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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1997

Verniedlichung des Terrors
Eine skandalöse Fehldarstellung der baskischen Geschichte

Michael Kasper: "Baskische Geschichte". Primus-Verlag, Darmstadt 1997. 228 Seiten, 1 Karte, 39,80 Mark.

Bei einem neuen Buch über die Geschichte der Basken und des Baskenlandes richtet sich derzeit der erste Blick des Lesers fast immer auf die Kapitel über die letzten Jahrzehnte, in denen das Geschehen im Baskenland - und das waren vorwiegend Ereignisse von Terrorismus und Repression - viel Interesse in der Welt fand. Bei diesem Blick in die letzten Kapitel von Michael Kaspers "Baskischer Geschichte" überrascht gleich die Terminologie. Herri Batasuna, die mit der Terroristengruppe Eta eng verbundene Partei, ist "eine weitere nationalistische Partei" - etwa so, wie es die demokratischen Parteien EA und PNV sind. Die gesamtspanischen Parteien - Sozialisten und Volkspartei - sind hingegen "Zentralisten". Die Stimmen der "zentralistischen" Sozialisten (PSOE) haben immerhin den Ausschlag gegeben dafür, daß Euskadi - das Baskenland - heute mehr Autonomierechte hat als fast jede andere Region in Europa. Die Zweigorganisationen der terroristischen Vereinigung Eta (Baskenland und Freiheit), die sich "Gestoras pro amnestía" nennen, sind für Kasper "Bürgerinitiativen", "angesiedelt im Umfeld des radikalen Nationalismus". Eben da, wo auch der Verfasser angesiedelt sein dürfte.

Höchst seltsam

Kaspers Darstellung des baskischen Kampfes gegen die Franco-Diktatur bleibt blaß. Er kann diese Zeit nicht bewußt miterlebt haben, doch einen bildhafteren und genaueren Eindruck und auch ein treffsicheres Urteil hätte er über Gespräche mit den Protagonisten der damaligen Ereignisse und aus der Lektüre der Zeitungen, vor allem der ausländischen, gewinnen können. Die Herri-Batasuna-Ideologen und auch einige jüngere Politiker der - christlich-demokratischen - Baskisch-Nationalistischen Partei (PN) sprechen nicht gern über die Zeit, als die nationalistischen Basken sich zusammen mit den Demokraten im übrigen Spanien gegen die Diktatur wehrten, als überall im Land die Menschen auf die Straße gingen, um unter Einsatz von Leib und Leben gegen den Schauprozeß von Burgos (Dezember 1971) und für das Leben der dort zum Tode verurteilten Mitglieder der damaligen Eta zu demonstrieren. Kasper tut wie die Herri-Batasuna-Politiker so, als gebe es kaum Unterschiede zwischen der alten, auch für die Demokratie kämpfenden Eta und der heutigen terroristischen Organisation gleichen Namens, die sich mit Morden im Gespräch hält und sich mit Entführungen und Erpressungen, der sogenannten "revolutionären Steuer", finanziert. Praktisch alle Eta-Führer aus der Zeit der Diktatur verurteilen heute offen und scharf die Aktionen der gewalttätigen Separatisten, die unter dem Namen Eta operieren.

Auf höchst seltsame Art interpretiert Kasper die Abstimmungsergebnisse bei den Referenden über die Verfassung und das Autonomiestatut. Er mißt die Ja-Stimmen nicht an der Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern an allen Wahlberechtigten. Das führt dann in einer Region wie dem Baskenland, wo die Wahlenthaltung genauso wie im übrigen Spanien gewöhnlich hoch ist, zu überraschenden Ergebnissen. So lehnten nach der Rechnung von Kasper, die auch die von Herri Batasuna ist, in der Provinz Alava, in der 71,39 Prozent Ja-Stimmen gegen 19,18 Prozent Nein-Stimmen standen, die Einwohner die Verfassung ab, weil wie so oft nur 60 Prozent zu den Wahlurnen gegangen waren. Bei dem Referendum über das Autonomiestatut, das nur von Herri Batasuna und Eta (militar) nicht akzeptiert wurde, stimmten über 90 Prozent mit Ja, doch Kasper mißt wieder die Ja-Stimmen am Wahlzensus und kommt so bei der üblichen Enthaltung von etwa 40 Prozent auf eine nur "knappe Annahme" von 54 Prozent. Da verwundert es nicht mehr, wenn Kasper der Partei der Terroristenfreunde eine "konstante Wählerschaft von 15 bis 20 Prozent in der Region Baskenland" gibt, während sie bei den vergangenen Wahlen nur 13 Prozent erreichte.

