Produktdetails
- Die Liebesromane Bd.2
- Verlag: Aufbau-Verlag / Brigitte Buch-Edition
- Originaltitel: Balzac et petite tailleuse chinoise
- Seitenzahl: 192
- Erscheinungstermin: 5. März 2010
- Deutsch
- Abmessung: 20mm x 124mm x 198mm
- Gewicht: 234g
- ISBN-13: 9783570197141
- ISBN-10: 357019714X
- Artikelnr.: 28227050
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.2002Mozart würde Mao lesen
Umerziehung des Herzens: Dai Sijies bezaubernde Liebesparabel
Liebe geht im abendländischen Roman bekanntlich Hand in Hand mit der Liebe zur Literatur. Zu Werthers Zeiten konnten Jünglinge aus diesen erotischen Synergieeffekten von Kunst und Leben Trost und Hoffnung in schlimmen Tagen schöpfen: Unter Tränen und Seufzern lasen die Geliebten Ossian und Homer und vereinigten sich so im Medium der Weltliteratur.
Mit empfindsamen Lesungen am Busen der Natur läßt sich heute freilich kein Mädchen mehr hinter dem Fernseher hervorlocken. Im China der Kulturrevolution war das noch anders: Damals waren alle Bücher außer denen des Großen Vorsitzenden verboten, und wer einen Roman von Balzac oder Flaubert besaß, stand schon mit einem Fuße im Arbeitslager. Die maoistischen Kader wußten sehr wohl, wie konterrevolutionär und demoralisierend Geschichten von heimlicher Liebe, individueller Empörung und verlorenen Illusionen wirken können. Der Große Sprung nach vorne ließ sich nicht mit bürgerlichen Bildungsromanen forcieren. Die Zwangskollektivierung ist schließlich keine "Erziehung des Herzens", und der gegen die Ordnung der Dinge aufbegehrende Liebhaber ist ein gar nicht so ungefährlicher Papiertiger.
Von dieser Spannung zwischen ideologischer Gleichschaltung und eigensinniger Subjektivität lebt auch der Roman "Balzac und die Kleine chinesische Schneiderin" des in Paris lebenden Autors Dai Sijie. Zwei studentische Grünschnäbel, Söhne von als Volksfeinden gebrandmarkten Ärzten, werden Anfang der siebziger Jahre zur Umerziehung aufs Land geschickt. Das abgelegene Dorf liegt im "Phönix-des-Himmels"-Gebirge nahe Tibet, aber das Leben dort ist weniger Poesie als ein zermürbender Reigen von Nebel und Regen, Flöhen und Fronarbeit, Schmutz und Langeweile. Vom Laoban, dem bornierten Ortsvorsteher schikaniert, von analphabetischen Bauern argwöhnisch belauert, müssen die Freunde Jauchefässer tragen, nackt Kohle hauen und sich von Büffeln den Schlamm der Reisfelder ins Gesicht peitschen lassen.
Nur selten dürfen sie unter der Parole "Mozart ist in seinen Gedanken immer beim Großen Vorsitzenden Mao" ihren Hunger auf westliche Kultur befriedigen, denn selbst die Geige gilt als "bourgeoises Spielzeug". Immerhin, Luo freundet sich mit der "Kleinen Schneiderin" an, einer Schönen aus dem Nachbardorf, die mangelnde Bildung durch niedliche Pantöffelchen und eine liebreizende Unschuld mehr als kompensiert. Noch beseligender als der Flirt aber ist die Begegnung mit der Weltliteratur: Die Romane von Balzac und Flaubert, Tolstoi und Dostojewski, die "Brillenschang", ein privilegierter Leidensgenosse, in seinem Koffer versteckt, werden für die Volksfeinde auf Bewährung zum Erweckungs- und Initiationserlebnis.
"Ich war neunzehn und in Liebesdingen unerfahren", schreibt der Erzähler, "und ich kannte vom Leben nichts anderes als das kommunistische Propaganda-Blabla - und plötzlich erzählte mir dieses kleine Buch wie ein aufwieglerischer Kobold von erwachendem Verlangen, von Sexualität, von der Liebe, von all den Dingen, die die Welt mir vorenthalten hatte." Romain Rollands "Johann Christof", Dumas' "Graf von Monte Christo" und Balzacs "Vater Goriot" werden für ihn zu Aufklärungsratgebern und Bibeln des Widerstands. Er beginnt ganze Passagen auf die Innenseite seiner Lammfelljacke zu schreiben, und schon schlüpft die Kleine Schneiderin in das geheiligte Kleidungsstück, als ob "die Berührung von Balzacs Worten auf ihrer Haut ihr Glück und Klugheit" bringe - ein nicht unübliches Ritual in einem Distrikt, wo Schamanen und Hexen den Feiglingen noch Büffelblut als Zaubertrank verschreiben.
