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Im DDR-Städtchen Fehrungen haben die Dinge ihren Platz, die Menschen streiten und versöhnen sich, man schätzt den Aufenthalt im Schrebergarten. Auch der gerade Vater gewordene Roman Bald käme zurecht, würde er nicht immer wieder Argwohn erregen, die Obrigkeit in Unruhe versetzen. Schon bald wird er, der eigenwillige Gefühlsmensch, der keiner geregelten Tätigkeit nachgehende Sinnsucher, "beäugt wie ein Schädling vor dem Zertreten"...

Produktbeschreibung
Im DDR-Städtchen Fehrungen haben die Dinge ihren Platz, die Menschen streiten und versöhnen sich, man schätzt den Aufenthalt im Schrebergarten. Auch der gerade Vater gewordene Roman Bald käme zurecht, würde er nicht immer wieder Argwohn erregen, die Obrigkeit in Unruhe versetzen. Schon bald wird er, der eigenwillige Gefühlsmensch, der keiner geregelten Tätigkeit nachgehende Sinnsucher, "beäugt wie ein Schädling vor dem Zertreten"...
Autorenporträt
Stephan Krawczyk, Jahrgang 1955, studierte Konzertgitarre in Weimar und ist seit 1980 freiberuflicher Sänger. 1981 gewinnt er den Nationalen Chansonwettbewerb der DDR, 1985 wird ein Berufsverbot gegen ihn verhängt. Seine Auftritte lassen ihn zur Symbolfigur der DDR-Bürgerrechtsbewegung werden. Am 17.01.1988 wird er verhaftet und wenig später in den Westen abgeschoben. Er ist Verfasser von Erzählungen und Romanen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Spiel nicht mit den Elefanten
Stephan Krawczyks "Bald" Von Wolfgang Schneider

Der Liedermacher Stephan Krawczyk wurde zu Zeiten der DDR-Agonie beinahe so prominent wie Wolf Biermann ein gutes Jahrzehnt zuvor. So mußte er sich dann auch oft mit der poetischen Kraftnatur Biermann vergleichen lassen, und meist hieß es, daß er, Krawczyk, "nicht im mindesten über dessen künstlerisches Potential" verfüge. Dementsprechend wurde den Rezensenten bange, als Krawczyk vor einigen Jahren die Gitarre beiseite legte.

Bei Erscheinen des autobiographischen Romans "Das irdische Kind" (1996) stellten sie dann aber mit Erstaunen fest, daß dies gar kein schlechtes Buch sei. In einem reizvoll ungeschliffenen Duktus erzählte der 1955 geborene Autor detailscharfe Episoden aus seiner Kindheit und Jugend in der thüringischen Provinz. Nicht um DDR-Abrechnung oder Dissidenten-Nostalgie ging es ihm, sondern um das private Leben einer vergangenen Epoche . Die Prosa Stephan Krawczyks, so wurde bald klar, bewies mehr Talent als seine Liedtexte.

Sein künstlerischer Ehrgeiz ist noch gewachsen. Ein umfangreicher Roman mit dem Titel "Bald" liegt vor. Gemeint ist damit nichts Zukünftiges im Blochschen Sinn, sondern der Name der Hauptfigur. Möglicherweise ist Roman Bald ein Dichter, auf jeden Fall ist er ein sperriger Charakter, ein Mann mit Frau und Kind, der aller geregelten Tätigkeit ausweicht und lieber ein bißchen mit seinem Stoffelefanten spielt. Der leidenschaftliche Langschläfer muß sich von Schwiegervater Ludwig des öfteren Sätze anhören, die dessen Epochenzugehörigkeit kenntlich machen: "Hast du denn überhaupt keine Zucht?!" oder: "Es ist eine Stimmung wie im Krieg!" Ansonsten bleiben Hinweise auf Raum und Zeit spärlich.

