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Yasmina Rezas neuer Roman führt in die Abgründe einer Paarbeziehung - hinreißend komisch wie schon »Der Gott des Gemetzels«
Elisabeth gibt eine Frühlingsparty. Sie ist keine erfahrene Gastgeberin und ziemlich nervös. Doch es scheint alles gut zu gehen, bis sich Jean-Lino und Lydie, die Nachbarn von oben, wegen eines Bio-Hühnchens in die Haare kriegen. Als Elisabeth und ihr Mann schon im Bett liegen, klingelt es. Es ist Jean-Lino, der sagt, dass er Lydie erwürgt hat. Er bittet Elisabeth, mit ihm die Leiche aus dem Haus zu schaffen. Yasmina Reza hat einen glänzenden Roman geschrieben, der in…mehr

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Produktbeschreibung
Yasmina Rezas neuer Roman führt in die Abgründe einer Paarbeziehung - hinreißend komisch wie schon »Der Gott des Gemetzels«

Elisabeth gibt eine Frühlingsparty. Sie ist keine erfahrene Gastgeberin und ziemlich nervös. Doch es scheint alles gut zu gehen, bis sich Jean-Lino und Lydie, die Nachbarn von oben, wegen eines Bio-Hühnchens in die Haare kriegen. Als Elisabeth und ihr Mann schon im Bett liegen, klingelt es. Es ist Jean-Lino, der sagt, dass er Lydie erwürgt hat. Er bittet Elisabeth, mit ihm die Leiche aus dem Haus zu schaffen. Yasmina Reza hat einen glänzenden Roman geschrieben, der in die Abgründe einer Paarbeziehung führt und von einer ganz besonderen Freundschaft erzählt.
Autorenporträt
Yasmina Reza, 1959 geboren, ist Autorin, Regisseurin und die meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin überhaupt. Ihre Romane und Theaterstücke wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt, 'Der Gott des Gemetzels' 2011 mit großem Erfolg mit Jodie Foster, Kate Winslet und Christoph Waltz verfilmt. Im Fischer Taschenbuch liegen ebenfalls vor: 'Adam Haberberg', 'Eine Verzweiflung', 'Frühmorgens, abends oder nachts' und 'Glücklich die Glücklichen' und  'Babylon'. Für ihr Werk wurde sie zuletzt mit dem Jonathan-Swift-Preis 2020 und dem Premio Malaparte 2021 ausgezeichnet. Frank Heibert (geb. 1960) übersetzt seit 1983 aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Portugiesischen, unter anderem William Faulkner, Raymond Chandler, Raymond Queneau, Don DeLillo, George Saunders und Richard Ford. Er wurde mit dem Ledig-Rowohlt-Preis für literarische Übersetzer, dem Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet. Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, übersetzt Belletristik und Theaterstücke aus dem Französischen, Italienischen und Norwegischen, darunter Werke von Jon Fosse, Henrik Ibsen, Jean Echenoz, Louis-Ferdinand Céline, Yasmina Reza, Stefano Benni und Massimo Carlotto. Er ist u.a. Träger des Jane-Scatcherd-Preises der Ledig-Rowohlt-Stiftung, des Paul-Celan-Preises und des Deutschen Jugendliteraturpreises.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2017

Die Eskalationsschraube hakt
Das Grauen hinter schöner Fassade kennt man von Yasmina Reza: Ihr Roman "Babylon" birgt dennoch Überraschungen

"Es ist nichts Reines in den menschlichen Beziehungen." Der Schlüsselsatz fällt kurz vor Schluss. Fallbeilartig. Er liest sich wie eine brutale Zusammenfassung dessen, was über zweihundert Seiten ausgeführt wurde. Wie ein apodiktischer Urteilsspruch, nachdem in einem langwierigen Verfahren mit großer Sorgfalt das Für und Wider erwogen, in die eine wie die andere Richtung argumentiert worden war. Auf der Anklagebank sitzt - wie immer bei dieser Autorin - das Personal des spätbürgerlichen Alltagslebens. Es fröstelt ein wenig, schiebt nervös einen Fuß über den anderen und tut ganz unschuldig. In Wahrheit aber hat es schwer etwas verbrochen, versteckt sich hinter der liebreizenden Fassade das pure Grauen.

