Péter Esterházys letztes Buch. Es ist das Tagebuch seiner Krankheit, in dem er seiner Erkrankung begegnet, wie er Gott und der Welt und dem Leben immer begegnet ist: aufrichtig und neugierig, spielend, voll Geist und Witz und Liebe zum Leben. Und mit dem Stift in der Hand: schreibend. Doch was ist, wenn sich der eigene Körper auf einmal gegen das Schreiben wendet? Wie hält der Schriftsteller, dessen Werk auf die Unentwirrbarkeit von Wirklichkeit und Dichtung aufbaut, seine Tage fest? Was passiert mit der "ontologischen Heiterkeit", wenn die tödliche Krankheit zur täglichen Übung wird? Kann der Bauchspeicheldrüsenkrebs als Liebesgeschichte beschrieben werden? Keine einfache Geschichte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Keine leichte Lektüre hat Tilman Spreckelsen hinter sich. Das Sterben am Krebs, wie es Peter Esterhazy hier tagebuchartig festhält, bestürzt den Rezensenten durch das Ringen ums Wort, um die Bezeichnung für das Unsägliche. Wenn der Patient Krankengeschichten von Brodkey oder Susan Sontag liest, sein kleines Glück, noch in der Sonne sitzen zu können beschreibt, oder die Krankheit als launische Geliebte schildert, atmet Spreckelsen auf. Um dann festzustellen, dass der Text eigentlich Vermächtnis sein will und die Sprache an ihre Grenzen stößt. Rührend und beeindruckend ist das für den Rezensenten fast immer, da die Würde des Sterbens in der Sprache erhalten bleibt, wie er findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2017Wie man das Unheil unter das Joch der Sätze zwingt
Mit Witz und Würde dem Tod entgegen: Péter Esterházys "Bauchspeicheldrüsentagebuch"
"Krebs, das ist das richtige Anfangswort", heißt es im allerersten Notat dieses Bandes, schließlich geht es genau darum: um die Krankheit, die bei dem damals fünfundsechzigjährigen ungarischen Schriftsteller Péter Esterházy im Mai 2015 diagnostiziert worden ist. Aber es geht zugleich auch darum, wie das, was geschildert werden soll, sprachlich zu fassen ist, um "das richtige Anfangswort" also ebenso wie um den Krebs. Dazu gehört, dass die Krankheit, die sich offenbar schon seit dem Vorjahr in Esterházys Körper ausbreitet, einen Namen bekommt und damit sichtbar wird, eine Entwicklung, die der Kranke gegenüber den zögerlichen Ärzten selbst übernimmt, indem er sie, wie er schreibt, "heiter" danach fragt, ob es Krebs ist: "Ich versuchte, versuche, das Unheil am Schlafittchen zu packen. Es unter das Joch der Sätze zu zwingen. Das Joch der Sätze - ja, das Unheil zeigt sich in diesen Bildern."
Das Ergebnis ist ein Band namens "Bauchspeicheldrüsentagebuch", der als Tagebuch daherkommt und sehr viel mehr enthält, als der Titel verheißt. Die Diagnose ist alarmierend, "Bauchspeicheldrüsenkrebs, mit Metastasen in der Leber", es folgen Arztbesuche und Chemotherapie, Begegnungen mit anderen Patienten und mit Gesunden, die auf einmal, weil sie ihren Alltag weiter leben, auf der anderen Seite stehen. Esterházy schildert, wie ihm das Gift, das ihn heilen soll, durch einen Schlauch in den Körper rinnt, er notiert die umgestellte Verdauung, die Mattigkeit, aber auch die Glücksmomente, wenn er zwischen den Behandlungen im Garten in der Sonne sitzt. "Noch am Leben", so signiert er einer Ärztin ein Buch.
Es bleibt nicht bei dem einen, natürlich nicht, Esterházys Ruf als Schriftsteller reicht weit über seine ungarische Heimat hinaus, und spätestens mit dem großen Familienerinnerungsroman "Harmonia Caelestis", der 2001 auf Deutsch erschien, war Esterházy als feste Größe der internationalen Literatur etabliert. Er schrieb eine Reihe funkelnder Romane, in denen er große literarische Traditionen mit der eigenen Biographie verband, erhielt 2004 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und wirkte als Vermittler vor allem der ungarischen Literatur der Zwischenkriegszeit, etwa indem er nachdrücklich für Autoren wie Dezso Kosztolányi warb, auf dessen Geschichten von Kornél Esti er auch in diesem Krankentagebuch verweist.
