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Produktdetails
  • Verlag: ALFAGUARA
  • Seitenzahl: 504
  • Erscheinungstermin: 21. Februar 2023
  • Spanisch
  • Abmessung: 238mm x 152mm x 38mm
  • Gewicht: 748g
  • ISBN-13: 9788420463087
  • ISBN-10: 8420463086
  • Artikelnr.: 65953140

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  • Herstellerkennzeichnung
  • Libri GmbH
  • Europaallee 1
  • 36244 Bad Hersfeld
  • 06621 890
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2024

Ein Klopfen an der Hotelzimmertür
In "Babysitter" erzählt Joyce Carol Oates die Geschichte einer freiwilligen Unterwerfung

Joyce Carol Oates äußerte einmal in einer Dokumentation über ihr Lebenswerk, dass ihre Romanfiguren von Gefühlen geleitet werden, die ihnen selbst ein Rätsel bleiben. Oates' Interesse an der verborgenen Motivlage menschlicher Handlungen speist sich wohl aus schlichter Lebenserfahrung: Im Moment einer Entscheidung kann ein undurchsichtiges Gefühl die Motivation für eine Handlung sein, das keine Antwort auf die Frage zulässt, warum man dies oder jenes getan hat. In arger Umdeutung Adornos könnte nach der Lektüre von Oates' Werken folgender Eindruck verbleiben: Wahr sind nur die Gefühle, die sich nicht verstehen lassen.

In Oates' neuem Roman "Babysitter", der zu Beginn der Siebzigerjahre in der Stadt Detroit spielt, kanalisiert sich diese unklare Handlungsmotivation in einer Schlüsselszene: Hannah Jarret, Mutter zweier Kinder und Ehefrau, steht vor der Entscheidung nach einer Spendengala entweder nach Hause zu ihrer Familie zu fahren oder sich in ein Hotelzimmer zu einem Mann zu begeben, den sie bisher nur einmal gesehen hat, und sich mit ihm auf eine Affäre einzulassen. "Ein Uhr, dann 13:15 Uhr: Erstaunlich, dass Hannah (noch) zu keinem Entschluss gekommen ist. Die vor Aufregung feuchtkalten Hände zittern, so ängstlich und nervös ist sie. Wird sie von der Zufahrt zum Marriott nach links (in Richtung Auffahrt auf die Interstate an der Marple Road) oder wird sie wie das brave kleine Frauchen gleich nach rechts abbiegen (und nach Far Hills zurückfahren)."

Y.K. nennt sich der Fremde, den sie bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt hat. Hannah entscheidet sich dafür, zu ihm zu fahren. Eine fatale Entscheidung, denn sie wird vergewaltigt. In expliziter Darstellung lässt Oates keinen Zweifel daran, dass es sich um keinen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr handeln kann. Die Verbalisierung von sexueller Gewalt durch Oates ist unangenehm zu lesen, verfällt aber nicht in einen Voyeurismus, denn die konkreten Schilderungen unterstehen einem Zweck: die defizitäre Urteilsfähigkeit der Protagonistin offenbar werden zu lassen. Denn Hannah Jarret ist nach dem Übergriff, der nicht der einzige bleiben soll, zwar körperlich lädiert, aber in Hochstimmung, hat sie, ihrer Meinung nach, doch endlich einen Geliebten, der unbegrenztes, liebevolles Interesse an ihr zeige. In der Folge entfaltet sich ein tragisches und intensives Geschehen, in dem das Innenleben von Oates' Romancharakter durch eine Schicht an chronischen Schuldgefühlen und Minderwertigkeitskomplexen schonungslos an die Oberfläche gebracht wird.

Das geschilderte Umfeld bietet dabei einen gelungenen Hintergrund, vor dem sich Hannahs Selbstunterwerfung entwickelt. Als Tochter eines reichen und angesehenen Familienpatriarchen aufgewachsen und mit einem wohlhabenden Mann verheiratet, über dessen Geschäfte Hannah nichts weiß, verfolgt sie in Far Hills, einem Wohnort mit großen, isoliert stehenden Anwesen, nur ein einziges Ziel: das amerikanische Familienbild einer erfolgreichen Oberschicht zu repräsentieren.

Ein Gefühl der Selbstwirksamkeit will sich in einem solchen Leben nicht einstellen, sind doch Schlüsselaufgaben zum Erhalt der Familie in andere Hände gegeben. Die geldbringende Arbeit übernimmt ihr Ehemann Wes und die Erziehung der Kinder die philippinische Hausangestellte Ismelda. Da bleibt nur die Organisation der traditionsreichen Spendengalas für ehrenamtliche Zwecke, die Hannah kurzlebige Momente des Triumphes bescheren.

Detroit ist noch dazu ein raues Pflaster, nachdem Unruhen 1967 zu vielen Todesfällen geführt und die Angst vor einem sogenannten Rassenkrieg bei der weißen Oberschicht genährt haben. Dazu kommt eine Serie an Kindermorden von einem Täter, der in der Presse nur "Babysitter" genannt wird. Die Babysittermorde sind wahren Kindesentführungen eines Serienkillers in Detroit nachempfunden. Der gesamte Roman kann als eine historische Betrachtung einer gehobenen, amerikanischen Gesellschaftsschicht zu Beginn der Siebzigerjahre gelesen werden. Joyce Carol Oates lebte selbst lange Zeit in Detroit und ließ hier einige ihrer berühmtesten Geschichten vor dem Hintergrund tatsächlicher, historischer Ereignisse stattfinden.

In gewisser Weise tragen die MeToo-Debatten der letzten Jahre dazu bei, dass dieser Roman einen so überwältigenden Eindruck auf den Leser macht. MeToo hat nicht nur der Schauspielwelt den Glamour geraubt, sondern auch den Wohlfühlort des Luxushotelzimmers in einen Tatort verwandelt. Oates nutzt diese Assoziation, um ihrer Erzählung den Schrecken realer Ereignisse zu verleihen. Hinzu kommt die Frage um die Ursache von Selbstunterwerfung in Zwangsverhältnisse, die häufig mit juristischen Schuldzuweisungen und moralischen Überzeugungen diskutiert wird. Oates zeigt, dass Literatur solche menschlichen, rätselhaft erscheinenden Handlungen plausibel zu sezieren vermag. Denn sie weiß ihrer Figur die nötige Tiefe zu geben, jeden Schritt ihrer Gedanken dem Leser preiszugeben und so ein Psychogramm von einer Frau zu erstellen, die es nicht schafft, sich von Abhängigkeiten zu lösen, sondern diese explizit sucht.

Wie eine im Spinnennetz gefangene Beute gerät ihre Protagonistin mit jedem Widerwillen nur noch fester in die Gefangenschaft ihres Peinigers. Entstanden ist ein packendes, herausragendes Buch. HENDRIK BUCHHOLZ

Joyce Carol Oates: "Babysitter". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz. Ecco Verlag, Hamburg 2024. 512 S., geb., 24,- Euro.

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