Die französische Schriftstellerin Yasmina Reza hat sich auf die Enttarnung der bourgeoisen Lebenslüge spezialisiert: Vor allem in ihren Theaterstücken wird die Beschreibung der unvorhersehbaren Aggression, des jähen Ausbruchs zur Perfektion getrieben. Dieser Moment, wenn auf einmal alle Sicherungen durchbrennen, die letzten Grenzen durchbrochen werden. In ihrer feinsinnigen Gesellschaftsfarce "Kunst" reicht die abfällige Bemerkung über ein modernes Gemälde aus, um das lebenslange Vertrauensverhältnis zwischen drei Freunden vollkommen auf den Kopf zu stellen, in dem - auch als Verfilmung erfolgreichen - Stück "Gott des Gemetzels" ist eine Prügelei der Kinder Anlass dafür, dass ein Treffen der jeweiligen Erziehungsberechtigten außer Rand und Band gerät. Die emotionale Eskalationsschraube in wenigen Dialogsequenzen immer fester zu ziehen, darin ist Reza eine Meisterin. Die eigentliche Handlung ist meistens recht banal, aber was darin an Pointenpingpong geboten wird, ist fast immer mitreißend und aufwühlend.

Auch in ihrem neuen Roman "Babylon" weisen zunächst alle Vorzeichen in diese Richtung: Die zweiundsechzigjährige Patentingenieurin Elisabeth gibt zusammen mit ihrem Mann Pierre eine Frühlingsparty in ihrer Wohnung, zu der sie auch ihre Obernachbarn Jean-Lino und Lydie einlädt. Staudensellerie wird gereicht, Champagner-Etiketten werden gemustert - die Stimmung ist trotzdem schal: "Kein Wort konnte sich aufschwingen. Kein Dialog kam in Gang. Am Ende jedes Satzes lauerte die Stille." Dann fallen draußen plötzlich Schneeflocken vom Himmel, und drinnen steigt die Temperatur: Als Lydie sich erkundigt, ob das Geflügel im "pikanten Hühnchen-Cake" aus biologischer Aufzucht stamme, wittert ihr Ehemann die Chance, sich auf Kosten der Partnerin in Szene zu setzen, sie zu necken und vorzuführen, um das gelangweilte Partypublikum zu amüsieren. Er erzählt ein paar Anekdoten über den Bio-Wahn seiner Frau, die allen Ernstes nur Hühner essen wolle, die auf Bäume fliegen konnten. Zur Untermalung ihrer Idiotie macht Jean-Lino ein paar alberne Gackergeräusche samt Flatterbewegungen und genießt die Lacher der Gäste, während das Gesicht seiner Frau langsam vereist. Keine große Sache, nur ein bisschen zu weit gegangen. Ein kleiner Fauxpas, nichts weiter.

Aber bei Reza wird aus der Mücke (beziehungsweise dem Hühnchen) natürlich gleich wieder ein Elefant. Überraschend ist nur, dass die Eskalation dieses Mal nicht im spannungsreichen Modus der Konversation stattfindet, sondern recht unprätentiös direkt in eine brachiale Tat mündet: Jean-Lino erwürgt seine beleidigte Frau, nachdem sie dem kranken Hauskater aus Frust einen gewaltigen Fußtritt versetzt.

Der Rest der Handlung setzt sich aus verschiedenen Versatzstücken einer klassischen Kriminalgeschichte zusammen. Die Leiche soll nachts im Koffer aus dem Haus geschafft werden, eine potentiell belastende Zeugin tritt unerwartet auf, die Polizei kommt, ein Verhör findet statt. Erzählt wird das alles in einem unbestechlich präzisen Ton. Aber was fehlt, ist die Pointe. Dass ein Bio-Hühnchen zum Ehemord führt, ist ja nicht mehr als morbider Sarkasmus. Was dahinter an Gesellschaftskritik steckt, erschließt sich nicht recht. Denn was wird hier eigentlich kritisiert? Die elitäre Bio-Ideologie? Das langweilige Partyleben einer bürgerlichen Oberschicht? Oder am Ende gar die schläfrige Selbstzufriedenheit einer linksliberalen Meinungshoheit? "Sämtliche linken Überzeugungen kommen mir nach und nach abhanden", gesteht an einer Stelle ein Partygast, worauf eine andere Besucherin triumphierend erwidert: "Mir kann das nicht passieren, ich habe nie welche besessen."

Überzeugend wird dieser Roman erst jenseits von Rahmenhandlung und Dialogszenen. In scheinbar nebensächlichen Exkursen, den vielen detailsicheren Beobachtungen à part. Wie sich Elisabeth im Verhör an ihre Kindheit erinnert, an die Jukebox im Café, das Michel-Polnareff-Konzert und den Vater, der ihren Freundinnen manchmal an den Hintern oder die Brüste fasste. "Ich habe mich oft für meinen Vater geschämt, habe es aber nie über mich gebracht, gegen ihn zu sein."

