Eine verbotene Zone, ein paradoxer, künstlicher Ort? - Sonderbar ist dieser Baggersee, der die Menschen mit magischer Kraft anzuziehen scheint. Merkwürdige Existenzen kommen mit allerlei Gepäck und voller Tatendrang an den See, um dort, wie es der selbsternannte und selbstverständlich alleswissende Aufseher formuliert,"zu ertrinken". Gergely Peterfy, der in Ungarn Romane, Hörspiele und Erzählungen publiziert, fabuliert präzise wie Peter Esterhßzy, und sein Erzählen erinnert an die meisterhaften"Miniaturnovellen"von Istvßn Örkeny. Auf knappem Raum versteht er es, eine vielschichtige Welt, ein kunstvolles Geflecht aus surrealen Geschichten und skurrilen Beziehungen zu entwerfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2008Old Trockenhand und des Lebens fehlender Sinn
Eine bitterböse Parabel des Ungarn Gergely Péterfy
Von Sabine Berking
Das ist kein Buch für zimperliche Humanisten, in diesem Roman herrschen Tristesse und Düsternis, und dafür gibt es kaum einen besseren Schauplatz als einen öden Baggersee. Piefige Datschen, eine schmuddelige Trinkstube und im Unkraut verrottender Müll: ein Refugium spießiger Freizeitkultur, auf dessen Grund Leichen verwesen. Wer hier laufen lernt, strauchelt sein ganzes Leben. Anders als die Sommerfrischler haben die Antihelden des ungarischen Autors Gergely Péterfy Freizeit satt, im doppelten Sinne des Wortes: Sie sind tote Seelen, beckettsche Randfiguren in einer zwischenzeitlichen Lebensleere, die gegen die absolute Bedeutungslosigkeit ankämpfen wie Ertrinkende. Hierher, so der "Wächter", ein unermüdlicher Berichterstatter aus dieser Kampfzone des quälenden Nichts, kommt man nicht zum Baden. Schwimmen sei kein Sport, sondern der dämliche Versuch, nicht zu ersaufen.
Der alte Kálman will zur Witwe Katalin, die er angeblich über eine Annonce kennengelernt hat. Doch bevor er sich der Witwe vorstellen will, muss er in der Trinkstube noch einiges hinunterspülen. Man ahnt es schon: Bis zur Dame des Herzens wird er nicht vordringen - anders der narbige Anti, der einen ausrangierten Ikarus-Bus, einst Symbol sozialistischer Autotechnik wie der Trabant oder der Wolga, zu seinem Zuhause machte und darin stetig eine Knochensammlung erweitert. Wie der Bus hat auch Anti längst kein Ziel mehr. Ein Brief, der nur ein aufgeweichter Zettel ist, wirft ihn für eine kurze Weile aus der Bahn; dann rollt er den Stein des Sisyphos - die Knochensammlung - weiter. Die böse Vera, die eines Tages unvermittelt mit Gepäck anreist, wirft mit Fremdwörtern um sich, die keiner versteht. Sie geht ein Techtelmechtel mit Ervin, dem brotlosen Maler, ein, dessen Bilder sie an der Landstraße in kurzem Röckchen nicht ganz ohne Erfolg an herbeiströmende Fernfahrer verschachert. Dem Kaninchenzüchter Kövári wiederum rennen die Karnickel davon, ihm bleibt nach dem Ruin nur der verzweifelte Kampf gegen den unerträglichen "Daheimgeruch" und die ganze "Verdaheimgeruchisierung"; und János Trockenhand, einst freiwilliger Polizist, jetzt beleidigter Griesgram, verbirgt stets ein vermeintliches Ekzem unter einem notorischen Handverband.
Natürlich gibt es auch richtige Bösewichter in diesem postmodernen GuLAG, zwei Brüder, die einst über außergewöhnliche Eigenschaften verfügten. Der eine konnte sich ein paar Augenblicke in der Luft halten, der andere entlockte Steinen Geräusche. Doch um das achtzehnte Jahr herum begannen diese Fähigkeiten zu schwinden, inzwischen vertreiben sich die selbsternannten Haderlumpen die Tage mit Prügelei. Das erste Opfer ist immer der eigene Vater, dessen Weheschreie zur Geräuschkulisse am Baggersee gehören und der für ein Freibier in der Trinkstube schon mal freiwillig die Knochen zum Verprügeln hinhält; er hat Übung, die anderen haben Aggressionen zum Loswerden. Selbst die Fliegen schlagen in diesem Habitat des Siechtums bösartig mit Flügeln um sich. Am Ende liegt ein Vogel in einem Schuhkarton und verweigert die Zwangsernährung, die ihm der Erzähler zuteil werden lassen will - kein angemessener Tod für einen Vogel, versteht sich, selbst für einen, der wegen zu großer Füße nicht fliegen kann. Doch die "Kunst des Sterbens" - so der Titel dieses letzten Kapitels - ist längst in Vergessenheit geraten. Der Erzähler kehrt zum Papier zurück, der Vogel krepiert elend. Wer nicht fliegen kann, kann auch nicht sterben.
