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Berlin/DDR 1988: Für Joseph, einen gebürtigen Ungarn und verdienten Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, erfüllt sich ein langjähriger Berufswunsch: Er wird an den Plattensee delegiert, um dort die Urlauber und die Ferienunterkünfte zu überwachen. Er freut sich nicht nur auf Ungarn sondern auch darauf, eine Weile wegzukommen von der ihn sehr belastenden Vermischung von Familie und Beruf. Er hatte sich nämlich darauf eingelassen, die eigene Tochter, die mit einem in Westberlin lebenden Chilenen eine Beziehung eingegangen war, »nur für ihr Bestes« auszuspionieren.

Produktbeschreibung
Berlin/DDR 1988: Für Joseph, einen gebürtigen Ungarn und verdienten Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, erfüllt sich ein langjähriger Berufswunsch: Er wird an den Plattensee delegiert, um dort die Urlauber und die Ferienunterkünfte zu überwachen. Er freut sich nicht nur auf Ungarn sondern auch darauf, eine Weile wegzukommen von der ihn sehr belastenden Vermischung von Familie und Beruf. Er hatte sich nämlich darauf eingelassen, die eigene Tochter, die mit einem in Westberlin lebenden Chilenen eine Beziehung eingegangen war, »nur für ihr Bestes« auszuspionieren.
Autorenporträt
György Dalos, geb. 1943 in Budapest in einer jüdischen Familie, gehörte zur demokratischen Opposition Ungarns und lebte in den achtziger Jahren nach Aufenthalten in Berlin in Wien und Budapest. György Dalos wurde vielfach in Deutschland und Ungarn ausgezeichnet und war bis 1999 der Direktor des ungarischen Kulturinstituts in Berlin und im selben Jahr literarischer Leiter des Ungarn-Schwerpunkts während der Frankfurter Buchmesse. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 1995 der "Adelbert-von-Chamisso-Preis", 2000 die "Goldene Plakette der Republik Ungarn" und 2010 der "Preis der Leipziger Buchmesse für Europäische Verständigung".
György Dalos lebt als Autor in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.11.2006

Spitzel und Dackel
Böse: György Dalos’ Erzählung „Balaton Brigade”
Die Erzählung ist von unentrinnbarer Mechanik und abgefeimter Ironie. Ein Mann sieht sich endlich am beruflichen Ziel angelangt und ist doch gerade dabei, alles zu verlieren: die Frau, die Tochter, den noch ungeborenen Enkel, am Ende auch den geliebten Staat, den zu schützen er sein Leben vergeudet hat. Im November 1988, zum 25. Dienstjubiläum, erhält Josef Klempner die gute Nachricht, dass er zum Hauptmann der Staatssicherheit befördert und für nächsten Sommer als Chef der Balaton-Brigade nach Ungarn abkommandiert wurde. Sein Operationsgebiet werden die Campingplätze und Touristenorte des Plattensees sein, eines der beliebtesten Urlaubsziele für Bürger der DDR, die sich dort, im fast schon freizügigen Ungarn, Freiheiten herausnehmen, die das Ministerium für durchaus bedenklich hält.
Ein Mann penibler Pflichterfüllung, ist Klempner mit der Schuldirektorin Roswitha in einer Ehe verbunden, die einst die Stasi gestiftet hat, und Vater einer fast erwachsenen Tochter, die ihren Vornamen Tamara Bunke verdankt, der getöteten deutschen Gefährtin von Che Guevara. Bis er seinen neuen Posten antritt, hat Klempner noch ein zugleich privates und sicherheitsdienstliches Problem zu lösen. Seine Tochter hat sich unerlaubterweise in einen dunkelhäutigen Chilenen verliebt, der in Berlin im Exil lebt und dessen „völlig inakzeptable” Ansichten ihn als hemmungslosen Trotzkisten ausweisen. Nicht nur weil sein Vorgesetzter, der väterliche Major Frickhelm, es von ihm verlangt, sondern weil er sich den Gefährten seiner Tochter selber anders vorgestellt hat, zeigt sich Klempner bereit, was er beruflich gelernt hat – mit leidenschaftsloser Hingabe Leute auszuspionieren –, auch in seiner Familie zu erproben.
