Zuerst diente Basketball der Ertüchtigung junger Christen. Dann wurde die Sportart zum Großstadtspektakel und schließlich zum globalisierten Geschäft. Diese erste Kulturgeschichte des Basketballs erzählt von Mannschaftsgeist und Individualismus, von Improvisationskunst und Turnschuhmarketing. Sie porträtiert Basketball-Intellektuelle wie Bill Bradley, John Edgar Wideman und Kareem Abdul- Jabbar, erkundet Seltsamkeiten wie die 2.750-Wurf Performance des 'Dr. Free Throw' und führt von der Epoche brutaler Rassentrennung bis zur Präsidentschaft des basketballbegeisterten Barack Obama. So beleuchtet sie eine Auseinandersetzung, die wichtiger war als jeder sportliche Vergleich: das Spiel um die Zukunft Amerikas.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013Alles, was abhebt
Geschichten von Individualismus, Ökonomie und Hautfarbe. Und im Hintergrund läuft Musik. Der Amerikanist Christoph Ribbat erzählt, wie Basketball vom Angestelltenspiel zum Medium schwarzer Selbstdeutung und schließlich zum Milliardengeschäft wurde
Es war am 13. November 1979 im Stadion der Kansas City Kings, die heute Sacramento Kings heißen. Darryl Dawkins, ein 2,11 Meter langer Spieler der Philadelphia 76ers, bekommt den Ball, springt an der Grenze der Freiwurfzone ab und stopft ihn mit solcher Wucht durch den Ring, dass erstmals in der Geschichte der National Basketball Association (NBA) das Glasbrett hinter dem Korb in tausend Splittern herunterfällt, auf den Verteidiger Bill Robinzine.
Im selben Jahr war die erste Hiphop-Schallplatte mit dem Titel "Personality Jock" erschienen. Dawkins kannte sich mit Persönlichkeitsdisco aus. Er, den Stevie Wonder "Schokoladendonner" getauft hatte, nannte seinen Wurf den "Chocolate-Thunder-Flying, Robinzine-Crying, Teeth-Shaking, Glass-Breaking, Rump-Roasting, Bun-Toasting, Wham-Bam, Glass-Breaker-I-Am-Jam" - und sich selbst Dr. Dunkenstein. Drei Wochen später zerstörte Dawkins das nächste Brett.
In der amerikanischen College-Liga waren Slam Dunks von 1967 bis 1976 sogar verboten. Sie galten als Imponiergehabe von afroamerikanischen Spielern. Das Verbot war eine "Lex Alcindor". Denn bei Lew Alcindor, der schon als Teenager national berühmt war und später als Kareem Abdul-Jabbar fünf Meistertitel in neun Jahren holte, gehörte der Wurf seit Anfang der sechziger Jahre zu den Standards seines überlegenen Repertoires. Alcindor aber verstand sich nicht als Hiphopper, sein Ideal war Virtuosität bei emotionaler Kontrolle, seine Musik die von John Coltrane, seine Reaktion auf den amerikanischen Alltagsrassismus nicht Angeberei, sondern Distanz. An den Olympischen Spielen 1968 nahm er mit der Begründung nicht teil, er verpasse doch nicht ein Semester an der Universität, nur um einem Land Ruhm zu verschaffen, "das meine Leute missbraucht". Die Kulturgeschichte des Basketballs, die der Paderborner Amerikanist Christoph Ribbat geschrieben hat, dreht sich um drei Motive: Individualismus, Ökonomie und Hautfarbe. Und im Hintergrund läuft Musik. Erfunden wurde Basketball Ende des neunzehnten Jahrhunderts an einer christlichen Hochschule als Winterspiel. Körperkontakte sollte es in der engen Halle nicht geben. Die Idee zum Abschluss mit einem Bogenwurf gab der Erzählung nach ein Kinderspiel, das dem Boccia ähnelt. Ribbat hält es für keinen Zufall, dass es spätere Angestellte waren, die an den Universitäten dem Basketball als einem weitgehend verletzungsfreien, teamorientierten und der Idee nach nicht sehr aggressiven Sport anhingen. Der Idee nach. Zeitgenossen sahen zunächst, dass eigentlich nur die Regel beachtet wurde, der Ball müsse in den Korb.
Erst in den zwanziger und dreißiger Jahren wurde der Luftraum über dem Spielfeld erobert. Es waren schwarze Spieler, die den Sprungwurf etablierten und das Spiel damit weiter amerikanisierten: Amerika ist fasziniert durch widerstandslose Bewegung, Flüge, alles, was abhebt. Das Team der New York Renaissance trug seine Heimspiele in einem Ballsaal aus, der Tanz zog in diesen Sport ein und hat ihn seitdem nicht mehr verlassen. Es gibt wenig Ballspiele, bei denen kleinste Gewichtsverlagerungen im Körper so große Folgen haben. Es gibt kein anderes, vom Tennis vielleicht abgesehen, in dem Stil eine so große Rolle spielt.