Gergely Péterfy lehrt Latein und Altgriechisch an der Universität von Miskolc, seit Anfang der neunziger Jahre veröffentlicht er literarische Texte, 1999 erschien bei Suhrkamp die Erzählung "Schwarze Messe" in einer Anthologie ungarischer Kurzprosa. 2003 wurde er in seiner Heimat mit dem József-Attila-Preis ausgezeichnet, ein Jahr später erhielt er den renommierten Sándor-Márai-Preis. "Baggersee", 2004 auf Ungarisch erschienen, ist Péterfys erstes Buch auf Deutsch.
Wie die Ungarn Sándor Márai und László Krasnohorkai ist auch Gergely Péterfy ein Bote verlorener Schlachten, dessen düstere Prosa bezeugt, dass der Mensch sich oft vor nichts so sehr fürchtet wie vor der Freiheit. Seine existentialistisch-surreale Parabel auf die moderne Menschheit erzählt der 1966 in Budapest geborene Péterfy lakonisch und recht spartanisch, was die Bezeichnung "Roman" fast obsolet erscheinen lässt. Dennoch: Diese minutiöse Anatomie des Desolaten, dieser Tanz der toten Seelen, der bei jedem zweiten Kapitel im halben Satz abrupt endet und den Leser auf den unangenehmen Gedanken zurückwirft, der Mensch sei am Ende doch nichts als eine bloße Verirrung der Schöpfung, ist ein kleines Meisterwerk, kongenial von Agnes Relle übersetzt.
- Gergely Péterfy: "Baggersee". Roman.
Aus dem Ungarischen übersetzt von Agnes Relle. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 143 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine bitterböse Parabel des Ungarn Gergely Péterfy
Von Sabine Berking
Das ist kein Buch für zimperliche Humanisten, in diesem Roman herrschen Tristesse und Düsternis, und dafür gibt es kaum einen besseren Schauplatz als einen öden Baggersee. Piefige Datschen, eine schmuddelige Trinkstube und im Unkraut verrottender Müll: ein Refugium spießiger Freizeitkultur, auf dessen Grund Leichen verwesen. Wer hier laufen lernt, strauchelt sein ganzes Leben. Anders als die Sommerfrischler haben die Antihelden des ungarischen Autors Gergely Péterfy Freizeit satt, im doppelten Sinne des Wortes: Sie sind tote Seelen, beckettsche Randfiguren in einer zwischenzeitlichen Lebensleere, die gegen die absolute Bedeutungslosigkeit ankämpfen wie Ertrinkende. Hierher, so der "Wächter", ein unermüdlicher Berichterstatter aus dieser Kampfzone des quälenden Nichts, kommt man nicht zum Baden. Schwimmen sei kein Sport, sondern der dämliche Versuch, nicht zu ersaufen.
Der alte Kálman will zur Witwe Katalin, die er angeblich über eine Annonce kennengelernt hat. Doch bevor er sich der Witwe vorstellen will, muss er in der Trinkstube noch einiges hinunterspülen. Man ahnt es schon: Bis zur Dame des Herzens wird er nicht vordringen - anders der narbige Anti, der einen ausrangierten Ikarus-Bus, einst Symbol sozialistischer Autotechnik wie der Trabant oder der Wolga, zu seinem Zuhause machte und darin stetig eine Knochensammlung erweitert. Wie der Bus hat auch Anti längst kein Ziel mehr. Ein Brief, der nur ein aufgeweichter Zettel ist, wirft ihn für eine kurze Weile aus der Bahn; dann rollt er den Stein des Sisyphos - die Knochensammlung - weiter. Die böse Vera, die eines Tages unvermittelt mit Gepäck anreist, wirft mit Fremdwörtern um sich, die keiner versteht. Sie geht ein Techtelmechtel mit Ervin, dem brotlosen Maler, ein, dessen Bilder sie an der Landstraße in kurzem Röckchen nicht ganz ohne Erfolg an herbeiströmende Fernfahrer verschachert. Dem Kaninchenzüchter Kövári wiederum rennen die Karnickel davon, ihm bleibt nach dem Ruin nur der verzweifelte Kampf gegen den unerträglichen "Daheimgeruch" und die ganze "Verdaheimgeruchisierung"; und János Trockenhand, einst freiwilliger Polizist, jetzt beleidigter Griesgram, verbirgt stets ein vermeintliches Ekzem unter einem notorischen Handverband.
