Die Alpenprovinzen des Römischen Reiches sind so etwas wie die Stiefkinder der Forschung. Die Befundlage ist verglichen mit dem Kernland nicht besonders reichhaltig und Ausgrabungen sind aufgrund des Geländes oft aufwendig und teuer. Schon die alten Römer hielten das Bergland für rückständig und
unkultiviert, für sie war es Barbarenland.
Bisher fehlt in der deutschsprachigen archäologischen…mehrDie Alpenprovinzen des Römischen Reiches sind so etwas wie die Stiefkinder der Forschung. Die Befundlage ist verglichen mit dem Kernland nicht besonders reichhaltig und Ausgrabungen sind aufgrund des Geländes oft aufwendig und teuer. Schon die alten Römer hielten das Bergland für rückständig und unkultiviert, für sie war es Barbarenland.
Bisher fehlt in der deutschsprachigen archäologischen Literatur eine umfassende Darstellung dieser Region, die Jutta Zerres hiermit vorlegt. Sie füllt diese Lücke, indem sie die deutsche, englische, italienische und französische Literatur auswertet und systematisch strukturiert. Neben ausführlichem Kartenmaterial zeigt sie von ausgewählten Orten auch aktuelle Ansichten und wichtige Funde, sowohl in situ als auch aus Museen und Sammlungen.
Schon die Frage nach der Abgrenzung der einzelnen Provinzen bereitet Schwierigkeiten, da historische Orte nicht immer eindeutig zuzuordnen sind und sich die Provinzgrenzen im Lauf der Zeit verschoben haben. Jutta Zerres diskutiert den Stand der Forschung anhand antiker Quellen und der archäologisch belegten Siedlungsgeschichte und stellt dann die Entwicklung der Verkehrswege sowie ausgewählte Ortschaften der Alpes Maritimae, Alpes Cottiae und Alpes Atrectianae im Detail vor. Die Angaben sind so ausführlich, dass sie sich auch zur Planung einer Reise mit archäologischem Fokus eignen (im Anhang befindet sich zusätzlich eine Liste der Orte, Ausgrabungsstätten und Museen). In diesem Zusammenhang verweist die Autorin auch auf Spolien in der Umgebung antiker Siedlungen, die heute oft die einzigen noch sichtbaren Zeugen sind. Auf- und Grundrisse von erhaltenen Großgebäuden, sowie einige Rekonstruktionszeichnungen ergänzen den fokussierten Text.
Ein eigenes Kapitel ist der Frage nach der Romanisierung gewidmet. Hier hat die Forschung erhebliche Fortschritte gemacht und das Bild einer kulturell abgekoppelten Region revidiert. Auch wenn die Alpenprovinzen hauptsächlich dem Transit dienten, waren sie in eine reichsweite Planung eingebunden und insbesondere an den Orten der großen Alpentransversalen ist die römische Dominanz auch heute noch in den Straßenzügen der Altstädte und an den Großdenkmälern ablesbar. Dauerhafte Militärpräsenz ist dagegen nicht belegt, so stammen die Soldatengräber in erster Linie von Durchreisenden. Deren Epigrafik ist übrigens ein eigenes Kapitel gewidmet. Außerdem untersucht Jutta Zerres die Funde und Befunde zur lokalen Wirtschaft (Holz, Metall, Steine) und den lokalen Religionen und Kulten, die zwar nicht sehr häufig sind, aber dennoch ein einigermaßen geschlossenes Bild zeichnen.
Der hervorragend illustrierte Band richtet sich sowohl an das Fachpublikum als auch den interessierten Laien und vermittelt den aktuellen Kenntnisstand gut strukturiert, verständlich und kompakt. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis im Anhang fehlt natürlich nicht.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)