Die mittelalterlichen Städte mit ihren Mauern, Türmen, Kirchen und Kathedralen faszinieren uns noch heute. Trotz aller urbanen Enge lebte damals jedoch nur ein sehr geringer Teil der Menschen in den Städten. Die tägliche Welt der meisten war das Dorf und die schwere Arbeit auf den Feldern.
Anhand neuer archäologischer und historischer Erkenntnisse stellt Dirk Meier spannend und allgemeinverständlich diese beiden Lebenswelten vor. Dabei schildert er die Entwicklung von der Naturlandschaft zur Kulturlandschaft, erzählt von einer Umwelt, die den Menschen zur Anpassung zwang, und ihrer allmählichen Kultivierung. Diese setzte in weiten Teilen Deutschlands um das Jahr 1000 ein: Wälder wurden gerodet, Moore trockengelegt und Marschen eingedeicht. Die Städte blühten auf, Wege und Flüsse verbanden die Städte untereinander, brachten aber auch Stadt und Land sich näher. Ein Einblick in die Welt des Mittelalters - und in die Entstehung der Grundlagen unserer heutigen Welt.
Anhand neuer archäologischer und historischer Erkenntnisse stellt Dirk Meier spannend und allgemeinverständlich diese beiden Lebenswelten vor. Dabei schildert er die Entwicklung von der Naturlandschaft zur Kulturlandschaft, erzählt von einer Umwelt, die den Menschen zur Anpassung zwang, und ihrer allmählichen Kultivierung. Diese setzte in weiten Teilen Deutschlands um das Jahr 1000 ein: Wälder wurden gerodet, Moore trockengelegt und Marschen eingedeicht. Die Städte blühten auf, Wege und Flüsse verbanden die Städte untereinander, brachten aber auch Stadt und Land sich näher. Ein Einblick in die Welt des Mittelalters - und in die Entstehung der Grundlagen unserer heutigen Welt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2003Aufbruch unterm Schwellstein
Dirk Meier sucht die Moderne im Hochmittelalter
Die wichtigste Verbündete des Mittelalterarchäologen ist die Erde; sie bedeckt Spuren der Vergangenheit, die systematisch ergraben und, Schicht für Schicht freigelegt, in seltener Authentizität von der Lebensweise früherer Menschengeschlechter Zeugnis ablegen. Die meisten dieser Bodenschätze bleiben allerdings auf Dauer verloren - verrottet, unerkannt oder schlicht ungehoben. Und auch wenn sie geborgen werden, erweist sich ihre Aussagekraft als beschränkt. Nicht vom menschlichen Leben selbst, sondern nur von den Umständen des Lebens pflegen sie nämlich zu erzählen; abgesehen von Begräbnisstätten, sind die Fundplätze meist menschenleer, und selten nur drängt ein Bildnis oder eine Namensinschrift an die Stelle anonymer Pluralität, tritt uns ein individuelles Profil entgegen.
Erfahren läßt sich also nur, wie "man" in älteren Zeiten gewohnt und gesiedelt, gearbeitet und sich fortbewegt hat, vielleicht auch, in welchen Gruppen man lebte, welchen Ordnungen man unterworfen war und wie man sich mit der Natur auseinandersetzte. Die Welt der Mittelalterarchäologie kennt deshalb fast nur gestaltlose Kollektive: die Bewohner eines Hauses, eines Dorfes, einer Stadt, die Mönche und Nonnen in Klöstern, die Adligen auf ihren Burgen, die Könige zu Pferde wie die Kaufleute und Pilger auf Schiffen und Straßen - sie ist eine Welt ohne historisches Subjekt.
Der größte Feind der Bodenforscher scheint der "unbefugte" Eingriff ins Erdreich zu sein, wenn nämlich beim Neubau eines Hauses oder einer Straße "Rettungsgrabungen" unerwartet zutage tretende Werte vor der endgültigen Zerstörung bewahren sollen. Das Alarmwort signalisiert, wie sehr gegenwärtiges Geschehen als Bedrohung empfunden wird, so als ob die Bedürfnisse unseres Alltags hinter dem Interesse der Antiquare zurücktreten müßten. Hat aber schon jemand abgewogen, wieviel weniger wir vom Mittelalter wüßten, wenn sich die Spatenforschung auf planmäßige Kampagnen zu beschränken hätte? Wenn sich jedenfalls die Mittelalterarchäologie - wohl zu Recht - als historische Wissenschaft versteht, so läßt sich doch nicht verkennen, was sie von der Historie selbst trennt: Nach den Gegenständen ihrer Forschungen und durch ihre konservatorische Grundeinstellung bleibt sie vor den Individuen der Geschichte stumm.