Basketball handelt von kleinen Gruppen. Es sind nur fünf Spieler auf jeder Seite, und sie haben nicht weit zu laufen. Ribbat notiert, dass die Startaufstellungen oft den Charakter von Musikbands haben. Roger Gilbert hat so einst die Verteilung der Instrumente auf "Air, Worm und Pip" bei den legendären Chicago Bulls analysiert: die reine Improvisation des astairehaften Bewegungs- und Nervengenies Michael Jordan; der manipulative Show-Teufel Dennis Rodman, der den hässlichsten Teil des Spiels zur habgierigen Kunst entwickelte: den Gewinn abgeprallter Bälle unter dem Korb; schließlich der Verteiler Scottie Pippen, der nicht sein Spiel spielte, sondern das des Teams. Die These, dass Basketball immer mehr zur massenmedialen Show Einzelner geworden ist, findet auf dem Spielfeld enge Grenzen.
Als These über die Ökonomie des Sports hat sie hingegen etwas für sich. Das erste historische Kapitel Ribbats gilt Bill Bradley, einem der besten College-Basketballer seiner Zeit und späteren Senator mit Präsidentschaftsabsichten, der für Princeton einmal 58 Punkte in einem Spiel machte, aber nur, weil ihn seine Teamkollegen dazu zwangen, indem sie die Pässe, die er ihnen zuspielte, wenn sie näher zum Korb standen, an ihn retournierten.
Bill Bradley hatte sich in einsamem Training eine unglaubliche Technik beigebracht. Legendär ist sein Treffen mit dem Reporter John McPhee, dem er in einer Halle Sprungwürfe zeigte, die aber zunächst alle vom hinteren Teil des Metallrings absprangen. Der Korb hänge anderthalb Inches zu niedrig, meinte Bradley, und als McPhee nachmaß, waren es neun Millimeter weniger. Bradley verkörperte die Ursprungsidee des Spiels: tugendhafte Präzision in der Zusammenarbeit.
Aber Tugenden verkaufen keine Sportschuhe, wenn in zerfallenden Vierteln die Spielstätten verrotten, der Drogenmarkt dominiert und Verbrecher zu Identifikationsfiguren werden. Ribbats Kulturgeschichte folgt den Stationen afroamerikanischer Selbstdeutung, von den Mannschaften, mit denen fast kein Weißer spielen wollte, über die ambivalente Spaßtruppe der Harlem Globetrotters bis zum Aufstieg der innerstädtischen "playgrounds" und zur Bürgerrechtsbewegung, schließlich zum Milliardengeschäft mit Sportikonen. Straßenbasketball selbst, haben Lars Anderson und Chad Millman schon 1998 in ihrem Buch "Pickup Artists" gezeigt, ist ein Geschäft geworden.
Tatsächlich handelt Basketball von Hautfarbe und von Geschichten darüber. Irgendwann hatte der letzte Rassist begriffen, dass man lieber bessere als weißere Spieler aufstellen sollte. Der Sieg des ganz "farbigen" Texas-Western-Teams gegen das ganz "weiße" der Universität von Kentucky und Bill Russell als erster schwarzer Cheftrainer in der NBA markierten 1966 den Wandel. Seitdem dominieren die Schwarzen das Spiel, aber die Weißen die Organisation. Unter den zwölf bis fünfzehn Spielern, die ein NBA-Team ausmachen, sind im Durchschnitt drei bis vier Weiße. Von den dreißig Trainern sind es derzeit neunzehn.
Christoph Ribbat hat ein sehr nachdenkliches Buch geschrieben, dem man die Liebe zum Spiel ebenso anmerkt wie die Freude an gutem Sportjournalismus, dessen Geschichte gleich exemplarisch miterzählt wird. Er neigt zu Pessimismus. Das Symbol seiner Gründe sind die Dunks, weil die aggressive Pose nichts Befreiendes mehr hat, sondern nur noch auf eine Karriere bei Youtube spekuliert. Verrohung durch Kommerzialisierung lautet die Diagnose. Wenn vom Spiel nur noch Clips und Turnschuhe blieben, verliert es an erwachsenem Interesse. Noch allerdings verkaufen auch Posen keine Turnschuhe, sondern allenfalls die Posen von Erfolgreichen. Hätte der Franzose Frédéric Weis (2,18 m), als ihn Vince Carter (1,98 m) bei den Olympischen Spielen von Sydney breitbeinig übersprang, um "le dunk de mort" zu vollenden, nur hartnäckig den Kopf gereckt - aus dem Supermacho wäre binnen einer Zehntelsekunde eine lächerliche Existenz geworden. Aber ein Schiedsrichterpfiff wegen Offensivfouls hätte es auch getan.
