''Schreckliche Leben sind der größte Glücksfall', schreibt die 16jährige Mifti in ihr Tagebuch. Seit dem Tod ihrer Mutter lebt sie in Berlin, und als 'pseudo-belastungsgestörtes' Problemkind durchläuft sie nach 'Jahren der Duldungsstarre' gerade eine extrem negative Entwicklung.
'Obwohl intelligent und gut situiert, nimmt sie Drogen, verweigert die Schule und hat sogar Argumente dafür. Anstatt sich an Konventionen abzuarbeiten hinterfragt und analysiert sie nämlich permanent die gesellschaftliche Situation, in der sie sich befindet. Sie wohnt bei ihren wohlstandsverwahrlosten Halbgeschwistern und ihr Vater steckt noch immer in seiner frühkindlichen Allmachtsphase. Freiheit und Selbstzerstörung fallen zusammen und Mifti entlarvt in ihren von Wahn und Genie geprägten Zwischenwelten Sprache, Lebensentwürfe und Vorgegebenheiten der Erwachsenen. Sie kokettiert mit ihrer Kaputtheit und sucht im 'allgemeinen Dahinschimmeln' nach einem Zugriff auf ihr eigenes Leben. Der siebzehnjährigen Helene Hegemann ist ein sprachmächtiges, kluges Debüt über einen Zustand gelungen, in dem Traum, Alptraum und knallharte Realität nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
'Obwohl intelligent und gut situiert, nimmt sie Drogen, verweigert die Schule und hat sogar Argumente dafür. Anstatt sich an Konventionen abzuarbeiten hinterfragt und analysiert sie nämlich permanent die gesellschaftliche Situation, in der sie sich befindet. Sie wohnt bei ihren wohlstandsverwahrlosten Halbgeschwistern und ihr Vater steckt noch immer in seiner frühkindlichen Allmachtsphase. Freiheit und Selbstzerstörung fallen zusammen und Mifti entlarvt in ihren von Wahn und Genie geprägten Zwischenwelten Sprache, Lebensentwürfe und Vorgegebenheiten der Erwachsenen. Sie kokettiert mit ihrer Kaputtheit und sucht im 'allgemeinen Dahinschimmeln' nach einem Zugriff auf ihr eigenes Leben. Der siebzehnjährigen Helene Hegemann ist ein sprachmächtiges, kluges Debüt über einen Zustand gelungen, in dem Traum, Alptraum und knallharte Realität nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2012Rappen im Séparée der Süchtigen
Vor zwei Jahren erhitzte ihr Roman "Axolotl Roadkill" den deutschen Literaturbetrieb. Inzwischen ist die Autorin volljährig. Ein Abend in Berlin-Mitte mit Helene Hegemann
Ein bisschen Selbstzerstörung ist vollkommen angemessen." Helene Hegemann spricht nicht vom exzessiven Ketamin- oder Kokain-durch-die-NaseZiehen, das sie in ihrem Roman "Axolotl Roadkill" beschreibt, sondern von der täglichen Packung Zigaretten. Die Schriftstellerin ist bekennende Kettenraucherin. Mittags in einem französischen Restaurant auf der Torstraße beginnt ein Treffen, das am späten Abend in einem gesetzten Alkoholrausch enden soll. Zunächst aber alles wahnsinnig gesittet: Wasser, Rotwein und Entrecote - und natürlich die Frage, ob Hegemann den rufschädigenden Medienwirbel um ihre Person mittlerweile verkraftet hat. Denn nach der Veröffentlichung ihres Romans wurde die Schriftstellerin zunächst als Literaturwunderkind gehypt; als aber bekannt geworden war, dass sie sich ohne Hinweis einiger Sätze fremder Autoren bedient hatte, verwandelte sich der feuilletonistische Zuspruch in ein Gewitter aus Empörung, Schadenfreude und Beleidigungen.
