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In seinem zweiten Roman verknüpft der weltberühmte sudanesische Autor auf faszinierende Weise moderne Erzähltechnik mit oraler Tradition. Nach langer Abwesenheit kehrt der Intellektuelle Muhaimmîd in das am Nil gelegene Dorf seiner Kindheit zurück: nach Wadd Hâmid, das er während all der Jahre in Khartum in seinem Herzen bewahrt hat und wo er einst begraben sein möchte. Doch er erkennt die Idylle seiner Jugend kaum wieder, alles hat sich verändert. Die Frage, warum er damals auf seine Jugendliebe Mariam verzichtet hat und weggegangen ist, statt sich dem Willen seines Grossvaters zu…mehr

Produktbeschreibung
In seinem zweiten Roman verknüpft der weltberühmte sudanesische Autor auf faszinierende Weise moderne Erzähltechnik mit oraler Tradition. Nach langer Abwesenheit kehrt der Intellektuelle Muhaimmîd in das am Nil gelegene Dorf seiner Kindheit zurück: nach Wadd Hâmid, das er während all der Jahre in Khartum in seinem Herzen bewahrt hat und wo er einst begraben sein möchte. Doch er erkennt die Idylle seiner Jugend kaum wieder, alles hat sich verändert. Die Frage, warum er damals auf seine Jugendliebe Mariam verzichtet hat und weggegangen ist, statt sich dem Willen seines Grossvaters zu widersetzen, lässt ihn nicht mehr los. Seine Erinnerungen überwältigen ihn und führen ihn bald über die persönliche Vergangenheit hinaus in die Welt der Mythen - in die versunkene Zeit des legendären Herrschers Bandarschâh und dessen Enkels Marjûd.In seinem kunstvoll komponierten Werk, in dem sich phantastische und realistische Elemente durchdringen, zeichnet Tajjib Salich - liebevoll und kritisch zugleich - ein vielfarbiges Bild der islamischen Kultur und des Lebens der Dorfbewohner zwischen Tradition und Moderne.
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Autorenporträt
Geboren 1929 im Norden des Sudan. Nach Studien in Khartum und London arbeitete er viele Jahre beim arabischen Dienst der BBC, danach als Berater bei der UNESCO.'Zeit der Nordwanderung', sein erster Roman, machte ihn über Nacht berühmt und wurde zum Kultbuch der arabischen Intellektuellen. Die Werke - Romane und Erzählungen - des bis zuletzt in London lebenden Schriftstellers wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.Tajjib Salich starb 2009 in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2002

Der Mann, der aus dem Nil kam
Ein beispielloses Abenteuer der arabischen Literatur: Mit seinem Roman "Bandarschah" gibt Tajjib Salich Rätsel auf

Seit dreißig Jahren schweigt Tajjib Salich. Und seit dreißig Jahren gibt "Bandarschah", sein letztes Buch, Rätsel auf. Das literarische Verstummen dieses großen sudanesischen Autors, der in den sechziger Jahren als eine der vielversprechendsten Stimmen Schwarzafrikas galt, ist nur mit dem Verstummen Rimbauds zu vergleichen: Es ist unerklärlich und tragisch. Der 1929 geborene Salich, der von sich einmal sagte, daß jedes klassische arabische Gedicht mehr wert sei als sein ganzes Werk, hatte lange vor aller modischen Theorie aufgezeigt, wie die Ränder des einstigen britischen Imperiums literarisch zurückschlagen können. Die Rede vom Postkolonialismus in der Literatur schien ihm auf den Leib geschrieben, bevor es sie überhaupt gab. Sein 1966 erschienener Roman "Zeit der Nordwanderung" (deutsch 1998) zählt zu den ewigen Top ten der modernen arabischen Literatur und ist für eine ganze Generation nahöstlicher Intellektueller ein Kultbuch gewesen. Es schildert die steile Karriere des sudanesischen Studenten Mustapha Said im Mutterland des Kolonialismus.

Said ist ein berechnendes, intellektuelles Monster, der afrikanische Urahn der Helden von Bret Easton Ellis. Seine Rachegelüste gegenüber den ihn zwar fördernden, doch nie als gleichwertig anerkennenden Briten lebt er sexuell aus, indem er die Engländerinnen, die ihm reihenweise verfallen, in den Selbstmord treibt oder eigenhändig umbringt. Hinterfragt im Sinne eines "back to the roots" wird die Manie Saids vom Erzähler der Geschichte, einem jungen Mann aus Wadd Hamid, dem Dorf am Nil, in das Said heimkehrt, um - vergebens - seine ungewollt-gewollte Verwestlichung wieder abzuschütteln. Bis heute hat kein Werk das zwiespältige Verhältnis der arabischen Intellektuellen zum Westen tiefer durchleuchtet. Es ist hochaktuell.

