Jutta Held behandelt die künstlerischen Diskussionen und Entwürfe in Frankreich in den Jahrzehnten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Analysen zu namhaften Künstlern wie Chagall, Picasso, Dalí, Max Ernst, Breton, Eluard u. a. bieten zugleich aktuelle Ansätze zu einer politischen Kunstgeschichte.Künstler, Literaten und Intellektuelle der künstlerischen Avantgarde in Frankreich äußerten sich explizit zu den dramatischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Die Volksfrontregierungen, der Spanische Bürgerkrieg, der 'Hitlerismus', die Signale aus der Sowjetunion - sie alle forderten zu Kritik oder solidarischen Bekundungen heraus.Aus dem Inhalt:Revolution, Krieg und Faschismus - Künstlerische Positionen der 30er JahreAndrogynie in Chagalls Frühwerk: Adam und Eva oder Hommage à ApollinaireChagalls RevolutionPolitische Aktion und paranoisch-kritische Analyse: Max Lingner und Salvador DalíKünstlerische Analysen des Faschismus: Breton und DalíHorden und BarbarenWie kommen politische Wirkungen von Bildern zustande? - Picassos GuernicaDie Feminisierung der Avantgarde. Zur Kunst der Résistance: Paul Eluard und Henri LaurensPaul-Emile Borduas: Bombardement sous-marin. Zwischen Europa und NordamerikaPicassos Koreabild und die avantgardistische Historienmalerei.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.08.2005Guernica, verhängt
Wie die Avantgarde Revolution und Krieg malte
Vor dem Sitzungssaal des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in New York hängt eine große Tapisserie nach Pablo Picassos monumentalem Gemälde „Guernica”, und sie hängt dort ganz bewusst, wenn auch manchmal ungünstig. Am 5. Februar 2003 meldete die New York Times, dass Mr. Powell die Welt schwerlich von der Notwendigkeit des Irak-Krieges überzeugen könne, wenn ihn die Kameras umgeben von verstümmelten Frauen, Kindern, Stieren und Pferden zeigten. Er sprach deshalb vor einem Tuch in UN-Blau, mit dem man „Guernica” verhängt hatte.
Das Monumentalgemälde „Guernica”, das Picasso unter dem Eindruck des Luftangriffs der Legion Condor auf die baskische Stadt für die Pariser Weltausstellung 1937 malte, war damals nicht einmal im Katalog abgebildet. Obwohl es stilistisch alles andere als allgemeinverständliche, massentaugliche Agitprop-Kunst ist, wurde es dennoch weltweit zu dem Antikriegsbild schlechthin, das auch rund siebzig Jahre später jeder kennt und versteht.
Die Kunsthistorikerin Jutta Held beschreibt in ihrem Buch über „Avantgarde und Politik in Frankreich”, wie Picassos Gemälde trotz seiner physischen und formalen Sperrigkeit gerade im Spannungsfeld verschiedener nationaler wie intellektueller Richtungen zu einer bis heute gültigen Ikone der politischen Malerei werden konnte.
Der Aufsatz ist einer von insgesamt elf Beiträgen, in denen sich die Autorin mit der politischen Haltung und dem Politikgehalt künstlerischer Aussagen der historischen Avantgarde beschäftigt. Trotz kleiner zeitlicher Abwege liegt der Schwerpunkt im Paris der Dreißiger Jahre, als die Stadt Zentrum und auch Fluchtpunkt der europäischen Avantgarde war, wo Intellektuelle und Künstler zahlreiche politische Gruppierungen mit zugehörigen Publikationen gründeten.
Abgesehen von einem Abriss der künstlerisch-politischen Positionen in den dreißiger Jahren und einem Beitrag über die Kontroverse zwischen den beiden Surrealisten André Breton und Salvador Dalí um die Bewertung des Faschismus, nähert sich die Autorin ihrem Thema vor allem über einzelne Werke verschiedener Künstler.
Eines der anrührendsten Kapitel ist dasjenige über Marc Chagalls Bild „Die Revolution”, das 1937 anlässlich des zwanzigsten Jahrestags der russischen Revolution entstehen sollte. Dem Gemälde gingen viele Skizzen voraus, auf denen das Personal - Gaukler und Agitatoren zwischen sowjetischen Proletariern und Juden aus dem Schtetl - variiert.
Jutta Held beobachtet diese Veränderungen sehr genau und lässt sie überzeugend als Spiegel politischer Ereignisse erscheinen, die Chagall und seine Familie wohl auch persönlich betroffen haben, und später noch betrafen: Chagall hat das Bild um 1943 in drei Teile zerschnitten und stark übermalt.
Neue Historienbilder
Vorläuferin politischer Kunst im weitesten Sinne war die Historienmalerei, die im 19. Jahrhundert mit ihren Auftraggebern aus der Mode kam. Dennoch malte Picasso 1951 das Massaker in Korea und stellte sich damit motivgeschichtlich und kompositorisch unmittelbar in eine Reihe, die von Goya bis Manet reicht. Die Autorin führt in einem weiteren Kapitel diese rezeptionsgeschichtliche Reihe mit ihren subtilen Unterschieden, die die Idee des Historienbildes umkrempeln, über Picasso hinaus zu Asger Jorns „Stalingrad” weiter, und man folgt ihr gerne und interessiert.
Dass einen das Buch insgesamt dennoch enttäuscht, liegt daran, dass es entgegen der geweckten Erwartung keine Monographie zu diesem großen Thema ist, sondern, bis auf den Beitrag zu Max Ernsts „La horde de barbares”, eine Sammlung von Aufsätzen, die zwischen 1988 und 2001 - teilweise auch in ferneren Zusammenhängen - bereits erschienen sind und unter ihrem gemeinsamen Dach einen ziemlich heterogenen Eindruck hinterlassen. KARENA LÜTGE
JUTTA HELD: Avantgarde und Politik in Frankreich. Revolution, Krieg und Faschismus im Blickfeld der Künste. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2005. 250 Seiten, 67 s/w-Abbildungen, 39 Euro.
