Der FC Barcelona gilt als weltweit beliebtester Fußballverein. Fußballästheten bewundern sein attraktives Offensivspiel. Traditionalisten loben, dass "Barca" sein Trikot nicht mit Kommerzwerbung verschandelt. Literaten preisen die Spielkunst von Stars wie Johan Cruyff, Bernd Schuster, Ronaldinho oder Lionel Messi. Und der Künstler Joan Miró schuf ein hymnisches Bild zum Vereinsjubiläum. Historiker schließlich interessiert vor allem, dass der FC Barcelona stets mehr war als ein Fußballverein - "més que un club", wie er sein Credo selbst formuliert. Spätestens im spanischen Bürgerkrieg wurde er zu einem Symbol des katalanischen Widerstands gegen die Franco-Diktatur, und bis heute spielt er für die Identität Kataloniens eine prägende Rolle. Eigentlich erstaunlich, dass er bei all dem auch sportlich der gegenwärtig erfolgreichste europäische Verein ist. Und noch erstaunlicher, dass bislang zu Barca noch kein Buch in deutscher Sprache erschienen ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010Keiner spiele mit System!
Wie man mit schönem Fußball auch genügend Tore schießt: Dietrich Schulze-Marmelings Geschichte des FC Barcelona feiert den besten aller Clubs.
Von Jochen Hieber
Es begann mit einer Kleinanzeige. Am 22. Oktober 1899 inserierten der Schweizer Hans Gamper und der Engländer Walter Wild, beide Anfang zwanzig, im gerade von Gamper in Barcelona gegründeten Sportblatt "Los Deportes", sie seien mit der "Organisation einer Football-Gesellschaft" bereits weit fortgeschritten, weshalb sie gleichgesinnte "Herrschaften" gerne näher über ihre "noblen Vorhaben" unterrichten wollten - um Genaueres zu erfahren, möge man doch bitte "des Dienstags oder Freitags" in der Redaktion der Zeitung vorbeischauen. Gut einen Monat danach wird in einer Turnhalle der Altstadt der "Football Club Barcelona" aus der Taufe gehoben. Sechs der zwölf Gründungsmitglieder sind Ausländer und überdies Protestanten.
Die Exotik dieses Anfangs bettet Dietrich Schulze-Marmeling, der Autor des Geschichts- und Geschichtenbuches über den derzeit erfolgreichsten Fußballverein der Welt, sehr zu Recht und zumindest skizzenhaft in ein allgemeineres Sozialmuster ein. Fußball war in der Tat während der letzten Dekaden des neunzehnten Jahrhunderts und bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs ein Sport für die Angehörigen "mobiler Eliten". Ausgebildet in englischen, auf dem Kontinent vor allem in Schweizer Internaten, suchten sie als junge Kaufleute, Finanzmakler oder schlicht als betuchte Abenteurer ihr Glück sehr oft in der Fremde. Zu ihnen gehörten nicht wenige Juden, deutsche Juden zumal - deren lange Zeit völlig unbeachteten Beitrag zur Fußballgeschichte hat Schulze-Marmeling als Herausgeber und Mitautor des Bandes "Davidstern und Lederball" (2003) überhaupt erst ins Bewusstsein gebracht.
Beim FC Barcelona spielt von Anfang an eine andere Verbindung die zentrale Rolle - das Miteinander von frühem Profitum, sportlicher Internationalität und politischem Katalanismus. Der erste Star und bis heute Rekordschütze des Klubs ist der Philippiner Paulino Alcántara, dem zwischen 1912 und 1927 in 357 Spielen "sagenhafte" 356 Tore gelangen.
Den ersten großen politischen Eklat gibt es im Juni 1925, als die Zuschauer im alten Stadion Les Corts das Abspielen der spanischen Hymne "mit einem gellenden Pfeifkonzert" quittieren - Gamper, vom Schweizer Hans zum Katalanen Joan mutiert, muss deshalb auf Druck der Regierung in Madrid das Präsidentenamt niederlegen und für einige Zeit das Land verlassen, was ihn in die Depression treibt. Noch bevor die Bürgerkriegs-Truppen General Francos im Januar 1939 auch in Barcelona einmarschieren, ist ein Großteil des Barça-Teams bereits ins mexikanische Exil geflohen. Nicht zuletzt die Grundskepsis und das Autonomiestreben der Katalanen gegenüber dem Zentralstaat verleihen dem Klassiker des Vereinsfußballs mehrmals im Jahr Brisanz - im Duell mit Real Madrid hat der FC Barcelona nach nun 328 Partien bekanntlich eine positive Bilanz. Weniger bekannt ist, dass es nach wie vor eine katalanische Nationalmannschaft gibt, die zwar von offiziellen Turnieren ausgeschlossen bleibt, aber erst jüngst bei einem Freundschaftsspiel gegen Argentinien aufs Neue ihren Stolz zelebrierte. Joan Laporta, noch für wenige Monate Barças Präsident, scheint seine neue Rolle bereits zu kennen: "Ich weiß mit Sicherheit", schrieb er vor wenigen Wochen in der Madrider Zeitung "El Mundo", "dass Katalonien eine eigene Nation ist und einen eigenen Staat braucht." Beim Gang durch die bewegte politische Geschichte des Vereins gerät Schulze-Marmeling nur einmal ins Straucheln - als er Papst Leo XIII., der 1903 starb, zum Mitakteur der ersten katalanischen Massendemonstration gegen Francos Diktatur macht, die angeblich 1947 beim Kloster Montserrat stattfand. Und dass dem Buch ausgerechnet beim Erfinder der Psychoanalyse einer der seltenen Druckfehler unterläuft, ist wirklich Pech.