Helene Hegemann sagt, dass sie schnell begriffen habe, dass das Geschriebene nichts mit ihr als Mensch oder mit ihrem Roman zu tun hat, und sie die Verrisse daher ignorieren konnte. Tatsächlich wurde ihr "Axolotl Roadkill" immer wieder völlig falsch und gerne als eine Stellvertreter-Geschichte über das verhurte Berliner Nachtleben verstanden. Nun ist aber der Roman nicht das Buch einer Generation, sondern eher eine Performance, welche die Klischees pseudojugendlicher Wildheit parodiert. Der Roman schwebt zwischen Theater und Film: In einer Reihe aneinandergeklebter Szenen erzählt "Axolotl Roadkill", brutal aufgeschrieben, die Geschichte der 16-jährigen Mifti, die in Berlins "versnobter Kaputtheit" herumirrt. Die Missverständnisse der Rezeption gründen vermutlich darin, dass sich die Schriftstellerin ab und zu der Settings des Berliner Nachtlebens bediente und ältere Kritiker die Überzeichnungen des Geschilderten nicht begriffen. "Natürlich ist es leichter und unterhaltsamer, eine Szene zu schreiben, die im ,Berghain' und nicht in einer Reihenhaussiedlung in Mecklenburg-Vorpommern spielt, vor allem weil man eine Person, die jenseits der vorgegebenen Standards versucht zu existieren, sehr viel besser in einer Welt porträtieren kann, die nichts mit Standards zu tun hat."
Helene Hegemann zündet sich die nächste Zigarette an und gesteht, dass sie nicht immer so cool auf die Kritiken reagieren konnte: "Manchmal, wenn mir Bekannte ungefragt aus Artikeln zitierten, wollte ich doch sehr gerne das Gartenhaus des einen oder anderen bayerischen Chefredakteurs abfackeln." Die Schriftstellerin lächelt, spricht leise und verfällt manchmal ins Radikale, das durch ihren Gestus aber merkwürdig elegant klingt. Im Gespräch sind ihre Sätze oft so sperrig und durchdacht wie die im Roman. Und genau das ist das Besondere an "Axolotl Roadkill": die Sprache. Der Sound bleibt stets rhythmisch, egal ob es ums Ficken oder um Agamben geht. Es ist eine blutrünstige und apokalyptische Sprache, die nicht die geringste Furcht vor den schrecklichsten Perversionen zeigt. So beschreibt Mifti ihre Gewaltphantasien gegen Ende des Romans folgendermaßen: "Mir bereitet es keine Schwierigkeiten, dabei zuzusehen, wie einer Sechsjährigen bei vollem Bewusstsein gleichzeitig mit kochendem Schwefel die Netzhaut ausgebrannt und irgendein Schwanz in den Arsch gerammt wird, und danach verblutet sie halt mit weit geöffneten Augen auf einem Parkplatz." Sätze wie diese zeigen auch, dass es sich bei "Axolotl Roadkill" um eine Performance handeln muss, denn laut Kunsttheorie ist das performative Konzept ja dazu da, jegliche Regelästhetik zu überschreiten.
Die Performance ist Ausdruck einer künstlerischen Lebenssituation, welche die Trennbarkeit von Künstler und Werk befragt. So wie "Axolotl Roadkill". Nun könnte sich spätestens an dieser Stelle und nach der zweiten Flasche Wein die Frage aufdrängen, wie viel Mifti in Helene Hegemann steckt. Oberflächlich betrachtet, gibt es in ihrer Biographie durchaus Parallelen zu der ihrer Protagonistin, dennoch sind diese vollkommen irrelevant, denn der Roman wäre ebenso bemerkenswert, wenn die Schriftstellerin tatsächlich ein Abbild der destruktiven und wilden Heranwachsenden aus "Axolotl Roadkill" wäre.
Die Schriftstellerin, so zurückhaltend, erwachsen und ehrlich, wie sie mir im Restaurant gegenübersitzt, kann aber auf keinen Fall das Berlin-Mitte-Wesen Mifti darstellen. Ihre Protagonistin ist ein Mädchen, das sich bewusst zum Leben im Exzess entschließt und auch nicht einfach so aus unglücklichen Umständen in eine Heroinsucht abrutscht wie einst Christiane F. in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". In Sätzen wie "Ich bin wild aufgewachsen, und ich will wild bleiben" wird klar, dass Miftis Entscheidung für das braune Pulver eine bewusste Entscheidung für ein Leben abseits der Norm ist. Mitleid ist daher unangebracht.
