vertraut, überraschend und alltäglich. Und so bekommt der Leser am Ende doch eine Form von Selbstporträt serviert. Marie NDiaye gelingt es mit der Strategie der Zersplitterung, gleichzeitig die Fassade der Frau in den Blick zu nehmen und hinter der vordergründigen Silhouette alle Schatten des Ichs anzudeuten, die ihm auch noch einbeschrieben sind.
PIA REINACHER
Marie NDiaye: "Selbstporträt in Grün". Roman.
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Arche Verlag, Hamburg 2011. 128 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main