Wirklich brillant aber sind jene Passagen, in denen der Autor farbig schildert und völlig plausibel belegt, dass sich der enorme sportliche Erfolg des FC Barcelona in den vergangenen knapp vierzig Jahren einem einzigartigen holländischen "Kulturtransfer", vor allem jedoch einem einzigen Heros verdankt: dem 1947 in Amsterdam geborenen Hendrik Johannes Cruijff, der als Johan Cruyff zum Jahrhundertfußballer wurde. Am 28. Oktober 1973 lief er, mit Ajax Amsterdam bereits dreimal Europapokalsieger der Landesmeister, zum ersten Mal im blau-roten Trikot ins bereits legendäre Stadion Camp Nou ein. Cruyff vorangegangen war 1971 der Trainer und Fußball-Revolutionär Rinus Michels, dessen Erfindung "totaal voetbal" heißt und sich unbefangen deshalb nur auf Niederländisch sagen und schreiben lässt.
Kurze, flache Pässe, flexible Raumaufteilung, Offensivdrang ohne Dauerrennen, Balleffizienz eben, dazu naturgemäß Genie: Cruyff, Kettenraucher noch für lange Zeit, setzte um, was Michels lehrte. Und von 1988 an brachte er den Barça-Spielern dann seinerseits bei, dass erfolgreicher und schöner Fußball identisch sein können - und sollen.
Sehr anschaulich zeigt Schulze-Marmeling auf, dass Cruyffs offenes System mit Systemfußball etwa der Marke Louis van Gaal ("phantasieloser Bürokrat") nichts zu tun hat und dass der "Cruyffisme" bis heute ungebrochen wirkt, nicht zuletzt bei der Förderung des Nachwuchses: Zehn von einundzwanzig Spielern der aktuellen Übermannschaft, die in der vergangenen Saison alle ihr möglichen Titel gewann - sechs an der Zahl -, entstammen dem Barça-Internat "La Mesia". Cruyff selbst ist nicht nur graue Eminenz, sondern auch selbst noch aktiv: als Trainer der katalanischen Elf.
Dietrich Schulze-Marmeling: "Barça oder: Die Kunst des schönen Spiels". Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2010. 224 S., Abb., br., 14,90 [Euro].
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Wie man mit schönem Fußball auch genügend Tore schießt: Dietrich Schulze-Marmelings Geschichte des FC Barcelona feiert den besten aller Clubs.
Von Jochen Hieber
Es begann mit einer Kleinanzeige. Am 22. Oktober 1899 inserierten der Schweizer Hans Gamper und der Engländer Walter Wild, beide Anfang zwanzig, im gerade von Gamper in Barcelona gegründeten Sportblatt "Los Deportes", sie seien mit der "Organisation einer Football-Gesellschaft" bereits weit fortgeschritten, weshalb sie gleichgesinnte "Herrschaften" gerne näher über ihre "noblen Vorhaben" unterrichten wollten - um Genaueres zu erfahren, möge man doch bitte "des Dienstags oder Freitags" in der Redaktion der Zeitung vorbeischauen. Gut einen Monat danach wird in einer Turnhalle der Altstadt der "Football Club Barcelona" aus der Taufe gehoben. Sechs der zwölf Gründungsmitglieder sind Ausländer und überdies Protestanten.
Die Exotik dieses Anfangs bettet Dietrich Schulze-Marmeling, der Autor des Geschichts- und Geschichtenbuches über den derzeit erfolgreichsten Fußballverein der Welt, sehr zu Recht und zumindest skizzenhaft in ein allgemeineres Sozialmuster ein. Fußball war in der Tat während der letzten Dekaden des neunzehnten Jahrhunderts und bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs ein Sport für die Angehörigen "mobiler Eliten". Ausgebildet in englischen, auf dem Kontinent vor allem in Schweizer Internaten, suchten sie als junge Kaufleute, Finanzmakler oder schlicht als betuchte Abenteurer ihr Glück sehr oft in der Fremde. Zu ihnen gehörten nicht wenige Juden, deutsche Juden zumal - deren lange Zeit völlig unbeachteten Beitrag zur Fußballgeschichte hat Schulze-Marmeling als Herausgeber und Mitautor des Bandes "Davidstern und Lederball" (2003) überhaupt erst ins Bewusstsein gebracht.
Beim FC Barcelona spielt von Anfang an eine andere Verbindung die zentrale Rolle - das Miteinander von frühem Profitum, sportlicher Internationalität und politischem Katalanismus. Der erste Star und bis heute Rekordschütze des Klubs ist der Philippiner Paulino Alcántara, dem zwischen 1912 und 1927 in 357 Spielen "sagenhafte" 356 Tore gelangen.