Der Patient liest die Krankenberichte von Susan Sontag oder Harold Brodkey, vor allem aber findet er zu einer bemerkenswerten Haltung der eigenen Krankheit gegenüber, jenem Krebs also, der sich seinem Körper so eng verbunden hat: Esterházy findet dafür eine Fülle von sexuellen Metaphern, der Krebs wird als launische Geliebte beschrieben, die vom Geliebten Beachtung heischt, und der Autor, der mit seinem gesamten Werk vor allem für seine literarische Spielfreude bekannt geworden ist, treibt dieses ernste Spiel auch hier sehr weit, mit sichtbarer Freude am expliziten Vokabular. Auch hier geht es um die sprachliche Formung, darum, nichts einfach geschehen zu lassen, sondern ihm die eigene, sprachlich fixierte Deutung zu verleihen. Hinzu kommt, dass mit einer Krankheit, die zur Person wird, auch zu reden ist, dass man sich der Hoffnung hingeben kann, bei ihr etwas zu erreichen. Dass Esterházy der Geschwulst nahelegt, "früher oder später das Weite zu suchen", berichtet er seinem Freund Péter Nádas, der ihn am Krankenbett besucht. "Ruhe dich aus", antwortet Nádas. "Gut, ich ruhe mich aus."
Für sich behält er das alles nicht, wie die Notizen weiter verraten: Teile des entstehenden Werks liest er seiner Familie vor, deren Präsenz er wiederum festhält. So finden immer wieder Beschreibungen gestohlener Stunden statt, etwa mit den Brüdern, die den Kranken auf einen ausgelassenen Kurzurlaub mitnehmen. Besonders seinen Kindern, die ihn aufsuchen oder bei denen er eingeladen ist, gelten liebevolle Betrachtungen, und hier offenbart der Text am ehesten, dass er auch ein Vermächtnis sein will. Das aber ist eine schleichende Entwicklung über das gesamte Buch hinweg. Am Anfang überwiegt in den Notaten das Bemühen des Autors, den Dingen eine komische Seite abzugewinnen, etwa wenn es um die Spuren geht, die die Krankheit in seiner Physiognomie hinterläßt: "Heute beginnt der Sommer", heißt es am 21. Juni 2015: "Ich wiege 83,4 Kilo, also habe ich abgenommen, das sind 10 Kilo weniger seit Weihnachten. Ohne Krebs wäre das super."
Manches ändert sich, als die Nachricht von der Krankheit über den engsten Kreis der Familie und Freunde hinausdringt, als Esterházy bei öffentlichen Auftritten darauf angesprochen wird. Beim Besuch eines Sohnes heißt es: "Wir sprachen über die vielen Reaktionen der letzten Tage, wie viele Menschen mir so nett und besorgt geschrieben haben usw. Als ich sagte, mir gehe es gut, musste er weinen. Ich beinahe auch. Es tut mir ehrlich leid, Kummer zu verursachen. Ein Kummermacher."
In solchen Momenten stößt die Sprache an ihre Grenzen, und auch das bildet das "Bauchspeicheldrüsentagebuch" ab. Wo die körperlichen Reaktionen auf die Chemotherapie registriert und in ihrer wachsenden Beschwernis auch beschrieben werden ("Ich sabbere. Speichel, Tränen, Rotz. Keine Kraft."), da ist auch mit der so liebevoll umgarnten Krankheit nicht mehr zu reden. Esterházy versucht es trotzdem, mitten im Elend der Behandlung: "Ich gebe zu, diesmal hast du gute Karten. Allerdings habe ich dir die Karten mit beiden Händen zugespielt, brauchst du Karten, brauchst du Karten? Du grinst, grins nicht."