Der „operative Vorgang Venceremos”, mit überlegener professioneller Perfidie angelegt, führt scheinbar zum gewünschten Ergebnis: nachdem die Stasi seine geheimen Adressen von Gesinnungsgenossen in ganz Osteuropa kopiert hat, wird der unbotmäßige Revolutionär und unerwünschte Liebhaber dauerhaft aus dem Gebiet der DDR abgeschoben. Aber alles, was Klempner gelingt, ist nur scheinbar gewonnen, denn gerade das, wofür er zu kämpfen glaubt, zerstört er selbst, und er zerstört es just, indem er es zu retten wähnt.
Der ungarische Autor György Dalos, nicht unerfahren darin, bespitzelt zu werden, hat eine unspektakuläre Erzählung über einen Berufsspitzel geschrieben, der das Leben für eine Sache hält, die es im Dienste des Staates zu kontrollieren gilt und dem darüber sein eigenes abhanden kommt. Seine Ehe gründet auf einer ermattenden Art von Gesinnungsgemeinschaft, alle Gefühle, außer der Pflicht gegenüber dem sozialistischen Vaterland, hat er in sich abgetötet, und wenn einmal etwas geschieht, was ihn in seinen ehernen Überzeugungen erschüttern könnte, flüchtet er sich auch im Selbstgespräch in das unpersönliches „man”: „Und jetzt spürte man plötzlich, mit fünfundfünfzig Jahren, als man kaum wusste, was einen erwartete, dass man über etwas nachdenken musste.”
Der nach der Wende in Frühpension geschickte Hauptmann erzählt sich selbst die Ereignisse des Sommers 1989 auf sieben Spaziergängen, die er ein paar Jahre später mit seinem Dackel Hugo unternimmt, dem einzigen Lebewesen, das ihm geblieben ist, nachdem ihn Frau und Tochter verlassen haben und auch für die Stasi nicht mehr gilt, was er von ihr im Rückblick sagt: „Damals waren wir noch wie eine große Familie.” Es ist die Kunst des Erzählers Dalos, dass er seinen Protagonisten zwar eine Bilanz ziehen lässt, die vernichtender kaum ausfallen könnte, zugleich aber an keiner Stelle über den engen Horizont seiner Hauptfigur hinausgeht.
Noch als beide Familien, die er hatte, zerfallen sind, ist Klempner unfähig, die Verstrickungen, in denen er sich verfangen hat, zu erkennen. Er bleibt der unheimlich nette Stasi-Mann von nebenan, den Dalos uns in seiner monströsen Durchschnittlichkeit zeigt. In ihm hat der anonyme Apparat ein Gesicht bekommen, doch es ist ein ausdrucksloses Gesicht. Wenn er, der aus beruflichen Gründen mit gefälschten Biografien durch sein Leben ging, die Maske endlich abnimmt, wird darunter eine schwer beschädigte Individualität sichtbar. Klempner hat erbärmliche und auch ein paar erbarmenswerte Züge, doch keinerlei tragische Größe. Als Opfer mag er sich zwar selber fühlen, doch taugt er kaum dazu. Eher als zum Opfer ist er zum Repräsentanten berufen. Er repräsentiert ein System, dem ein starker Zug zur Selbstzerstörung innewohnte. Am Ende des letzten Sommers, in dem es Brigaden wie die vom Balaton noch gibt, kommt der Mann, der die eigene Familie ausspioniert, erschüttert darauf, dass es die wichtigste Aufgabe seines Untergebenen war, ihn selber auszuspionieren.
Der überwachte Überwacher ist ein rundum destruktiver Charakter, der seine eigene Familie zerstört. Und die größere Familie, in der er sich geborgen fühlte, zerstört den Staat, den sie zu schützen meinte – und das Leben zahlloser Menschen. Dass dazu auch Mitarbeiter der Stasi zählten, macht diese weder zu sympathischen Verlierern, noch spricht es sie frei. Die Mechanik dieser Geschichte ist unentrinnbar, ihre Ironie nicht im mindesten versöhnlich.
KARL-MARKUS GAUSS
György Dalos
Balaton Brigade
Erzählung. Aus dem Ungarischen von Elsbeth Zylla. Rotbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006. 190 S., 18,80 Euro.
György Dalos
Foto: Ullstein
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