Ursprungsort dieser Geschichten ist eine prachtvolle Bahnhofshalle, unter deren hohen Dächern zwischen den Gleisen, auf Märkten und in Cafés abwechselnd Stille und Höllenlärm herrscht. Das geübte Ohr des Erzählers spürt in diesem brabbelnden und fiependen Klangmeer die einzelnen Stimmen auf, zerlegt die Interferenzen und mischt sie neu ab in vier Teilen zu je sechs Geschichten. Verspielte Soli wurzeln im Generalbaß und finden immer wieder zu ihm zurück. Der Bahnhof wirkt wie ein Sender, der als Hallraum sämtliche Geräusche verstärkt und in die Welt schickt, er birgt den "Nullstein", von dem aus "das Kontinentinnere vermessen wird". Peter Weber erkundet die Nischen des Bahnhofs, läßt seinen Erzähler Rolltreppen fahren und von oben auf das geschäftige Treiben blicken, und er schickt ihn hinab in die unterirdischen Stockwerke. Dort findet (oder erfindet) er ein weitverzweigtes Wurzelwerk, ein Geflecht aus Gräben und Gängen, in dem sichtbar bleibt, daß die neuen Träger und Wände auf alten und immer wieder überbauten Fundamenten ruhen - eine Architektur, die dem Über- und Ineinander des Akustischen entspricht. Die zentrale "Mutteruhr" gibt den Takt an für alle phantastischen Reisen, von denen der Autor mit modulierter Ironie erzählt und auf die er seine Leser schickt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Richtig interessant findet die Rezensentin Meike Fessmann diesen dritten Roman des Schweizer Autors Peter Weber, auch wenn die Lektüre zum Teil ein hartes Stück Arbeit sei. Doch die lohnt sich nach Fessmanns Meinung auf jeden Fall, denn der Autor versuche etwas, was sonst nur "Theoretiker und Essayisten" anstreben, nämlich "die Umgestaltung der erfahrbaren Welt zu erfassen". Dabei sei seine Herangehensweise eine poetische, keine theoretische. Der Autor wird so in Fessmanns Augen zum "Seismograph sphärischer Erschütterungen". Doch die als Leser auszuhalten, ist manchmal nicht so einfach, zumal sich der Autor diesmal ein komplizierteres Thema gewählt hat. Während seine früheren Romane nach Meinung der Rezensentin als "postmoderne Heimatromane" funktionierten, geht es in seinem neuen Roman auf einer recht abstrakten Ebene um Globalisierung, um die Frage "des Sesshaftwerdens in den unbewohnbaren Räumen des Transits".
© Perlentaucher Medien GmbH
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