JÜRGEN KAUBE
Christoph Ribbat: "Basketball. Eine Kulturgeschichte". Verlag Wilhelm Fink, 195 Seiten, 24,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geschichten von Individualismus, Ökonomie und Hautfarbe. Und im Hintergrund läuft Musik. Der Amerikanist Christoph Ribbat erzählt, wie Basketball vom Angestelltenspiel zum Medium schwarzer Selbstdeutung und schließlich zum Milliardengeschäft wurde
Es war am 13. November 1979 im Stadion der Kansas City Kings, die heute Sacramento Kings heißen. Darryl Dawkins, ein 2,11 Meter langer Spieler der Philadelphia 76ers, bekommt den Ball, springt an der Grenze der Freiwurfzone ab und stopft ihn mit solcher Wucht durch den Ring, dass erstmals in der Geschichte der National Basketball Association (NBA) das Glasbrett hinter dem Korb in tausend Splittern herunterfällt, auf den Verteidiger Bill Robinzine.
Im selben Jahr war die erste Hiphop-Schallplatte mit dem Titel "Personality Jock" erschienen. Dawkins kannte sich mit Persönlichkeitsdisco aus. Er, den Stevie Wonder "Schokoladendonner" getauft hatte, nannte seinen Wurf den "Chocolate-Thunder-Flying, Robinzine-Crying, Teeth-Shaking, Glass-Breaking, Rump-Roasting, Bun-Toasting, Wham-Bam, Glass-Breaker-I-Am-Jam" - und sich selbst Dr. Dunkenstein. Drei Wochen später zerstörte Dawkins das nächste Brett.
In der amerikanischen College-Liga waren Slam Dunks von 1967 bis 1976 sogar verboten. Sie galten als Imponiergehabe von afroamerikanischen Spielern. Das Verbot war eine "Lex Alcindor". Denn bei Lew Alcindor, der schon als Teenager national berühmt war und später als Kareem Abdul-Jabbar fünf Meistertitel in neun Jahren holte, gehörte der Wurf seit Anfang der sechziger Jahre zu den Standards seines überlegenen Repertoires. Alcindor aber verstand sich nicht als Hiphopper, sein Ideal war Virtuosität bei emotionaler Kontrolle, seine Musik die von John Coltrane, seine Reaktion auf den amerikanischen Alltagsrassismus nicht Angeberei, sondern Distanz. An den Olympischen Spielen 1968 nahm er mit der Begründung nicht teil, er verpasse doch nicht ein Semester an der Universität, nur um einem Land Ruhm zu verschaffen, "das meine Leute missbraucht". Die Kulturgeschichte des Basketballs, die der Paderborner Amerikanist Christoph Ribbat geschrieben hat, dreht sich um drei Motive: Individualismus, Ökonomie und Hautfarbe. Und im Hintergrund läuft Musik. Erfunden wurde Basketball Ende des neunzehnten Jahrhunderts an einer christlichen Hochschule als Winterspiel. Körperkontakte sollte es in der engen Halle nicht geben. Die Idee zum Abschluss mit einem Bogenwurf gab der Erzählung nach ein Kinderspiel, das dem Boccia ähnelt. Ribbat hält es für keinen Zufall, dass es spätere Angestellte waren, die an den Universitäten dem Basketball als einem weitgehend verletzungsfreien, teamorientierten und der Idee nach nicht sehr aggressiven Sport anhingen. Der Idee nach. Zeitgenossen sahen zunächst, dass eigentlich nur die Regel beachtet wurde, der Ball müsse in den Korb.
Erst in den zwanziger und dreißiger Jahren wurde der Luftraum über dem Spielfeld erobert. Es waren schwarze Spieler, die den Sprungwurf etablierten und das Spiel damit weiter amerikanisierten: Amerika ist fasziniert durch widerstandslose Bewegung, Flüge, alles, was abhebt. Das Team der New York Renaissance trug seine Heimspiele in einem Ballsaal aus, der Tanz zog in diesen Sport ein und hat ihn seitdem nicht mehr verlassen. Es gibt wenig Ballspiele, bei denen kleinste Gewichtsverlagerungen im Körper so große Folgen haben. Es gibt kein anderes, vom Tennis vielleicht abgesehen, in dem Stil eine so große Rolle spielt.
