Der unter mysteriösen Umständen verstorbene dänische Schriftsteller Herman Bang (1857-1912) galt zu Lebzeiten als wunderlicher Einzelgänger und ästhetischer Dandy. Seine Bücher machten ihn berühmt, aber seine Homosexualität ließ ihn immer wieder ins Visier der Polizei geraten. In ihrer Romanbiographie beschreibt Dorrit Willumsen das rastlose Leben Bangs, die Kindheit im Pfarrhaus auf einer dänischen Insel, eine Liebe, die nur von kurzer Dauer ist, Skandale, Prozesse, den literarischen Durchbruch und das tragische Ende während einer Lesereise durch die USA.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.1999Ein Herr mit Schminke
Willumsens Liebeserklärung an "Bang" · Von Heinrich Detering
Als im Juni 1913 der Schriftsteller Friedrich Huch begraben wurde, beklagte Thomas Mann in seiner Gedenkrede, durch diesen Tod habe "der moderne Roman" einen Verlust erlitten, der nur mit demjenigen Herman Bangs zu vergleichen sei. Bang war ein Jahr zuvor überraschend und unter tragischen Umständen gestorben, ohne daß Thomas Mann sich dazu öffentlich geäußert hätte. Als im September 1918 Eduard von Keyserling gestorben war, fühlte sich Thomas Mann in seinem Nachruf an "den teuren, traurigen Namen Herman Bangs" erinnert, diesen "Artist und Exzentrik" und dessen "tiefe Sympathie mit dem Leide, mit dem, was hoffnungslos vornehm, dem Glücke fremd, dem Tode verpflichtet ist". Deutlicher noch hatte er diese Bruderschaft schon 1902 einem Freund gestanden: Er lese "jetzt beständig Herman Bang, dem ich mich tief verwandt fühle".
Der junge Thomas Mann hatte Grund genug, sein Bekenntnis zu dem "dänischen Patrizier" mit "seinem schrecklichen Virtuosen-Ende" entweder nur Vertrauten vorzubehalten oder es öffentlich in scheinbar beiläufigen Aperçus zu verstecken (um dann selbst diese, wie im Falle des Huch-Nachrufs, bei nächster Gelegenheit wieder aus der Druckfassung zu streichen). Zwar hatte der teure Name schon in Großbuchstaben die Verlagskataloge Samuel Fischers geschmückt, als derjenige des "Friedemann"-Autors sich noch mit dem Kleingedruckten begnügen mußte; und daß Bang "der größte moderne Erzähler" sei, war um das Jahr 1910 nicht nur eine Übertreibung von Fischers Verlagswerbung. Dennoch war der große Schriftsteller für ein konservatives Bildungsbürgertum auch eine Persona non grata. Schon zu Lebzeiten hatte Bang sich als exaltierter Dandy ähnlich unmöglich gemacht wie kurz zuvor Oscar Wilde, und mit seinen letzten Romanen und einer zur postumen Publikation vorgesehenen Abhandlung über Literatur und Homosexualität fiel auf seinen Nachruhm jenes Rotlicht, dessen Schein der junge Thomas Mann um beinahe jeden Preis meiden wollte.