Archäologen mögen deshalb wohl Zustände der mittelalterlichen Gesellschaften beschreiben und mit Sachüberresten wertvoll ergänzen, was wir aus Schriftquellen wissen. Man möchte sie jedoch nicht unter den Geschichtsschreibern suchen, die sich nicht auf Strukturen beschränken können, sondern auch jene Freiräume ausmessen müssen, die die Menschen gegen allgemeine Trends und Erwartungen ihrer Milieus behauptet und gefüllt haben. Um so mehr überrascht die Neuerscheinung eines jüngeren deutschen Ur- und Frühhistorikers, die mit ihrem monumentalen Titel "Bauer, Bürger, Edelmann. Stadt und Land im Mittelalter" eine histoire totale auf sozialanthropologischer Grundlage erwarten läßt.
Der Verfasser Dirk Meier hat sich als Küstenarchäologe in Eiderstedt und Dithmarschen betätigt. Er will jedoch in diesem Buch die Entstehung und Entfaltung der Kulturlandschaften überhaupt beschreiben und für deren Erhaltung werben. Es geht ihm darum, das Bewußtsein für das "kulturelle Erbe" der historisch gewachsenen Landschaften zu schärfen und "uns alle" so vor dem "Substanzverlust an Geschichtlichkeit" zu bewahren. Mit diesem Anliegen kann er sich auf Initiativen des Europarates und anderer europäischer Institutionen ebenso berufen wie auf das Bundesnaturschutzgesetz ("Historische Kulturlandschaften und -landschaftsteile von besonderer, charakteristischer Eigenart sind zu erhalten"). Meiers Hauptthese nach haben sich die Grundlagen "unserer heutigen Kulturlandschaft" mit der Fixierung von Dörfern und Kirchen sowie mit der Gründung neuer Städte im Mittelalter ausgeformt. Das Mittelalter sei deshalb geradezu "der Beginn der Moderne". Insbesondere habe das hohe Mittelalter zwischen den Jahren 1000 und 1250 die ältere Kulturlandschaft tiefgreifend umgeformt. Trotz der Verzögerungen während des Spätmittelalters oder der neuzeitlichen beziehungsweise modernen Eingriffe in Natur und Siedlungswesen prägten daher die damals geschaffenen Grundmuster des Städtenetzes, des Verhältnisses von Dörfern und Landwirtschaft, von Wald und Heide, Grün- und Ackerland, von Straßen und Deichen unseren Lebensraum bis heute.
Meier greift bei der Erklärung seiner archäologischen Befunde auf eine historische Lehre der vorigen Forschergeneration zurück, die unter dem Eindruck der Strukturgeschichte und der Hinwendung zur materiellen Kultur gern vom "Aufbruch" des hohen Mittelalters gesprochen hat. Maßgeblich war dabei die Beobachtung eines beachtlichen demographischen Wachstums und einer starken Ausdehnung der agrarischen Nutzflächen. Sie wurden mit einer bedeutenden Verbesserung des Klimas in Zusammenhang gebracht und gingen mit einer Vielzahl neuer Städtegründungen einher. Die Historiker betonten aber vor allem die Dynamik der sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen. Sie erinnerte sie an die Zeit der Industrialisierung in der Moderne, Müller hingegen neigt dazu, die moderne Beschleunigung als Gefahr für die mittelalterlichen Grundlagen unserer Lebenswelt zu betrachten. Historischer Wandel findet eben in einem Geschichtsbild keinen rechten Platz, das Zustände ohne Menschen beschreiben muß.
