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  • Buch

Produktdetails
  • Verlag: Ch. Links Verlag
  • ISBN-13: 9783861532842
  • ISBN-10: 3861532840
  • Artikelnr.: 23930213
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2003

Die große Vermischung
Zwischen Staat und Mafia hat sich auf dem Balkan eine unheilige Allianz entwickelt
NORBERT MAPPES-NIEDIEK: Balkan-Mafia, Staaten in der Hand des Verbrechens – Eine Gefahr für Europa, Ch. Links Verlag, Berlin 2003. 180 Seiten, 14,90 Euro.
Das Buch des Journalisten Norbert Mappes-Niediek ist eine gruselige Lektüre, legt er doch detailliert und sachkundig dar, dass mafiöse Strukturen die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien durchziehen und die ethnischen Konflikte des vergangenen Jahrzehntes zu einem guten Teil auch Bandenkriege um Einflussgebiete waren. In der Europäischen Union sind die Verbindungen der amtierenden und vergangenen Regierungen zur Unterwelt nicht unbekannt; die Ermordung des serbischen Premiers Zoran DjindjiC, die auch im Westen befürchtet worden war, ist dafür ein Indiz.
In der „fürsorglichen Belagerung” des Westens, in dem Versuch europäischer Nachbarn, die Korruption zu bekämpfen, sieht Mappes-Niediek immerhin einen Hoffnungsstreifen am Horizont: Zwar seien die meisten Versuche der EU, Schmuggelkapazitäten einzudämmen und Mafia-Bosse festzusetzen, bislang weitgehend erfolglos geblieben. Immerhin aber gebe es mittels diplomatisch verbrämter Drohgebärden und finanzieller Lockungen einerseits, durch die Überwachung der lokalen Polizei und die Kooperation bei der Verbrechensbekämpfung andererseits einige Wege, um einen Pfad in den Dschungel zu schlagen.
Der Balkan-Kenner befasst sich über weite Strecken des Buches damit, die Erbfolgekriege im zerfallenden jugoslawischen Staat und die Aufbauphase seit Beendigung der Kriegshandlungen mit Blick auf die handelnden Personen und ihre Motive zu sezieren: „Nationale Befreiungsbewegungen entpuppen sich als kriminelle Organisationen, und die neuen Kleinstaaten, die man für Produkte eines verspäteten Nationalismus hielt, drohen zu Flugzeugträgern für das organisierte Verbrechen zu werden.” Westliche Diplomaten hätten gemeint, in ethnischen Konflikten zu vermitteln – und Bandenchefs an die Hebel der Macht gehievt. Dass Mafia-Gruppen sich politisch engagierten, sei naheliegend: „Wer einen Staat kontrolliert oder sich wenigstens zu einem innenpolitischen Faktor entwickelt hat, braucht sich vor polizeilichem Zugriff nicht zu fürchten.”
Das Buch von Mappes-Niediek ist so voller Beispiele und Belege für seine These von der Durchsetzung staatlicher durch mafiöse Strukturen, dass landesunkundige Laien bisweilen etwas den Überblick verlieren. Der Autor gibt dabei zu, viele Zahlen nicht verifiziert, Angaben nicht überprüft zu haben, weil das schlicht unmöglich war: Statistiken über kriminelle Organisationen und ihre Taten sind schwer zu bekommen.