Dieselbe Mélange aber aus Lächerlichkeit und Größe, aus echtem und theatralischem Pathos, die den lebenden Bang zu einer ebenso populären wie kontroversen Gestalt der europäischen Jahrhundertwende machte, hat den toten Dichter in die Höhen des Mythos erhoben. Die Selbstinszenierungen seiner gefeierten und mit Hohn überschütteten Lesetourneen, die hochstaplerischen Diva-Allüren des vorgeblichen Grafen "de Bang", die Zusammenbrüche und Schlagzeilen, aber auch das Elend einer immer am Rande der bürgerlichen Entehrung schlingernden Existenz, die seinen Blick für Außenseitergestalten unvergleichlich geschärft hatte, endlich der einsame Tod im amerikanischen Eisenbahnwaggon; dies alles hat ein Image von bemerkenswerter Dauer geschaffen. Als vor wenigen Jahren Bangs Erzählung "Am Wege" verfilmt wurde, hatte der Regisseur gegenüber dem Roman eine einzige Szene hinzugefügt: Aus dem Abteilfenster eines vorbeifahrenden Zuges wirft ein Gentleman mit dunklem Schnurrbart und geschminkten Augen einen schmerzvollen Blick auf die Heldin, in deren Leben und Sterben er auch das eigene Unglück gestaltet hat. Der Autor als Figur und flüchtiger Zuschauer seiner eigenen Romanwelt: Anschaulicher hätte sich kaum demonstrieren lassen, wie konsequent Bangs vielgerühmte sozialpsychologische Sensibilität, seine sinnliche Weltoffenheit, seine impressionistischen Porträts immer auch als autobiographische Inszenierungen angelegt waren. Roman und Biographie - für den Schriftsteller Herman Bang wie für die gleichnamige Figur auf der literarischen Weltbühne durchdrangen sich beide bis zur Verschmelzung.
Mit ihrer vieldiskutierten Entscheidung, ihr Porträt des "Artisten und Exzentrik" als Roman-Biographie anzulegen, hat Dorrit Willumsen darum eigentlich nur eine von Bang begonnene Linie fortgeführt. Indem sie damit freilich das Verfahren der kalkulierten Doppelbödigkeit auf dessen Meister selbst anwendet, gebraucht sie es gewissermaßen in zweiter Potenz. Erprobt hat sie dieses Mischgenre schon mehrfach und an höchst unterschiedlichen historischen Gestalten; in Skandinavien gilt es mittlerweile, trotz zahlreicher Versuche in anderen Gattungen, beinahe als ihr Markenzeichen. Ambitionierter jedoch und dem Porträtierten angemessener als in "Bang" hat sie das Experiment, eine Lebensgeschichte als dokumentarischen Roman zu erzählen, nie unternommen.
Denn einerseits entfaltet sie, von Bangs überwältigendem Erlebnis New Yorks im ersten bis zur kläglichen Bestattungszeremonie im letzten Kapitel, einen Bilderbogen, der in der Perspektivierung seiner Schauplätze, in den Vor- und Rückblenden, in der Dramatik seiner Dialoge denkbar "romanhaft" ist. Andererseits aber hat sie im Faktischen, ja weithin sogar im Wortlaut fast nichts erfunden. Das letzte Wort des Buches gilt dem Dank "an das Personal der Königlichen Bibliothek". In der Tat steht die Gründlichkeit, mit der die Verfasserin in ihren jahrelangen Quellenstudien zu Werke gegangen ist, Harry Jacobsens vierbändiger Standardbiographie nur wenig nach und fördert selbst für Bang-Kenner noch manches Neue zutage. Dennoch sind Faktentreue und freies Spiel der Fiktion unauflöslich verquickt. Wenn Bang sich einmal in Gedanken mit einem Hotelgast vergleicht, der nie weiß, "ob er die Rechnung bezahlen kann", dann denkt er damit eine Metapher, die man später in seiner Sexualitätsschrift nachlesen kann. Der Wortlaut bietet Bangs "authentischen" Originalton, Kontext und Innensicht sind fiktionale Konstruktionen, und beides zusammen ergibt eine sehr eigenwillige Montage.