Mit dem Erscheinen von Salichs letztem Buch, "Bandarschah", liegen alle vier Bände seines schmalen Gesamtwerks auf deutsch vor. "Bandarschah" ist das unzugänglichste von allen - ein Labyrinth von einem Buch, in das man schnell hineinfindet, aber nicht mehr heraus. Wenn man ans Ende gelangt, läse man am liebsten gleich von hinten nach vorne wieder zurück, den Ariadnefaden der Buchstaben entlang - und sei es nur, um festzustellen, daß er gerissen ist wie die natürliche Abfolge der Generationen in Wadd Hamid.

Der Roman hat zwei Handlungsstränge, welche man, damit sich ein Bild ergibt, wie transparente Folien übereinanderlegen muß. Im ersten Handlungsstrang wird mit mythologischen Untertönen berichtet, wie das Dorf und mit ihm der Sudan gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in die Geschichte erwacht. Ein unbekannter Mann entsteigt dem Nil bei Wadd Hamid, als tauche er geradewegs aus Lethe auf - er hat sein Gedächtnis verloren. Die Bauern nennen ihn "Dau al-Bait" ("Licht des Hauses"), pflegen ihn gesund und integrieren ihn in die Dorfgemeinschaft, wobei die Gastfreundschaft über den durchaus bestehenden Argwohn siegt. Denn die Herkunft des Fremden bleibt unklar. Seine Augen sind blau. Die Sprache, die er im Schlaf stammelt, klingt westlich. Und er ist nicht beschnitten. Erst als ihm nach seiner feierlichen Beschneidung eine Braut aus den Mädchen des Dorfs zugestanden wird, ist er als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft akzeptiert. Überraschenderweise entwickelt Dau al-Bait eine rege wirtschaftliche Aktivität, führt zahlreiche Neuerungen ein und wird in kurzer Zeit reich. Als seine Frau schwanger ist, verschlingt ihn wieder der Nil. Das Kind erhält den geheimnisvollen Namen "Bandarschah". Bandarschah, der den Reichtum seines Vaters ausbaut, wird zum mächtigsten Mann im Dorf. Als seinen Statthalter zieht er sich nicht die verachteten Söhne, sondern einen ihm verblüffend ähnelnden Enkel heran, Marjud.

Von all diesen Ereignissen erfährt man jedoch nur in Rückblenden. Und selbst diese Rückblendungen sind stets Erzählungen von Erzählungen, die wie in der klassischen arabischen Prosa mit dem Index versehen sind: "So könnte es gewesen sein. Aber Genaues wissen wir nicht", worauf dann sogleich eine alternative Überlieferung anhebt, die ebenso unsicher ist.

Verläßlicher erscheint die Parallelhandlung, mit welcher der Roman einsetzt. Sie spielt drei Generationen später, in den sechziger Jahren. Muhaimmid, ein Altersgenosse Marjuds, kehrt nach dreißig Jahren Arbeit als Staatsbeamter in der Hauptstadt nach Wadd Hamid zurück. Mit seinen alten Freunden unterhält er sich über die Veränderungen und sinnt den alten Zeiten nach. Schnittpunkt der beiden Erzählstränge und Zeiten ist ein Traum, den fast alle Bewohner des Dorfes in ähnlicher Weise haben; und aus dem sie von einem herzzerreißenden Gebetsruf geweckt werden, der sie alle mit Tränen in den Augen in die Moschee treibt. Im Traum haben sie gesehen, wie Bandarschah sich und seinen Enkel zum Vergnügen seine Söhne auspeitschen läßt. Doch erklären können sich die Bewohner diesen Traum nicht.