Wild wirkt Helene Hegemann nicht gerade. Sie trägt einen grauen Pullover zu Jeans und pflegt einige fast kleinbürgerliche Züge. So sucht sie zurzeit nach einer ordentlichen Putzfrau: "Es gibt so schreckliche Momente im Leben, alles ist kurz vor dem kompletten Zerfall, alles läuft schief, und dann zertrümmerst du noch unabsichtlich einen Teller, und in diesen Situationen gibt der Gedanke daran, dass jemand kommt und zumindest die Wohnung in Ordnung bringt, wirklich Halt." Helene Hegemann reagiert auf jede Frage so schnell, wie sich die Gespräche in ihrem Roman abspielen: Die Dialoge in "Axolotl Roadkill" sind präzise, ehrlich und rabiat - egal, ob es um Aids, die tote Mutter oder nur um ein kaputtes Regal geht.
Auf einen Digestif folgt unsere Entscheidung, das "Grill Royal" an der Friedrichstraße anzusteuern. Auch dieses Restaurant findet in "Axolotl Roadkill" Erwähnung. Kurz nach dem Betreten des Etablissements stellt Hegemann fest: "Das alles hier ist wie ein großer Autounfall, eigentlich ganz schrecklich, aber man muss trotzdem hinschauen." Entschlossen geht sie in Richtung Raucherbereich. Im Séparée für die Süchtigen sitzt zum Glück niemand. Jetzt also Gin Tonic. Nach einem großen Schluck schließt die Jungautorin mit beachtlicher Selbstverständlichkeit ihr zertrümmertes iPhone an die Boxen der Anlage an und - zum ersten Mal ist sie abseits der Norm, weil betrunken - rappt zu einem Song von Azealia Banks, perfekt auf Takt, Wort und Geste. Die Schriftstellerin kann es sich selbst nicht erklären, warum sie es mit ihrem Vorsingen bei "Starsearch" im Alter von elf nicht ins Fernsehen geschafft hat. "Dafür ist Bill Kaulitz in derselben Staffel weitergekommen." Die Geschichte um Helene Hegemanns Teenagerdasein als Castingshow-Junkie ist ebenfalls Indiz dafür, dass es keinen Grund gibt, sie mit ihrer wohlstandsverwahrlosten Protagonistin zu verwechseln. Sie ist, bis auf die Tatsache, dass sie die Schule geschmissen und mit 16 einen genialen Bestsellerroman geschrieben hat, vollkommen normal. Heute Nacht allerdings betrunken. Auch das ist vollkommen normal, denn alles andere wäre nach den Mengen von Alkohol das Bekenntnis einer versierten Trinkerin.
ANNA PRIZKAU
Helene Hegemann: "Axolotl Roadkill". Roman. Ullstein 2010, 208 Seiten, 14,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor zwei Jahren erhitzte ihr Roman "Axolotl Roadkill" den deutschen Literaturbetrieb. Inzwischen ist die Autorin volljährig. Ein Abend in Berlin-Mitte mit Helene Hegemann
Ein bisschen Selbstzerstörung ist vollkommen angemessen." Helene Hegemann spricht nicht vom exzessiven Ketamin- oder Kokain-durch-die-NaseZiehen, das sie in ihrem Roman "Axolotl Roadkill" beschreibt, sondern von der täglichen Packung Zigaretten. Die Schriftstellerin ist bekennende Kettenraucherin. Mittags in einem französischen Restaurant auf der Torstraße beginnt ein Treffen, das am späten Abend in einem gesetzten Alkoholrausch enden soll. Zunächst aber alles wahnsinnig gesittet: Wasser, Rotwein und Entrecote - und natürlich die Frage, ob Hegemann den rufschädigenden Medienwirbel um ihre Person mittlerweile verkraftet hat. Denn nach der Veröffentlichung ihres Romans wurde die Schriftstellerin zunächst als Literaturwunderkind gehypt; als aber bekannt geworden war, dass sie sich ohne Hinweis einiger Sätze fremder Autoren bedient hatte, verwandelte sich der feuilletonistische Zuspruch in ein Gewitter aus Empörung, Schadenfreude und Beleidigungen.