Balzac ist der größte aller Zauberer. Schon das aggressive Stakkato der vier Silben Ba-er-za-ke klingt wie eine magische Zauberformel, und die Geschichten von hartherzigen Wucherern und ehrgeizigen Dichtern, scheuer Liebe und stolzer Rebellion sind erst recht Versprechen auf eine aufregendere, freiere Welt. Schon vorher erkauften sich die Studenten hin und wieder kleine Vergünstigungen, indem sie den Dörflern nordkoreanische Kinoschmonzetten vom "Kleinen Blumenmädchen" akustisch zu Gehör brachten; jetzt weist ihnen die Wünschelrute der Literatur vollends den Weg in den Himmel der Phantasie: Die Nacherzählung von Romanen macht den einen zum Schriftsteller und öffnet dem anderen das Herz der Kleinen Schneiderin.
Sijie hat nicht nur eine bezaubernde Parabel auf den aphrodisischen Zauber und die erlösende Kraft der Literatur geschrieben, sondern auch ein Stück Autobiographie. Als er zwölf Jahre alt war, wurden seine Eltern verhaftet; mit siebzehn wurde er zur Gehirnwäsche in ein Dorf am Fuße des Himalajas verschickt. Die Narben dieser drei Jahre voller Demütigungen sind noch in den zartesten Träumen und derbsten Schwänken dieses Buchs zu spüren; unter dem leichten, romantisch-ironischen Ton schwären die alten Wunden. 1984 floh Sijie nach Frankreich, wo er sich als Autor von Filmen wie "Chine ma doleur" durchschlug. "Balzac und die Kleine chinesische Schneiderin" ist sein erster Roman.
In Frankreich war es ein mit Preisen überhäufter Sensationserfolg. Das Happy Ending, das der Autor erlebte, gestattet er seinen Balzac-Freunden nicht. Am Ende hat die tapfere Kleine Schneiderin die Lektionen der Umerziehung durch Weltliteratur so gut gelernt, daß sie ihren Lehrer und Liebhaber Luo verläßt. Balzac brachte ihr bei, "daß die Schönheit der Frau ein unbezahlbarer Schatz ist", und sie beutet ihn nach allen Regeln der Neuen Ökonomie aus. Erst schneidert sie sich nur Unterwäsche nach den Vorlagen aus "Madame Bovary" und näht den blauen Mao-Rock in ein modischeres Kostüm um; dann verliert sie ihre linkische Koketterie, vertauscht ihre Pantöffelchen mit Tennisschuhen und ihren Zopf mit einer kecken Kurzhaarfrisur und flieht die Ödnis der Provinz.
Ihr Verrat ist ein herber Schlag für ihre Anbeter, aber die Literatur hat nun einmal mehr emanzipatorische Kraft, als ihre ängstlichen, ehrfürchtigen Liebhaber zu träumen wagen. Sie läßt sich nicht als Stoffkatalog aparter Chinoiserien und Schnittmusterbogen persönlichen Glücks privatisieren: Sie ist als Sprengstoff verknöcherter Verhältnisse auch Volkseigentum und subversiv. Heute ist Pflege des klassischen Erbes westlicher Literatur allenfalls noch bei fundamentalistischen Bilderstürmern verpönt. In China jedenfalls wird Sijies Abrechnung mit der Kulturrevolution gerade verfilmt.
MARTIN HALTER
Dai Sijie: "Balzac und die Kleine chinesische Schneiderin". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Giò Waeckerlin Induni. Piper Verlag, München 2001. 200 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Umerziehung des Herzens: Dai Sijies bezaubernde Liebesparabel
Liebe geht im abendländischen Roman bekanntlich Hand in Hand mit der Liebe zur Literatur. Zu Werthers Zeiten konnten Jünglinge aus diesen erotischen Synergieeffekten von Kunst und Leben Trost und Hoffnung in schlimmen Tagen schöpfen: Unter Tränen und Seufzern lasen die Geliebten Ossian und Homer und vereinigten sich so im Medium der Weltliteratur.
