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Es war im Juli 1863. In den Straßen Manhattans streiten sich Kinder mit wilden Schweinen um Brot. Schnaps, bezahlt nach Trinksekunden, schürt die Ungeduld der Männer. Und dann geht die Stadt New York in Flammen auf. Paradise Alley, eine Straße im Armenviertel New Yorks. Drei Frauen warten ängstlich in ihren Häusern auf den gewalttätigen Mob, der sich von Downtown aus auf sie zu bewegt. Ruth hat besonderen Grund zur Sorge, denn sie ist die Frau des entflohenen Sklaven Billy und wird dadurch zur Zielscheibe der rassistischen Aufständischen. Doch das ist nicht alles: Ihr Exmann entkam aus dem…mehr

Produktbeschreibung
Es war im Juli 1863. In den Straßen Manhattans streiten sich Kinder mit wilden Schweinen um Brot. Schnaps, bezahlt nach Trinksekunden, schürt die Ungeduld der Männer. Und dann geht die Stadt New York in Flammen auf. Paradise Alley, eine Straße im Armenviertel New Yorks. Drei Frauen warten ängstlich in ihren Häusern auf den gewalttätigen Mob, der sich von Downtown aus auf sie zu bewegt. Ruth hat besonderen Grund zur Sorge, denn sie ist die Frau des entflohenen Sklaven Billy und wird dadurch zur Zielscheibe der rassistischen Aufständischen. Doch das ist nicht alles: Ihr Exmann entkam aus dem Gefängnis und sucht seit Tagen nach Ruth, um sich an ihr zu rächen. Auch die ehrgeizige Deirdre, deren Mann im Bürgerkrieg vermisst wird, und die Prostituierte Maddy horchen gebannt auf das Dröhnen der Schritte und aufgebrachten Stimmen - jede mit ihren eigenen Gründen, die aufständischen Männer bis ins Mark zu fürchten. In der Paradise Alley kommt es schließlich zur dramatischen Konfrontation.Und die drei Frauen haben nur noch einander, um sich einen Weg aus dem überall aufbrechenden Chaos zu weisen ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2004

Dreihundert Dollar für ein Ersatzleben
Im Roman "Die Straße zum Paradies" erweckt Kevin Baker das historische New York zum Leben

New York war nie ein beschaulicher Ort, doch kaum jemals so wenig wie in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Die Namen der Stadtteile, "Gates of Hell" oder "Pigtown" etwa, verhießen nichts Gutes, es waren gottlose Viertel, in denen herrenlose Schweine herumliefen, die Betrunkenen in der Gosse anknabberten und sie manchmal auch fraßen. Die Stadtregierung war so korrupt, daß die konkurrierenden Banden freies Spiel hatten, denn sie agierten in deren Auftrag oder zumindest mit deren Billigung. Fast jeder, vor allem jeder Schwarze, war vogelfrei. Denn obwohl die Sklaverei in New York bereits Jahre vor Ausbruch des Bürgerkriegs abgeschafft worden war, blieb die Stadt rassistisch bis in den letzten dreckigen Winkel - eine historische Wahrheit, die in "Gangs of New York", Martin Scorseses Film über jene Zeit, weitgehend übersehen wurde. Arbeit fanden Schwarze nur in den niedersten Bereichen, wo sie unter ihresgleichen blieben: Sie durften die zerstoßenen Knochenreste, Tierköpfe und unverwertbaren Eingeweide aus den Schlachthäusern ins Hafenbecken schippen oder in den Straßen grimassierend Tänze aufführen. Sie durften keinesfalls ein Handwerk ausüben, selbst wenn sie dies in ihrem Sklavenleben im Süden gelernt haben sollten, keine Schiffe bauen, keine Brände löschen, keine Dächer decken oder Mauern ziehen.

In dieses New York führt Kevin Bakers Roman "Die Straße zum Paradies", ein Titel, der durchaus ironisch zu nehmen ist, liegt doch das Paradies, wenn überhaupt, irgendwo sehr weit entfernt von diesem Ort. Die berühmte St. Patrick's Cathedral war nicht mehr als ein pompöser Plan für ein matschgefülltes Bauloch an der Fifth Avenue. Die Brooklyn Bridge hatte gerade eröffnet, doch an die anderen berühmten Brücken New Yorks, die Manhattan und die Williamsburg Bridge, dachte noch niemand. Mitglieder von Straßenbanden, die sich "Dead Rabbits", "Roach Guards" oder "Swamp Angels" nannten, tranken Whiskey aus Schläuchen in Bars und Saloons, über deren Türen auf windschiefen Schildern "The Morgue" geschrieben stand oder auch "Hole in the Wall". Das hätte Warnung genug sein können, doch sie wurde nicht beherzigt: Regelmäßig wurden hier Betrunkene ermordet und ausgeraubt oder, falls sie einigermaßen jung und - nüchtern zumindest - arbeitsfähig waren, ins Hinterzimmer gelockt. Dort fielen sie durch eine Falltür direkt in die Arme von Menschenhändlern, die sie nach China verfrachteten. Jenseits der neunundfünfzigsten Straße endete die Stadt. Hier lag der kürzlich fertiggestellte Central Park und sonst nichts außer unbebautem Land und kleinen Wäldern.