Doch selbst wenn nur die Hälfte von dem beweisbar ist, was er aufzählt, dann ist das schlimm genug: Der MiloševiC-Clan beispielsweise schaffte Millionen ins Ausland. Serbische Berufsverbrecher plünderten unter seinem Schutz kroatische und muslimische Dörfer und ließen sich auch später ihre Macht nicht mehr nehmen. Der Kriegsverbrecher Veljko RaznatoviC, bekannt unter dem Namen Arkan, war, wie viele andere Kriegsverbrecher auch, zuvor ein international gesuchter Unterweltfürst. Das Regime vergab Polizeiausweise an Kriminelle und setzte diese auch für Säuberungen ein, weil das Offizierkorps sich in Teilen weigerte, gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen.Die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft führten zur Geburt eines Schmugglerwesens und dazu, dass staatliche Lizenzen für die Beschaffung defizitärer Güter gehandelt wurden.
In Kroatien bewirkte das Waffenembargo, dass sich die Regierung an finstere Gestalten wandte, um an Waffen zu kommen. Im Übrigen starb auch der kroatische Präsident Franjo Tudjman in dem Verdacht, dunkle Geschäfte seiner Familie gedeckt zu haben. Sein Regime bediente sich in den ersten Jahren krimineller Gangs, um Serben zu tyrannisieren und Waffen zu schmuggeln.
Ein Montenegriner namens Vladimir Bokan wiederum steht in dem Ruf, den Zigarettenschmuggel in großem Stil zum Nachteil der EU erfunden zu haben. Nach westlichen Schätzungen sind in Westeuropa zwischen 12 und 35 Prozent aller Zigaretten geschmuggelt. Die Fracht eines einzigen unversteuerten Lkw mit Zigaretten kann bis zu 1,5 Millionen Dollar Gewinn abwerfen. Mappes-Niediek zweifelt nicht daran, dass staatliche Stellen mitverdienen.
Im Zusammenhang mit Zigarettenschmuggel war auch der Name von Zoran DjindjiC immer wieder gefallen. Der ermordete ehemalige Oppositionspolitiker und spätere Premier wurde mehrfach mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe Geldspenden von Schmugglern für seine Partei angenommen und das Flugzeug eines bekannten Kriminellen benutzt. Das serbische System des organisierten Verbrechens, das von Zoll, Finanzamt und Polizei gefördert und gedeckt wurde, war nach dem Sieg der Opposition zwar erschüttert, aber kampflos mochten die Banden ihre Terrains nicht aufgeben. Die Ermordung von Djindjic ist eine Kampfansage.
Im Kosovo dominierte die UCK lange das Bild. Die kosovarische Befreiungsarmee zerfiel im Laufe ihre Tätigkeit in eine Reihe von verbrecherischen Kartellen. Sie gerierte sich als Befreiungsarmee und verteilte die Güter vertriebener Serben unter sich. Frauen- und Drogenhandel sowie organisierte Erpressung sind auch im benachbarten Albanien an der Tagesordnung; der UN-Sonderbeauftragte Michael Steiner versucht hier seit einiger Zeit, hart durchzugreifen.
Rund 5,5 Milliarden Euro hat die EU in den vergangenen zehn Jahren in den Balkanländern investiert, die Bundesrepublik allein hat noch ein paar Milliarden zusätzlich in die Länder des ehemaligen Jugoslawien gepumpt. Doch das „nation building” geht nach Ansicht des Autors nur mühsam voran, denn die neuen Nationalstaaten „taugen allenfalls als kalte, wenig komfortable Wartesäle für die spätere Westintegration”. Die Staaten des Balkans versuchten nicht, ihre Probleme selbst zu lösen, eine funktionierende Wirtschaft und moderne Institutionen aufzubauen, sondern projizierten ihre Probleme auf andere Nationen. „Es war dieser Mechanismus, der die ethnischen Säuberungen hervorbrachte.”
CATHRIN KAHLWEIT
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2003