Mit empfindsamen Lesungen am Busen der Natur läßt sich heute freilich kein Mädchen mehr hinter dem Fernseher hervorlocken. Im China der Kulturrevolution war das noch anders: Damals waren alle Bücher außer denen des Großen Vorsitzenden verboten, und wer einen Roman von Balzac oder Flaubert besaß, stand schon mit einem Fuße im Arbeitslager. Die maoistischen Kader wußten sehr wohl, wie konterrevolutionär und demoralisierend Geschichten von heimlicher Liebe, individueller Empörung und verlorenen Illusionen wirken können. Der Große Sprung nach vorne ließ sich nicht mit bürgerlichen Bildungsromanen forcieren. Die Zwangskollektivierung ist schließlich keine "Erziehung des Herzens", und der gegen die Ordnung der Dinge aufbegehrende Liebhaber ist ein gar nicht so ungefährlicher Papiertiger.
Von dieser Spannung zwischen ideologischer Gleichschaltung und eigensinniger Subjektivität lebt auch der Roman "Balzac und die Kleine chinesische Schneiderin" des in Paris lebenden Autors Dai Sijie. Zwei studentische Grünschnäbel, Söhne von als Volksfeinden gebrandmarkten Ärzten, werden Anfang der siebziger Jahre zur Umerziehung aufs Land geschickt. Das abgelegene Dorf liegt im "Phönix-des-Himmels"-Gebirge nahe Tibet, aber das Leben dort ist weniger Poesie als ein zermürbender Reigen von Nebel und Regen, Flöhen und Fronarbeit, Schmutz und Langeweile. Vom Laoban, dem bornierten Ortsvorsteher schikaniert, von analphabetischen Bauern argwöhnisch belauert, müssen die Freunde Jauchefässer tragen, nackt Kohle hauen und sich von Büffeln den Schlamm der Reisfelder ins Gesicht peitschen lassen.
Nur selten dürfen sie unter der Parole "Mozart ist in seinen Gedanken immer beim Großen Vorsitzenden Mao" ihren Hunger auf westliche Kultur befriedigen, denn selbst die Geige gilt als "bourgeoises Spielzeug". Immerhin, Luo freundet sich mit der "Kleinen Schneiderin" an, einer Schönen aus dem Nachbardorf, die mangelnde Bildung durch niedliche Pantöffelchen und eine liebreizende Unschuld mehr als kompensiert. Noch beseligender als der Flirt aber ist die Begegnung mit der Weltliteratur: Die Romane von Balzac und Flaubert, Tolstoi und Dostojewski, die "Brillenschang", ein privilegierter Leidensgenosse, in seinem Koffer versteckt, werden für die Volksfeinde auf Bewährung zum Erweckungs- und Initiationserlebnis.
"Ich war neunzehn und in Liebesdingen unerfahren", schreibt der Erzähler, "und ich kannte vom Leben nichts anderes als das kommunistische Propaganda-Blabla - und plötzlich erzählte mir dieses kleine Buch wie ein aufwieglerischer Kobold von erwachendem Verlangen, von Sexualität, von der Liebe, von all den Dingen, die die Welt mir vorenthalten hatte." Romain Rollands "Johann Christof", Dumas' "Graf von Monte Christo" und Balzacs "Vater Goriot" werden für ihn zu Aufklärungsratgebern und Bibeln des Widerstands. Er beginnt ganze Passagen auf die Innenseite seiner Lammfelljacke zu schreiben, und schon schlüpft die Kleine Schneiderin in das geheiligte Kleidungsstück, als ob "die Berührung von Balzacs Worten auf ihrer Haut ihr Glück und Klugheit" bringe - ein nicht unübliches Ritual in einem Distrikt, wo Schamanen und Hexen den Feiglingen noch Büffelblut als Zaubertrank verschreiben.
Balzac ist der größte aller Zauberer. Schon das aggressive Stakkato der vier Silben Ba-er-za-ke klingt wie eine magische Zauberformel, und die Geschichten von hartherzigen Wucherern und ehrgeizigen Dichtern, scheuer Liebe und stolzer Rebellion sind erst recht Versprechen auf eine aufregendere, freiere Welt. Schon vorher erkauften sich die Studenten hin und wieder kleine Vergünstigungen, indem sie den Dörflern nordkoreanische Kinoschmonzetten vom "Kleinen Blumenmädchen" akustisch zu Gehör brachten; jetzt weist ihnen die Wünschelrute der Literatur vollends den Weg in den Himmel der Phantasie: Die Nacherzählung von Romanen macht den einen zum Schriftsteller und öffnet dem anderen das Herz der Kleinen Schneiderin.
