Lou ist eine schüchterne, fleißige Bibliothekarin. Sie lebt eine maulwurfartige Existenz, begraben zwischen vergilbten Karten und Manuskripten in ihrem staubigen Kellerbüro. Da sie nichts und niemanden hat, zu dem sie nach Hause gehen kann, gibt sie sich dem leidenschaftslosen Sex mit dem Direktor des Instituts auf ihrem Schreibtisch hin. Den Sommer soll sie auf einer abgelegenen Flussinsel im Norden Kanadas verbringen, um den Nachlass von Oberst Jocelyn Cary zu katalogisieren. Dass sie nicht allein in der Einsamkeit der kleinen, wuchernden Insel lebt, sondern sich auch um einen halbzahmen Bären kümmern muss, hat ihr vorher niemand erzählt. Als der Sommer über der Flussinsel blüht und Lou die Stadt von sich abschüttelt, verfliegt der erste Schreck über dieses hungrige, undurchschaubare Wesen mit seinem dicken Pelz und seiner rauen Zunge, und Lou erforscht die Grenzen ihrer Lust...
»Durch die Neuauflage des btb-Verlags kann man die Geschichte über Freiheit und den "female gaze", also den weiblichen Blick, wiederentdecken. Und das macht unheimlich Spaß. Denn obwohl der Roman komplizierte Fragen von Machtpositionen und weiblichen Lebens- und Liebesentwürfen radikal verhandelt, ist er leichtfüßig erzählt. Auch heute hat "Bär" keinen Deut seiner erzählerischen Kraft eingebüßt.« Elisa von Hof, Der Spiegel
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Manuela Reichart kann es kaum glauben, was Marian Engel in ihrem Roman gelingt und mit welcher Leichtigkeit: Auf die klarste, direkteste Weise schreibt sie über etwas, das vorher unaussprechlich schien: Eine sexuelle Liebesbeziehung zwischen einer Frau und einem Bären, frei von Romantisierungen, Mystifizierungen oder Anthropomorphisierungen. Die Frau bleibt Frau, der Bär bleibt Bär, das wissen Autorin wie Protagonistin, und trotzdem oder gerade deshalb weckt diese Beziehung etwas in der jungen Archivarin, die im Zentrum dieses Romans steht, das sie vorher nicht kannte: "eine Sexualität, die ihr neu und grenzenlos" erscheint, schreibt Reichart. Dieses Buch, obwohl inzwischen über fünfzig Jahre alt, provoziert und fordert auf eine Weise heraus, die man selten erlebt, so die begeisterte Rezensentin. Die teils herrlichen Naturschilderungen sowie die sehr spezielle Heldinnenfigur sind weitere Gründe für Reichart, "Bär" auch heute noch dringend zu empfehlen. Das einzige Manko: Dass man im Nachwort nicht mehr über die hierzulande eher unbekannte Autorin erfährt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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