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Der Debüt-Band der Lyrikerin Judith Hennemann ist ein streng komponiertes Buch. Es ist ein Erstling, das nach Publikationen einzelner Gedichte in diversen Magazinen und auf allen wichtigen Literatur-Plattformen viel erwarten läßt.Rubriziert sind die Gedichte unter den sechs Kapiteln »Rauputz«, »Mannheimer Stunden«, »Rekonstruktion eines Flugkörpers«, »Bauplan für etwas anderes«, »Der Albino unter den Nächten« und »Ich pfeife auf die intellektuelle Würde der Melancholie«, die bereits eine Ahnung von der Ästhetik und Themensetzung der Dichterin Judith Hennemann geben mögen.

Produktbeschreibung
Der Debüt-Band der Lyrikerin Judith Hennemann ist ein streng komponiertes Buch. Es ist ein Erstling, das nach Publikationen einzelner Gedichte in diversen Magazinen und auf allen wichtigen Literatur-Plattformen viel erwarten läßt.Rubriziert sind die Gedichte unter den sechs Kapiteln »Rauputz«, »Mannheimer Stunden«, »Rekonstruktion eines Flugkörpers«, »Bauplan für etwas anderes«, »Der Albino unter den Nächten« und »Ich pfeife auf die intellektuelle Würde der Melancholie«, die bereits eine Ahnung von der Ästhetik und Themensetzung der Dichterin Judith Hennemann geben mögen.
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Autorenporträt
Hennemann, JudithJudith Hennemann, 1975 in Papenburg / Ems geboren, lebt in Frankfurt am Main und arbeitet als Industriesoziologin in einem Produktionswerk. Sie schreibt Lyrik und Theaterstücke und veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien, so in »L. Der Literaturbote«, »DAS GEDICHT«, »außer.dem«, »Versnetze« sowie im Internet und im Radio. Ihr Theaterstück »Androguards« wurde von Sascha Weipert im Frankfurter Autorentheater inszeniert. Sie erreichte die Bestenliste des »4. lauter niemand preis für politische lyrik« und erhielt 2014 den Jurypreis des »Hochstadter Stiers«.Judith Hennemann wurde jüngst zum renommierten Irseer Pegasus eingeladen und die Zeitschrift AKZENTE wird in einer ihrer nächsten Ausgaben Gedichte von ihr drucken.2017 ist sie MERCK-Stipendiatin zur Textwerkstatt von Kurt Drawert Darmstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2017

Im anderen Körper Gedichte lesen
Judith Hennemann erweist sich mit ihrem Lyrikdebüt als wichtige Stimme

Gedichte zu lesen war immer schon stark interpretationsbedürftig, weil sie die radikalste Form eines subjektiven Sprechens markieren. Dennoch gab es bis zum Beginn der Moderne im neunzehnten Jahrhundert eine Regelpoetik, die das Gedicht in Vers und Strophe, Rhythmus und Reim strukturierte und damit für eine Übereinkunft sorgte, was ein Gedicht ist und wie es verstanden werden kann. Dass diese im Metrum festgelegte Vorordnung auch eine Konfrontation mit Sprache als Machtdiskurs ist, versteht sich von selbst, und ebendeshalb haben sie die literarischen Avantgarden nach und nach suspendiert. Eingehandelt haben sie sich damit aber etwas anderes, das qualitativ noch keine Vorteile bringt: die formale Zerstreuung des Gedichtes bis zur Beliebigkeit und bis zum Zerfall. Wenn nämlich alles möglich ist und für alles offen, nimmt die Ratlosigkeit, nach welchem Modus gelesen und verstanden werden soll, was lexikalisch ist und was figurativ, metonymisch oder metaphorisch, nicht gerade ab. Die lyrischen Felder werden zunehmend hermetisch oder porös und verweisen am Ende nur noch auf sich selbst.

Weil es aber um Unbekanntes, Fremdes, Phantasmatisches geht, um das, was die Sprache niemals sagen kann, aber begehrt, braucht das Gedicht auch eine Bindungskraft zum Bekannten und bereits Symbolisierten, oder es wird zum Idiolekt. Diese Korrelationen von Sprache und Sprechen, langue und parole, Bekanntem und Unbekanntem entscheiden darüber, ob es ein ästhetisches Genießen gibt, ein Verstehen, ohne zu verstehen (und etwas dann doch zu verstehen): oder ob der Text ein affektiver Kurzschluss bleibt, eine Kette von Signifikanten, die keinen Abschluss findet, ein leeres sprachliches Netz.

Nun geht es nicht darum, die Lyrik einer neuen Taxonomie zu unterwerfen und ihr die Zwangsjacke von Regeln zu empfehlen, die schon einmal recht unheilvoll war. Aber eines kann sie sich nicht leisten: die übersprungene Regel nicht mit einem poetischen System auszugleichen, das wieder auf eine Regel hinausläuft. Als Leser will man erkennen, nach welchem Prinzip die Prinzipien gebrochen werden, was die Risse ausgelassen, die Bruchstellen verbunden haben oder welcher Sinn im Sinnverzicht liegt. Um das zu installieren, braucht jeder Text ein Subjekt. Das muss nicht zwingend eine Erzählfigur sein oder ein lyrisches Ich, sondern kann durchaus in der Syntax erscheinen, in der Art und Weise des Sprechens anstatt im Gesprochenen. Die Dichotomie von Sagen und Gesagtem bildet sowieso das ergiebigste Spannungsfeld für Literatur.

