Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2013Im Reich des weißen Mannes
Rassismus, Frauen, Vorurteile: Zu Besuch bei Tom Wolfe, dessen phantastischer Angeberroman "Back to Blood" jetzt erscheint
Wer trägt schon heute noch Krawatten?", fragt der Mann mit dem dünnen grauen Haar auf dem vanillefarbenen Sofa im Salon seines Apartments in New York. Tom Wolfe trägt eine weiße Krawatte, ein marineblaues Hemd, weiße Schuhe mit schwarzen Gamaschen, Strümpfe in den amerikanischen Nationalfarben. Und seinen weißen Anzug. "Als ich vor einer Weile in einem Stripclub in Miami war, war ich, als es spät geworden war, der einzige Mann, der eine Krawatte trug", erzählt er jetzt, fragt, ob ich mir das bitte schön vorstellen könne, und fügt hinzu: "Ich gehöre übrigens nicht zu den Leuten, die jetzt sagen, sie waren aus Recherchegründen in diesem Stripclub. Nein, ich war einfach so da und also der einzige Gast mit Krawatte, als mich ein Mitarbeiter fragte: ,Sagen Sie mal: Sind Sie nicht Tom Wolfe?'" Und als ich lachen muss und vorsichtig anmerke, dass er aber womöglich nicht an seiner Krawatte, sondern an seinem weißen Anzug erkannt worden sei, winkt Tom Wolfe mit seinen mageren roten Händen ab. Nein, nein, das war ganz bestimmt die Krawatte, und diese Geschichte ist ein weiterer Beleg dafür, dass Männer heute einfach nicht mehr wissen, was es heißt, anständig angezogen zu sein. Außer ihm, Tom Wolfe, dem Mann in Weiß.
Upper East Side, Manhattan. 14. Stock eines Apartmenthauses direkt am Central Park. Ein Interviewtermin bei Tom Wolfe zu Hause ist wie ein Theaterstück aus einer anderen Epoche. Schon der voluminöse, kahlköpfige Doorman unten in der Lobby hat viel Zeit. Meldet den Besucher telefonisch an, bittet Platz zu nehmen in einem der tiefen Sessel. Zehn Minuten später klingelt das Telefon, er redet kurz, sagt dann: Ja, jetzt könne man den Aufzug nehmen. Dunkles Holz, Messingknöpfe, oberstes Stockwerk, die Türen des Aufzugs öffnen sich direkt in der Wohnung, in einem kleinen Flur, in dem jede Menge Spazierstöcke in einem Ständer stehen. Eine Bedienstete wartet schon im Empfangszimmer, Herr Wolfe komme bald. Sie führt den Besucher in den Salon, bittet Platz zu nehmen. Ein phantastischer Raum, durch die großen Fenster strahlt die Sonne herein, man schaut über ganz Manhattan, dicke blumengemusterte Teppiche auf dem Parkett, Bücher auf den Tischen und an den Wänden, gerahmte Titelbilder des "Simplicissimus", ein riesiger violetter Blumenstrauß, ein schwarzer Flügel, darauf ein Porträt des jungen Tom Wolfe, flügelspielend, durch eine große Tür schaut man in sein Arbeitszimmer.
Mein Blut ist aus Virginia
Nach fünfzehn Minuten tritt er auf. Leicht gebeugt, sehr mager, langsam nimmt er auf dem Vanille-Sofa zwischen blauen Kissen mit roter Borte Platz. Er wirkt beinahe zerbrechlich, spricht sehr leise. Vor seinem Platz hat er eine kleine schwarze Uhr aufgestellt. 45 Minuten, hatte er über seinen Verlag ausrichten lassen, habe er Zeit. Tom Wolfe hat einen neuen Roman veröffentlicht, "Back to Blood" heißt er und erscheint in dieser Woche auf Deutsch. Den Titel hat man vorsichtshalber nicht übersetzt. Klingt auf Deutsch wohl einfach zu provokativ. Auf Englisch, so hofft man vielleicht, hat der Titel etwas indirekt Wolken- und Westernhaftes. Aber in diesem Roman geht es zunächst einmal genau darum: Rückbesinnung auf "das Blut", auf die Herkunft, nachdem multikulturelle Experimente gescheitert sind. Schauplatz ist Miami, eine der am schnellsten durch Einwanderung wachsenden Städte der Welt. Ein multiethnisches Experiment mit einem großen Anteil an Exilkubanern, Haitianern, Afroamerikanern und neuerdings auch Russen. "Alle Menschen, überall, haben keine andere Wahl als - zurück zum Blut!"