Die Aufbruchsthese hat aber auch unter Historikern in jüngerer Zeit viel von ihrer Überzeugungskraft verloren. Man weiß inzwischen mehr über die Opfer der hochmittelalterlichen Veränderungen, zu denen die Frauen und die sozialen Außenseiter gehörten. Im Vergleich hat man erkannt, daß viele Regionen Europas an einem grundlegenden Wandel überhaupt nicht teilhatten. Dirk Müller scheint davon nichts zu wissen. Über die Rolle der Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft verliert er ebenso selten ein Wort wie etwa über die Juden, und "sein" Mittelalter beschränkt sich wie selbstverständlich auf das Gebiet des Deutschen Reichs zwischen Nordsee und Alpen.
Was das Buch bietet, ist eine kenntnisreiche und exemplarische Darstellung der Siedlungsgeschichte Mitteleuropas auf der Grundlage der neueren archäologischen Forschung, besonders instruktiv für die Nordseeküste und für die Schweizer Alpen. Allerdings verzichtet Müller im Unterschied zu anderen Autoren seines Metiers auf topographische Karten, Stadt- und Häusergrundrisse oder Rekonstruktionszeichnungen, auf ein Glossar der Fachbegriffe und ein für das Verständnis des Werkes eigentlich unentbehrliches Ortsregister. Ohne eine Einführung in die Archäologie des Mittelalters danebenzulegen, dürften Müllers Ausführungen über den Acker- oder Hausbau dem Laien oft kaum verständlich sein. Oder muß man wissen, was Wölbäcker sind und Besenheidenflächen, Firstsäulenhäuser und Tiefstreuställe, Kübbungen und Schwellsteine? Lektoren des Jan Thorbecke Verlags, bitte antworten!
Abgesehen von der mangelnden Anschaulichkeit und Lebensnähe, mag den Leser aber auch das etwas penetrante Sendungsbewußtsein des Autors verdrießen. Muß man denn wirklich das Mittelalter gegen die modernen Stadtlandschaften ausspielen, denen apodiktisch "keine Erlebnisinhalte" attestiert werden? Mehr Gelassenheit gegenüber allfälliger Zerstörung von Bodenzeugnissen wird sich bewahren, wer weiß, daß historische Wirklichkeiten ohne Phantasie ohnehin nicht zu konstruieren sind.
MICHAEL BORGOLTE
Dirk Meier: "Bauer, Bürger, Edelmann". Stadt und Land im Mittelalter. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2003. 264 S., 30 Abb., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dirk Meier sucht die Moderne im Hochmittelalter
Die wichtigste Verbündete des Mittelalterarchäologen ist die Erde; sie bedeckt Spuren der Vergangenheit, die systematisch ergraben und, Schicht für Schicht freigelegt, in seltener Authentizität von der Lebensweise früherer Menschengeschlechter Zeugnis ablegen. Die meisten dieser Bodenschätze bleiben allerdings auf Dauer verloren - verrottet, unerkannt oder schlicht ungehoben. Und auch wenn sie geborgen werden, erweist sich ihre Aussagekraft als beschränkt. Nicht vom menschlichen Leben selbst, sondern nur von den Umständen des Lebens pflegen sie nämlich zu erzählen; abgesehen von Begräbnisstätten, sind die Fundplätze meist menschenleer, und selten nur drängt ein Bildnis oder eine Namensinschrift an die Stelle anonymer Pluralität, tritt uns ein individuelles Profil entgegen.
Erfahren läßt sich also nur, wie "man" in älteren Zeiten gewohnt und gesiedelt, gearbeitet und sich fortbewegt hat, vielleicht auch, in welchen Gruppen man lebte, welchen Ordnungen man unterworfen war und wie man sich mit der Natur auseinandersetzte. Die Welt der Mittelalterarchäologie kennt deshalb fast nur gestaltlose Kollektive: die Bewohner eines Hauses, eines Dorfes, einer Stadt, die Mönche und Nonnen in Klöstern, die Adligen auf ihren Burgen, die Könige zu Pferde wie die Kaufleute und Pilger auf Schiffen und Straßen - sie ist eine Welt ohne historisches Subjekt.
