Im Mittelpunkt dieses heiteren Familienromans stehen Privat- und Berufsleben der prominenten Heidi. Eckhard Henscheid berichtet in ausgewählten Episoden von einem vorbildhaften deutschen Leben in Pracht und zuweilen auch Schicksalhaftigkeit. Wenn Romane in der Regel Freude machen sollen, so gilt das für den vorliegenden Fall nur bedingt. Dieses Buch beabsichtigt mit durchaus künstlerischen Mitteln mehr oder weniger das Gegenteil. Von seinen inhaltlichen Reizen abgesehen, sucht der Roman "Auweia" Sprache dort auf, wo sie normalerweise in der schönen Literatur nichts verloren hat: in ihrer Inferiorität. Inhaltlich-gehaltliche Ähnlichkeiten mit dem Leben einer gewissen deutschen Ex-Spitzentennisspielerin sowie eines noch gewisseren deutschen Supermodels sind nicht ganz zufällig, wenn auch überhaupt nicht beabsichtigt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2008Der greise Kindertennisspieler
Eckhard Henscheid hat mit 66 Jahren einen „Infantilroman” geschrieben – „Auweia”
Wie sich der Autor im Klappentext schmeichelt, handelt es sich um „ein episches Novum in der neuigkeitsreichen zweieinhalbtausendjährigen Geschichte des abendländischen Romans”. Es geht also einerseits, wie immer bei Henscheid, mit heiligem Ernst ums Ganze. Andererseits aber geht dieses Großnovum nun so an: „Aua! Heidis erster Tennistag! Der erste Trainingstag mit Kindertrainer Jupp Kuschel. Alle Wetter!” – und es will bis zum Ende derart albern nicht mehr aufhören.
Neben jenem Universalanspruch hat es also den Anschein, als sei dem alten Henscheid, gleich einem aufgeblasenen Balg, schon alles Luft und schnuppe: Sein Büchelchen gebärdet sich über alle Maßen indolent. Gesichts- und geschichtslos. Augenblicksvernarrt. Wie einzig von sich selbst berauscht. Und tatsächlich sehen wir den Autor, laut Umschlagtext, „erheitert, ja durchheitert”. Trüb jedoch im nächsten Augenblick schon wieder, streckt er der Leserschaft die Zunge raus: Der Tradition schöner Literatur entgegen, wolle er hier „nur sehr bedingt” Vergnügen herstellen – sondern „mehr oder weniger” das Gegenteil.
Es ist dies ein Doppelspiel, wie es der nur sehr bedingt vergnügte Leser von der notorisch sich dumm stellenden Boulevardpresse kennt. Da diese das letzte Druckmittel zu sein scheint, um auf eine breitere Masse zu wirken, setzt der Volksromantiker Henscheid seinen elitären Ehrgeiz daran, das Werk dieser schonungslosen Aufklärerschaft zu übertrumpfen, indem er es noch unterbietet. Indem er also das, worin sie es so meisterhaft weit gebracht hat, noch weiter treibt: ihre gespielte Einfalt.
Das heißt, bei Henscheid wie bei Kai Diekmann ist „Objektivität” das Ziel, sei sie auch noch so scheußlich. Hier wie dort verleugnet sich daher das schreibende Subjekt; wie im unverfälschten Alltag ist sprachlich so gut wie alles Bruch- und Versatzstück, und zum Zweck unschuldiger Schuldzuweisung wird nicht feinsinnig erzählt, sondern in allergröbsten Zügen berichtet.
„Auweia” berichtet aus unserer Welt als einem Abenteuerspielplatz, berichtet – exemplarisch – aus dem Leben der „Erwachsenen” Heidi und Ron sowie ihrer „Kinder” Laden Bin und Johana Isidora Pia Fuck Surinam. Mit andern Worten: Dieser Infantilroman ist so lustig und so öde wie ein heruntergerissener 126-seitiger Bildzeitungsartikel. Ein Werk allerzähster und allersturster, ja allermechanischster Aufklärung in kulturindustrieller Zeit.
Der zur „Neuen Frankfurter Schule” zählende Henscheid nimmt also nicht nur den modernen Diekmann beim Wort, sondern auch den alten Adorno, nach dessen Diktum der Künstler der Form dorthin zu folgen habe, wohin sie von sich aus möchte. Der Mimetiker passt sich an, um zu entkommen. Hatte am Anfang der Menschengeschichte der listige Odysseus sich einem Schaf gleichgemacht, um der Urhöhle zu entfliehen, um seine bloße Haut zu retten und sein Ich reisend erst zu bilden, so steht am Ende dieser Geschichte der nicht minder gefährdete Henscheid in einem geschlossenen circus maximus und sucht die ewigen Spiele, die dessen dressierte Insassen veranstalten, zu seinem Heil zu gewinnen.