Sijie hat nicht nur eine bezaubernde Parabel auf den aphrodisischen Zauber und die erlösende Kraft der Literatur geschrieben, sondern auch ein Stück Autobiographie. Als er zwölf Jahre alt war, wurden seine Eltern verhaftet; mit siebzehn wurde er zur Gehirnwäsche in ein Dorf am Fuße des Himalajas verschickt. Die Narben dieser drei Jahre voller Demütigungen sind noch in den zartesten Träumen und derbsten Schwänken dieses Buchs zu spüren; unter dem leichten, romantisch-ironischen Ton schwären die alten Wunden. 1984 floh Sijie nach Frankreich, wo er sich als Autor von Filmen wie "Chine ma doleur" durchschlug. "Balzac und die Kleine chinesische Schneiderin" ist sein erster Roman.
In Frankreich war es ein mit Preisen überhäufter Sensationserfolg. Das Happy Ending, das der Autor erlebte, gestattet er seinen Balzac-Freunden nicht. Am Ende hat die tapfere Kleine Schneiderin die Lektionen der Umerziehung durch Weltliteratur so gut gelernt, daß sie ihren Lehrer und Liebhaber Luo verläßt. Balzac brachte ihr bei, "daß die Schönheit der Frau ein unbezahlbarer Schatz ist", und sie beutet ihn nach allen Regeln der Neuen Ökonomie aus. Erst schneidert sie sich nur Unterwäsche nach den Vorlagen aus "Madame Bovary" und näht den blauen Mao-Rock in ein modischeres Kostüm um; dann verliert sie ihre linkische Koketterie, vertauscht ihre Pantöffelchen mit Tennisschuhen und ihren Zopf mit einer kecken Kurzhaarfrisur und flieht die Ödnis der Provinz.
Ihr Verrat ist ein herber Schlag für ihre Anbeter, aber die Literatur hat nun einmal mehr emanzipatorische Kraft, als ihre ängstlichen, ehrfürchtigen Liebhaber zu träumen wagen. Sie läßt sich nicht als Stoffkatalog aparter Chinoiserien und Schnittmusterbogen persönlichen Glücks privatisieren: Sie ist als Sprengstoff verknöcherter Verhältnisse auch Volkseigentum und subversiv. Heute ist Pflege des klassischen Erbes westlicher Literatur allenfalls noch bei fundamentalistischen Bilderstürmern verpönt. In China jedenfalls wird Sijies Abrechnung mit der Kulturrevolution gerade verfilmt.
MARTIN HALTER
Dai Sijie: "Balzac und die Kleine chinesische Schneiderin". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Giò Waeckerlin Induni. Piper Verlag, München 2001. 200 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Liebesgeschichte aus der Zeit der Kulturrevolution
Eins zu drei Millionen stehen die Chancen, dass der 18-jährige Luo und sein Freund, der nur ein Jahr jüngere Ich-Erzähler, aus ihrem gottverlassenen Nest zu ihren Eltern zurückkehren können. Man schreibt das Jahr 1971, in China herrscht die Kulturrevolution. Hunderttausende junge, so genannte Intellektuelle werden "zur Umerziehung durch die revolutionären Bauern" aufs Land geschickt. So auch Luo und sein Freund, die - Ironie des Schicksals - gar nie das Glück hatten, ein Gymnasium zu besuchen.
Die "Umerziehung" auf dem Land
Der Roman beginnt mit der Ankunft der beiden Jungen. Der Ich-Erzähler hat eine Geige mitgebracht, die vom Laoban, ihrem Aufpasser, mit Misstrauen beäugt wird. Was ist das? Als Luo ohne mit der Wimper zu zucken behauptet, Mozart, dessen Musik sie mit der Geige spielen wollen, "sei in Gedanken immer beim Großen Vorsitzenden Mao", ist die Situation gerettet.
Eines Tages erzählen sie dem Alten von einem Film. Er ist davon so beeindruckt, dass er sie zu offiziellen Kinobesuchen in die Stadt schickt. Jedes Mal nach ihrer Rückkehr müssen sie der Dorfgemeinschaft den Film in allen Details nacherzählen! Langsam kommt die "Umerziehung" voran...
Zwei Freunde, ein Mädchen und eine Kiste verbotener Bücher
Luo und sein Freund sind nicht allein. Ein gleichaltriger Junge lebt - ebenfalls zur Umerziehung - im Dorf unterhalb. Bald kommen die beiden hinter das Geheimnis ihres Freundes. Er besitzt einen Koffer voller Bücher, westliche, dekadente Literatur, alles verbotene Bücher, Balzac, Flaubert, Gogol, Melville, Romain Rolland!