Schon in "Das irdische Kind" hat Krawczyk das Kürzel "DDR" nicht verwendet, in diesem Buch wird die Konkretion noch weiter zurückgenommen. Orte des Geschehens sind Kleinstädte und Dörfer wie "Fehrungen", "Unstalt" oder "Weilern". Daß es um das Leben in der DDR geht, machen die Einzelheiten deutlich. Es gibt Kohleöfen und Plumpsklos, ein "Kulturhaus" und ein "Lichtspieltheater", das Standardauto trägt den Kosenamen "Es fährt", an vielen Orten hängt das Porträt des "Landesvaters". Dergleichen bleibt jedoch nur blasser Hintergrund. Hauptsächlich ist Krawczyk mit dem Bodensatz der Alltäglichkeit beschäftigt. Mit unermüdlichem Pinsel malt er das Kleine-Leute-Leben in der Provinz: "Onkel Erwin, pensionierter Bankangestellter, saß auf dem Sofa und las den ,Fehrunger Anzeiger'. Alle halbe Stunde ließ er ein zustimmendes oder ablehnendes Ho vernehmen. Dabei senkte er das Blatt auf den Tisch, zeigte sein dickes, unbewegtes Gesicht, das eine kalte Zigarre zwischen den schmalen Lippen hielt. Tante Maria nutzte die Zäsuren, um zu fragen, ob er noch Kaffee wolle."

Das ist gewiß eine gekonnte Miniatur über die große Trägheit, aber auf Dauer werden solche Schilderungen - erst recht, wenn sie weniger pointiert ausfallen - zur bleiernen Lektüre. Es ist, als hätte der Autor ein Mikrofon in eines dieser grauen Häuser am Straßenrand gehalten und alles, erbarmungslos alles mitgeschnitten. Kein muffiges Familiengerede bleibt dem Leser erspart, kein Bier in der Kneipe, keine Blähung des Schwiegervaters. Da werden Bockwürste gekocht, Kartoffelbrei und Blumenkohl verzehrt und Nachmittage im Schrebergarten zwischen Spalierobst und Salat verbracht, zur Linken "außergewöhnlich buschige Petersilie", zur Rechten eine "Gurke, groß wie ein junger Elefantenrüssel". Das ist kein Erzählen, das auswählt und die Perspektive variiert, es ist aus immergleicher Nahsicht ein bloßes Protokollieren von Abläufen, Gesten und Sätzen.

Sprachlich ist Krawczyk noch eigenwilliger geworden. Roman "entschält" sich seinem Auto, eine Gestalt wird "bemerkwürdigt", ein Kehlkopf "mit Geringschätzung gekachelt". Nicht nur eintönig, sondern mißglückt ist das Buch dort, wo es um mehr als die Bockwurst geht. Roman Bald gehört einem geheimnisvollen Zirkel von Wortspielern an. Per Post bekommen sie alphabetisch geordnete Wörter geschickt, die zu einer Textpassage aus dem sogenannten "Großen Kanon" gefügt werden sollen. Eine Jury bewertet die Lösungen nach Punkten. Auch diese Wortpuzzles werden ausführlich beschrieben: "Das zu Erweckende flieht Dir hintern Hals und zündelt im Flaum - bis das Haar den Krieg bedeutet." Die Staatsmacht vermutet in den "Spielen" Subversives. Vor allem Roman Bald gerät ins Visier der Behörden; er wird täppisch ausspioniert und grob eingeschüchtert. Die Reifen von "Es fährt" werden aufgeschlitzt, unsympathische Gestalten tauchen auf, die Roman immer wieder zu "Erklärungen" auffordern; schließlich wird er brutal verprügelt. Der Staat versucht, die "Spiele" unter seine Regie zu bekommen, und Roman ist der einzige, der der Vereinnahmung widersteht.

Welche Realitäten den Autor zu diesen Phantasien angeregt haben, steht außer Frage. Aber wozu diese geheime Gesellschaft von Scrabble-Spielern, wozu dieses Ausweichen in Camouflage und Verrätselung? Sie verträgt sich nicht mit Krawczyks sonstigem bodennahen Realismus und vermittelt in ihrer Unschärfe an keiner Stelle überzeugend die Atmosphäre des Bedrohlichen, sondern langweilt bald. Zur literarischen Erbschaft der DDR gehörte eine Sprache, die vieles im unklaren läßt. Repression und Zensur machten mythische, allegorische und andere Versteckspiele erforderlich. Warum aber Stephan Krawczyk, anstatt von der DDR-Wirklichkeit zu erzählen, fast ein Jahrzehnt nach ihrem Ende noch einmal ein zähes Stück DDR-Literatur verfaßt hat, bleibt sein Geheimnis.

Stephan Krawczyk: "Bald". Roman. Verlag Volk & Welt, Berlin 1998. 361 S., geb., 39,80 DM.

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