Zum Skandal wird dieses Buch, dessen Copyright immerhin bei einer Buchgesellschaft liegt, die sich im Firmennamen "wissenschaftlich" nennt, wenn es den sogenannten schmutzigen Krieg, also illegale Aktionen gegen Eta, als vom spanischen Staat unterstützt oder gar betrieben bezeichnet. Ob - abgesehen von einer Reihe von Polizisten - jemand aus der Regierung oder aus den höheren Rängen der Staatsverwaltung etwas mit den illegalen Aktionen gegen Eta, die es von 1973 bis 1987 gegeben hat, zu tun hat, das versuchen Gerichte seit Jahren, bisher noch ohne Ergebnis, herauszufinden. Vielleicht kann den Richtern ja der deutsche "Historiker" Kasper, der vorgibt, da Bescheid zu wissen, helfen. Was er offensichtlich nicht weiß, ist, daß der schon verurteilte Mörder des Herri-Batasuna-Ideologen Muguruza nichts mit den Leuten zu tun hat, die in den sogenannten schmutzigen Krieg verwickelt waren.

Wie Kasper getreu der Propaganda von Herri Batasuna folgt oder auf sie hereinfällt, sieht man bei einem Thema, das jetzt gerade aktuell ist und das Mitte Juli dem von Eta entführten und nach zwei Tagen ermordeten Stadtrat Blanco das Leben kostete: an der Darstellung der verlangten Zusammenführung der Eta-Häftlinge in Gefängnissen im oder nahe dem Baskenland. Die spanische Regierung hatte Ende der achtziger Jahre die Eta-Häftlinge auf Gefängnisse im ganzen Land verteilt: einmal um die zur Aufgabe der Gewalt bereiten Gefangenen von dem harten Druck der in den gleichen Gefängnissen einsitzenden Eta-Führer zu befreien, was dann auch Erfolg hatte und zu Hafterleichterungen und vorzeitigen Entlassungen der auf Gewalt verzichtenden Häftlinge führte, und dann auch, weil die Haftanstalten im und um das Baskenland nicht über Platz für die rund 500 einsitzenden Eta-Aktivisten verfügten. Die Verteilung in kleinen Gruppen auf zahlreiche Gefängnisse erhielt damals auch die Zustimmung der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV). Bei Kasper liest sich das so: "Die PSOE (gemeint ist die von dieser Partei getragene Regierung) führte seit ihrem Regierungsantritt im Jahr 1982 eine gezielte Politik der Verteilung der politischen Gefangenen über den gesamten spanischen Staat, um sie von ihren Wohnorten zu entfernen." - "Diese Politik ist zwar verfassungswidrig" (das ist sie keineswegs), "wird aber angesichts der außergewöhnlichen Situation von den meisten spanischen Politikern und Massenmedien akzeptiert." - "Gegen die Verteilung der Eta-Häftlinge über das ganze Land protestieren energisch Herri Batasuna und im Umfeld des radikalen Nationalismus angesiedelte Bürgerinitiativen wie Gestoras pro amnistía. Diesen Protesten schloß sich die Eta an, die am 17. Januar 1996 den Beamten José Antonio Ortega Lara entführte, der seinen Arbeitsplatz im Gefängnis von Logroño hat." Der Gefängnisbeamte Ortega Lara wurde anderthalb Jahre lang in einem feuchten unterirdischen Loch festgehalten, wo ihn Eta - falls die Regierung nicht auf die Erpressung der Häftlingsverlegung einginge - verhungern lassen wollte. So war es jedenfalls in den Anweisungen der Eta-Führung an das Bewacherkommando vorgesehen. Durch eine lange und geduldige Recherchenarbeit der Guardia Civil, unterstützt von der französischen Polizei, konnte der fast zum Skelett abgemagerte Ortega Lara schließlich befreit werden. Bei Kasper liest sich die Geschichte dieser verbrecherischen Entführung wie eine humanitäre Aktion, mit der sich Eta einer angeblich breiten Volksbewegung "anschloß".