Helene Hegemann sagt, dass sie schnell begriffen habe, dass das Geschriebene nichts mit ihr als Mensch oder mit ihrem Roman zu tun hat, und sie die Verrisse daher ignorieren konnte. Tatsächlich wurde ihr "Axolotl Roadkill" immer wieder völlig falsch und gerne als eine Stellvertreter-Geschichte über das verhurte Berliner Nachtleben verstanden. Nun ist aber der Roman nicht das Buch einer Generation, sondern eher eine Performance, welche die Klischees pseudojugendlicher Wildheit parodiert. Der Roman schwebt zwischen Theater und Film: In einer Reihe aneinandergeklebter Szenen erzählt "Axolotl Roadkill", brutal aufgeschrieben, die Geschichte der 16-jährigen Mifti, die in Berlins "versnobter Kaputtheit" herumirrt. Die Missverständnisse der Rezeption gründen vermutlich darin, dass sich die Schriftstellerin ab und zu der Settings des Berliner Nachtlebens bediente und ältere Kritiker die Überzeichnungen des Geschilderten nicht begriffen. "Natürlich ist es leichter und unterhaltsamer, eine Szene zu schreiben, die im ,Berghain' und nicht in einer Reihenhaussiedlung in Mecklenburg-Vorpommern spielt, vor allem weil man eine Person, die jenseits der vorgegebenen Standards versucht zu existieren, sehr viel besser in einer Welt porträtieren kann, die nichts mit Standards zu tun hat."
Helene Hegemann zündet sich die nächste Zigarette an und gesteht, dass sie nicht immer so cool auf die Kritiken reagieren konnte: "Manchmal, wenn mir Bekannte ungefragt aus Artikeln zitierten, wollte ich doch sehr gerne das Gartenhaus des einen oder anderen bayerischen Chefredakteurs abfackeln." Die Schriftstellerin lächelt, spricht leise und verfällt manchmal ins Radikale, das durch ihren Gestus aber merkwürdig elegant klingt. Im Gespräch sind ihre Sätze oft so sperrig und durchdacht wie die im Roman. Und genau das ist das Besondere an "Axolotl Roadkill": die Sprache. Der Sound bleibt stets rhythmisch, egal ob es ums Ficken oder um Agamben geht. Es ist eine blutrünstige und apokalyptische Sprache, die nicht die geringste Furcht vor den schrecklichsten Perversionen zeigt. So beschreibt Mifti ihre Gewaltphantasien gegen Ende des Romans folgendermaßen: "Mir bereitet es keine Schwierigkeiten, dabei zuzusehen, wie einer Sechsjährigen bei vollem Bewusstsein gleichzeitig mit kochendem Schwefel die Netzhaut ausgebrannt und irgendein Schwanz in den Arsch gerammt wird, und danach verblutet sie halt mit weit geöffneten Augen auf einem Parkplatz." Sätze wie diese zeigen auch, dass es sich bei "Axolotl Roadkill" um eine Performance handeln muss, denn laut Kunsttheorie ist das performative Konzept ja dazu da, jegliche Regelästhetik zu überschreiten.
Die Performance ist Ausdruck einer künstlerischen Lebenssituation, welche die Trennbarkeit von Künstler und Werk befragt. So wie "Axolotl Roadkill". Nun könnte sich spätestens an dieser Stelle und nach der zweiten Flasche Wein die Frage aufdrängen, wie viel Mifti in Helene Hegemann steckt. Oberflächlich betrachtet, gibt es in ihrer Biographie durchaus Parallelen zu der ihrer Protagonistin, dennoch sind diese vollkommen irrelevant, denn der Roman wäre ebenso bemerkenswert, wenn die Schriftstellerin tatsächlich ein Abbild der destruktiven und wilden Heranwachsenden aus "Axolotl Roadkill" wäre.
Die Schriftstellerin, so zurückhaltend, erwachsen und ehrlich, wie sie mir im Restaurant gegenübersitzt, kann aber auf keinen Fall das Berlin-Mitte-Wesen Mifti darstellen. Ihre Protagonistin ist ein Mädchen, das sich bewusst zum Leben im Exzess entschließt und auch nicht einfach so aus unglücklichen Umständen in eine Heroinsucht abrutscht wie einst Christiane F. in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". In Sätzen wie "Ich bin wild aufgewachsen, und ich will wild bleiben" wird klar, dass Miftis Entscheidung für das braune Pulver eine bewusste Entscheidung für ein Leben abseits der Norm ist. Mitleid ist daher unangebracht.