Als es ihnen mit Hilfe eines Streichs gelingt, den Koffer in ihren Besitz zu bringen, lesen sie in ihrem Verlies stundenlang. Tagsüber erzählen sie einer kleinen, entzückenden Scheiderin aus den Romanen. Die Schneiderin wird Luos Freundin, was jedoch nicht ohne Folgen bleibt...
Eine kritisch-ironische Abrechnung mit dem eigenen Schicksal
Hoch oben in den Bergen in einer Kohlenzeche arbeiten, Tonnen, gefüllt mit Exkrementen schleppen, alte "Hexen", die Fieber durch Auspeitschen kurieren... - Dai Sije hat das Schicksal der beiden Jungen, von denen er erzählt, selbst erlebt. Statt anzuklagen, hat sich er für eine überwiegend witzig-ironische Darstellung entschieden. Witz ist die eine, Trauer und Anklage die andere Seite. Sie findet ihren Ausdruck in der Schilderung des Schauprozesses gegen Luos Vater. Ein hinreißend komischer und dabei doch nachdenklicher Roman über die Liebe und die Magie des geschriebenen Wortes. (Birgit Kuhn)
"Wenn dieses Buch kein Bestseller wird, ist meine Sendung zu nichts mehr gut" (Bernard Pivot, französischer Literaturpapst)
Eins zu drei Millionen stehen die Chancen, dass der 18-jährige Luo und sein Freund, der nur ein Jahr jüngere Ich-Erzähler, aus ihrem gottverlassenen Nest zu ihren Eltern zurückkehren können. Man schreibt das Jahr 1971, in China herrscht die Kulturrevolution. Hunderttausende junge, so genannte Intellektuelle werden "zur Umerziehung durch die revolutionären Bauern" aufs Land geschickt. So auch Luo und sein Freund, die - Ironie des Schicksals - gar nie das Glück hatten, ein Gymnasium zu besuchen.
Die "Umerziehung" auf dem Land
Der Roman beginnt mit der Ankunft der beiden Jungen. Der Ich-Erzähler hat eine Geige mitgebracht, die vom Laoban, ihrem Aufpasser, mit Misstrauen beäugt wird. Was ist das? Als Luo ohne mit der Wimper zu zucken behauptet, Mozart, dessen Musik sie mit der Geige spielen wollen, "sei in Gedanken immer beim Großen Vorsitzenden Mao", ist die Situation gerettet.
Eines Tages erzählen sie dem Alten von einem Film. Er ist davon so beeindruckt, dass er sie zu offiziellen Kinobesuchen in die Stadt schickt. Jedes Mal nach ihrer Rückkehr müssen sie der Dorfgemeinschaft den Film in allen Details nacherzählen! Langsam kommt die "Umerziehung" voran...
Zwei Freunde, ein Mädchen und eine Kiste verbotener Bücher
Luo und sein Freund sind nicht allein. Ein gleichaltriger Junge lebt - ebenfalls zur Umerziehung - im Dorf unterhalb. Bald kommen die beiden hinter das Geheimnis ihres Freundes. Er besitzt einen Koffer voller Bücher, westliche, dekadente Literatur, alles verbotene Bücher, Balzac, Flaubert, Gogol, Melville, Romain Rolland!
Als es ihnen mit Hilfe eines Streichs gelingt, den Koffer in ihren Besitz zu bringen, lesen sie in ihrem Verlies stundenlang. Tagsüber erzählen sie einer kleinen, entzückenden Scheiderin aus den Romanen. Die Schneiderin wird Luos Freundin, was jedoch nicht ohne Folgen bleibt...
Eine kritisch-ironische Abrechnung mit dem eigenen Schicksal
Hoch oben in den Bergen in einer Kohlenzeche arbeiten, Tonnen, gefüllt mit Exkrementen schleppen, alte "Hexen", die Fieber durch Auspeitschen kurieren... - Dai Sije hat das Schicksal der beiden Jungen, von denen er erzählt, selbst erlebt. Statt anzuklagen, hat sich er für eine überwiegend witzig-ironische Darstellung entschieden. Witz ist die eine, Trauer und Anklage die andere Seite. Sie findet ihren Ausdruck in der Schilderung des Schauprozesses gegen Luos Vater. Ein hinreißend komischer und dabei doch nachdenklicher Roman über die Liebe und die Magie des geschriebenen Wortes. (Birgit Kuhn)
"Wenn dieses Buch kein Bestseller wird, ist meine Sendung zu nichts mehr gut" (Bernard Pivot, französischer Literaturpapst)
»Ein phänomenales Plädoyer für das Lesen von Literatur.« Österreich Wien (A) 20101113