Es sind Passagen wie diese, die ebenso anrühren wie beeindrucken. Denn das Aufbäumen gegen das Sterben, das hier abgebildet wird, besitzt noch im Elend eine ganz eigene Würde, die sich in einer Sprache ausdrückt, die dem Tod die Zähne zeigt. Im letzten Eintrag, datiert auf den 2. März 2016, heißt es: "Diese Hefte werden doch noch ein Buch ergeben. Jetzt beginne ich, das Bisherige in die Maschine zu schreiben. Irgendwo muss ich es abschließen und natürlich weiterschreiben." Genau das geschieht dann, dem Erlebnis der Krankheit wird ein weiteres Mal die Hand des Autors entgegengesetzt, die das Notierte formt, bis es Literatur geworden ist.
Vier Monate nach diesem Eintrag, am 14. Juli 2016, ist Péter Esterházy gestorben.
TILMAN SPRECKELSEN
Péter Esterházy: "Bauchspeicheldrüsentagebuch".
Aus dem Ungarischen von György Buda. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2017. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Witz und Würde dem Tod entgegen: Péter Esterházys "Bauchspeicheldrüsentagebuch"
"Krebs, das ist das richtige Anfangswort", heißt es im allerersten Notat dieses Bandes, schließlich geht es genau darum: um die Krankheit, die bei dem damals fünfundsechzigjährigen ungarischen Schriftsteller Péter Esterházy im Mai 2015 diagnostiziert worden ist. Aber es geht zugleich auch darum, wie das, was geschildert werden soll, sprachlich zu fassen ist, um "das richtige Anfangswort" also ebenso wie um den Krebs. Dazu gehört, dass die Krankheit, die sich offenbar schon seit dem Vorjahr in Esterházys Körper ausbreitet, einen Namen bekommt und damit sichtbar wird, eine Entwicklung, die der Kranke gegenüber den zögerlichen Ärzten selbst übernimmt, indem er sie, wie er schreibt, "heiter" danach fragt, ob es Krebs ist: "Ich versuchte, versuche, das Unheil am Schlafittchen zu packen. Es unter das Joch der Sätze zu zwingen. Das Joch der Sätze - ja, das Unheil zeigt sich in diesen Bildern."
Das Ergebnis ist ein Band namens "Bauchspeicheldrüsentagebuch", der als Tagebuch daherkommt und sehr viel mehr enthält, als der Titel verheißt. Die Diagnose ist alarmierend, "Bauchspeicheldrüsenkrebs, mit Metastasen in der Leber", es folgen Arztbesuche und Chemotherapie, Begegnungen mit anderen Patienten und mit Gesunden, die auf einmal, weil sie ihren Alltag weiter leben, auf der anderen Seite stehen. Esterházy schildert, wie ihm das Gift, das ihn heilen soll, durch einen Schlauch in den Körper rinnt, er notiert die umgestellte Verdauung, die Mattigkeit, aber auch die Glücksmomente, wenn er zwischen den Behandlungen im Garten in der Sonne sitzt. "Noch am Leben", so signiert er einer Ärztin ein Buch.
Es bleibt nicht bei dem einen, natürlich nicht, Esterházys Ruf als Schriftsteller reicht weit über seine ungarische Heimat hinaus, und spätestens mit dem großen Familienerinnerungsroman "Harmonia Caelestis", der 2001 auf Deutsch erschien, war Esterházy als feste Größe der internationalen Literatur etabliert. Er schrieb eine Reihe funkelnder Romane, in denen er große literarische Traditionen mit der eigenen Biographie verband, erhielt 2004 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und wirkte als Vermittler vor allem der ungarischen Literatur der Zwischenkriegszeit, etwa indem er nachdrücklich für Autoren wie Dezso Kosztolányi warb, auf dessen Geschichten von Kornél Esti er auch in diesem Krankentagebuch verweist.