Auf zur Adverbialparty
Heidi und Ron, die beiden Hauptfiguren, sind Tennisspieler. Zwar weltweit gewürdigte, aber doch so nichtswürdig, dass erst gedroschenste Hohlphraserei sie mythisch aufbläht. So geht’s im Buch nun Satz für Satz, Schlag auf Schlag, Binse hin und Binse her, immer schön um die heißen Ohren. Etwas aufzuführen, und zwar etwas vollkommen Einfaches, bei dem alle Öffentlichkeit denkt: einfach nicht zu fassen! Wahnsinn! – das allein ist Sinn und Zweck des Henscheidschen Kinderspiels mit gummizähem Material.
Begleitet wird das Phrasen-Pingpong von interjektivem Gestöhne: Ihrem Innersten machen die Mitwirkenden in allen Tonlagen Luft, denn immer sind es blanker Frust oder nackte Lust, dürftig bekleidet nur, die hier instinktiv zuschlagen, um klug etwas herauszuschlagen. Das ewige Vorbild ist dabei die Unschlagbarkeit, das Ass. Daher die lodernde Gefühlsunruhe, daher die diffusen Gefühlsansichten, deren Tönungen im Nu und dauernd wechseln, daher der abstruse Gefühlshochmut, der in jedem Augenblick alles spontan beherrschen will. Und dieser Kampf- und Mutwille wird gespiegelt in der Dreistigkeit eines Infantilromans, der seinen Gegenstand, dieses launische Etwas, einzig noch durch die Form beherrscht. Oder zumindest es zu fassen versucht, das maximaler Vollendung entgegenhüpfende Ballaballa.
Wie Handlung sich nicht entfalten kann, wo der Einzelaugenblick alles bannt, so winden sich um die Tätigkeitswörter des Romans lähmende Adverbienketten. Ein Vetter Kurt-Georg etwa „echot grölend und mit Karacho und wie schon fix und foxi oder jedenfalls ganz beömmelt”. Henscheid organisiert Adverbialpartys, so verspielt, so selbstverliebt wie das routiniert um sich selbst kreisende und schlagende, doch längst nicht mehr handelnde Gewolle. Denn Handlung bräuchte Zeit, die hier nicht mehr ist, weil sie unablässig totgeschlagen wird. „Endlich bereits” oder „bald, ja schon kurz darauf” verhakt alles auf Henscheids Sandplatz. Alles ultrafix. Alles „hopphopphopp”, „ruckizucki” und mit „affenartiger Geschwindigkeit”. Betulich-altmodisches Vokabular ist mit neudeutschen Mode- und Reizwörtern so schamlos vermischt, dass der angeblich lineare Zeitstrahl der Kulturgeschichte sich hier ballmäßig rundet. Bei aller „Futurefreudigkeit” kreist man doch wie die alltägliche Sonne oder der alljährliche Grand-Slam-Zirkus immer in derselben Bahn. Es ist der ewige Einstand.
Das Buch berichtet von zündelnden Kleinkindereien, die ein explosives Finale verheißen. Das Ganze aber ist, eben weil hier alles flüchtiges Gespiele scheinen will, so schwer fassbar wie ein Musikstück: Es hat keinen Sinn und keinen Reiz, solange man es nicht nachempfindet. Wo wie bei Henscheid die Hauptkräfte, getrieben vom inneren Brand, Töne spucken so unsäglich, dass alle Spucke wegbleibt, dort bleibt einzig noch, mit stiller Anteilnahme zu horchen und zu fühlen.
Ist das Erzählen, ist die Geschichte also doch am Ende? Nicht ganz, wenn irgend einer noch „Auweia” herausbringt angesichts eines quälenden Schauspiels um nichts Wirkliches. Von nichts als der bloßen Potenz immer machtvoller angezogen, erscheint das Menschliche am Ende einer zweieinhalbtausendjährigen Geschichte als ein Zurückgebildetes – als das schon wieder und noch immer Urmutterschoß-Versessene.
Zu befürchten steht nur, dass Henscheids schmaler Roman bereits derart tief und platt angelegt ist, dass darunter kein weiteres Blatt Literatur mehr passt, das dem höchsten Anspruch zu genügen versuchte, unsere straff sich neigende Zeit in Gedanken zu fassen.