Als Dorrit Willumsen 1997 anläßlich dieses Buches mit dem angesehenen Literaturpreis des Nordischen Rates ausgezeichnet wurde, warfen ihr manche Kritiker ebendiese Vermischung vor, die daraufhin hitzig aufflackernde Willumsen-Debatte ist bis heute nicht ganz erloschen. Die Verfasserin selbst hat mit entwaffnender Bescheidenheit bekannt, ihr Buch solle eine "Liebeserklärung" an Bang sein. Es fällt nicht schwer, ihr das zu glauben. Liebevoll ist die Neugier, mit der sie auch diejenigen Seiten ihres Helden beobachtet, die ins mythische Image nicht passen. Neben dem Ästheten wird hier also auch der politische Journalist sichtbar, der wegen seiner Angriffe auf den Wilhelminismus aus Preußen verjagt wurde, neben dem hinreißenden Erzähler kommt der weit problematischere Lyriker zu seinem Recht und neben dem Dichter der Theaterliebhaber, der viel lieber Schauspieler geworden wäre und einige beachtliche Inszenierungen auf die Bühne brachte. Liebevoll ist auch die Diskretion, mit der die Schrecknisse seiner Außenseiterexistenz zwar keineswegs verschwiegen, aber doch romantisch gedämpft werden. Private Katastrophen wie Bangs dramatische Beziehung zu dem Schauspieler Max Eisfeld, die öffentlichen Schmähungen durch Schriftstellerkollegen wie den nachmaligen Nobelpreisträger Johannes V. Jensen, überhaupt die Qualen des lebenslang von Gespött und juristischer Strafverfolgung Gehetzten werden offen und ausführlich geschildert - und dennoch liegt über alldem der Schleier einer düsteren Romantik.
Ohne zu verschweigen oder eigentlich zu beschönigen, hat Willumsen die grausamsten Härten doch gemildert. So wird Bangs Drogenmißbrauch zwar nüchtern beschrieben; der ihn begleitende physische Zerfall aber erscheint eher als Verwelken denn als Schmerz, Erniedrigung und Peinlichkeit. In der Schwebe bleibt auch die Frage nach den Gründen für Bangs dauerhafte, auch durch wachsende Einkünfte und Ruhm nicht beseitigte Armut, die mit Freigebigkeit und teuren Parfums kaum zureichend erklärt ist. Vielmehr muß man annehmen, daß Bang unter der lebenslangen Drohung einer Strafverfolgung, die zeitweise fast pogromartige Ausmaße annehmen konnte, große Summen an Erpresser zu zahlen hatte, die aus seiner ausdrücklichen "beständigen Angst vor Entdeckung" ihren Lebensunterhalt bestritten. Gewiß ist auch Willumsens Romanheld ein Leidender. Aber er leidet in Schönheit; die sanft retuschierte Verklärung beläßt ihm eine Würde, die in seinen Lebensumständen nicht selten gefährdet war.
Diese Verklärung liest sich in der deutschen Übersetzung freilich um einiges sentimentaler als im Original. Schon die habituelle Ironie der dänischen Umgangssprache läßt sich hier kaum in der derselben Beiläufigkeit wiedergeben, am wenigsten dort, wo sie die großen Gefühle auf mittlere Distanz halten soll. Wer im dänischen Text über den junge Bang liest: "Er weiß, daß er zu Leid und Ruhm geboren wurde", spürt darin auch das Lächeln der Erzählerin über den pathetischen Gedanken. Im deutschsprachigen Kontext gewinnt derselbe Satz ein Tremolo, das ihm im Original fremd ist. Leider sind hier neben solchen unvermeidlichen auch manche ganz unnötigen Verluste zu beklagen. Die karge Notiz, daß "das Licht bläulich wird", verwandelt sich in der Übersetzung in ein üppiges "wenn der Himmel sich blau färbt". Umgekehrt wird das De produndis einer Gedichtzeile, in der ein Einsamer von der Sonne "nicht erreicht" wird, in der Übersetzung verflacht zu der Bemerkung, daß "die Sonne ausbleibt". So triftig manche Einwände sein mögen, die gegen den Stil dieses Buches vorgebracht worden sind - nuancierter als diese deutsche Fassung ist es ganz gewiß.
Von Bang, hat Thomas Mann mit später Offenheit erklärt, habe er "alles gelesen und viel gelernt". In mancher Hinsicht trifft dieser Satz auch auf Dorrit Willumsen zu. Ihr eindringliches Porträt geht bis an die Grenze des Identifikatorischen, nicht anders als manche Erzählungen des jungen Bang-Lesers Thomas Mann. Immer haben Schriftsteller, die Bang liebten, etwas von seiner ironischen Grazie und traurigen Grandezza angenommen. Und immer mußte man ihnen die kleinen Schwächen nachsehen, die aus der großen Liebe entstehen.
