Alexander Gottlieb Baumgartens 300. Geburtstag im Juni 2014 ist Anlass für eine Bilanz. Die Sage von der Erfindung der Ästhetik, die ihm anhängt, beschreibt seine mögliche Aktualität nur sehr unvollkommen. Dazu gehört die einseitig zu Ungunsten Baumgartens ausgelegte Frage, wie viel seine Ästhetik der alten Rhetorik und ihren Techniken der Unterweisung verdankt. Ein angemesseneres Verständnis könnte damit beginnen, die unterschätzten rhetorischen Voraussetzungen von Baumgartens Ästhetik neu zu denken. Tatsächlich ist das Fortleben der Rhetorik, der in Deutschland Kant den philosophischen Garaus gemacht hat, in der englischen und französischen Tradition tragend geblieben. In der sprachanalytischen Philosophie, in Strukturalismus und Poststrukturalismus wurde die rhetorische Tradition zur Grundlage einer Theorie-Avantgarde, der es bei Rhetorik um Strukturfragen und nicht allein um eine Wirkung geht, die man verlegenheitshalber 'ästhetisch' nennen kann. Rhetorik ist die transhistorische Klammer, innerhalb derer sich die verkannten Voraussetzungen Baumgartens und der jüngste Theoriebedarf treffen.Was 2014 in der Erinnerung an Baumgarten in Erwägung zu ziehen und im Theorie-Kontext seiner Zeit zwischen Herder und Vico aufzusuchen ist, ist ein neues Verhältnis und eine andere Geschichte von Philosophie und Literatur, deren Zusammenspiel in der Ästhetik Baumgartens auf einen bis heute nicht erledigten Stand gebracht war. Was die Beiträge des vorliegenden Bandes verbindet, ist das neue Erkenntnisinteresse, das aus diesem Verhältnis zu entwickeln ist und eine grundlegend andere Geschichte dieses Zusammenspiels verlangt.