Der Patient liest die Krankenberichte von Susan Sontag oder Harold Brodkey, vor allem aber findet er zu einer bemerkenswerten Haltung der eigenen Krankheit gegenüber, jenem Krebs also, der sich seinem Körper so eng verbunden hat: Esterházy findet dafür eine Fülle von sexuellen Metaphern, der Krebs wird als launische Geliebte beschrieben, die vom Geliebten Beachtung heischt, und der Autor, der mit seinem gesamten Werk vor allem für seine literarische Spielfreude bekannt geworden ist, treibt dieses ernste Spiel auch hier sehr weit, mit sichtbarer Freude am expliziten Vokabular. Auch hier geht es um die sprachliche Formung, darum, nichts einfach geschehen zu lassen, sondern ihm die eigene, sprachlich fixierte Deutung zu verleihen. Hinzu kommt, dass mit einer Krankheit, die zur Person wird, auch zu reden ist, dass man sich der Hoffnung hingeben kann, bei ihr etwas zu erreichen. Dass Esterházy der Geschwulst nahelegt, "früher oder später das Weite zu suchen", berichtet er seinem Freund Péter Nádas, der ihn am Krankenbett besucht. "Ruhe dich aus", antwortet Nádas. "Gut, ich ruhe mich aus."
Für sich behält er das alles nicht, wie die Notizen weiter verraten: Teile des entstehenden Werks liest er seiner Familie vor, deren Präsenz er wiederum festhält. So finden immer wieder Beschreibungen gestohlener Stunden statt, etwa mit den Brüdern, die den Kranken auf einen ausgelassenen Kurzurlaub mitnehmen. Besonders seinen Kindern, die ihn aufsuchen oder bei denen er eingeladen ist, gelten liebevolle Betrachtungen, und hier offenbart der Text am ehesten, dass er auch ein Vermächtnis sein will. Das aber ist eine schleichende Entwicklung über das gesamte Buch hinweg. Am Anfang überwiegt in den Notaten das Bemühen des Autors, den Dingen eine komische Seite abzugewinnen, etwa wenn es um die Spuren geht, die die Krankheit in seiner Physiognomie hinterläßt: "Heute beginnt der Sommer", heißt es am 21. Juni 2015: "Ich wiege 83,4 Kilo, also habe ich abgenommen, das sind 10 Kilo weniger seit Weihnachten. Ohne Krebs wäre das super."
Manches ändert sich, als die Nachricht von der Krankheit über den engsten Kreis der Familie und Freunde hinausdringt, als Esterházy bei öffentlichen Auftritten darauf angesprochen wird. Beim Besuch eines Sohnes heißt es: "Wir sprachen über die vielen Reaktionen der letzten Tage, wie viele Menschen mir so nett und besorgt geschrieben haben usw. Als ich sagte, mir gehe es gut, musste er weinen. Ich beinahe auch. Es tut mir ehrlich leid, Kummer zu verursachen. Ein Kummermacher."
In solchen Momenten stößt die Sprache an ihre Grenzen, und auch das bildet das "Bauchspeicheldrüsentagebuch" ab. Wo die körperlichen Reaktionen auf die Chemotherapie registriert und in ihrer wachsenden Beschwernis auch beschrieben werden ("Ich sabbere. Speichel, Tränen, Rotz. Keine Kraft."), da ist auch mit der so liebevoll umgarnten Krankheit nicht mehr zu reden. Esterházy versucht es trotzdem, mitten im Elend der Behandlung: "Ich gebe zu, diesmal hast du gute Karten. Allerdings habe ich dir die Karten mit beiden Händen zugespielt, brauchst du Karten, brauchst du Karten? Du grinst, grins nicht."
Es sind Passagen wie diese, die ebenso anrühren wie beeindrucken. Denn das Aufbäumen gegen das Sterben, das hier abgebildet wird, besitzt noch im Elend eine ganz eigene Würde, die sich in einer Sprache ausdrückt, die dem Tod die Zähne zeigt. Im letzten Eintrag, datiert auf den 2. März 2016, heißt es: "Diese Hefte werden doch noch ein Buch ergeben. Jetzt beginne ich, das Bisherige in die Maschine zu schreiben. Irgendwo muss ich es abschließen und natürlich weiterschreiben." Genau das geschieht dann, dem Erlebnis der Krankheit wird ein weiteres Mal die Hand des Autors entgegengesetzt, die das Notierte formt, bis es Literatur geworden ist.
Vier Monate nach diesem Eintrag, am 14. Juli 2016, ist Péter Esterházy gestorben.
TILMAN SPRECKELSEN
Péter Esterházy: "Bauchspeicheldrüsentagebuch".
Aus dem Ungarischen von György Buda. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2017. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main