Dorrit Willumsen: "Bang". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ursula Gunsilius. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1998. 400 S., geb., 44,- DM.
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Willumsens Liebeserklärung an "Bang" · Von Heinrich Detering
Als im Juni 1913 der Schriftsteller Friedrich Huch begraben wurde, beklagte Thomas Mann in seiner Gedenkrede, durch diesen Tod habe "der moderne Roman" einen Verlust erlitten, der nur mit demjenigen Herman Bangs zu vergleichen sei. Bang war ein Jahr zuvor überraschend und unter tragischen Umständen gestorben, ohne daß Thomas Mann sich dazu öffentlich geäußert hätte. Als im September 1918 Eduard von Keyserling gestorben war, fühlte sich Thomas Mann in seinem Nachruf an "den teuren, traurigen Namen Herman Bangs" erinnert, diesen "Artist und Exzentrik" und dessen "tiefe Sympathie mit dem Leide, mit dem, was hoffnungslos vornehm, dem Glücke fremd, dem Tode verpflichtet ist". Deutlicher noch hatte er diese Bruderschaft schon 1902 einem Freund gestanden: Er lese "jetzt beständig Herman Bang, dem ich mich tief verwandt fühle".
Der junge Thomas Mann hatte Grund genug, sein Bekenntnis zu dem "dänischen Patrizier" mit "seinem schrecklichen Virtuosen-Ende" entweder nur Vertrauten vorzubehalten oder es öffentlich in scheinbar beiläufigen Aperçus zu verstecken (um dann selbst diese, wie im Falle des Huch-Nachrufs, bei nächster Gelegenheit wieder aus der Druckfassung zu streichen). Zwar hatte der teure Name schon in Großbuchstaben die Verlagskataloge Samuel Fischers geschmückt, als derjenige des "Friedemann"-Autors sich noch mit dem Kleingedruckten begnügen mußte; und daß Bang "der größte moderne Erzähler" sei, war um das Jahr 1910 nicht nur eine Übertreibung von Fischers Verlagswerbung. Dennoch war der große Schriftsteller für ein konservatives Bildungsbürgertum auch eine Persona non grata. Schon zu Lebzeiten hatte Bang sich als exaltierter Dandy ähnlich unmöglich gemacht wie kurz zuvor Oscar Wilde, und mit seinen letzten Romanen und einer zur postumen Publikation vorgesehenen Abhandlung über Literatur und Homosexualität fiel auf seinen Nachruhm jenes Rotlicht, dessen Schein der junge Thomas Mann um beinahe jeden Preis meiden wollte.
Dieselbe Mélange aber aus Lächerlichkeit und Größe, aus echtem und theatralischem Pathos, die den lebenden Bang zu einer ebenso populären wie kontroversen Gestalt der europäischen Jahrhundertwende machte, hat den toten Dichter in die Höhen des Mythos erhoben. Die Selbstinszenierungen seiner gefeierten und mit Hohn überschütteten Lesetourneen, die hochstaplerischen Diva-Allüren des vorgeblichen Grafen "de Bang", die Zusammenbrüche und Schlagzeilen, aber auch das Elend einer immer am Rande der bürgerlichen Entehrung schlingernden Existenz, die seinen Blick für Außenseitergestalten unvergleichlich geschärft hatte, endlich der einsame Tod im amerikanischen Eisenbahnwaggon; dies alles hat ein Image von bemerkenswerter Dauer geschaffen. Als vor wenigen Jahren Bangs Erzählung "Am Wege" verfilmt wurde, hatte der Regisseur gegenüber dem Roman eine einzige Szene hinzugefügt: Aus dem Abteilfenster eines vorbeifahrenden Zuges wirft ein Gentleman mit dunklem Schnurrbart und geschminkten Augen einen schmerzvollen Blick auf die Heldin, in deren Leben und Sterben er auch das eigene Unglück gestaltet hat. Der Autor als Figur und flüchtiger Zuschauer seiner eigenen Romanwelt: Anschaulicher hätte sich kaum demonstrieren lassen, wie konsequent Bangs vielgerühmte sozialpsychologische Sensibilität, seine sinnliche Weltoffenheit, seine impressionistischen Porträts immer auch als autobiographische Inszenierungen angelegt waren. Roman und Biographie - für den Schriftsteller Herman Bang wie für die gleichnamige Figur auf der literarischen Weltbühne durchdrangen sich beide bis zur Verschmelzung.