Auch wer New York kennt, kann nicht einmal ahnen, wie es damals war, als die große irische Hungersnot choleraverseuchte Schiffe mit Tausenden Flüchtlingen in den Hafen spülte; als die Kanalisation bei Regen das Blut aus den Schlachthäusern auf die Straßen des südlichen Manhattan wieder ausspuckte, auf denen die Menschen in Pferdewagen oder zu Fuß unterwegs waren; als die privaten Feuerwehren sich um die Hydranten schlugen und über den Wettkampf mit anderen Feuerwehren jeden Brand vergaßen, und als die überwältigende Mehrheit der Menschen, die hier lebten, bettelarm war. Nur das Wetter, das war schon damals so wie heute. Im Sommer also sehr heiß.

Baker gibt uns eine Momentaufnahme aus jener Zeit. Sein Roman spielt an drei Tagen im Juli 1863, denen als Epilog ein weiterer zwei Jahre später folgt. Sie gelten als die schrecklichsten in der Stadtgeschichte, bevor am 11. September 2001 ein Teil New Yorks in Trümmer fiel.

Es sind die Tage der sogenannten Draft Riots, der Aufstände vor allem der irischen Einwanderer, die auf die Anordnung einer allgemeinen Wehrpflicht folgten. Abraham Lincoln brauchte nach dem Desaster von Gettysburg dringend Soldaten. Die Rekrutierung aller, die halbwegs tauglich waren, war seine einzige Chance, die gelichteten Reihen der Unionsheere wieder aufzufüllen. Doch er machte Ausnahmen, und vor allem das kam bei den New Yorkern nicht gut an: Für dreihundert Dollar konnte man sich einen Ersatzmann kaufen. Doch in dem Teil New Yorks, in dem Bakers Roman spielt, hat niemand dreihundert Dollar.

Geschichte ist für diesen Autor nicht nur historischer Hintergrund. Geschichte, Stadtgeschichte zumal, ist das Herz von Bakers Roman, wie sie auch schon das Herz seines vorangegangenen war und seines folgenden sein wird. Baker arbeitet an einer Romantrilogie über New York, und das vorliegende Buch ist ihr zweiter Teil. Der erste, "Dreamland", spielte im zwanzigsten Jahrhundert, in Coney Island 1911. Baker ist Historiker.

Aber nicht nur. Obwohl in seinem Roman nicht vieles erfunden ist, so ist es doch ein Roman. Und Baker organisiert die immense Materialfülle, mit welcher die Geschichte aufwartet, wenn man ihr lange genug hinterherforscht, sehr geschickt in dreiundachtzig Kapiteln, in deren Mittelpunkt jeweils eine der sieben Hauptfiguren steht. Das erlaubt ihm, ausgiebig Gebrauch von der Technik der cliffhanger zu machen, mit der er den Leser über die lange Strecke von 830 Seiten bei der Stange hält: So beginnt er manches Kapitel fast kontemplativ, erhöht dann das Tempo, setzt die Figur, um die es gerade geht, allen möglichen Gefahren aus, bis wir uns richtig um sie sorgen. Dann fängt er mit einem neuen Kapitel an, mit einer der anderen Figuren im Mittelpunkt. So legt man das sehr dicke Buch nur selten aus der Hand.

"Paradise Alley" heißt der Roman im Original und bezieht sich damit auf einen der Hauptschauplätze, eine ärmliche Gasse gleichen Namens im Süden Manhattans. Dort wohnt Maddy, eine Prostituierte. Sie wird von Herbert Willis Robinson ausgehalten, einem Yankee-Journalisten, der die katastrophalen Lebensbedingungen in New York in Schöngeschriebenes verwandelt und nicht weiß, ob er sich einmischen soll: New York war schon damals Medienstadt. Einige Häuser weiter lebt mit ihren Kindern Deidre, eine strenge Irin, deren Mann in den Krieg gezogen ist. Ihr Bruder Dolan, ein gemeiner Verbrecher, entkam der irischen Kartoffelfäule und der anschließenden Hungersnot mit Ruth. Er hat ihr das Leben gerettet, und sie blieb bei ihm, obwohl er sie schwer mißhandelte. Ruth verließ ihn erst, als sie Billy Dove kennenlernte, einen entflohenen Sklaven, und erst, nachdem sie Dolan verraten und an die Menschenhändler ausgeliefert hatte. Jetzt, ausgerechnet in den Tagen der "Draft Riots", ist Dolan nach New York zurückgekehrt. Er stellt sich an die Spitze des Mobs.

In all dem Tumult, dem der Roman bis in die kleinsten Gäßchen folgt und an dessen Ende nur die Erschöpfung, keineswegs eine rosige Zukunft steht, findet Kevin Baker noch etwas anderes als Chaos, Blut, Erniedrigung und Schrecken. Er findet zwei Paare, Deidre und ihren irischen Soldaten und Ruth und Billy Dove. Ihre Liebesgeschichten sind holprig und ambivalent, und doch sind sie die einzige, und eine große Hoffnung am Ende dieses Buches.

Kevin Baker: "Die Straße zum Paradies". Der New-York-Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ingrid Krane-Müschen (Rebecca Gablé) und Michael J. Müschen. Droemer Verlag München, 2004. 830 S., geb., 24,90 [Euro].

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