Auffallend sind auch die innigen Beschreibungen der Natur: "wie die Landschaft den Menschen beleuchtet". Reza, die sonst immer nur auf das Innen, die Enge der Wohnung fixiert war, macht sich hier frei von den Fängen ihrer eigenen Rezeption. Schreibt immer wieder über die einsamen Straßenzüge, die "unvorbereiteten Räume" aus Robert Franks Fotoband "The Americans" und zitiert den italienischen Surrealisten Dino Buzzati mit einem staunenden Wort zur "Unveränderlichkeit der Berge".

Yasmina Reza, die den gesellschaftskomödiantischen Boulevard auf dem Theater wiederbelebt hat, ohne deren Einfluss jüngere Dramatiker wie Joël Pommerat oder Ayad Akhtar nicht denkbar wären, hat einen Roman geschrieben, der sich gegen ihr eigenes Erfolgsrezept zu wenden scheint. Immer nur an der Eskalationsschraube zu drehen ist ihr wohl zu fad geworden. Statt auf Pointe ist "Babylon" auf Bilder geschrieben. Etwa dem der treuen Unternachbarin, die nach der Verurteilung ihres mordenden Obernachbarn Woche für Woche vom darüberliegenden Balkon aus mit einem "dehnbaren Qualitätsschlauch" die Pflanzen auf der Terrasse der versiegelten Wohnung wässert. Um die Fiktion zu erhalten, dass das "selbstverständliche Leben" doch irgendwie weitergehen könnte.

"Man lebt unter dem Diktat der Konvention", heißt es einmal. Das klingt ein bisschen nach Selbstanzeige. Indem sie sich eine Leiche in den Erzählkeller legt, beugt Reza sich diesem Diktat so sehr und ermüdend wie noch nie. Was sie dem gleichzeitig an Beschreibungsfacetten und Bilderfindungen entgegensetzt, ist für ihr Schreiben jedoch ebenfalls neu. Ein Buch also, in dem die Stärken mit den Schwächen konkurrieren. Eine Gleichgewichtsübung. Kein Nullsummenspiel.

SIMON STRAUSS

Yasmina Reza. "Babylon". Roman.

Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Verlag, München 2017. 219 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Rezensent Tilman Krause geht hart mit Yasmina Reza ins Gericht. Ihr Roman "Babylon" sei eigentlich nur eine aufgeplusterte Novelle, die noch immer die immergleichen Yasmina-Reza-Themen durchkaut: das Leiden am unerfüllten Mittelstandsleben und an gewohnt unzulänglichen Partnerschaften, kritisiert Krause. Ja, diesmal geht der Streit ernster aus, "eine Leiche hatten wir noch nicht", so der Rezensent, aber im Grunde sage Reza seit ihrem "Gott des Gemetzels" nichts Neues mehr. Es wäre endlich an der Zeit, fordert Krause, dass die Autorin mit Schreibgewohnheiten bricht, die er eingefahren findet.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Literatur, in der die Nostalgie dem Realismus nicht im Wege steht und der Schrecken nicht dem Humor... Reza schreibt ohne Gravitas, ohne dass zwischen den Zeilen ein Wasserzeichen "Achtung, wertvolle Literatur!" nötig wäre. Sie beginnt mit den albernsten Alltäglichkeiten und arbeitet sich damit vor, bis sich ein Moment der Wahrheit eröffnet." Nils Minkmar, Literatur Spiegel, August 2017

"Niemand seziert das zeitgenössische Bürgertum so gnadenlos wie Yasmina Reza. Niemand ist so brillant und auch routiniert darin, unter dem Leben all der Journalisten, Anwälte und Wissenschaftler ein Feuer zu legen, das ihre wohltemperierte Welt in die Luft jagt." Ursula März, Deutschlandfunk Kultur, 27.07.17

"Niemand betreibt die perfiden Katz-und-Maus-Spiele mit ihren Geschöpfen so lustvoll wie Reza." Peter Henning, Spiegel Online, 25.07.17

"Es sind derzeit die Frauen, die jene Bücher schreiben, die man einmal zur Hand nehmen wird, um zu erfahren, wie das Leben so war zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In den USA sind es Jean Didion und Toni Morrison, in Großbritannien Sahra Hall und Hillary Mantel, und in Frankreich ist es Yasmina Reza." Nils Minkmar, Literatur Spiegel, August 2017

"Niemand beherrscht wie Yasmina Reza die Kunst, so existentiell wie nötig und dabei so leicht und so komisch wie möglich zu erzählen. Niemand brilliert so strahlend mit so bösem Witz und lässt einen am Ende doch so melancholisch zurück." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23.07.17

"Dieser Roman ist in seinem Kern auch eine Meditation der Erzählerin über das Leben." Martin Ebel, Tages-Anzeiger, 22.07.17

"In der Geschichte kommt Yasmina Rezas größte Stärke zur Geltung: Diese Autorin ist absolut unsentimental." Ijoma Mangold, Die Zeit, 20.07.17
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