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Wie die Avantgarde Revolution und Krieg malte
Vor dem Sitzungssaal des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in New York hängt eine große Tapisserie nach Pablo Picassos monumentalem Gemälde „Guernica”, und sie hängt dort ganz bewusst, wenn auch manchmal ungünstig. Am 5. Februar 2003 meldete die New York Times, dass Mr. Powell die Welt schwerlich von der Notwendigkeit des Irak-Krieges überzeugen könne, wenn ihn die Kameras umgeben von verstümmelten Frauen, Kindern, Stieren und Pferden zeigten. Er sprach deshalb vor einem Tuch in UN-Blau, mit dem man „Guernica” verhängt hatte.
Das Monumentalgemälde „Guernica”, das Picasso unter dem Eindruck des Luftangriffs der Legion Condor auf die baskische Stadt für die Pariser Weltausstellung 1937 malte, war damals nicht einmal im Katalog abgebildet. Obwohl es stilistisch alles andere als allgemeinverständliche, massentaugliche Agitprop-Kunst ist, wurde es dennoch weltweit zu dem Antikriegsbild schlechthin, das auch rund siebzig Jahre später jeder kennt und versteht.
Die Kunsthistorikerin Jutta Held beschreibt in ihrem Buch über „Avantgarde und Politik in Frankreich”, wie Picassos Gemälde trotz seiner physischen und formalen Sperrigkeit gerade im Spannungsfeld verschiedener nationaler wie intellektueller Richtungen zu einer bis heute gültigen Ikone der politischen Malerei werden konnte.
Der Aufsatz ist einer von insgesamt elf Beiträgen, in denen sich die Autorin mit der politischen Haltung und dem Politikgehalt künstlerischer Aussagen der historischen Avantgarde beschäftigt. Trotz kleiner zeitlicher Abwege liegt der Schwerpunkt im Paris der Dreißiger Jahre, als die Stadt Zentrum und auch Fluchtpunkt der europäischen Avantgarde war, wo Intellektuelle und Künstler zahlreiche politische Gruppierungen mit zugehörigen Publikationen gründeten.
Abgesehen von einem Abriss der künstlerisch-politischen Positionen in den dreißiger Jahren und einem Beitrag über die Kontroverse zwischen den beiden Surrealisten André Breton und Salvador Dalí um die Bewertung des Faschismus, nähert sich die Autorin ihrem Thema vor allem über einzelne Werke verschiedener Künstler.
Eines der anrührendsten Kapitel ist dasjenige über Marc Chagalls Bild „Die Revolution”, das 1937 anlässlich des zwanzigsten Jahrestags der russischen Revolution entstehen sollte. Dem Gemälde gingen viele Skizzen voraus, auf denen das Personal - Gaukler und Agitatoren zwischen sowjetischen Proletariern und Juden aus dem Schtetl - variiert.
Jutta Held beobachtet diese Veränderungen sehr genau und lässt sie überzeugend als Spiegel politischer Ereignisse erscheinen, die Chagall und seine Familie wohl auch persönlich betroffen haben, und später noch betrafen: Chagall hat das Bild um 1943 in drei Teile zerschnitten und stark übermalt.
Neue Historienbilder
Vorläuferin politischer Kunst im weitesten Sinne war die Historienmalerei, die im 19. Jahrhundert mit ihren Auftraggebern aus der Mode kam. Dennoch malte Picasso 1951 das Massaker in Korea und stellte sich damit motivgeschichtlich und kompositorisch unmittelbar in eine Reihe, die von Goya bis Manet reicht. Die Autorin führt in einem weiteren Kapitel diese rezeptionsgeschichtliche Reihe mit ihren subtilen Unterschieden, die die Idee des Historienbildes umkrempeln, über Picasso hinaus zu Asger Jorns „Stalingrad” weiter, und man folgt ihr gerne und interessiert.
Dass einen das Buch insgesamt dennoch enttäuscht, liegt daran, dass es entgegen der geweckten Erwartung keine Monographie zu diesem großen Thema ist, sondern, bis auf den Beitrag zu Max Ernsts „La horde de barbares”, eine Sammlung von Aufsätzen, die zwischen 1988 und 2001 - teilweise auch in ferneren Zusammenhängen - bereits erschienen sind und unter ihrem gemeinsamen Dach einen ziemlich heterogenen Eindruck hinterlassen. KARENA LÜTGE
JUTTA HELD: Avantgarde und Politik in Frankreich. Revolution, Krieg und Faschismus im Blickfeld der Künste. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2005. 250 Seiten, 67 s/w-Abbildungen, 39 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gemischte Gefühle empfindet Karena Lütge für Jutta Helds Buch über politische Haltungen in der Kunst der Avantgarde. In elf Beiträgen nähert sich die Autorin vor allem über die einzelnen Werke verschiedener Künstler ihrem Schwerpunkt, dem Paris der dreißiger Jahre, lesen wir. Damit zeigt sie "sehr genau und überzeugend" die Kunst als den Spiegel politischer Ereignisse, findet die Rezensentin und ist besonders von dem Kapitel über Marc Chagalls Bild "Die Revolution" gerührt. Sie folgt der Autorin interessiert und mit großer Freude, muss dann aber doch kritisieren, dass es sich bei dem Buch nicht um eine von ihr erwartete Monografie handelt, sondern um eine Sammlung bereits erschienener Aufsätze. Das hinterlässt bei Lütge einen "ziemlich heterogenen Eindruck".
© Perlentaucher Medien GmbH
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