Mit ihrer vieldiskutierten Entscheidung, ihr Porträt des "Artisten und Exzentrik" als Roman-Biographie anzulegen, hat Dorrit Willumsen darum eigentlich nur eine von Bang begonnene Linie fortgeführt. Indem sie damit freilich das Verfahren der kalkulierten Doppelbödigkeit auf dessen Meister selbst anwendet, gebraucht sie es gewissermaßen in zweiter Potenz. Erprobt hat sie dieses Mischgenre schon mehrfach und an höchst unterschiedlichen historischen Gestalten; in Skandinavien gilt es mittlerweile, trotz zahlreicher Versuche in anderen Gattungen, beinahe als ihr Markenzeichen. Ambitionierter jedoch und dem Porträtierten angemessener als in "Bang" hat sie das Experiment, eine Lebensgeschichte als dokumentarischen Roman zu erzählen, nie unternommen.
Denn einerseits entfaltet sie, von Bangs überwältigendem Erlebnis New Yorks im ersten bis zur kläglichen Bestattungszeremonie im letzten Kapitel, einen Bilderbogen, der in der Perspektivierung seiner Schauplätze, in den Vor- und Rückblenden, in der Dramatik seiner Dialoge denkbar "romanhaft" ist. Andererseits aber hat sie im Faktischen, ja weithin sogar im Wortlaut fast nichts erfunden. Das letzte Wort des Buches gilt dem Dank "an das Personal der Königlichen Bibliothek". In der Tat steht die Gründlichkeit, mit der die Verfasserin in ihren jahrelangen Quellenstudien zu Werke gegangen ist, Harry Jacobsens vierbändiger Standardbiographie nur wenig nach und fördert selbst für Bang-Kenner noch manches Neue zutage. Dennoch sind Faktentreue und freies Spiel der Fiktion unauflöslich verquickt. Wenn Bang sich einmal in Gedanken mit einem Hotelgast vergleicht, der nie weiß, "ob er die Rechnung bezahlen kann", dann denkt er damit eine Metapher, die man später in seiner Sexualitätsschrift nachlesen kann. Der Wortlaut bietet Bangs "authentischen" Originalton, Kontext und Innensicht sind fiktionale Konstruktionen, und beides zusammen ergibt eine sehr eigenwillige Montage.
Als Dorrit Willumsen 1997 anläßlich dieses Buches mit dem angesehenen Literaturpreis des Nordischen Rates ausgezeichnet wurde, warfen ihr manche Kritiker ebendiese Vermischung vor, die daraufhin hitzig aufflackernde Willumsen-Debatte ist bis heute nicht ganz erloschen. Die Verfasserin selbst hat mit entwaffnender Bescheidenheit bekannt, ihr Buch solle eine "Liebeserklärung" an Bang sein. Es fällt nicht schwer, ihr das zu glauben. Liebevoll ist die Neugier, mit der sie auch diejenigen Seiten ihres Helden beobachtet, die ins mythische Image nicht passen. Neben dem Ästheten wird hier also auch der politische Journalist sichtbar, der wegen seiner Angriffe auf den Wilhelminismus aus Preußen verjagt wurde, neben dem hinreißenden Erzähler kommt der weit problematischere Lyriker zu seinem Recht und neben dem Dichter der Theaterliebhaber, der viel lieber Schauspieler geworden wäre und einige beachtliche Inszenierungen auf die Bühne brachte. Liebevoll ist auch die Diskretion, mit der die Schrecknisse seiner Außenseiterexistenz zwar keineswegs verschwiegen, aber doch romantisch gedämpft werden. Private Katastrophen wie Bangs dramatische Beziehung zu dem Schauspieler Max Eisfeld, die öffentlichen Schmähungen durch Schriftstellerkollegen wie den nachmaligen Nobelpreisträger Johannes V. Jensen, überhaupt die Qualen des lebenslang von Gespött und juristischer Strafverfolgung Gehetzten werden offen und ausführlich geschildert - und dennoch liegt über alldem der Schleier einer düsteren Romantik.
