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Die Molekularküche gehört der Vergangenheit an. Im Trend liegt heute eine Küche, die sich an den Naturprodukten der nächsten Umgebung orientiert. Stefan Wiesner ist nicht nur ein Alchemist in der Küche, er ist auch einer der Trendsetter der Gastronomie schlechthin. Am Kongress 'Lo mejor de la gastronomia' 2010 in Alicante wurde er vom Fachpublikum mit dem derzeit besten Koch der Welt, Rene Redzepi aus Kopenhagen, verglichen. Für Stefan Wiesner ist das Wissen der Parfumeure über die Zusammensetzung von Duftfamilien und den gekonnten Einsatz von Modifikateuren, die als natürliche…mehr

Produktbeschreibung
Die Molekularküche gehört der Vergangenheit an. Im Trend liegt heute eine Küche, die sich an den Naturprodukten der nächsten Umgebung orientiert. Stefan Wiesner ist nicht nur ein Alchemist in der Küche, er ist auch einer der Trendsetter der Gastronomie schlechthin. Am Kongress 'Lo mejor de la gastronomia' 2010 in Alicante wurde er vom Fachpublikum mit dem derzeit besten Koch der Welt, Rene Redzepi aus Kopenhagen, verglichen. Für Stefan Wiesner ist das Wissen der Parfumeure über die Zusammensetzung von Duftfamilien und den gekonnten Einsatz von Modifikateuren, die als natürliche Geschmacksverstärker wirken, eine der wichtigsten Quellen auf dem Weg zu neuen Geschmackskombinationen. Dieses Wissen wird hier in einmaligen, neuen Rezeptkreationen umgesetzt und erstmals in einem umfangreichen Lexikon für die Küche erschlossen. Ein revolutionäres Kochbuch, das eine ganze Generation von Köchen beeinflussen wird.
Autorenporträt
Stefan Wiesner geboren und aufgewachsen in Escholzmatt im Entlebuch (Schweiz). Kochlehre, Tätigkeit in verschiedenen Betrieben, Rückkehr ins elterliche 'Rössli' in Escholzmatt und zusammen mit seiner Frau 1989 Übernahme des Gasthofs. 17 Punkte im Gault-Millau. Stefan Wiesner ist einer der originellsten Köche der Schweiz: Er gilt als 'Alchemist und Hexer in der Küche', Tüftler und poetisch-sinnlicher Künstler unter den Schweizer Spitzenköchen. Sein erstes Buch 'Gold Holz Stein' wurde mehrfach ausgezeichnet. Andrin C. Willi Ausbildung an der Hotelfachschule, mehrjährige Praxis in Fünfsternehotels in der Schweiz. Chefredakteur der Zeitschrift 'Salz & Pfeffer'. Redaktionsleiter der Weinzeitschrift 'Vinum', Reporter und heute auch Moderator von TV-Kochsendungen bei Radiotelevisiun Svizra Rumantscha. Seit 2006 ist er Chefredaktor von 'Marmite', der Zeitschrift für Ess- und Trinkkultur. Fotos: Michael Wissing
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Guru im Schafspelz

Stefan Wiesner kocht im Schweizer "Gasthof Rössli", aber wer jetzt biedere Küche der traditionellen Art erwartet, wird staunen, was Wiesners neues Buch bietet.

Es gibt einige wenige Köche, deren Arbeit selbst für einen eingefleischten Freund der Avantgarde nicht ganz einfach einzuordnen ist - zumindest, wenn es nur aus der Ferne, vom Hörensagen oder bei der Lektüre der Rezepturen geschieht. Stefan Wiesners Restaurant im schweizerischen Escholzmatt heißt zu allem Überfluss auch noch "Gasthof Rössli", sieht auch so aus wie ein solcher und liegt ganz normal an einer Durchgangsstraße. Der Meister selbst ist ein ruhiger, konzentrierter, sehr mit seiner Sache beschäftigter Kopf, dem man seine teilweise extrem ungewöhnlichen Ansätze nicht ohne weiteres ansieht. Wenn man es nicht falsch verstehen könnte, würde man sagen: ein Guru im Schafspelz.

Nun hat Wiesner ein neues Buch veröffentlicht, in dem in wahrlich massiver Dichte ein autochthones kulinarisches Weltbild auf den Leser einprasselt (Stefan Wiesner: "Wiesner - Avantgardistische Naturküche". AT-Verlag, Aarau und München 2011). Die einleitenden Texte machen es dem Leser nicht unbedingt leichter. Grundlegende Gedanken zu einem Gericht könnten bei Wiesner einem der folgenden Gebiete entstammen, heißt es da: Alchemie, Astrologie, Anthroposophie, Chemie, Dendrologie (Baumkunde), Magie, Mystik, Musik, Mythen, Parfümerie und Spagyrik. Und dann sieht man eine Seite später Wiesner wie einen Waldarbeiter mit einer Motorsäge nebst Helm die Bäume musternd über einen Waldweg gehen. Nimmt man noch dazu, dass seine Küche durchaus unter normalen Aspekten gut schmeckt und ihm mittlerweile einen Michelin-Stern eingebracht hat, ist das ziemlich große Feld angedeutet.