Der größte Feind der Bodenforscher scheint der "unbefugte" Eingriff ins Erdreich zu sein, wenn nämlich beim Neubau eines Hauses oder einer Straße "Rettungsgrabungen" unerwartet zutage tretende Werte vor der endgültigen Zerstörung bewahren sollen. Das Alarmwort signalisiert, wie sehr gegenwärtiges Geschehen als Bedrohung empfunden wird, so als ob die Bedürfnisse unseres Alltags hinter dem Interesse der Antiquare zurücktreten müßten. Hat aber schon jemand abgewogen, wieviel weniger wir vom Mittelalter wüßten, wenn sich die Spatenforschung auf planmäßige Kampagnen zu beschränken hätte? Wenn sich jedenfalls die Mittelalterarchäologie - wohl zu Recht - als historische Wissenschaft versteht, so läßt sich doch nicht verkennen, was sie von der Historie selbst trennt: Nach den Gegenständen ihrer Forschungen und durch ihre konservatorische Grundeinstellung bleibt sie vor den Individuen der Geschichte stumm.
Archäologen mögen deshalb wohl Zustände der mittelalterlichen Gesellschaften beschreiben und mit Sachüberresten wertvoll ergänzen, was wir aus Schriftquellen wissen. Man möchte sie jedoch nicht unter den Geschichtsschreibern suchen, die sich nicht auf Strukturen beschränken können, sondern auch jene Freiräume ausmessen müssen, die die Menschen gegen allgemeine Trends und Erwartungen ihrer Milieus behauptet und gefüllt haben. Um so mehr überrascht die Neuerscheinung eines jüngeren deutschen Ur- und Frühhistorikers, die mit ihrem monumentalen Titel "Bauer, Bürger, Edelmann. Stadt und Land im Mittelalter" eine histoire totale auf sozialanthropologischer Grundlage erwarten läßt.
Der Verfasser Dirk Meier hat sich als Küstenarchäologe in Eiderstedt und Dithmarschen betätigt. Er will jedoch in diesem Buch die Entstehung und Entfaltung der Kulturlandschaften überhaupt beschreiben und für deren Erhaltung werben. Es geht ihm darum, das Bewußtsein für das "kulturelle Erbe" der historisch gewachsenen Landschaften zu schärfen und "uns alle" so vor dem "Substanzverlust an Geschichtlichkeit" zu bewahren. Mit diesem Anliegen kann er sich auf Initiativen des Europarates und anderer europäischer Institutionen ebenso berufen wie auf das Bundesnaturschutzgesetz ("Historische Kulturlandschaften und -landschaftsteile von besonderer, charakteristischer Eigenart sind zu erhalten"). Meiers Hauptthese nach haben sich die Grundlagen "unserer heutigen Kulturlandschaft" mit der Fixierung von Dörfern und Kirchen sowie mit der Gründung neuer Städte im Mittelalter ausgeformt. Das Mittelalter sei deshalb geradezu "der Beginn der Moderne". Insbesondere habe das hohe Mittelalter zwischen den Jahren 1000 und 1250 die ältere Kulturlandschaft tiefgreifend umgeformt. Trotz der Verzögerungen während des Spätmittelalters oder der neuzeitlichen beziehungsweise modernen Eingriffe in Natur und Siedlungswesen prägten daher die damals geschaffenen Grundmuster des Städtenetzes, des Verhältnisses von Dörfern und Landwirtschaft, von Wald und Heide, Grün- und Ackerland, von Straßen und Deichen unseren Lebensraum bis heute.
Meier greift bei der Erklärung seiner archäologischen Befunde auf eine historische Lehre der vorigen Forschergeneration zurück, die unter dem Eindruck der Strukturgeschichte und der Hinwendung zur materiellen Kultur gern vom "Aufbruch" des hohen Mittelalters gesprochen hat. Maßgeblich war dabei die Beobachtung eines beachtlichen demographischen Wachstums und einer starken Ausdehnung der agrarischen Nutzflächen. Sie wurden mit einer bedeutenden Verbesserung des Klimas in Zusammenhang gebracht und gingen mit einer Vielzahl neuer Städtegründungen einher. Die Historiker betonten aber vor allem die Dynamik der sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen. Sie erinnerte sie an die Zeit der Industrialisierung in der Moderne, Müller hingegen neigt dazu, die moderne Beschleunigung als Gefahr für die mittelalterlichen Grundlagen unserer Lebenswelt zu betrachten. Historischer Wandel findet eben in einem Geschichtsbild keinen rechten Platz, das Zustände ohne Menschen beschreiben muß.