Den ersten großen politischen Eklat gibt es im Juni 1925, als die Zuschauer im alten Stadion Les Corts das Abspielen der spanischen Hymne "mit einem gellenden Pfeifkonzert" quittieren - Gamper, vom Schweizer Hans zum Katalanen Joan mutiert, muss deshalb auf Druck der Regierung in Madrid das Präsidentenamt niederlegen und für einige Zeit das Land verlassen, was ihn in die Depression treibt. Noch bevor die Bürgerkriegs-Truppen General Francos im Januar 1939 auch in Barcelona einmarschieren, ist ein Großteil des Barça-Teams bereits ins mexikanische Exil geflohen. Nicht zuletzt die Grundskepsis und das Autonomiestreben der Katalanen gegenüber dem Zentralstaat verleihen dem Klassiker des Vereinsfußballs mehrmals im Jahr Brisanz - im Duell mit Real Madrid hat der FC Barcelona nach nun 328 Partien bekanntlich eine positive Bilanz. Weniger bekannt ist, dass es nach wie vor eine katalanische Nationalmannschaft gibt, die zwar von offiziellen Turnieren ausgeschlossen bleibt, aber erst jüngst bei einem Freundschaftsspiel gegen Argentinien aufs Neue ihren Stolz zelebrierte. Joan Laporta, noch für wenige Monate Barças Präsident, scheint seine neue Rolle bereits zu kennen: "Ich weiß mit Sicherheit", schrieb er vor wenigen Wochen in der Madrider Zeitung "El Mundo", "dass Katalonien eine eigene Nation ist und einen eigenen Staat braucht." Beim Gang durch die bewegte politische Geschichte des Vereins gerät Schulze-Marmeling nur einmal ins Straucheln - als er Papst Leo XIII., der 1903 starb, zum Mitakteur der ersten katalanischen Massendemonstration gegen Francos Diktatur macht, die angeblich 1947 beim Kloster Montserrat stattfand. Und dass dem Buch ausgerechnet beim Erfinder der Psychoanalyse einer der seltenen Druckfehler unterläuft, ist wirklich Pech.
Wirklich brillant aber sind jene Passagen, in denen der Autor farbig schildert und völlig plausibel belegt, dass sich der enorme sportliche Erfolg des FC Barcelona in den vergangenen knapp vierzig Jahren einem einzigartigen holländischen "Kulturtransfer", vor allem jedoch einem einzigen Heros verdankt: dem 1947 in Amsterdam geborenen Hendrik Johannes Cruijff, der als Johan Cruyff zum Jahrhundertfußballer wurde. Am 28. Oktober 1973 lief er, mit Ajax Amsterdam bereits dreimal Europapokalsieger der Landesmeister, zum ersten Mal im blau-roten Trikot ins bereits legendäre Stadion Camp Nou ein. Cruyff vorangegangen war 1971 der Trainer und Fußball-Revolutionär Rinus Michels, dessen Erfindung "totaal voetbal" heißt und sich unbefangen deshalb nur auf Niederländisch sagen und schreiben lässt.
Kurze, flache Pässe, flexible Raumaufteilung, Offensivdrang ohne Dauerrennen, Balleffizienz eben, dazu naturgemäß Genie: Cruyff, Kettenraucher noch für lange Zeit, setzte um, was Michels lehrte. Und von 1988 an brachte er den Barça-Spielern dann seinerseits bei, dass erfolgreicher und schöner Fußball identisch sein können - und sollen.
Sehr anschaulich zeigt Schulze-Marmeling auf, dass Cruyffs offenes System mit Systemfußball etwa der Marke Louis van Gaal ("phantasieloser Bürokrat") nichts zu tun hat und dass der "Cruyffisme" bis heute ungebrochen wirkt, nicht zuletzt bei der Förderung des Nachwuchses: Zehn von einundzwanzig Spielern der aktuellen Übermannschaft, die in der vergangenen Saison alle ihr möglichen Titel gewann - sechs an der Zahl -, entstammen dem Barça-Internat "La Mesia". Cruyff selbst ist nicht nur graue Eminenz, sondern auch selbst noch aktiv: als Trainer der katalanischen Elf.
Dietrich Schulze-Marmeling: "Barça oder: Die Kunst des schönen Spiels". Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2010. 224 S., Abb., br., 14,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dietrich Schulze-Marmelings Geschichts- und Geschichtenbuch über den besten Fußballverein der Welt lehrt den Rezensenten Jochen Hieber allerhand über das Spiel der Spiele unter der Flagge Kataloniens, über den exotischen Anfang des FC Barcelona und das damals für diesen Sport geltende soziale Muster. Kleine Flüchtigkeitsfehler beim Gang durch die nicht zuletzt politisch bewegte Geschichte des Klubs verzeiht Hieber gern angesichts der farbigen wie plausiblen Ausführungen zum Heros des FC: zu Johan Cruyff und seinem offenen System - weiter gültiges Rezept für schönen Fußball, meint Hieber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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