Wild wirkt Helene Hegemann nicht gerade. Sie trägt einen grauen Pullover zu Jeans und pflegt einige fast kleinbürgerliche Züge. So sucht sie zurzeit nach einer ordentlichen Putzfrau: "Es gibt so schreckliche Momente im Leben, alles ist kurz vor dem kompletten Zerfall, alles läuft schief, und dann zertrümmerst du noch unabsichtlich einen Teller, und in diesen Situationen gibt der Gedanke daran, dass jemand kommt und zumindest die Wohnung in Ordnung bringt, wirklich Halt." Helene Hegemann reagiert auf jede Frage so schnell, wie sich die Gespräche in ihrem Roman abspielen: Die Dialoge in "Axolotl Roadkill" sind präzise, ehrlich und rabiat - egal, ob es um Aids, die tote Mutter oder nur um ein kaputtes Regal geht.
Auf einen Digestif folgt unsere Entscheidung, das "Grill Royal" an der Friedrichstraße anzusteuern. Auch dieses Restaurant findet in "Axolotl Roadkill" Erwähnung. Kurz nach dem Betreten des Etablissements stellt Hegemann fest: "Das alles hier ist wie ein großer Autounfall, eigentlich ganz schrecklich, aber man muss trotzdem hinschauen." Entschlossen geht sie in Richtung Raucherbereich. Im Séparée für die Süchtigen sitzt zum Glück niemand. Jetzt also Gin Tonic. Nach einem großen Schluck schließt die Jungautorin mit beachtlicher Selbstverständlichkeit ihr zertrümmertes iPhone an die Boxen der Anlage an und - zum ersten Mal ist sie abseits der Norm, weil betrunken - rappt zu einem Song von Azealia Banks, perfekt auf Takt, Wort und Geste. Die Schriftstellerin kann es sich selbst nicht erklären, warum sie es mit ihrem Vorsingen bei "Starsearch" im Alter von elf nicht ins Fernsehen geschafft hat. "Dafür ist Bill Kaulitz in derselben Staffel weitergekommen." Die Geschichte um Helene Hegemanns Teenagerdasein als Castingshow-Junkie ist ebenfalls Indiz dafür, dass es keinen Grund gibt, sie mit ihrer wohlstandsverwahrlosten Protagonistin zu verwechseln. Sie ist, bis auf die Tatsache, dass sie die Schule geschmissen und mit 16 einen genialen Bestsellerroman geschrieben hat, vollkommen normal. Heute Nacht allerdings betrunken. Auch das ist vollkommen normal, denn alles andere wäre nach den Mengen von Alkohol das Bekenntnis einer versierten Trinkerin.
ANNA PRIZKAU
Helene Hegemann: "Axolotl Roadkill". Roman. Ullstein 2010, 208 Seiten, 14,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Eine "schrille Sinfonie", ein "Kugelblitz in Prosaform", staunt Ursula März über den Debütroman der siebzehnjährigen Autorin, deren Leben ihren Informationen zufolge bereits ein "volles Künstlerprogramm" ist. Zwar findet sie manches an dem Buch auch nervtötend, etwa den "Fickundkotz-Jargon" oder den "nicht minder gewollten Theoriejargon". Dem disharmonischen Gesamtklang des Romans jedoch bescheinigt sie, eine packende Mischung aus "schwärzester Verzweiflung" und "spinnerter Vergnügung" zu sein und hört gar das Grundgeräusch unserer Gegenwart aus dem Buch dringen. Es handelt sich, wie man liest, um die "hemmungslose, halluzinatorische Entladung" eines traumatisierten Bewusstseins sowie die gleichzeitige Parodie davon, ordnet die Kritikerin die Geschichte der jungen Mifti ein, die in chaotischen Intellektuellenverhältnissen am Prenzlauer Berg lebt und Helene Hegemanns Protagonistin ist. Es handele sich auch um keinen klassischen Entwicklungsroman, aber immerhin doch um etwas Ähnliches. Hegemanns Stärke sei das situative, szenische, aber auch manch ausgeklügelte Idee, wie das Motiv des Axolotl, für das die Kritikerin dieser Autorin manche Schwäche des Romans locker verzeiht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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