Natürlich gibt es auch richtige Bösewichter in diesem postmodernen GuLAG, zwei Brüder, die einst über außergewöhnliche Eigenschaften verfügten. Der eine konnte sich ein paar Augenblicke in der Luft halten, der andere entlockte Steinen Geräusche. Doch um das achtzehnte Jahr herum begannen diese Fähigkeiten zu schwinden, inzwischen vertreiben sich die selbsternannten Haderlumpen die Tage mit Prügelei. Das erste Opfer ist immer der eigene Vater, dessen Weheschreie zur Geräuschkulisse am Baggersee gehören und der für ein Freibier in der Trinkstube schon mal freiwillig die Knochen zum Verprügeln hinhält; er hat Übung, die anderen haben Aggressionen zum Loswerden. Selbst die Fliegen schlagen in diesem Habitat des Siechtums bösartig mit Flügeln um sich. Am Ende liegt ein Vogel in einem Schuhkarton und verweigert die Zwangsernährung, die ihm der Erzähler zuteil werden lassen will - kein angemessener Tod für einen Vogel, versteht sich, selbst für einen, der wegen zu großer Füße nicht fliegen kann. Doch die "Kunst des Sterbens" - so der Titel dieses letzten Kapitels - ist längst in Vergessenheit geraten. Der Erzähler kehrt zum Papier zurück, der Vogel krepiert elend. Wer nicht fliegen kann, kann auch nicht sterben.
Gergely Péterfy lehrt Latein und Altgriechisch an der Universität von Miskolc, seit Anfang der neunziger Jahre veröffentlicht er literarische Texte, 1999 erschien bei Suhrkamp die Erzählung "Schwarze Messe" in einer Anthologie ungarischer Kurzprosa. 2003 wurde er in seiner Heimat mit dem József-Attila-Preis ausgezeichnet, ein Jahr später erhielt er den renommierten Sándor-Márai-Preis. "Baggersee", 2004 auf Ungarisch erschienen, ist Péterfys erstes Buch auf Deutsch.
Wie die Ungarn Sándor Márai und László Krasnohorkai ist auch Gergely Péterfy ein Bote verlorener Schlachten, dessen düstere Prosa bezeugt, dass der Mensch sich oft vor nichts so sehr fürchtet wie vor der Freiheit. Seine existentialistisch-surreale Parabel auf die moderne Menschheit erzählt der 1966 in Budapest geborene Péterfy lakonisch und recht spartanisch, was die Bezeichnung "Roman" fast obsolet erscheinen lässt. Dennoch: Diese minutiöse Anatomie des Desolaten, dieser Tanz der toten Seelen, der bei jedem zweiten Kapitel im halben Satz abrupt endet und den Leser auf den unangenehmen Gedanken zurückwirft, der Mensch sei am Ende doch nichts als eine bloße Verirrung der Schöpfung, ist ein kleines Meisterwerk, kongenial von Agnes Relle übersetzt.
- Gergely Péterfy: "Baggersee". Roman.
Aus dem Ungarischen übersetzt von Agnes Relle. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 143 S., geb., 15,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
"Große Literatur der kleinen Form" entdeckt Rezensent Paul Jandl in Gergely Peterfys Roman "Baggersee", dem ersten ins Deutsche übersetzten Roman des ungarischen Schriftstellers. So viel Lob für das "Schwebende" des Textes hat der Rezensent übrig, das auch für die Übersetzungskunst Agnes Relles noch genügend übrig bleibt. Die Geschichten um einen Baggersee, auf dessen Grund die Ertrunkenen liegen, und die "Menschen, die das Schicksal hier angespült" hat, verunsichern Jandl positiv. Polizisten, Knochensammler, böse Frauen und Maler bevölkern das Buch; Beckett, Bernhard und Kafka sieht er als literarische Paten. Die Grenzen von Tod und Leben verschwinden, ist man noch hier oder schon jenseits, im Jenseitigen? Poetisch und düster zugleich findet das alles der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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