Es gilt also, nicht allein Inhalte, sondern Strukturen zu interpretieren, wenn man sich die Mühe machen möchte, Gedichte nicht nur mit Gefällt-mir-Likes auf- oder abzuwerten, sondern eben auch plausibel zu machen, warum sie einen ergreifen oder auch nicht. Das mag gelegentlich nach hermeneutischem Leistungssport klingen, denn nicht immer ist der Läufer überhaupt losgelaufen, von dem die Zeit gemessen wird. Es gibt Unfälle, Pannen, Über- und Unterkomplexitäten, gewiss, aber nichts ist wohl schwieriger, als klar über Dinge zu sprechen, deren Qualität es ist, unklar im Sinne von polyvalent zu sein. Es ist ein Herantasten, eine Ahnung von einer Ahnung von etwas. Verglichen mit diesem Wagnis des Interpretierens sind die Fehlerquoten klein, die Verkennungen gering, und das rechtfertigt sie schließlich. Aber mehr noch als lyrische Bestandsaufnahme bieten Gedichte ein Wissen vom Unbewussten. Was in ihnen wahrgenommen und reflektiert wird, welcher Stoff sie bewegt, wie sie verfahren und sprachlich gebaut sind, das alles gibt Auskunft über die Rolle und den Stand des Subjekts, seine Konstitution oder Dissoziation, nicht nur im Text, sondern in der Geschichte.

Das nun führt uns ins Zentrum der Lyrik von Judith Hennemann, die mit ihrem Debütband "Bauplan für etwas anderes" eine Archäologie der Subjekterfahrung vorantreibt, eine Standortbestimmung, von wo aus gesprochen, gedacht und gehandelt werden kann. Äußerst gelungen ist hier die Gestaltung des Covers, das gut auf die Intention der Gedichte eingeht: Teile eines Stadtplans, der auf den ersten Blick wie ein Schaltsystem aussieht, in das hinein die Schrift für den Titel und den Namen der Autorin gesetzt ist, kaum noch lesbar und unterscheidbar von der Struktur. Zeichen und System gehen ineinander über wie Mensch und Maschine, wobei noch unentschieden ist, wer was und wie dominiert. Entweder gilt: "später wirst du sagen: Ich bin jetzt in einem anderen Körper", oder aber: "Ich vertraue / keiner Maschine, die mich / auf der Straße grüßt." In diesem Entweder-Oder, diesem Zwischenraum, der Organisches und Anorganisches, Materielles und Symbolisches, Lebendiges und Totes miteinander verknüpft, entscheidet sich die Evolution. Es ist eine Unentschiedenheit in der Autorenhaltung, die sich weder apokalyptisch erschöpft noch euphorisch verirrt zeigt, sondern kühl registriert, was der Fall ist und im Zeichen zu erkennen gibt. Eine kalte Sprache der Technik, die vor keinem Fremd- oder Fachwort haltmacht und auch Formeln der Chemie oder Physik mit in den Vers bringt, ist das Paradigma, in dem der letzte Mensch zappelt wie die Fliege im Netz einer Spinne. Technizismus, Subjektauslöschung, Apparate, die mit Apparaten sprechen zum einen, "kein Algorithmus" zum anderen, wenn es darum geht - und hier finden sich, man hält es ja kaum noch für möglich, auch Liebesgedichte -, eine Option auf sich selbst zu behalten. Alles wird allein in einer Spaltung zum Ganzen.

Poetisch heißt das, mit Parallelfiguren umzugehen, die jeweils auf eine andere Bedeutung verweisen. Wenn es an einer Stelle heißt: "es war zeit mich fest zu stellen", dann wird die Auseinanderschreibung des Wortes "festzustellen", die aus einer Bedeutung im übertragenen Sinn eine mechanische Bewegung macht, ebenfalls zu einem Parallelismus. So erfahren wir viel in diesen Gedichten, aber nie auf plakative oder meinungspolitische Weise, sondern in der Subtilität ihrer Struktur und Verflochtenheit von oft gegensätzlichen Ereignisfeldern.

Gewiss ist nicht alles gleichermaßen gelungen. Wenn die Rhetorik der Typographie noch einmal hervorheben will, was im Text schon geleistet wurde, wirkt es angestrengt und etwas überinstrumentiert. Ein gelegentlicher Ausflug ins Hermetische ist auch nicht immer ergiebig. Aber das sind Marginalien. Mit "Bauplan für etwas anderes" hat die Lyrik eine neue wichtige Stimme. So tatsächlich "anders", wie der Titel es sagt.

KURT DRAWERT

Judith Hennemann: "Bauplan für etwas anderes". Gedichte.

Axel Dielmann Verlag, Frankfurt am Main 2017. 111 S., br., 16,- [Euro].

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