Die Aufbruchsthese hat aber auch unter Historikern in jüngerer Zeit viel von ihrer Überzeugungskraft verloren. Man weiß inzwischen mehr über die Opfer der hochmittelalterlichen Veränderungen, zu denen die Frauen und die sozialen Außenseiter gehörten. Im Vergleich hat man erkannt, daß viele Regionen Europas an einem grundlegenden Wandel überhaupt nicht teilhatten. Dirk Müller scheint davon nichts zu wissen. Über die Rolle der Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft verliert er ebenso selten ein Wort wie etwa über die Juden, und "sein" Mittelalter beschränkt sich wie selbstverständlich auf das Gebiet des Deutschen Reichs zwischen Nordsee und Alpen.
Was das Buch bietet, ist eine kenntnisreiche und exemplarische Darstellung der Siedlungsgeschichte Mitteleuropas auf der Grundlage der neueren archäologischen Forschung, besonders instruktiv für die Nordseeküste und für die Schweizer Alpen. Allerdings verzichtet Müller im Unterschied zu anderen Autoren seines Metiers auf topographische Karten, Stadt- und Häusergrundrisse oder Rekonstruktionszeichnungen, auf ein Glossar der Fachbegriffe und ein für das Verständnis des Werkes eigentlich unentbehrliches Ortsregister. Ohne eine Einführung in die Archäologie des Mittelalters danebenzulegen, dürften Müllers Ausführungen über den Acker- oder Hausbau dem Laien oft kaum verständlich sein. Oder muß man wissen, was Wölbäcker sind und Besenheidenflächen, Firstsäulenhäuser und Tiefstreuställe, Kübbungen und Schwellsteine? Lektoren des Jan Thorbecke Verlags, bitte antworten!
Abgesehen von der mangelnden Anschaulichkeit und Lebensnähe, mag den Leser aber auch das etwas penetrante Sendungsbewußtsein des Autors verdrießen. Muß man denn wirklich das Mittelalter gegen die modernen Stadtlandschaften ausspielen, denen apodiktisch "keine Erlebnisinhalte" attestiert werden? Mehr Gelassenheit gegenüber allfälliger Zerstörung von Bodenzeugnissen wird sich bewahren, wer weiß, daß historische Wirklichkeiten ohne Phantasie ohnehin nicht zu konstruieren sind.
MICHAEL BORGOLTE
Dirk Meier: "Bauer, Bürger, Edelmann". Stadt und Land im Mittelalter. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2003. 264 S., 30 Abb., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Michael Borgolte hat einiges an diesem Buch auszusetzen. Am schwersten wiegt wohl der Vorwurf, dass die im Buch vertretene These von einem Aufbruch der Moderne im Mittelalter, wie man vom Rezensenten erfährt, "unter Historikern in jüngerer Zeit viel von ihrer Überzeugungskraft verloren" hat, etwa weil inzwischen viel mehr über die Opfer der mittelalterlichen Veränderungen, Juden und Frauen vor allem, bekannt ist, der Autor von all dem aber "nichts zu wissen" scheine. Daneben beklagt der Rezensent unter anderem das Fehlen von für das Verständnis unentbehrlichen Karten und Worterklärungen ("Oder muss man wissen, was Wölbäcker sind", fragt der Rezensent, oder "Triefstreuställe" und "Kübbungen"?), die "mangelnde Anschaulichkeit und Lebensnähe" der Darstellung sowie "das etwas penetrante Sendungsbewusstsein des Autors", der das Mittelalter etwa gegen moderne Stadtlandschaften auszuspielen versuche, denen er apodiktisch "keine Erlebnisinhalte" attestiere. Was das Buch jedoch immerhin biete, konzediert Borgolte, sei eine "kenntnisreiche und exemplarische Darstellung der Siedlungsgeschichte Mitteleuropas auf der Grundlage der neueren archäologischen Forschung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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