So endet der Prolog des Romans. Und auf meine Frage, ob das auch seine Meinung sei und ob das für Miami gelte oder die ganze Welt, sagt er: "Es ist mein Eindruck von der ganzen Welt. Die Religionen werden immer unwichtiger. Die Menschen haben nichts mehr, woran sie sich festhalten können, und so wird ihre Herkunft immer wichtiger. Es ist ganz natürlich: Du setzt dein Vertrauen in deine eigenen Leute, dein eigenes Volk. Ich tue das auch." Für ihn heiße das: Virginia. Die Leute dort, ihre Kleidung, ihre Meinungen. Dass er dann als Beispiel für solche Leute ausgerechnet den rassistischen christlichen Fundamentalisten Pat Robertson aus Virginia, mit dem er zusammen aufs College gegangen ist, nennt, der unter anderem die Anschläge vom 11. September als Gottes Strafe für ein sündiges Amerika begrüßt hatte, ist schon ziemlich verrückt. Wolfe fügt hinzu, ja, Robertson sei damals heftig angegriffen worden, und seine Ansichten seien in der Tat etwas abseitig, "aber - hej, der Mann ist aus Virginia. Ich kenne ihn und andere wie ihn, das sind einfach superanständige Leute mit lustigen Ideen. Und über solche Leute kann überhaupt nur der urteilen, der auch aus der Gegend kommt."
Also: Es wird hier noch einiges mehr ein wenig durcheinandergehen an diesem sonnigen Nachmittag in Manhattan. Warum Wolfe ausgerechnet einen christlichen Fundamentalisten als Beleg für mangelnde religiöse Bindung und die daraus resultierende große Bedeutung von Blut und Herkunft in der heutigen Welt zitiert, bleibt etwas rätselhaft. Auch den Hinweis auf die wachsende Bedeutung des Islam, auf Religionskonflikte in aller Welt wischt Wolfe locker beiseite. "Bei all diesen Kriegen geht es auch um eine ,Rückkehr zum Blut'." In der Welt sei das so und in Amerika. "Im großen Schmelztiegel verschmilzt nichts mehr." Und auf meine Frage, ob das nicht eine etwas komische Position sei, hier, mitten im Zentrum des herrlichsten, erfolgreichsten städtischen Schmelztiegels der Welt, sagt Wolfe, New York sei eben eine Ausnahme.
Meine schönsten Feinde
Herzlich willkommen in der Welt von Tom Wolfe! Damit ist er irgendwann einmal berühmt geworden. Rausgehen, hinschauen, mitschreiben, Überraschendes sehen. An den Orten, an denen totaler Konsens herrscht. Geh hin, schreib es gut auf, und die Welt wird sehen, dass alles ganz anders ist. Tom Wolfe hat sich immer die ganz großen Gegner ausgesucht: die moderne Kunst, die moderne Architektur, den "New Yorker", die Salon-Linke, die Linke überhaupt hat er immer wieder angegriffen, die Schriftsteller John Updike, Norman Mailer, John Irving sich mit seiner Spott- und Angriffslust zu Feinden gemacht. Tom Wolfe greift an, wo immer sich ein Gegner findet, der ihm groß genug erscheint. Er hat den sogenannten "New Journalism" miterfunden, war mit Ken Kesey und den Merry Pranksters auf Drogenfahrt durch die Vereinigten Staaten, hat so lange behauptet, dass die Zeit für Romane vorbei sei, bis er selbst mit "Fegefeuer der Eitelkeiten" einen der herrlichsten und erfolgreichsten Romane überhaupt geschrieben hat. Und seitdem seine Romane nicht mehr ganz so überraschend und gut sind, sind immerhin die Vorschüsse legendär. Sieben Millionen Dollar hat er für "Back to Blood" bekommen, das weiß alle Welt und soll es wissen. Der Roman ist phantastisch. Er ist phantastisch schlecht und phantastisch gut zugleich. Er liest sich wie die Comic-Version eines Wolfe-Romans, er nimmt einfach alle Themen seiner frühen Bücher auf und übertreibt sie auf das grellste und unterhaltsamste. Und Miami ist der ideale Ort dafür. Wo kann man die Scharlatane der Kunstszene besser beschreiben als auf der "Miami Art Fair"? Die russischen Oligarchen, das Geld, die Armut, die Autos, die Frauen? Die Frauen!
Ob er nicht empörte Zuschriften bekomme, von Leserinnen, frage ich ihn. Die Frauen in seinem neuen Buch hätten doch alle entweder riesige Brüste und endlos lange Beine, oder sie sind blass, unschuldig und heilig? "Von Frauen? Nein, da müsste ich mal meine Post genauer durchsehen." Aber eine Frau im Roman sei doch immerhin sehr vernünftig und klug. Und er legt den Kopf in den Nacken und lacht, und es ist schon ziemlich lustig, hier diesem sehr mageren weißhaarigen Herrn gegenüberzusitzen, der diesen unglaublich kraftstrotzenden Angeberroman geschrieben hat. Man glaubt ihm auch sofort, dem Reporter Tom Wolfe, dass er all das in Miami selbst erlebt hat. Dass er da, wie er jetzt erzählt, mit Chauffeur und einem befreundetem Anthropologen durch die Slums von Miami fuhr, mit Leuten sprach, dass er dafür extra einen blauen Blazer angezogen hatte, um nicht unpassend gekleidet zu sein. Dass er die Künstler kennt, die Scharlatane, die Ferrarifahrer und die mickrigen Männchen in ihren emissionsfreien grünen Moralautos, die Milliardäre, den pornosüchtigen Psychologen, der selbst eine Praxis gegen Pornosucht betreibt, dass er die Segelregatten besucht hat, bei denen Pornofilme auf die Segel projiziert werden, bevor die große Orgie beginnt.
Unnngggghhhmmmmmmm
Das Buch liest sich, als habe er, beim Beschreiben des Sündenpfuhls der Gegenwart, vor allem große Freude gehabt. Das weist er scharf zurück: "Wer sagt, das Schreiben mache Spaß, der lügt!" Endlos habe er sich auch für dieses Buch wieder am Schreibtisch gequält. Das erste Buch, das er mit Füller geschrieben hat. "Ich hab' eigentlich Schreibmaschinenhände. Aber das Farbband für meine Maschine war nicht mehr zu bekommen."
Tom Wolfe ist altmodisch, konservativ, ja reaktionär, aber auf unglaublich gutgelaunte Weise der Welt zugewandt. Er verurteilt nicht. Er schaut, beschreibt, malt aus und übertreibt. Auch seine berühmten Lautmalereien "unnnggghhhhmmmmm" hat er diesmal so sehr übertrieben, dass der Rezensent des "Times Literary Supplement" schon meinte, man habe als Leser den Eindruck, der Autor sei über der Tastatur eingeschlafen. Auch Auswege aus der weltweiten Zeitungskrise weiß der Reporter Wolfe: "Das Haus verlassen! Mit Leuten reden. Das ist niemals langweilig. Sie glauben gar nicht, wie viele Schreiber nie rausgehen! Dazu kommt, dass die Journalisten heute alle so spezialisiert sind, dass sie sich mit ihrer eigenen Aufgabe unendlich langweilen. Und sie langweilen auch die Leser. Unsere Aufgabe ist aber Unterhaltung! Ich kann gar nicht glauben, dass das immer noch so unterschätzt wird. Unterhaltung heißt, dem Leser ermöglichen, seine Zeit angenehm zu verbringen, ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Das ist unsere Aufgabe. Das ist unsere Kunst."
Nach anderthalb Stunden kommt schließlich die Hausangestellte, sagt, jetzt sei aber Schluss, und: "Herr Wolfe, Sie haben doch jetzt noch einen Termin." Er schnellt aus dem Sofa empor, ich bitte ihn um eine Unterschrift im Buch. Wir gehen hinüber in sein Arbeitszimmer, die Schirme der Schreibtischlampen rechts und links sind weiße Virginia-Hüte, über dem Tisch hängt ein großes Plakat mit Mann im blauen Blazer. Darunter steht auf deutsch: "PKZ tragen, ein Wohlbehagen." Daneben Dandy-Plakate, Tom-Wolfe-Plakate. Wir sprechen über die Zeichnungen, die er selbst gemacht hat. Er blättert ein Buch durch, zeigt auf eine Feuertreppe, die ihm besonders gut gelungen sei. Und fügt hinzu: "Am schwierigsten sind Hände. Inzwischen kann ich es sehr gut. Picasso und Matisse zum Beispiel konnten überhaupt keine Hände malen. Achten Sie mal darauf."
Er, Tom Wolfe, habe es sich selbst beigebracht. Sei immer wieder zwischen Spiegel und Zeichenblock hin- und hergelaufen, bis er es konnte. Perfekt. Und mit großem Schwung und schwarzem Filzstift schreibt er seinen Namen vorne in das Buch.
VOLKER WEIDERMANN
Tom Wolfe: "Back to Blood". Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Blessing-Verlag, 780 Seiten, 24,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rassismus, Frauen, Vorurteile: Zu Besuch bei Tom Wolfe, dessen phantastischer Angeberroman "Back to Blood" jetzt erscheint
Wer trägt schon heute noch Krawatten?", fragt der Mann mit dem dünnen grauen Haar auf dem vanillefarbenen Sofa im Salon seines Apartments in New York. Tom Wolfe trägt eine weiße Krawatte, ein marineblaues Hemd, weiße Schuhe mit schwarzen Gamaschen, Strümpfe in den amerikanischen Nationalfarben. Und seinen weißen Anzug. "Als ich vor einer Weile in einem Stripclub in Miami war, war ich, als es spät geworden war, der einzige Mann, der eine Krawatte trug", erzählt er jetzt, fragt, ob ich mir das bitte schön vorstellen könne, und fügt hinzu: "Ich gehöre übrigens nicht zu den Leuten, die jetzt sagen, sie waren aus Recherchegründen in diesem Stripclub. Nein, ich war einfach so da und also der einzige Gast mit Krawatte, als mich ein Mitarbeiter fragte: ,Sagen Sie mal: Sind Sie nicht Tom Wolfe?'" Und als ich lachen muss und vorsichtig anmerke, dass er aber womöglich nicht an seiner Krawatte, sondern an seinem weißen Anzug erkannt worden sei, winkt Tom Wolfe mit seinen mageren roten Händen ab. Nein, nein, das war ganz bestimmt die Krawatte, und diese Geschichte ist ein weiterer Beleg dafür, dass Männer heute einfach nicht mehr wissen, was es heißt, anständig angezogen zu sein. Außer ihm, Tom Wolfe, dem Mann in Weiß.
Upper East Side, Manhattan. 14. Stock eines Apartmenthauses direkt am Central Park. Ein Interviewtermin bei Tom Wolfe zu Hause ist wie ein Theaterstück aus einer anderen Epoche. Schon der voluminöse, kahlköpfige Doorman unten in der Lobby hat viel Zeit. Meldet den Besucher telefonisch an, bittet Platz zu nehmen in einem der tiefen Sessel. Zehn Minuten später klingelt das Telefon, er redet kurz, sagt dann: Ja, jetzt könne man den Aufzug nehmen. Dunkles Holz, Messingknöpfe, oberstes Stockwerk, die Türen des Aufzugs öffnen sich direkt in der Wohnung, in einem kleinen Flur, in dem jede Menge Spazierstöcke in einem Ständer stehen. Eine Bedienstete wartet schon im Empfangszimmer, Herr Wolfe komme bald. Sie führt den Besucher in den Salon, bittet Platz zu nehmen. Ein phantastischer Raum, durch die großen Fenster strahlt die Sonne herein, man schaut über ganz Manhattan, dicke blumengemusterte Teppiche auf dem Parkett, Bücher auf den Tischen und an den Wänden, gerahmte Titelbilder des "Simplicissimus", ein riesiger violetter Blumenstrauß, ein schwarzer Flügel, darauf ein Porträt des jungen Tom Wolfe, flügelspielend, durch eine große Tür schaut man in sein Arbeitszimmer.
Mein Blut ist aus Virginia
Nach fünfzehn Minuten tritt er auf. Leicht gebeugt, sehr mager, langsam nimmt er auf dem Vanille-Sofa zwischen blauen Kissen mit roter Borte Platz. Er wirkt beinahe zerbrechlich, spricht sehr leise. Vor seinem Platz hat er eine kleine schwarze Uhr aufgestellt. 45 Minuten, hatte er über seinen Verlag ausrichten lassen, habe er Zeit. Tom Wolfe hat einen neuen Roman veröffentlicht, "Back to Blood" heißt er und erscheint in dieser Woche auf Deutsch. Den Titel hat man vorsichtshalber nicht übersetzt. Klingt auf Deutsch wohl einfach zu provokativ. Auf Englisch, so hofft man vielleicht, hat der Titel etwas indirekt Wolken- und Westernhaftes. Aber in diesem Roman geht es zunächst einmal genau darum: Rückbesinnung auf "das Blut", auf die Herkunft, nachdem multikulturelle Experimente gescheitert sind. Schauplatz ist Miami, eine der am schnellsten durch Einwanderung wachsenden Städte der Welt. Ein multiethnisches Experiment mit einem großen Anteil an Exilkubanern, Haitianern, Afroamerikanern und neuerdings auch Russen. "Alle Menschen, überall, haben keine andere Wahl als - zurück zum Blut!"
So endet der Prolog des Romans. Und auf meine Frage, ob das auch seine Meinung sei und ob das für Miami gelte oder die ganze Welt, sagt er: "Es ist mein Eindruck von der ganzen Welt. Die Religionen werden immer unwichtiger. Die Menschen haben nichts mehr, woran sie sich festhalten können, und so wird ihre Herkunft immer wichtiger. Es ist ganz natürlich: Du setzt dein Vertrauen in deine eigenen Leute, dein eigenes Volk. Ich tue das auch." Für ihn heiße das: Virginia. Die Leute dort, ihre Kleidung, ihre Meinungen. Dass er dann als Beispiel für solche Leute ausgerechnet den rassistischen christlichen Fundamentalisten Pat Robertson aus Virginia, mit dem er zusammen aufs College gegangen ist, nennt, der unter anderem die Anschläge vom 11. September als Gottes Strafe für ein sündiges Amerika begrüßt hatte, ist schon ziemlich verrückt. Wolfe fügt hinzu, ja, Robertson sei damals heftig angegriffen worden, und seine Ansichten seien in der Tat etwas abseitig, "aber - hej, der Mann ist aus Virginia. Ich kenne ihn und andere wie ihn, das sind einfach superanständige Leute mit lustigen Ideen. Und über solche Leute kann überhaupt nur der urteilen, der auch aus der Gegend kommt."
Also: Es wird hier noch einiges mehr ein wenig durcheinandergehen an diesem sonnigen Nachmittag in Manhattan. Warum Wolfe ausgerechnet einen christlichen Fundamentalisten als Beleg für mangelnde religiöse Bindung und die daraus resultierende große Bedeutung von Blut und Herkunft in der heutigen Welt zitiert, bleibt etwas rätselhaft. Auch den Hinweis auf die wachsende Bedeutung des Islam, auf Religionskonflikte in aller Welt wischt Wolfe locker beiseite. "Bei all diesen Kriegen geht es auch um eine ,Rückkehr zum Blut'." In der Welt sei das so und in Amerika. "Im großen Schmelztiegel verschmilzt nichts mehr." Und auf meine Frage, ob das nicht eine etwas komische Position sei, hier, mitten im Zentrum des herrlichsten, erfolgreichsten städtischen Schmelztiegels der Welt, sagt Wolfe, New York sei eben eine Ausnahme.
Meine schönsten Feinde
Herzlich willkommen in der Welt von Tom Wolfe! Damit ist er irgendwann einmal berühmt geworden. Rausgehen, hinschauen, mitschreiben, Überraschendes sehen. An den Orten, an denen totaler Konsens herrscht. Geh hin, schreib es gut auf, und die Welt wird sehen, dass alles ganz anders ist. Tom Wolfe hat sich immer die ganz großen Gegner ausgesucht: die moderne Kunst, die moderne Architektur, den "New Yorker", die Salon-Linke, die Linke überhaupt hat er immer wieder angegriffen, die Schriftsteller John Updike, Norman Mailer, John Irving sich mit seiner Spott- und Angriffslust zu Feinden gemacht. Tom Wolfe greift an, wo immer sich ein Gegner findet, der ihm groß genug erscheint. Er hat den sogenannten "New Journalism" miterfunden, war mit Ken Kesey und den Merry Pranksters auf Drogenfahrt durch die Vereinigten Staaten, hat so lange behauptet, dass die Zeit für Romane vorbei sei, bis er selbst mit "Fegefeuer der Eitelkeiten" einen der herrlichsten und erfolgreichsten Romane überhaupt geschrieben hat. Und seitdem seine Romane nicht mehr ganz so überraschend und gut sind, sind immerhin die Vorschüsse legendär. Sieben Millionen Dollar hat er für "Back to Blood" bekommen, das weiß alle Welt und soll es wissen. Der Roman ist phantastisch. Er ist phantastisch schlecht und phantastisch gut zugleich. Er liest sich wie die Comic-Version eines Wolfe-Romans, er nimmt einfach alle Themen seiner frühen Bücher auf und übertreibt sie auf das grellste und unterhaltsamste. Und Miami ist der ideale Ort dafür. Wo kann man die Scharlatane der Kunstszene besser beschreiben als auf der "Miami Art Fair"? Die russischen Oligarchen, das Geld, die Armut, die Autos, die Frauen? Die Frauen!
Ob er nicht empörte Zuschriften bekomme, von Leserinnen, frage ich ihn. Die Frauen in seinem neuen Buch hätten doch alle entweder riesige Brüste und endlos lange Beine, oder sie sind blass, unschuldig und heilig? "Von Frauen? Nein, da müsste ich mal meine Post genauer durchsehen." Aber eine Frau im Roman sei doch immerhin sehr vernünftig und klug. Und er legt den Kopf in den Nacken und lacht, und es ist schon ziemlich lustig, hier diesem sehr mageren weißhaarigen Herrn gegenüberzusitzen, der diesen unglaublich kraftstrotzenden Angeberroman geschrieben hat. Man glaubt ihm auch sofort, dem Reporter Tom Wolfe, dass er all das in Miami selbst erlebt hat. Dass er da, wie er jetzt erzählt, mit Chauffeur und einem befreundetem Anthropologen durch die Slums von Miami fuhr, mit Leuten sprach, dass er dafür extra einen blauen Blazer angezogen hatte, um nicht unpassend gekleidet zu sein. Dass er die Künstler kennt, die Scharlatane, die Ferrarifahrer und die mickrigen Männchen in ihren emissionsfreien grünen Moralautos, die Milliardäre, den pornosüchtigen Psychologen, der selbst eine Praxis gegen Pornosucht betreibt, dass er die Segelregatten besucht hat, bei denen Pornofilme auf die Segel projiziert werden, bevor die große Orgie beginnt.
Unnngggghhhmmmmmmm
Das Buch liest sich, als habe er, beim Beschreiben des Sündenpfuhls der Gegenwart, vor allem große Freude gehabt. Das weist er scharf zurück: "Wer sagt, das Schreiben mache Spaß, der lügt!" Endlos habe er sich auch für dieses Buch wieder am Schreibtisch gequält. Das erste Buch, das er mit Füller geschrieben hat. "Ich hab' eigentlich Schreibmaschinenhände. Aber das Farbband für meine Maschine war nicht mehr zu bekommen."
Tom Wolfe ist altmodisch, konservativ, ja reaktionär, aber auf unglaublich gutgelaunte Weise der Welt zugewandt. Er verurteilt nicht. Er schaut, beschreibt, malt aus und übertreibt. Auch seine berühmten Lautmalereien "unnnggghhhhmmmmm" hat er diesmal so sehr übertrieben, dass der Rezensent des "Times Literary Supplement" schon meinte, man habe als Leser den Eindruck, der Autor sei über der Tastatur eingeschlafen. Auch Auswege aus der weltweiten Zeitungskrise weiß der Reporter Wolfe: "Das Haus verlassen! Mit Leuten reden. Das ist niemals langweilig. Sie glauben gar nicht, wie viele Schreiber nie rausgehen! Dazu kommt, dass die Journalisten heute alle so spezialisiert sind, dass sie sich mit ihrer eigenen Aufgabe unendlich langweilen. Und sie langweilen auch die Leser. Unsere Aufgabe ist aber Unterhaltung! Ich kann gar nicht glauben, dass das immer noch so unterschätzt wird. Unterhaltung heißt, dem Leser ermöglichen, seine Zeit angenehm zu verbringen, ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Das ist unsere Aufgabe. Das ist unsere Kunst."
Nach anderthalb Stunden kommt schließlich die Hausangestellte, sagt, jetzt sei aber Schluss, und: "Herr Wolfe, Sie haben doch jetzt noch einen Termin." Er schnellt aus dem Sofa empor, ich bitte ihn um eine Unterschrift im Buch. Wir gehen hinüber in sein Arbeitszimmer, die Schirme der Schreibtischlampen rechts und links sind weiße Virginia-Hüte, über dem Tisch hängt ein großes Plakat mit Mann im blauen Blazer. Darunter steht auf deutsch: "PKZ tragen, ein Wohlbehagen." Daneben Dandy-Plakate, Tom-Wolfe-Plakate. Wir sprechen über die Zeichnungen, die er selbst gemacht hat. Er blättert ein Buch durch, zeigt auf eine Feuertreppe, die ihm besonders gut gelungen sei. Und fügt hinzu: "Am schwierigsten sind Hände. Inzwischen kann ich es sehr gut. Picasso und Matisse zum Beispiel konnten überhaupt keine Hände malen. Achten Sie mal darauf."
Er, Tom Wolfe, habe es sich selbst beigebracht. Sei immer wieder zwischen Spiegel und Zeichenblock hin- und hergelaufen, bis er es konnte. Perfekt. Und mit großem Schwung und schwarzem Filzstift schreibt er seinen Namen vorne in das Buch.
VOLKER WEIDERMANN
Tom Wolfe: "Back to Blood". Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Blessing-Verlag, 780 Seiten, 24,99 Euro
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