Plastisch

BALKAN. Nach der Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten Djindjic am 12. März 2003 wurde deutlich, in welchem Maße der serbische Staat in der Hand des Verbrechens war. Mafia, Geheimdienste, Eliteeinheiten der Polizei und große Teile der Justiz erwiesen sich als unterschiedliche Gesichter ein und derselben Sache. Ganz neu war dies nicht - schon seit Anfang der neunziger Jahre hatte sich der Gewaltherrscher Milosevic zur Ausweitung und Sicherung seiner Macht auf Kriminelle gestützt, die während der Kriege in Kroatien und Bosnien-Hercegovina in seinem Dienst grausame Verbrechen an Zivilisten verübten und dafür ihren Geschäften ungestört nachgehen konnten. Im Laufe der Jahre wurden das kriminelle Milieu und die Staatsorgane einander immer ähnlicher, auch Politiker und ihre Angehörigen - so zum Beispiel Slobodan Milosevics Sohn Marko - stiegen in das Geschäft ein. Norbert Mappes-Niediek stellt diese Entwicklung umfassend dar. Das Manuskript ist offenbar kurz vor dem Mord an Djindjic fertiggestellt worden, doch das Buch hat nichts von seinem Wert verloren. Mappes-Niediek beschreibt, wie sich die Liaison von Unterwelt und Staatsmacht im sozialistischen Jugoslawien anbahnte und wie sie während der Balkan-Kriege zum Durchbruch kam. Anders als der reißerisch klingende Titel suggeriert, geht der Autor sein Thema sehr nüchtern an - man glaubt ihm seine Versicherung, er habe in "keinem einzigen Fall einer möglichst dramatischen Darstellung gegenüber meiner Skepsis den Vortritt gelassen". Um so eindringlicher wirkt das Bild, das er zeichnet: Auf dem Balkan ist südlich von Kroatien - in Bosnien-Hercegovina, Serbien, Montenegro, Mazedonien, im Kosovo und in Albanien - ein Gebiet entstanden, in dem die Staatsmacht nur der äußeren Form nach Ähnlichkeiten mit den Staaten im übrigen Europa hat, in Wirklichkeit aber ein Werkzeug von Interessengruppen ist, für die es keine Grenze zwischen legal und illegal gibt. Eine Stärke des Autors ist, daß er wirtschaftliche und politische Zusammenhänge mit Alltagsphänomenen der Balkan-Gesellschaften in Verbindung bringt, die er in elf Jahren als Balkan-Korrespondent für deutsche Zeitungen kennengelernt hat. So entsteht ein sehr plastisches, von Klischees freies Bild des gesellschaftlichen Umfelds, in dem Korruption und Verbrechen im und vermittels des Staatsapparats gedeihen. Man wünscht diesem Buch viele Leser - und eine aktualisierte Neuauflage. (Norbert Mappes-Niediek: Balkan-Mafia. Staaten in der Hand des Verbrechens. Eine Gefahr für Europa. Ch.LinksVerlag, Berlin 2003. 190 Seiten, 14,90 [Euro].)

rve.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als gruselig empfindet Cathrin Kahlweit die Lektüre dieses Buchs über die Balkan-Mafia, das nach dem Mord am serbischen Premierminister Zoran Djindjic ungeahnte Aktualität erhält. Auch von Djindjic wurde mehrfach behauptet, er habe Geldspenden von Schmuggelbanden angenommen. Das tragische Fazit des Buches jedenfalls lautet, dass die neuen und alten Staaten des Balkans alle von mafiösen Strukturen durchzogen sind. Mit anderen Worten: Mafiabanden haben die politische Konstituierung und die ethnischen Konflikte zum Ausbau der eigenen Machtsstrukturen genutzt. Das Buch wimmelt nur so von Zahlen und Einzelbeispielen für die mafiosen Verstrickungen, berichtet Kahlweit, dass es die Lektüre für den Laien etwas unübersichtlich gestalte. Dass Autor Norbert Mappes-Niedeck die Zahlen häufig nicht belegen kann, hält sie für verständlich: Verbrecherorganisationen lassen sich nun mal ungern in die Karten schauen, meint Kahlweit. Doch wenn nur die Hälfte des angesammelten Materials stimmen würde, wäre dies schlimm genug. Wo westliche Staaten meinten, in ethnischen Konflikten zu vermitteln, arbeiteten sie stattdessen kriminellen Organisationen in die Hände.

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