Je mehr man über die Geschichte des Dorfes und die Erzählgegenwart Muhaimmids erfährt, desto mehr Analogien weisen die beiden Handlungsstränge auf. Bis sie schließlich, als sollte der Fluch eines zyklischen Geschichtsverständnisses illustriert werden, nahezu ununterscheidbar miteinander verschmelzen. Denn Muhaimmid wurde einst von seiner Freundin, die er wegen seiner Karriere verließ und die nun, kaum daß er heimgekehrt ist, im Sterben liegt, seinerseits Marjud genannt. Die Freundin hingegen erscheint wie eine Wiedergängerin der Braut von Dau al-Bait, Bandarschahs Mutter. Überdies wird sie "Mariam" (Maria) genannt, während Bandarschah mit Beinamen "Issa" (Jesus) hieß. Und auch Muhaimmid hatte, wie Marjud, einen Großvater, der sich ihn zum Ebenbild erzog. Anders als dem echten Marjud gelingt es Muhaimmid jedoch, in einem todesmutigen Schwimmwettkampf den Großvater zu übertrumpfen und sich von seinem Einfluß zu befreien.

Thema des Buchs, nur soviel läßt sich mit Gewißheit sagen, ist das Verhältnis zwischen den Generationen in einer Welt, die sich rapide wandelt; auch die Rolle, die Tradition und Religion bei den Transformationsprozessen spielen. Sie sind ein Segen, weil allein sie den Menschen noch Halt geben können. Sie sind aber auch eine Bürde, weil sie die Menschen immer wieder in dieselben Strukturen zwängen.

Tajjib Salich gilt als einer der besterforschten Autoren der modernen arabischen Literatur. Doch über sein letztes Buch, das die Ratlosigkeit angesichts dieser Welt zum Kompositionsprinzip erhebt, gibt es praktisch keine wissenschaftliche Literatur, geschweige denn einen geschlossenen Interpretationsversuch. Was dem Interpreten an Durchblick verweigert wird, macht die Lektüre, rezeptionsästhetisch gesehen, zu einem in der arabischen Literatur beispiellosen Abenteuer.

Dabei ist "Bandarschah" ebenso reich an sinnlichen Elementen wie die anderen Bücher Salichs. Man wohnt, wenn man liest, selber in Wadd Hamid, schwimmt mit Muhaimmid und seinem Großvater im Nil, glaubt den herzzerreißenden Gebetsruf mit eigenen Ohren zu hören. Wie schöne, pointillistische Farbtupfer strahlen diese Eindrücke aus der erzählerischen Fragmentierung auf. Nur der richtige Abstand, der dann aus allen Tupfern das Bild ergibt, läßt sich dazu nicht einnehmen. Dem Meisterwerk "Zeit der Nordwanderung" hat Tajjib Salich ein literarisches Vermächtnis folgen lassen, das noch vielen Generationen von Lesern seine Fragen hinterlassen wird.

Tajjib Salich: "Bandarschah". Roman aus dem Sudan. Aus dem Arabischen übersetzt von Regina Karachouli. Lenos Verlag, Basel 2001. 190 S., geb., 19,50 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Stefan Weidner nutzt seine Rezension, um zunächst diesen bedeutenden sudanesischen Schriftsteller selbst vorzustellen, dessen 1966 zuerst erschienener Roman "Zeit der Nordwanderung" für eine ganze Generation nahöstlicher Intellektueller "ein Kulturbuch" gewesen sei. Den vorliegende Roman nun, mit dessen Erscheinen Weidner zufolge jetzt alle vier Bände von Salichs "schmalem Gesamtwerks" auf Deutsch vorliegen, beschreibt er als Labyrinth. Man finde schnell hinein, aber nicht mehr heraus - was einiges über den Sog von Salischs Erzählkunst aussagt. Thema des Buches sei "das Verhältnis zwischen den Generationen in einer Welt, die sich rapide wandelt". Schauplatz ein sudanesisches Dorf, das am Ende des 19. Jahrhunderts "in die Geschichte" erwache. Salich erzählt in Rückblenden und in Erzählungen von Erzählungen: für den Rezensenten ein Hinweis, dass der Autor "die Ratlosigkeit angesichts dieser Welt" zum Kompositionsprinzip erhebt. Allerdings verhehlt Weidner nicht, dass er gelegentlich vom Lauf der Handlung und der Erzählweise verwirrt wurde. Der Roman erschien im Original vor dreißig Jahren. Seitdem schweige Tajjib Salich. Für den Rezensenten ist das Verstummen dieser einst "vielversprechendsten Stimme Schwarzafrikas" nur mit dem Verstummen Rimbauds zu vergleichen.

© Perlentaucher Medien GmbH"
'Indem Salich virtuos moderne Erzähltechnik mit den Legenden der mündlichen Überlieferung verknüpft, gelingt ihm, was seinen Figuren versagt bleibt - der Brückenschlag zwischen islamisch geprägter Tradition und westlicher Moderne.'Der Spiegel