Basketball handelt von kleinen Gruppen. Es sind nur fünf Spieler auf jeder Seite, und sie haben nicht weit zu laufen. Ribbat notiert, dass die Startaufstellungen oft den Charakter von Musikbands haben. Roger Gilbert hat so einst die Verteilung der Instrumente auf "Air, Worm und Pip" bei den legendären Chicago Bulls analysiert: die reine Improvisation des astairehaften Bewegungs- und Nervengenies Michael Jordan; der manipulative Show-Teufel Dennis Rodman, der den hässlichsten Teil des Spiels zur habgierigen Kunst entwickelte: den Gewinn abgeprallter Bälle unter dem Korb; schließlich der Verteiler Scottie Pippen, der nicht sein Spiel spielte, sondern das des Teams. Die These, dass Basketball immer mehr zur massenmedialen Show Einzelner geworden ist, findet auf dem Spielfeld enge Grenzen.
Als These über die Ökonomie des Sports hat sie hingegen etwas für sich. Das erste historische Kapitel Ribbats gilt Bill Bradley, einem der besten College-Basketballer seiner Zeit und späteren Senator mit Präsidentschaftsabsichten, der für Princeton einmal 58 Punkte in einem Spiel machte, aber nur, weil ihn seine Teamkollegen dazu zwangen, indem sie die Pässe, die er ihnen zuspielte, wenn sie näher zum Korb standen, an ihn retournierten.
Bill Bradley hatte sich in einsamem Training eine unglaubliche Technik beigebracht. Legendär ist sein Treffen mit dem Reporter John McPhee, dem er in einer Halle Sprungwürfe zeigte, die aber zunächst alle vom hinteren Teil des Metallrings absprangen. Der Korb hänge anderthalb Inches zu niedrig, meinte Bradley, und als McPhee nachmaß, waren es neun Millimeter weniger. Bradley verkörperte die Ursprungsidee des Spiels: tugendhafte Präzision in der Zusammenarbeit.
Aber Tugenden verkaufen keine Sportschuhe, wenn in zerfallenden Vierteln die Spielstätten verrotten, der Drogenmarkt dominiert und Verbrecher zu Identifikationsfiguren werden. Ribbats Kulturgeschichte folgt den Stationen afroamerikanischer Selbstdeutung, von den Mannschaften, mit denen fast kein Weißer spielen wollte, über die ambivalente Spaßtruppe der Harlem Globetrotters bis zum Aufstieg der innerstädtischen "playgrounds" und zur Bürgerrechtsbewegung, schließlich zum Milliardengeschäft mit Sportikonen. Straßenbasketball selbst, haben Lars Anderson und Chad Millman schon 1998 in ihrem Buch "Pickup Artists" gezeigt, ist ein Geschäft geworden.
Tatsächlich handelt Basketball von Hautfarbe und von Geschichten darüber. Irgendwann hatte der letzte Rassist begriffen, dass man lieber bessere als weißere Spieler aufstellen sollte. Der Sieg des ganz "farbigen" Texas-Western-Teams gegen das ganz "weiße" der Universität von Kentucky und Bill Russell als erster schwarzer Cheftrainer in der NBA markierten 1966 den Wandel. Seitdem dominieren die Schwarzen das Spiel, aber die Weißen die Organisation. Unter den zwölf bis fünfzehn Spielern, die ein NBA-Team ausmachen, sind im Durchschnitt drei bis vier Weiße. Von den dreißig Trainern sind es derzeit neunzehn.
Christoph Ribbat hat ein sehr nachdenkliches Buch geschrieben, dem man die Liebe zum Spiel ebenso anmerkt wie die Freude an gutem Sportjournalismus, dessen Geschichte gleich exemplarisch miterzählt wird. Er neigt zu Pessimismus. Das Symbol seiner Gründe sind die Dunks, weil die aggressive Pose nichts Befreiendes mehr hat, sondern nur noch auf eine Karriere bei Youtube spekuliert. Verrohung durch Kommerzialisierung lautet die Diagnose. Wenn vom Spiel nur noch Clips und Turnschuhe blieben, verliert es an erwachsenem Interesse. Noch allerdings verkaufen auch Posen keine Turnschuhe, sondern allenfalls die Posen von Erfolgreichen. Hätte der Franzose Frédéric Weis (2,18 m), als ihn Vince Carter (1,98 m) bei den Olympischen Spielen von Sydney breitbeinig übersprang, um "le dunk de mort" zu vollenden, nur hartnäckig den Kopf gereckt - aus dem Supermacho wäre binnen einer Zehntelsekunde eine lächerliche Existenz geworden. Aber ein Schiedsrichterpfiff wegen Offensivfouls hätte es auch getan.
JÜRGEN KAUBE
Christoph Ribbat: "Basketball. Eine Kulturgeschichte". Verlag Wilhelm Fink, 195 Seiten, 24,90 Euro
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