Die Erläuterungen zu diesen diversen Gebieten sind meist an Porträts entsprechender Ratgeber gekoppelt und nehmen nur begrenzten Raum ein. Es handelt sich also um kein esoterisches Kochbuch, sondern um eines, in dem der Koch einen Einblick in seine Inspirationen gibt. Eher funktionale Aspekte, wie sie zum Beispiel diverse Ayurveda-Kochbücher bestimmen, spielen keine wesentliche Rolle.

Das auffälligste Merkmal der Küche Wiesners ist die Verwendung einer ganzen Reihe von ungewöhnlichen Naturmaterialien, Kochtechniken und Akkorden. Anstelle von Rezepttiteln gibt es aussagekräftige Aufzählungen - hier einmal in Originallänge: "Buchenholzparfümiertes Eigelb, in Frühlingsbutter konfiert, Kartoffel-Buchenblätter-Püree, Sauce aus der Grünen Fee, Rahmsauce mit Buchenholzkohlen-Destillat, buchenholzparfümierte Kartoffelchips, frittierte Frauenminze und Buchenholzkohlen-Meersalz". Produkte, Materialien oder Elemente dieser schon lange sehr originellen Nova-Regio-Küche sind etwa Rottannenschwarte, Birkenteeröl, Edelkastanien-Asche, mit Karamell überzogene Weidenzweige, frittierte Fischknochenchips, Joghurt-Eisenrost-Eis (ja, es wird dafür eigens Rost erzeugt), Steine als Suppeneinlage, Mousse aus unreifen Zwetschgen, Zitronenschalensauce mit Elemiharz (Ölbaumharz), Rottannenkambium, mit geraspeltem Mooreichenholz bestäubter Filoteig, Frauenfarnjus oder weißer Eichenflecken-Krokant.

Die Rezepte sind optisch nicht unbedingt besonders auffällig oder gar forciert angerichtet. Es wird deutlich, dass Wiesner keineswegs schockieren oder - wie manch anderer Avantgardist - bizarre Bilder produzieren will, die das Zeug zu medialen Ikonen hätten. Dem Bild eines angerichteten Tellers gegenüber findet sich jeweils eines mit einer Auswahl der unbearbeiteten Zutaten, die - wie im Falle des Gamsragouts mit Rottannenkambium, mit Baumpilz-Rottannenschnitzeln geräuchertem Aal und der Zitronenschalensauce mit Elemiharz - auf diese Weise noch alternativer wirken.

Was die Konstruktion angeht, stellt Wiesner in den Mittelpunkt einer Kreation oft normale Produkte, die er einer sehr individuellen Aromatisierung unterwirft. Die Elemente entsprechen kaum jemals verbreiteten Geschmacksbildern, was in der Summe zu beträchtlichen Abweichungen selbst von den Standards der Mainstream-Avantgarde führt (wenn man die einmal vergröbernd so nennen darf). Aber das ist nur ein Teil des Zusammenhangs. Im einzelnen haben die Aromatisierungen unterschiedliche Evidenzen, wobei die Spannbreite von eindeutigen (wie etwa ein mit Torf geräuchertes Hühnerei) bis zu minimalen (wie etwa bei der "Kuhfleischsuppe mit Steinen von der Weidenbergalp") reicht. Falls sich ein Gast im "Rössli" fragen sollte, um welche Kleider des Kaisers es sich denn hier eigentlich handelt, wird man Verständnis haben müssen.

Aber gemach, ganz so einfach ist das nicht. Der je nach Vorinformation des Essers gewaltige assoziative Hintergrund kann natürlich Auswirkungen haben, wird aber im Grunde nicht wirklich benötigt, weil es für die differenzierte Wirkung dieser Küche Erklärungen gibt. Dass sich die vielen kleinen Abweichungen zu einem Geschmacksbild von klarer Individualität summieren, hat seine Gründe nicht unbedingt im Wirken der deutlich wahrnehmbaren Aromen an der Oberfläche. Wiesner ist - ob mit Absicht oder nicht - sozusagen ein begnadeter Oberton-Koch. Neben den auffälligen Hauptaromen der Produkte oder eines Akkordes gibt es eine Vielzahl von Teilaromen. Sie können sich ebenso wie die Hauptaromen zu neuen Aromen zusammenfügen, die wir nicht oder kaum identifizieren können, die uns aber den Eindruck eines originellen oder fremdartigen Geschmacksbildes vermitteln.

Dass Wiesner konsequent mit mehreren, jeweils ein wenig vom Üblichen abweichenden Elementen arbeitet, ergibt dabei ausgesprochen viel Sinn. Ein oder zwei dezente Hintergrundaromen werden kaum eine große Wirkung entfalten. Sind es aber sechs, acht oder mehr, ergibt sich oft ein deutlich verändertes Geschmacksbild. Und weil dies zu solch bemerkenswerten Ergebnissen führt, haben auch exaltiert scheinende Zutaten wie die tatsächlich frisch gerosteten Nägel oder die Steine in der Suppe unter Umständen eine klare kulinarische Funktion. Der Verlag nennt das Werk "ein revolutionäres Kochbuch". Das kann schon sein.

JÜRGEN DOLLASE

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