CLAUDIO GUTTECK
ECKHARD HENSCHEID: Auweia. Infantilroman. Verlag Antje Kunstmann. München 2007. 126 Seiten, 14,90 Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Eckhard Henscheid hat mit 66 Jahren einen „Infantilroman” geschrieben – „Auweia”
Wie sich der Autor im Klappentext schmeichelt, handelt es sich um „ein episches Novum in der neuigkeitsreichen zweieinhalbtausendjährigen Geschichte des abendländischen Romans”. Es geht also einerseits, wie immer bei Henscheid, mit heiligem Ernst ums Ganze. Andererseits aber geht dieses Großnovum nun so an: „Aua! Heidis erster Tennistag! Der erste Trainingstag mit Kindertrainer Jupp Kuschel. Alle Wetter!” – und es will bis zum Ende derart albern nicht mehr aufhören.
Neben jenem Universalanspruch hat es also den Anschein, als sei dem alten Henscheid, gleich einem aufgeblasenen Balg, schon alles Luft und schnuppe: Sein Büchelchen gebärdet sich über alle Maßen indolent. Gesichts- und geschichtslos. Augenblicksvernarrt. Wie einzig von sich selbst berauscht. Und tatsächlich sehen wir den Autor, laut Umschlagtext, „erheitert, ja durchheitert”. Trüb jedoch im nächsten Augenblick schon wieder, streckt er der Leserschaft die Zunge raus: Der Tradition schöner Literatur entgegen, wolle er hier „nur sehr bedingt” Vergnügen herstellen – sondern „mehr oder weniger” das Gegenteil.
Es ist dies ein Doppelspiel, wie es der nur sehr bedingt vergnügte Leser von der notorisch sich dumm stellenden Boulevardpresse kennt. Da diese das letzte Druckmittel zu sein scheint, um auf eine breitere Masse zu wirken, setzt der Volksromantiker Henscheid seinen elitären Ehrgeiz daran, das Werk dieser schonungslosen Aufklärerschaft zu übertrumpfen, indem er es noch unterbietet. Indem er also das, worin sie es so meisterhaft weit gebracht hat, noch weiter treibt: ihre gespielte Einfalt.
Das heißt, bei Henscheid wie bei Kai Diekmann ist „Objektivität” das Ziel, sei sie auch noch so scheußlich. Hier wie dort verleugnet sich daher das schreibende Subjekt; wie im unverfälschten Alltag ist sprachlich so gut wie alles Bruch- und Versatzstück, und zum Zweck unschuldiger Schuldzuweisung wird nicht feinsinnig erzählt, sondern in allergröbsten Zügen berichtet.
„Auweia” berichtet aus unserer Welt als einem Abenteuerspielplatz, berichtet – exemplarisch – aus dem Leben der „Erwachsenen” Heidi und Ron sowie ihrer „Kinder” Laden Bin und Johana Isidora Pia Fuck Surinam. Mit andern Worten: Dieser Infantilroman ist so lustig und so öde wie ein heruntergerissener 126-seitiger Bildzeitungsartikel. Ein Werk allerzähster und allersturster, ja allermechanischster Aufklärung in kulturindustrieller Zeit.
Der zur „Neuen Frankfurter Schule” zählende Henscheid nimmt also nicht nur den modernen Diekmann beim Wort, sondern auch den alten Adorno, nach dessen Diktum der Künstler der Form dorthin zu folgen habe, wohin sie von sich aus möchte. Der Mimetiker passt sich an, um zu entkommen. Hatte am Anfang der Menschengeschichte der listige Odysseus sich einem Schaf gleichgemacht, um der Urhöhle zu entfliehen, um seine bloße Haut zu retten und sein Ich reisend erst zu bilden, so steht am Ende dieser Geschichte der nicht minder gefährdete Henscheid in einem geschlossenen circus maximus und sucht die ewigen Spiele, die dessen dressierte Insassen veranstalten, zu seinem Heil zu gewinnen.
Auf zur Adverbialparty
Heidi und Ron, die beiden Hauptfiguren, sind Tennisspieler. Zwar weltweit gewürdigte, aber doch so nichtswürdig, dass erst gedroschenste Hohlphraserei sie mythisch aufbläht. So geht’s im Buch nun Satz für Satz, Schlag auf Schlag, Binse hin und Binse her, immer schön um die heißen Ohren. Etwas aufzuführen, und zwar etwas vollkommen Einfaches, bei dem alle Öffentlichkeit denkt: einfach nicht zu fassen! Wahnsinn! – das allein ist Sinn und Zweck des Henscheidschen Kinderspiels mit gummizähem Material.