Bei der Wiedergabe der Wahlergebnisse berücksichtigt Kasper nur die zum regionalen baskischen Parlament, da diese günstiger für die nationalistischen Parteien sind. Die Ergebnisse der ja schließlich auch für das Baskenland wichtigeren Wahlen zum gesamtspanischen Parlament, bei dem gewöhnlich die Sozialisten gewonnen haben, übergeht er. Daß er die Arbeitslosenzahl falsch, nämlich viel zu hoch, angibt, mag man ihm nicht einmal übelnehmen: Schließlich hat die spanische Regierung aus irgendwelchen Gründen die überhöhten Zahlen von Umfragen nach möglichen Arbeitsreserven als die der Arbeitslosen nach Brüssel weitergegeben.

Ein Buch über die Geschichte des Baskenlandes in deutscher Sprache wäre zu begrüßen. Auch bei Kasper finden sich brauchbare Überblicke über die Ereignisse aus früheren Jahrhunderten und die Ausbreitung der baskischen Sprache in längst vergangenen Zeiten, wobei er allerdings wie seine baskisch-nationalistischen Gewährsmänner übertreibt. Da aber die Zahl der früher baskisch Sprechenden und die Ausdehnung des baskischen Sprachraumes im Mittelalter heute nicht mehr genau festzulegen sind, lohnt es sich nicht, darüber zu streiten. Die Sorge Kaspers um das Überleben dieser schwierigen Sprache verdient Anerkennung. Dank der Sprachpolitik der autonomen baskischen Regierung und den hohen Subventionen steht es um die Zukunft des Baskischen nicht schlecht. Ein Viertel der in den von Basken bewohnten Teilen Spaniens und Frankreichs lebenden Menschen verstehen heute "euskera", die baskische Sprache - wenn sie sich auch längst nicht alle gewandt auf baskisch ausdrücken können.

Intolerante Haltung

Eines der Hauptmerkmale dieser "Baskischen Geschichte" ist die intolerante Haltung allen gegenüber, die nicht die Meinung oder die politischen Interpretationen des Autors teilen. "Navarra blieb von der baskischen Autonomie ausgeschlossen", heißt es. In Wirklichkeit lehnt eine große Mehrheit der Bewohner Navarras es ab, sich - zumindest derzeit - der autonomen Region Baskenland anzuschließen. Man müßte die Navarrer also, wie es Eta und Herri Batasuna wollen, zwingen, ihre eigene autonome Region aufzugeben und sich ins Baskenland einzugliedern. Die für eine solche Eingliederung eintretenden Parteien erhielten bei den bisher letzten Wahlen nur 7 von insgesamt 50 Sitzen im baskischen Parlament. Zwei Seiten vorher steht: "Die Basken hatten die Verfassung zurückgewiesen, aber ihre ungewollte Zugehörigkeit zum spanischen Staat unterwarf sie seinen Gesetzen." Es gibt keinen Hinweis dafür, daß die Mehrheit der Basken nicht dem spanischen Staat angehören will. Eine Abstimmung darüber hat nie stattgefunden. Eine große Mehrheit der Basken stimmte hingegen für das Autonomiestatut von Gernika, das die Zugehörigkeit des Baskenlandes als autonome Region zum spanischen Staatsverband beinhaltet.

Intoleranz demonstriert Michael Kasper auch gegenüber seinen Lesern. Er schreibt ihnen schon in der Einleitung in autoritärem Ton vor, welche Bezeichnungen akzeptiert werden dürfen und welche nicht: "Die weithin üblichen Bezeichnungen ,französisches' und ,spanisches Baskenland' lehnen wir ab, weil sie sich auf eine neuzeitliche politische Orientierung beziehen, die wir innerhalb einer ,Geschichte des Baskenlandes' für unangebracht halten." Wir - die Leser - müssen also für das in Spanien gelegene Baskenland Hegoalde sagen, obwohl dieses Wort auch im Baskenland kaum gebraucht wird. Die radikalen baskischen Nationalisten können stolz sein: Sogar der strenge Befehlston, in dem sie ihre Anhänger unterrichten, wird von ihrem gelehrigen Schüler Michael Kasper hin und wieder übernommen.

Wer ohne Rücksicht auf historische Wahrheit und politische Genauigkeit über das Baskenland indoktriniert werden will, wird dankbar das Buch von Kasper nach getaner Lektüre aus der Hand legen und fälschlicherweise glauben, er wisse jetzt über das viel zitierte und häufig zerredete "baskische Problem" Bescheid. Von solchen Lesern soll es vor allem in Deutschland viele geben. WALTER HAUBRICH

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