Ohne zu verschweigen oder eigentlich zu beschönigen, hat Willumsen die grausamsten Härten doch gemildert. So wird Bangs Drogenmißbrauch zwar nüchtern beschrieben; der ihn begleitende physische Zerfall aber erscheint eher als Verwelken denn als Schmerz, Erniedrigung und Peinlichkeit. In der Schwebe bleibt auch die Frage nach den Gründen für Bangs dauerhafte, auch durch wachsende Einkünfte und Ruhm nicht beseitigte Armut, die mit Freigebigkeit und teuren Parfums kaum zureichend erklärt ist. Vielmehr muß man annehmen, daß Bang unter der lebenslangen Drohung einer Strafverfolgung, die zeitweise fast pogromartige Ausmaße annehmen konnte, große Summen an Erpresser zu zahlen hatte, die aus seiner ausdrücklichen "beständigen Angst vor Entdeckung" ihren Lebensunterhalt bestritten. Gewiß ist auch Willumsens Romanheld ein Leidender. Aber er leidet in Schönheit; die sanft retuschierte Verklärung beläßt ihm eine Würde, die in seinen Lebensumständen nicht selten gefährdet war.
Diese Verklärung liest sich in der deutschen Übersetzung freilich um einiges sentimentaler als im Original. Schon die habituelle Ironie der dänischen Umgangssprache läßt sich hier kaum in der derselben Beiläufigkeit wiedergeben, am wenigsten dort, wo sie die großen Gefühle auf mittlere Distanz halten soll. Wer im dänischen Text über den junge Bang liest: "Er weiß, daß er zu Leid und Ruhm geboren wurde", spürt darin auch das Lächeln der Erzählerin über den pathetischen Gedanken. Im deutschsprachigen Kontext gewinnt derselbe Satz ein Tremolo, das ihm im Original fremd ist. Leider sind hier neben solchen unvermeidlichen auch manche ganz unnötigen Verluste zu beklagen. Die karge Notiz, daß "das Licht bläulich wird", verwandelt sich in der Übersetzung in ein üppiges "wenn der Himmel sich blau färbt". Umgekehrt wird das De produndis einer Gedichtzeile, in der ein Einsamer von der Sonne "nicht erreicht" wird, in der Übersetzung verflacht zu der Bemerkung, daß "die Sonne ausbleibt". So triftig manche Einwände sein mögen, die gegen den Stil dieses Buches vorgebracht worden sind - nuancierter als diese deutsche Fassung ist es ganz gewiß.
Von Bang, hat Thomas Mann mit später Offenheit erklärt, habe er "alles gelesen und viel gelernt". In mancher Hinsicht trifft dieser Satz auch auf Dorrit Willumsen zu. Ihr eindringliches Porträt geht bis an die Grenze des Identifikatorischen, nicht anders als manche Erzählungen des jungen Bang-Lesers Thomas Mann. Immer haben Schriftsteller, die Bang liebten, etwas von seiner ironischen Grazie und traurigen Grandezza angenommen. Und immer mußte man ihnen die kleinen Schwächen nachsehen, die aus der großen Liebe entstehen.
Dorrit Willumsen: "Bang". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ursula Gunsilius. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1998. 400 S., geb., 44,- DM.
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