Begleitet wird das Phrasen-Pingpong von interjektivem Gestöhne: Ihrem Innersten machen die Mitwirkenden in allen Tonlagen Luft, denn immer sind es blanker Frust oder nackte Lust, dürftig bekleidet nur, die hier instinktiv zuschlagen, um klug etwas herauszuschlagen. Das ewige Vorbild ist dabei die Unschlagbarkeit, das Ass. Daher die lodernde Gefühlsunruhe, daher die diffusen Gefühlsansichten, deren Tönungen im Nu und dauernd wechseln, daher der abstruse Gefühlshochmut, der in jedem Augenblick alles spontan beherrschen will. Und dieser Kampf- und Mutwille wird gespiegelt in der Dreistigkeit eines Infantilromans, der seinen Gegenstand, dieses launische Etwas, einzig noch durch die Form beherrscht. Oder zumindest es zu fassen versucht, das maximaler Vollendung entgegenhüpfende Ballaballa.
Wie Handlung sich nicht entfalten kann, wo der Einzelaugenblick alles bannt, so winden sich um die Tätigkeitswörter des Romans lähmende Adverbienketten. Ein Vetter Kurt-Georg etwa „echot grölend und mit Karacho und wie schon fix und foxi oder jedenfalls ganz beömmelt”. Henscheid organisiert Adverbialpartys, so verspielt, so selbstverliebt wie das routiniert um sich selbst kreisende und schlagende, doch längst nicht mehr handelnde Gewolle. Denn Handlung bräuchte Zeit, die hier nicht mehr ist, weil sie unablässig totgeschlagen wird. „Endlich bereits” oder „bald, ja schon kurz darauf” verhakt alles auf Henscheids Sandplatz. Alles ultrafix. Alles „hopphopphopp”, „ruckizucki” und mit „affenartiger Geschwindigkeit”. Betulich-altmodisches Vokabular ist mit neudeutschen Mode- und Reizwörtern so schamlos vermischt, dass der angeblich lineare Zeitstrahl der Kulturgeschichte sich hier ballmäßig rundet. Bei aller „Futurefreudigkeit” kreist man doch wie die alltägliche Sonne oder der alljährliche Grand-Slam-Zirkus immer in derselben Bahn. Es ist der ewige Einstand.
Das Buch berichtet von zündelnden Kleinkindereien, die ein explosives Finale verheißen. Das Ganze aber ist, eben weil hier alles flüchtiges Gespiele scheinen will, so schwer fassbar wie ein Musikstück: Es hat keinen Sinn und keinen Reiz, solange man es nicht nachempfindet. Wo wie bei Henscheid die Hauptkräfte, getrieben vom inneren Brand, Töne spucken so unsäglich, dass alle Spucke wegbleibt, dort bleibt einzig noch, mit stiller Anteilnahme zu horchen und zu fühlen.
Ist das Erzählen, ist die Geschichte also doch am Ende? Nicht ganz, wenn irgend einer noch „Auweia” herausbringt angesichts eines quälenden Schauspiels um nichts Wirkliches. Von nichts als der bloßen Potenz immer machtvoller angezogen, erscheint das Menschliche am Ende einer zweieinhalbtausendjährigen Geschichte als ein Zurückgebildetes – als das schon wieder und noch immer Urmutterschoß-Versessene.
Zu befürchten steht nur, dass Henscheids schmaler Roman bereits derart tief und platt angelegt ist, dass darunter kein weiteres Blatt Literatur mehr passt, das dem höchsten Anspruch zu genügen versuchte, unsere straff sich neigende Zeit in Gedanken zu fassen.
CLAUDIO GUTTECK
ECKHARD HENSCHEID: Auweia. Infantilroman. Verlag Antje Kunstmann. München 2007. 126 Seiten, 14,90 Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nicht wirklich begeistern kann sich Claudio Gutteck für Eckhard Henscheids "Infantilroman", zumindest betrachtet er das Buch mit recht gemischten Gefühlen. Amüsiert hat er sich bei der Lektüre des Romans über die beiden berühmten Tennisspieler Heidi und Ron und ihre Kinder Laden Bin und Johana Isidora Pia Fuck Surinam jedenfalls nur sehr begrenzt. Zwar bescheinigt er dem Autor aufklärererischen Impetus. Aber die Verfolgung dieses Ziels mittels einer konsequenten Parodie von Strategien und sprachlichen Mitteln einer sich dumm stellenden Boulevardpresse findet er auf Dauer doch eher lähmend. Dieser Infantilroman wirkt auf ihn letztlich "so lustig" und "so öde" wie ein "heruntergerissener 126-seitiger Bildzeitungsartikel".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH