Eine bitterböse und urkomische literarische Fantasie über den Untergang Europas.
Eine Geisterstadt im Herzen der Alpen, ein mysteriöser chinesischer Immobilientycoon, der alles aufkauft und verfallen lässt, und 46 Verbliebene, die beschließen, den Kampf aufzunehmen - mit »Bad Regina« ist David Schalko eine brillante literarische Allegorie auf einen sterbenden Kontinent gelungen. Verstörend, grotesk, morbide, komisch - und äußerst spannend.
Nur noch wenige Menschen leben in Bad Regina, einem einst glamourösen Touristenort in den Bergen, starren auf die Ruinen ihres Ortes und schauen sich selbst tatenlos beim Verschwinden zu. Denn ein mysteriöser Chinese namens Chen kauft seit Jahren für horrende Summen ihre Häuser auf - nur um sie anschließend verfallen zu lassen. Als er auch noch das Schloss des uralten örtlichen Adelsgeschlechts erwerben will, entschließt sich Othmar, der von Gicht geplagte ehemalige Betreiber des berühmtesten Partyklubs der Alpen, herauszufinden, was es mit diesem Chen auf sich hat und was dieser mit Bad Regina vorhat. Dabei erleben Othmar und die verbliebenen Einwohner eine böse Überraschung ...
In »Bad Regina« entwirft David Schalko eine faszinierende Geisterwelt, in der nicht nur die Bauwerke, sondern auch die wenigen verbliebenen Bewohner wankende Ruinen der Vergangenheit sind. Ein bitterböser und gleichzeitig urkomischer Roman über ein Europa, das immer und immer wieder moralisch versagt - und über dessen Zukunft nun andere entscheiden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Eine Geisterstadt im Herzen der Alpen, ein mysteriöser chinesischer Immobilientycoon, der alles aufkauft und verfallen lässt, und 46 Verbliebene, die beschließen, den Kampf aufzunehmen - mit »Bad Regina« ist David Schalko eine brillante literarische Allegorie auf einen sterbenden Kontinent gelungen. Verstörend, grotesk, morbide, komisch - und äußerst spannend.
Nur noch wenige Menschen leben in Bad Regina, einem einst glamourösen Touristenort in den Bergen, starren auf die Ruinen ihres Ortes und schauen sich selbst tatenlos beim Verschwinden zu. Denn ein mysteriöser Chinese namens Chen kauft seit Jahren für horrende Summen ihre Häuser auf - nur um sie anschließend verfallen zu lassen. Als er auch noch das Schloss des uralten örtlichen Adelsgeschlechts erwerben will, entschließt sich Othmar, der von Gicht geplagte ehemalige Betreiber des berühmtesten Partyklubs der Alpen, herauszufinden, was es mit diesem Chen auf sich hat und was dieser mit Bad Regina vorhat. Dabei erleben Othmar und die verbliebenen Einwohner eine böse Überraschung ...
In »Bad Regina« entwirft David Schalko eine faszinierende Geisterwelt, in der nicht nur die Bauwerke, sondern auch die wenigen verbliebenen Bewohner wankende Ruinen der Vergangenheit sind. Ein bitterböser und gleichzeitig urkomischer Roman über ein Europa, das immer und immer wieder moralisch versagt - und über dessen Zukunft nun andere entscheiden.
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Rezensent Christian Metz hat den Anfang und den Schluss dieses Romans über "den Ausverkauf eines illustren Kurortes" als überspitzte Farce gelesen. Er fand es urkomisch, wie der Autor die alltägliche Nutzlosigkeit der verbliebenen Bürger vorführt, und dass die Not letztlich in der Entführung eines Investors gipfelt. Dazwischen hat das Buch den Kritiker aber nicht überzeugt: Zu deutlich spielt David Schalko mit dem Klischee, dass die Sinnlosigkeit ihres Daseins die Bürger zu Nazis macht, und das Denken der Hauptfigur ist so dumpf, dass Metz die Herbeiführung des Finales durch sie kaum glauben kann. Alles in allem schlecht konstruiert, moniert er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Kurort im Ausverkauf
Das zieht selbst Thomas Bernhard die Lederhose aus: Den Menschen in David Schalkos Untergeher-Parabel "Bad Regina" fehlt das Unrechtsbewusstseins-Gen.
Bad Gastein, nach dessen Modell David Schalkos Bad Regina offensichtlich gebaut ist, war einmal eines der mondänsten Kurbäder Europas. Kaiser und Könige besuchten das Weltdorf in den Hohen Tauern, durch dessen Mitte ein Wasserfall schneidet wie ein blitzblankes Messer durch die Sachertorte. Dann wurden Bäder und Grandhotels geschlossen, und seither herrscht hier nur noch Verfall: morbide blätternde Fassaden, bröckelnder Stuck, vernagelte Fenster, vernagelte Köpfe. Neuerdings gibt es aber wieder ein paar Lebenszeichen. Bad Gastein, einst wegen seiner steilen Skyline als "Manhattan der Alpen" und noch heute als Monte Carlo des Salzkammerguts beworben, wird gerade von Berliner Hipstern als "Berlin der Alpen" wiederentdeckt.
Schalkos Bad Regina ist ein lost place des pittoresken Verfalls, eine Parabel auf den Untergang des alten Europas im Allgemeinen und die österreichischen Untergeher im Besonderen. Alle wollen weg von hier, selbst die Bienen, Katzen und letzten Piefke-Touristen. Die letzten Einheimischen verkaufen Haus und Hof und Würde an einen potenten chinesischen Investor und hoffen, dass niemand sie beim Ausverkauf der Heimat erwischt. Ganze 44 Menschen hausen noch in Bad Regina, jeder eine Ruine unter Ruinen, die sich wortreich und tatenlos "beim eigenen Verschwinden zuschaut".
Fast jeder von ihnen bekommt bei Schalko eine Geschichte, einen Spleen, einen running gag zugeteilt; zu tieferen Abgründen und schärferen Konturen reicht es selten. Da ist der schöne Pfarrer Helge, der als Mörder im Gefängnis saß und jetzt Moral predigt. Der betrügerische Zahnarzt, der gesunde Zähne zieht (nie mehr als dreißig Prozent, damit es nicht auffällt). Der Bahnhofsvorsteher träumt vom Zug nach nirgendwo, der Polizist von der Transfrau Petra (aber nicht von ihren genderfluiden Erscheinungen als Peter oder Petzi). Der Hotelier Moschinger hat bei Ebay für dreitausend Euro die Lederhose von Thomas Bernhard ergattert und sondert jetzt dauernd krachlederne Bernhardiana ab: "Österreich ist kein Land. Österreich ist eine Geisteskrankheit. Dem Österreicher fehlt ein Gen. Er hat kein Unrechtsbewußtsein. Es handelt sich um einen von Grund auf verdorbenen Menschen." Und der Bürgermeister Zesch, nach Art der Haiders und Straches rechtspopulistisch fesch und skrupellos, tut alles, um ins Klischee zu passen. Seine alles sehende Mutter hält sich für "Gottes zuverlässigste Zeugin", seine Frau pflegt eine trotzige Ausländerliebe: "In mir steckt auch eine Flüchtige, aber ich konnte es halt nie so ausleben wie Sie."
Mitten im Gewimmel zwischen Wasserfall, Luziwuzi-Bar und Grandhotel Abgrund, aber politisch und moralisch eher am Rande steht Othmar, ein spitzbäuchiger Trinker, ehemals links, heute zu passiv und müde, um sich noch zu empören. Früher war er mal in einer Punkband aktiv, und sein "Krake" war der angesagteste Club diesseits der Alpen. Jetzt lebt er lustlos und lässig vom Pflegegeld, das sein Schützling, ein im Koma liegender Techno-DJ aus Manchester, bezieht. Othmars Freundin Selma ist krebskrank, aber ziemlich fidel; überhaupt sind die Frauen in Bad Regina deutlich lebenstüchtiger und aufgeweckter als die Männer.
Schalko beschreibt in kurzen, pointierten Sätzen Typen, Szenen und Säuferdialoge aus dem Irrenhaus Österreich. Das ist oft witzig, manchmal irrwitzig oder sogar kafkaesk-surreal, aber doch mehr Hochleistungskabarett als Roman. Erst im zweiten Teil bekommt das Untergeher-Wimmelbild dann so etwas wie einen Plot: Chen, der kapitalkräftige Chinese, will Bad Regina in einen Erlebnispark umwandeln, in dem jeder sich selbst spielt, selbstverständlich unter Beibehaltung seiner "Würde". Von Hallstatt und Neuschwanstein gibt es ja auch schon originalgetreue Nachbauten in China.
Man spürt in jedem Satz, dass Schalko gelernter Werbetexter ist. Mit Fernsehserien wie "Braunschlag", "Altes Geld" und "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" hat er sich einen Namen gemacht, in seinem Roman "Schwere Knochen" (2018) hat er Leichen im Keller der Geschichte ausgegraben, und gerade arbeitet er zusammen mit Jan Böhmermann an der Verfilmung der Ibiza-Affäre. "Bad Regina" liest sich wie ein Gemeinschaftswerk von Böhmermann, Agatha Christie und einem Thomas Bernhard auf Speed, garniert mit Rollenprosa von Qualtinger bis Josef Hader: eine wilde Kreuzung aus Politsatire, Heimatkrimi, Aphorismensammlung ("Die Geschichte der Zivilisation ist nicht eine des Aufstehens, sondern des Hinsetzens") und Daily-Soap-Simulationen, etwas lang geraten, aber nicht ohne Schmäh und provozierenden Schmackes. Der Warnvermerk des Verlags, "Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden", ist durchaus angebracht. In Bad Regina darf man noch N-Wörter benutzen, Transsexuelle veralbern oder syrische Schutzsuchende mit Alkoholproblem auftreten lassen, ohne die antifaschistische Grundhaltung zu beschädigen.
Dass am Ende schwarze "Afronauten" in Dirndl, Polizeiuniform und Häuptlingslendenschurz durch Bad Regina paradieren und Alteuropa fröhlich-wild verjüngen, geht in Österreich wohl auch noch als politisch unkorrekter Humor durch. "In Österreich ist alles vermodert", bernhardet Moschinger einmal. "Selbst der Humor. Der ja keiner ist. Selbst der vielgerühmte Humor ist nichts als Verdunkelung. In Österreich will nichts ans Licht, weil sich der Österreicher nur im Dunkeln als Riese wähnen kann. Der Österreicher hat zu allem ein schlampiges Verhältnis. Alles, was er tut, passiert, um etwas zu kaschieren. Im Gegensatz zum Deutschen, der versucht, alles richtig zu machen. Der Österreicher macht alles falsch. Und das mit allergrößter Lust. Deshalb braucht der Österreicher Humor und der Deutsche nicht."
MARTIN HALTER
David Schalko: "Bad Regina". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 398 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das zieht selbst Thomas Bernhard die Lederhose aus: Den Menschen in David Schalkos Untergeher-Parabel "Bad Regina" fehlt das Unrechtsbewusstseins-Gen.
Bad Gastein, nach dessen Modell David Schalkos Bad Regina offensichtlich gebaut ist, war einmal eines der mondänsten Kurbäder Europas. Kaiser und Könige besuchten das Weltdorf in den Hohen Tauern, durch dessen Mitte ein Wasserfall schneidet wie ein blitzblankes Messer durch die Sachertorte. Dann wurden Bäder und Grandhotels geschlossen, und seither herrscht hier nur noch Verfall: morbide blätternde Fassaden, bröckelnder Stuck, vernagelte Fenster, vernagelte Köpfe. Neuerdings gibt es aber wieder ein paar Lebenszeichen. Bad Gastein, einst wegen seiner steilen Skyline als "Manhattan der Alpen" und noch heute als Monte Carlo des Salzkammerguts beworben, wird gerade von Berliner Hipstern als "Berlin der Alpen" wiederentdeckt.
Schalkos Bad Regina ist ein lost place des pittoresken Verfalls, eine Parabel auf den Untergang des alten Europas im Allgemeinen und die österreichischen Untergeher im Besonderen. Alle wollen weg von hier, selbst die Bienen, Katzen und letzten Piefke-Touristen. Die letzten Einheimischen verkaufen Haus und Hof und Würde an einen potenten chinesischen Investor und hoffen, dass niemand sie beim Ausverkauf der Heimat erwischt. Ganze 44 Menschen hausen noch in Bad Regina, jeder eine Ruine unter Ruinen, die sich wortreich und tatenlos "beim eigenen Verschwinden zuschaut".
Fast jeder von ihnen bekommt bei Schalko eine Geschichte, einen Spleen, einen running gag zugeteilt; zu tieferen Abgründen und schärferen Konturen reicht es selten. Da ist der schöne Pfarrer Helge, der als Mörder im Gefängnis saß und jetzt Moral predigt. Der betrügerische Zahnarzt, der gesunde Zähne zieht (nie mehr als dreißig Prozent, damit es nicht auffällt). Der Bahnhofsvorsteher träumt vom Zug nach nirgendwo, der Polizist von der Transfrau Petra (aber nicht von ihren genderfluiden Erscheinungen als Peter oder Petzi). Der Hotelier Moschinger hat bei Ebay für dreitausend Euro die Lederhose von Thomas Bernhard ergattert und sondert jetzt dauernd krachlederne Bernhardiana ab: "Österreich ist kein Land. Österreich ist eine Geisteskrankheit. Dem Österreicher fehlt ein Gen. Er hat kein Unrechtsbewußtsein. Es handelt sich um einen von Grund auf verdorbenen Menschen." Und der Bürgermeister Zesch, nach Art der Haiders und Straches rechtspopulistisch fesch und skrupellos, tut alles, um ins Klischee zu passen. Seine alles sehende Mutter hält sich für "Gottes zuverlässigste Zeugin", seine Frau pflegt eine trotzige Ausländerliebe: "In mir steckt auch eine Flüchtige, aber ich konnte es halt nie so ausleben wie Sie."
Mitten im Gewimmel zwischen Wasserfall, Luziwuzi-Bar und Grandhotel Abgrund, aber politisch und moralisch eher am Rande steht Othmar, ein spitzbäuchiger Trinker, ehemals links, heute zu passiv und müde, um sich noch zu empören. Früher war er mal in einer Punkband aktiv, und sein "Krake" war der angesagteste Club diesseits der Alpen. Jetzt lebt er lustlos und lässig vom Pflegegeld, das sein Schützling, ein im Koma liegender Techno-DJ aus Manchester, bezieht. Othmars Freundin Selma ist krebskrank, aber ziemlich fidel; überhaupt sind die Frauen in Bad Regina deutlich lebenstüchtiger und aufgeweckter als die Männer.
Schalko beschreibt in kurzen, pointierten Sätzen Typen, Szenen und Säuferdialoge aus dem Irrenhaus Österreich. Das ist oft witzig, manchmal irrwitzig oder sogar kafkaesk-surreal, aber doch mehr Hochleistungskabarett als Roman. Erst im zweiten Teil bekommt das Untergeher-Wimmelbild dann so etwas wie einen Plot: Chen, der kapitalkräftige Chinese, will Bad Regina in einen Erlebnispark umwandeln, in dem jeder sich selbst spielt, selbstverständlich unter Beibehaltung seiner "Würde". Von Hallstatt und Neuschwanstein gibt es ja auch schon originalgetreue Nachbauten in China.
Man spürt in jedem Satz, dass Schalko gelernter Werbetexter ist. Mit Fernsehserien wie "Braunschlag", "Altes Geld" und "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" hat er sich einen Namen gemacht, in seinem Roman "Schwere Knochen" (2018) hat er Leichen im Keller der Geschichte ausgegraben, und gerade arbeitet er zusammen mit Jan Böhmermann an der Verfilmung der Ibiza-Affäre. "Bad Regina" liest sich wie ein Gemeinschaftswerk von Böhmermann, Agatha Christie und einem Thomas Bernhard auf Speed, garniert mit Rollenprosa von Qualtinger bis Josef Hader: eine wilde Kreuzung aus Politsatire, Heimatkrimi, Aphorismensammlung ("Die Geschichte der Zivilisation ist nicht eine des Aufstehens, sondern des Hinsetzens") und Daily-Soap-Simulationen, etwas lang geraten, aber nicht ohne Schmäh und provozierenden Schmackes. Der Warnvermerk des Verlags, "Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden", ist durchaus angebracht. In Bad Regina darf man noch N-Wörter benutzen, Transsexuelle veralbern oder syrische Schutzsuchende mit Alkoholproblem auftreten lassen, ohne die antifaschistische Grundhaltung zu beschädigen.
Dass am Ende schwarze "Afronauten" in Dirndl, Polizeiuniform und Häuptlingslendenschurz durch Bad Regina paradieren und Alteuropa fröhlich-wild verjüngen, geht in Österreich wohl auch noch als politisch unkorrekter Humor durch. "In Österreich ist alles vermodert", bernhardet Moschinger einmal. "Selbst der Humor. Der ja keiner ist. Selbst der vielgerühmte Humor ist nichts als Verdunkelung. In Österreich will nichts ans Licht, weil sich der Österreicher nur im Dunkeln als Riese wähnen kann. Der Österreicher hat zu allem ein schlampiges Verhältnis. Alles, was er tut, passiert, um etwas zu kaschieren. Im Gegensatz zum Deutschen, der versucht, alles richtig zu machen. Der Österreicher macht alles falsch. Und das mit allergrößter Lust. Deshalb braucht der Österreicher Humor und der Deutsche nicht."
MARTIN HALTER
David Schalko: "Bad Regina". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 398 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Christian Metz hat den Anfang und den Schluss dieses Romans über "den Ausverkauf eines illustren Kurortes" als überspitzte Farce gelesen. Er fand es urkomisch, wie der Autor die alltägliche Nutzlosigkeit der verbliebenen Bürger vorführt, und dass die Not letztlich in der Entführung eines Investors gipfelt. Dazwischen hat das Buch den Kritiker aber nicht überzeugt: Zu deutlich spielt David Schalko mit dem Klischee, dass die Sinnlosigkeit ihres Daseins die Bürger zu Nazis macht, und das Denken der Hauptfigur ist so dumpf, dass Metz die Herbeiführung des Finales durch sie kaum glauben kann. Alles in allem schlecht konstruiert, moniert er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2021Kurort im Ausverkauf
Das zieht selbst Thomas Bernhard die Lederhose aus: Den Menschen in David Schalkos Untergeher-Parabel "Bad Regina" fehlt das Unrechtsbewusstseins-Gen.
Bad Gastein, nach dessen Modell David Schalkos Bad Regina offensichtlich gebaut ist, war einmal eines der mondänsten Kurbäder Europas. Kaiser und Könige besuchten das Weltdorf in den Hohen Tauern, durch dessen Mitte ein Wasserfall schneidet wie ein blitzblankes Messer durch die Sachertorte. Dann wurden Bäder und Grandhotels geschlossen, und seither herrscht hier nur noch Verfall: morbide blätternde Fassaden, bröckelnder Stuck, vernagelte Fenster, vernagelte Köpfe. Neuerdings gibt es aber wieder ein paar Lebenszeichen. Bad Gastein, einst wegen seiner steilen Skyline als "Manhattan der Alpen" und noch heute als Monte Carlo des Salzkammerguts beworben, wird gerade von Berliner Hipstern als "Berlin der Alpen" wiederentdeckt.
Schalkos Bad Regina ist ein lost place des pittoresken Verfalls, eine Parabel auf den Untergang des alten Europas im Allgemeinen und die österreichischen Untergeher im Besonderen. Alle wollen weg von hier, selbst die Bienen, Katzen und letzten Piefke-Touristen. Die letzten Einheimischen verkaufen Haus und Hof und Würde an einen potenten chinesischen Investor und hoffen, dass niemand sie beim Ausverkauf der Heimat erwischt. Ganze 44 Menschen hausen noch in Bad Regina, jeder eine Ruine unter Ruinen, die sich wortreich und tatenlos "beim eigenen Verschwinden zuschaut".
Fast jeder von ihnen bekommt bei Schalko eine Geschichte, einen Spleen, einen running gag zugeteilt; zu tieferen Abgründen und schärferen Konturen reicht es selten. Da ist der schöne Pfarrer Helge, der als Mörder im Gefängnis saß und jetzt Moral predigt. Der betrügerische Zahnarzt, der gesunde Zähne zieht (nie mehr als dreißig Prozent, damit es nicht auffällt). Der Bahnhofsvorsteher träumt vom Zug nach nirgendwo, der Polizist von der Transfrau Petra (aber nicht von ihren genderfluiden Erscheinungen als Peter oder Petzi). Der Hotelier Moschinger hat bei Ebay für dreitausend Euro die Lederhose von Thomas Bernhard ergattert und sondert jetzt dauernd krachlederne Bernhardiana ab: "Österreich ist kein Land. Österreich ist eine Geisteskrankheit. Dem Österreicher fehlt ein Gen. Er hat kein Unrechtsbewußtsein. Es handelt sich um einen von Grund auf verdorbenen Menschen." Und der Bürgermeister Zesch, nach Art der Haiders und Straches rechtspopulistisch fesch und skrupellos, tut alles, um ins Klischee zu passen. Seine alles sehende Mutter hält sich für "Gottes zuverlässigste Zeugin", seine Frau pflegt eine trotzige Ausländerliebe: "In mir steckt auch eine Flüchtige, aber ich konnte es halt nie so ausleben wie Sie."
Mitten im Gewimmel zwischen Wasserfall, Luziwuzi-Bar und Grandhotel Abgrund, aber politisch und moralisch eher am Rande steht Othmar, ein spitzbäuchiger Trinker, ehemals links, heute zu passiv und müde, um sich noch zu empören. Früher war er mal in einer Punkband aktiv, und sein "Krake" war der angesagteste Club diesseits der Alpen. Jetzt lebt er lustlos und lässig vom Pflegegeld, das sein Schützling, ein im Koma liegender Techno-DJ aus Manchester, bezieht. Othmars Freundin Selma ist krebskrank, aber ziemlich fidel; überhaupt sind die Frauen in Bad Regina deutlich lebenstüchtiger und aufgeweckter als die Männer.
Schalko beschreibt in kurzen, pointierten Sätzen Typen, Szenen und Säuferdialoge aus dem Irrenhaus Österreich. Das ist oft witzig, manchmal irrwitzig oder sogar kafkaesk-surreal, aber doch mehr Hochleistungskabarett als Roman. Erst im zweiten Teil bekommt das Untergeher-Wimmelbild dann so etwas wie einen Plot: Chen, der kapitalkräftige Chinese, will Bad Regina in einen Erlebnispark umwandeln, in dem jeder sich selbst spielt, selbstverständlich unter Beibehaltung seiner "Würde". Von Hallstatt und Neuschwanstein gibt es ja auch schon originalgetreue Nachbauten in China.
Man spürt in jedem Satz, dass Schalko gelernter Werbetexter ist. Mit Fernsehserien wie "Braunschlag", "Altes Geld" und "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" hat er sich einen Namen gemacht, in seinem Roman "Schwere Knochen" (2018) hat er Leichen im Keller der Geschichte ausgegraben, und gerade arbeitet er zusammen mit Jan Böhmermann an der Verfilmung der Ibiza-Affäre. "Bad Regina" liest sich wie ein Gemeinschaftswerk von Böhmermann, Agatha Christie und einem Thomas Bernhard auf Speed, garniert mit Rollenprosa von Qualtinger bis Josef Hader: eine wilde Kreuzung aus Politsatire, Heimatkrimi, Aphorismensammlung ("Die Geschichte der Zivilisation ist nicht eine des Aufstehens, sondern des Hinsetzens") und Daily-Soap-Simulationen, etwas lang geraten, aber nicht ohne Schmäh und provozierenden Schmackes. Der Warnvermerk des Verlags, "Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden", ist durchaus angebracht. In Bad Regina darf man noch N-Wörter benutzen, Transsexuelle veralbern oder syrische Schutzsuchende mit Alkoholproblem auftreten lassen, ohne die antifaschistische Grundhaltung zu beschädigen.
Dass am Ende schwarze "Afronauten" in Dirndl, Polizeiuniform und Häuptlingslendenschurz durch Bad Regina paradieren und Alteuropa fröhlich-wild verjüngen, geht in Österreich wohl auch noch als politisch unkorrekter Humor durch. "In Österreich ist alles vermodert", bernhardet Moschinger einmal. "Selbst der Humor. Der ja keiner ist. Selbst der vielgerühmte Humor ist nichts als Verdunkelung. In Österreich will nichts ans Licht, weil sich der Österreicher nur im Dunkeln als Riese wähnen kann. Der Österreicher hat zu allem ein schlampiges Verhältnis. Alles, was er tut, passiert, um etwas zu kaschieren. Im Gegensatz zum Deutschen, der versucht, alles richtig zu machen. Der Österreicher macht alles falsch. Und das mit allergrößter Lust. Deshalb braucht der Österreicher Humor und der Deutsche nicht."
MARTIN HALTER
David Schalko: "Bad Regina". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 398 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das zieht selbst Thomas Bernhard die Lederhose aus: Den Menschen in David Schalkos Untergeher-Parabel "Bad Regina" fehlt das Unrechtsbewusstseins-Gen.
Bad Gastein, nach dessen Modell David Schalkos Bad Regina offensichtlich gebaut ist, war einmal eines der mondänsten Kurbäder Europas. Kaiser und Könige besuchten das Weltdorf in den Hohen Tauern, durch dessen Mitte ein Wasserfall schneidet wie ein blitzblankes Messer durch die Sachertorte. Dann wurden Bäder und Grandhotels geschlossen, und seither herrscht hier nur noch Verfall: morbide blätternde Fassaden, bröckelnder Stuck, vernagelte Fenster, vernagelte Köpfe. Neuerdings gibt es aber wieder ein paar Lebenszeichen. Bad Gastein, einst wegen seiner steilen Skyline als "Manhattan der Alpen" und noch heute als Monte Carlo des Salzkammerguts beworben, wird gerade von Berliner Hipstern als "Berlin der Alpen" wiederentdeckt.
Schalkos Bad Regina ist ein lost place des pittoresken Verfalls, eine Parabel auf den Untergang des alten Europas im Allgemeinen und die österreichischen Untergeher im Besonderen. Alle wollen weg von hier, selbst die Bienen, Katzen und letzten Piefke-Touristen. Die letzten Einheimischen verkaufen Haus und Hof und Würde an einen potenten chinesischen Investor und hoffen, dass niemand sie beim Ausverkauf der Heimat erwischt. Ganze 44 Menschen hausen noch in Bad Regina, jeder eine Ruine unter Ruinen, die sich wortreich und tatenlos "beim eigenen Verschwinden zuschaut".
Fast jeder von ihnen bekommt bei Schalko eine Geschichte, einen Spleen, einen running gag zugeteilt; zu tieferen Abgründen und schärferen Konturen reicht es selten. Da ist der schöne Pfarrer Helge, der als Mörder im Gefängnis saß und jetzt Moral predigt. Der betrügerische Zahnarzt, der gesunde Zähne zieht (nie mehr als dreißig Prozent, damit es nicht auffällt). Der Bahnhofsvorsteher träumt vom Zug nach nirgendwo, der Polizist von der Transfrau Petra (aber nicht von ihren genderfluiden Erscheinungen als Peter oder Petzi). Der Hotelier Moschinger hat bei Ebay für dreitausend Euro die Lederhose von Thomas Bernhard ergattert und sondert jetzt dauernd krachlederne Bernhardiana ab: "Österreich ist kein Land. Österreich ist eine Geisteskrankheit. Dem Österreicher fehlt ein Gen. Er hat kein Unrechtsbewußtsein. Es handelt sich um einen von Grund auf verdorbenen Menschen." Und der Bürgermeister Zesch, nach Art der Haiders und Straches rechtspopulistisch fesch und skrupellos, tut alles, um ins Klischee zu passen. Seine alles sehende Mutter hält sich für "Gottes zuverlässigste Zeugin", seine Frau pflegt eine trotzige Ausländerliebe: "In mir steckt auch eine Flüchtige, aber ich konnte es halt nie so ausleben wie Sie."
Mitten im Gewimmel zwischen Wasserfall, Luziwuzi-Bar und Grandhotel Abgrund, aber politisch und moralisch eher am Rande steht Othmar, ein spitzbäuchiger Trinker, ehemals links, heute zu passiv und müde, um sich noch zu empören. Früher war er mal in einer Punkband aktiv, und sein "Krake" war der angesagteste Club diesseits der Alpen. Jetzt lebt er lustlos und lässig vom Pflegegeld, das sein Schützling, ein im Koma liegender Techno-DJ aus Manchester, bezieht. Othmars Freundin Selma ist krebskrank, aber ziemlich fidel; überhaupt sind die Frauen in Bad Regina deutlich lebenstüchtiger und aufgeweckter als die Männer.
Schalko beschreibt in kurzen, pointierten Sätzen Typen, Szenen und Säuferdialoge aus dem Irrenhaus Österreich. Das ist oft witzig, manchmal irrwitzig oder sogar kafkaesk-surreal, aber doch mehr Hochleistungskabarett als Roman. Erst im zweiten Teil bekommt das Untergeher-Wimmelbild dann so etwas wie einen Plot: Chen, der kapitalkräftige Chinese, will Bad Regina in einen Erlebnispark umwandeln, in dem jeder sich selbst spielt, selbstverständlich unter Beibehaltung seiner "Würde". Von Hallstatt und Neuschwanstein gibt es ja auch schon originalgetreue Nachbauten in China.
Man spürt in jedem Satz, dass Schalko gelernter Werbetexter ist. Mit Fernsehserien wie "Braunschlag", "Altes Geld" und "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" hat er sich einen Namen gemacht, in seinem Roman "Schwere Knochen" (2018) hat er Leichen im Keller der Geschichte ausgegraben, und gerade arbeitet er zusammen mit Jan Böhmermann an der Verfilmung der Ibiza-Affäre. "Bad Regina" liest sich wie ein Gemeinschaftswerk von Böhmermann, Agatha Christie und einem Thomas Bernhard auf Speed, garniert mit Rollenprosa von Qualtinger bis Josef Hader: eine wilde Kreuzung aus Politsatire, Heimatkrimi, Aphorismensammlung ("Die Geschichte der Zivilisation ist nicht eine des Aufstehens, sondern des Hinsetzens") und Daily-Soap-Simulationen, etwas lang geraten, aber nicht ohne Schmäh und provozierenden Schmackes. Der Warnvermerk des Verlags, "Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden", ist durchaus angebracht. In Bad Regina darf man noch N-Wörter benutzen, Transsexuelle veralbern oder syrische Schutzsuchende mit Alkoholproblem auftreten lassen, ohne die antifaschistische Grundhaltung zu beschädigen.
Dass am Ende schwarze "Afronauten" in Dirndl, Polizeiuniform und Häuptlingslendenschurz durch Bad Regina paradieren und Alteuropa fröhlich-wild verjüngen, geht in Österreich wohl auch noch als politisch unkorrekter Humor durch. "In Österreich ist alles vermodert", bernhardet Moschinger einmal. "Selbst der Humor. Der ja keiner ist. Selbst der vielgerühmte Humor ist nichts als Verdunkelung. In Österreich will nichts ans Licht, weil sich der Österreicher nur im Dunkeln als Riese wähnen kann. Der Österreicher hat zu allem ein schlampiges Verhältnis. Alles, was er tut, passiert, um etwas zu kaschieren. Im Gegensatz zum Deutschen, der versucht, alles richtig zu machen. Der Österreicher macht alles falsch. Und das mit allergrößter Lust. Deshalb braucht der Österreicher Humor und der Deutsche nicht."
MARTIN HALTER
David Schalko: "Bad Regina". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 398 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2021In den Abgründen des Größenwahns
Der fieseste Hund ist immer das Schicksal. Auch im neuen satirischen Roman „Bad Regina“
des Schriftstellers, Regisseurs und „Braunschlag“-Schöpfers David Schalko
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Das ist natürlich fast zu gut, um wahr zu sein. Der österreichische Schriftsteller und Filmemacher David Schalko, der 2011 auch in Deutschland endgültig berühmt wurde als Erfinder, Drehbuchautor und Regisseur der genialischen Satireserie „Braunschlag“, hat einen neuen satirischen Roman geschrieben – und Schauplatz ist Bad Gastein. Jener Ort in den Hohen Tauern also, der einst wegen seiner Thermalquellen berühmt und im 19. Jahrhundert schließlich zum mondänen Sommerkurbad Europas schlechthin wurde, mit majestätischen Belle-Époque-Hotelbauten, die in dieser Größe nach Wien und Berlin passen, aber eigentlich nicht in ein kleines Dorf an einem Alpenhang. Kaiser Franz I. von Österreich und der preußische Kaiser Wilhelm I. verhandelten und erholten sich hier und mit ihnen die gesamte adelige und diplomatische Elite Europas, samt Gefolge.
Bald kamen auch die Industriemagnaten: Thyssen, Krupp, Opel, Siemens, Rockefeller, Vanderbilt; und die berühmtesten Schriftsteller: Heinrich Mann, William Somerset Maugham. Und es ging lange so weiter, 1909 eröffnete mit dem Grand Hotel de l’Europe sogar eines der damals größten und modernsten Luxushotels des Kontinents. Nach den Kriegen wurde es schwerer, aber die Erfindung des Wintertourismus half, und in den Fünfzigern residierten Hollywood-Stars wie Billy Wilder, Tyrone Power und Charles Laughton im Straubinger Hof, direkt gegenüber von Wilhelms altem Badeschloss.
In den Siebzigern wurden viele der alten Prachtbauten allerdings nicht mehr renoviert, auch weil schlicht kein Platz war für die dringend benötigten Parkplätze der Skigäste, die jetzt alle mit dem eigenen Auto anreisten und von denen der Ort, der in normalen Jahren mehr als eine halbe Million Übernachtungen zählt, bis heute lebt. Oberhalb des alten Ortskerns wurden neue Hotels für ein neues Massenpublikum gebaut, im Ortskern schloss bald ein legendäres Haus nach dem anderen – und verfiel. Sogar das erst 1974 fertiggestellte „Kongresshaus“, ein brutalistischer Betonkoloss mitten im Dorf, rottet heute vor sich hin. Auch weil die Gemeinde in der Not einem Wiener Investor die alten Gebäude zwar verkaufte, der aber dann doch nicht investierte, sondern spekulierte und sie leer stehen ließ. Aus der ganz großen Party wurde die klassische Provinzposse.
Wobei die Häuser ja immer noch im Hang hängen als eine der spektakulärsten und schrägsten Kulissen der Alpen und – natürlich – schließlich die ganz Cleveren kamen, aus Berlin und Wien, aus ein paar Ruinen famose Designhotels machten, und einem nach dem Außergewöhnlichen gierenden urbanen Hipster-Publikum neben Luxus-Wellness schaurig-schöne historische Führungen durch den Glamour von einst anbieten.
Man muss das alles etwas ausführlicher erzählen, weil David Schalkos neuer Roman „Bad Regina“ ganz bewusst aus diesem Echoraum vergangener europäischer Herrlichkeit heraus- und in die heruntergekommene heutige Kulisse hineingeschrieben ist. Außerdem sollte es nicht wundern, wenn der 48-jährige Wiener gute Teile des Buches als Gast in einem der Designhotels verfasst hat. Weil sich die Abgründe des heimatseligen kleingeistigen Größenwahns, den der Mensch so in sich trägt, ja nur halb so unterhaltsam erzählen lassen, wenn man es sich dabei nicht mit schlechtem Gewissen gut gehen lassen kann.
Der florierende Massenwintersportort Bad Gastein spielt in „Bad Regina“ allerdings keine Rolle. Kleine Verzerrung ins Kenntliche. Der Niedergang des Städtchens ist im Roman vielmehr so gut wie vollendet, die Party ist wirklich vorbei, es gibt nur noch 46 Einwohner, und wer noch ein Haus zu verkaufen hat, der verkauft es einem zwielichtigen chinesischstämmigen Immobilienunternehmer namens Chen: „Es lag ein Fluch über Bad Regina. Und dieser Fluch hieß Chen. Niemand von den verbliebenen kannte ihn. Niemand wusste, was er vorhatte. Aber alle nahmen sein Angebot an.“
Einzig Othmar, der – passend zur desolaten Kulisse – auch nicht gerade in bester Form ist, will den Ausverkauf seiner Heimat nicht hinnehmen und herausfinden, was „der Chinese“ vorhat. Ausgerechnet Othmar.
Bis Ende der Neunziger managte er mit dem „Kraken“ den berühmtesten Partyclub der Alpen, heute lebt er, von der Gicht geplagt, von der Invalidenrente des ehemaligen britischen Star-DJs Alpha, der kurz nach seinem Auftritt im Kraken beim bekifften Skifahren mit Othmar verunglückte und seither in Othmars Wohnung querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzend im Wachkoma vor sich hindöst: „Othmar hatte ihm trotz seines würdelosen Zustands die Würde bewahrt. Alle zwei Wochen kam Selma und restaurierte ihn.“
Die Schnelligkeit und die Präzision, der dialogische Witz und die Lakonie, mit denen hier auf den ersten 30, 40 Seiten die Situation und das Personal skizziert wird, ist große literarische Satirekunst, die den hochbegabten Drehbuchautor und erfahrenen Regisseur erkennen lässt.
Und was das Aberwitz-Niveau bis hierher betrifft: damit geht die Suche nach den Motiven Chens, die die Handlung des Buches vorantreibt, gerade erst los. Es wird bis zum Schluss immer nur noch aberwitziger. Hingebungsvoll detailliert führt Schalko durch die Verkommenheiten der verbliebenen Einwohner, die bald die Abscheu gegenüber Chen und „den Scheißchinesen“ eint, die „glauben, die ganze Welt kaufen zu können“. Wobei die ohnmächtige Hilflosigkeit, mit der sie vorgehen, immer wieder fast anrührend mitfühlend erzählt wird: „Erst später begriff er, dass zu Hause dort war, wohin man immer wieder unfreiwillig zurückkehrte.“
Das war auch schon die große Stärke von „Braunschlag“, es ist überhaupt die große Stärke des Schalko-Blicks, den erkennbar auch bei der monströsesten Witzfigur am Ende nicht vor allem dessen Lächerlichkeit, sondern dessen Menschlichkeit im Angesicht der Vergeblichkeit interessiert. Über allem liegt die lakonische Wehmut darüber, dass der fieseste Hund noch immer das Schicksal ist.
Als Leser ist man allerdings auch etwas wehmütig angesichts der Tatsache, dass das alles etwas zu lang, zu wüst und zu verwirrend erzählt ist. Der Vorgänger „Schwere Knochen“, eine historische Groteske über die Wiener Unterwelt der Nachkriegszeit, ist – konventionell gesehen – sicher das besser gemachte Buch. Die Handlung von „Bad Regina“ ist so reich an irren Wendungen, Rückblenden, Personal und Überraschungen, dass man bald gar nicht mehr so überrascht ist, sondern eher genervt. Was die Lektüre nach spätestens 100 Seiten zunehmend mühsam macht. Trotz aller immer wieder grandiosen Szenen und Dialoge. Über am Ende etwas zu weite Strecken liest sich das Buch so wie ein zu eilig ausgeschmücktes, noch nicht ganz fertiges Drehbuch einer Serie. Einerseits. Andererseits würde man sich diese Serie selbstverständlich sofort angucken, wenn Schalko sie gedreht hätte. Schon allein wegen der Kulisse und ihrer Geschichte.
Aus dem ganz großen
Belle-Époque-Glamour wurde
die klassische Provinzposse
Zu Hause ist dort,
wohin man immer wieder
unfreiwillig zurückkehrt
David Schalko: Bad Regina. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021.
400 Seiten, 24 Euro.
Das Grand Hotel de l’Europe in Bad Gastein war einst eines der modernsten und exklusivsten Luxushotels Europas.
Foto: imago images/imagebroker
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Der fieseste Hund ist immer das Schicksal. Auch im neuen satirischen Roman „Bad Regina“
des Schriftstellers, Regisseurs und „Braunschlag“-Schöpfers David Schalko
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Das ist natürlich fast zu gut, um wahr zu sein. Der österreichische Schriftsteller und Filmemacher David Schalko, der 2011 auch in Deutschland endgültig berühmt wurde als Erfinder, Drehbuchautor und Regisseur der genialischen Satireserie „Braunschlag“, hat einen neuen satirischen Roman geschrieben – und Schauplatz ist Bad Gastein. Jener Ort in den Hohen Tauern also, der einst wegen seiner Thermalquellen berühmt und im 19. Jahrhundert schließlich zum mondänen Sommerkurbad Europas schlechthin wurde, mit majestätischen Belle-Époque-Hotelbauten, die in dieser Größe nach Wien und Berlin passen, aber eigentlich nicht in ein kleines Dorf an einem Alpenhang. Kaiser Franz I. von Österreich und der preußische Kaiser Wilhelm I. verhandelten und erholten sich hier und mit ihnen die gesamte adelige und diplomatische Elite Europas, samt Gefolge.
Bald kamen auch die Industriemagnaten: Thyssen, Krupp, Opel, Siemens, Rockefeller, Vanderbilt; und die berühmtesten Schriftsteller: Heinrich Mann, William Somerset Maugham. Und es ging lange so weiter, 1909 eröffnete mit dem Grand Hotel de l’Europe sogar eines der damals größten und modernsten Luxushotels des Kontinents. Nach den Kriegen wurde es schwerer, aber die Erfindung des Wintertourismus half, und in den Fünfzigern residierten Hollywood-Stars wie Billy Wilder, Tyrone Power und Charles Laughton im Straubinger Hof, direkt gegenüber von Wilhelms altem Badeschloss.
In den Siebzigern wurden viele der alten Prachtbauten allerdings nicht mehr renoviert, auch weil schlicht kein Platz war für die dringend benötigten Parkplätze der Skigäste, die jetzt alle mit dem eigenen Auto anreisten und von denen der Ort, der in normalen Jahren mehr als eine halbe Million Übernachtungen zählt, bis heute lebt. Oberhalb des alten Ortskerns wurden neue Hotels für ein neues Massenpublikum gebaut, im Ortskern schloss bald ein legendäres Haus nach dem anderen – und verfiel. Sogar das erst 1974 fertiggestellte „Kongresshaus“, ein brutalistischer Betonkoloss mitten im Dorf, rottet heute vor sich hin. Auch weil die Gemeinde in der Not einem Wiener Investor die alten Gebäude zwar verkaufte, der aber dann doch nicht investierte, sondern spekulierte und sie leer stehen ließ. Aus der ganz großen Party wurde die klassische Provinzposse.
Wobei die Häuser ja immer noch im Hang hängen als eine der spektakulärsten und schrägsten Kulissen der Alpen und – natürlich – schließlich die ganz Cleveren kamen, aus Berlin und Wien, aus ein paar Ruinen famose Designhotels machten, und einem nach dem Außergewöhnlichen gierenden urbanen Hipster-Publikum neben Luxus-Wellness schaurig-schöne historische Führungen durch den Glamour von einst anbieten.
Man muss das alles etwas ausführlicher erzählen, weil David Schalkos neuer Roman „Bad Regina“ ganz bewusst aus diesem Echoraum vergangener europäischer Herrlichkeit heraus- und in die heruntergekommene heutige Kulisse hineingeschrieben ist. Außerdem sollte es nicht wundern, wenn der 48-jährige Wiener gute Teile des Buches als Gast in einem der Designhotels verfasst hat. Weil sich die Abgründe des heimatseligen kleingeistigen Größenwahns, den der Mensch so in sich trägt, ja nur halb so unterhaltsam erzählen lassen, wenn man es sich dabei nicht mit schlechtem Gewissen gut gehen lassen kann.
Der florierende Massenwintersportort Bad Gastein spielt in „Bad Regina“ allerdings keine Rolle. Kleine Verzerrung ins Kenntliche. Der Niedergang des Städtchens ist im Roman vielmehr so gut wie vollendet, die Party ist wirklich vorbei, es gibt nur noch 46 Einwohner, und wer noch ein Haus zu verkaufen hat, der verkauft es einem zwielichtigen chinesischstämmigen Immobilienunternehmer namens Chen: „Es lag ein Fluch über Bad Regina. Und dieser Fluch hieß Chen. Niemand von den verbliebenen kannte ihn. Niemand wusste, was er vorhatte. Aber alle nahmen sein Angebot an.“
Einzig Othmar, der – passend zur desolaten Kulisse – auch nicht gerade in bester Form ist, will den Ausverkauf seiner Heimat nicht hinnehmen und herausfinden, was „der Chinese“ vorhat. Ausgerechnet Othmar.
Bis Ende der Neunziger managte er mit dem „Kraken“ den berühmtesten Partyclub der Alpen, heute lebt er, von der Gicht geplagt, von der Invalidenrente des ehemaligen britischen Star-DJs Alpha, der kurz nach seinem Auftritt im Kraken beim bekifften Skifahren mit Othmar verunglückte und seither in Othmars Wohnung querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzend im Wachkoma vor sich hindöst: „Othmar hatte ihm trotz seines würdelosen Zustands die Würde bewahrt. Alle zwei Wochen kam Selma und restaurierte ihn.“
Die Schnelligkeit und die Präzision, der dialogische Witz und die Lakonie, mit denen hier auf den ersten 30, 40 Seiten die Situation und das Personal skizziert wird, ist große literarische Satirekunst, die den hochbegabten Drehbuchautor und erfahrenen Regisseur erkennen lässt.
Und was das Aberwitz-Niveau bis hierher betrifft: damit geht die Suche nach den Motiven Chens, die die Handlung des Buches vorantreibt, gerade erst los. Es wird bis zum Schluss immer nur noch aberwitziger. Hingebungsvoll detailliert führt Schalko durch die Verkommenheiten der verbliebenen Einwohner, die bald die Abscheu gegenüber Chen und „den Scheißchinesen“ eint, die „glauben, die ganze Welt kaufen zu können“. Wobei die ohnmächtige Hilflosigkeit, mit der sie vorgehen, immer wieder fast anrührend mitfühlend erzählt wird: „Erst später begriff er, dass zu Hause dort war, wohin man immer wieder unfreiwillig zurückkehrte.“
Das war auch schon die große Stärke von „Braunschlag“, es ist überhaupt die große Stärke des Schalko-Blicks, den erkennbar auch bei der monströsesten Witzfigur am Ende nicht vor allem dessen Lächerlichkeit, sondern dessen Menschlichkeit im Angesicht der Vergeblichkeit interessiert. Über allem liegt die lakonische Wehmut darüber, dass der fieseste Hund noch immer das Schicksal ist.
Als Leser ist man allerdings auch etwas wehmütig angesichts der Tatsache, dass das alles etwas zu lang, zu wüst und zu verwirrend erzählt ist. Der Vorgänger „Schwere Knochen“, eine historische Groteske über die Wiener Unterwelt der Nachkriegszeit, ist – konventionell gesehen – sicher das besser gemachte Buch. Die Handlung von „Bad Regina“ ist so reich an irren Wendungen, Rückblenden, Personal und Überraschungen, dass man bald gar nicht mehr so überrascht ist, sondern eher genervt. Was die Lektüre nach spätestens 100 Seiten zunehmend mühsam macht. Trotz aller immer wieder grandiosen Szenen und Dialoge. Über am Ende etwas zu weite Strecken liest sich das Buch so wie ein zu eilig ausgeschmücktes, noch nicht ganz fertiges Drehbuch einer Serie. Einerseits. Andererseits würde man sich diese Serie selbstverständlich sofort angucken, wenn Schalko sie gedreht hätte. Schon allein wegen der Kulisse und ihrer Geschichte.
Aus dem ganz großen
Belle-Époque-Glamour wurde
die klassische Provinzposse
Zu Hause ist dort,
wohin man immer wieder
unfreiwillig zurückkehrt
David Schalko: Bad Regina. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021.
400 Seiten, 24 Euro.
Das Grand Hotel de l’Europe in Bad Gastein war einst eines der modernsten und exklusivsten Luxushotels Europas.
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»Eine durch und durch gelungene Satire.« MDR Kultur 20210123