Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 9,00 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Die faszinierenden Geschichten hinter visionären Bauwerken, die nie verwirklicht wurden. Mit dem beginnenden 20. Jahrhundert haben sich mutige Vordenker auf den Weg gemacht, die Architekturgeschichte neu zu schreiben. Im Fokus des planerischen Interesses: die Gesellschaft von morgen, in der nichts unmöglich ist. Viele der kühnen Entwürfe sind der Realität zum Opfer gefallen. Ihrer Genialität tut das keinen Abbruch. Dieser Band erzählt die faszinierenden Geschichten hinter diesen Projekten. Als Hommage an die Kraft der Vision präsentiert der reich illustrierte Band Zukunftskonzepte von…mehr

Produktbeschreibung
Die faszinierenden Geschichten hinter visionären Bauwerken, die nie verwirklicht wurden. Mit dem beginnenden 20. Jahrhundert haben sich mutige Vordenker auf den Weg gemacht, die Architekturgeschichte neu zu schreiben. Im Fokus des planerischen Interesses: die Gesellschaft von morgen, in der nichts unmöglich ist. Viele der kühnen Entwürfe sind der Realität zum Opfer gefallen. Ihrer Genialität tut das keinen Abbruch. Dieser Band erzählt die faszinierenden Geschichten hinter diesen Projekten. Als Hommage an die Kraft der Vision präsentiert der reich illustrierte Band Zukunftskonzepte von Ausnahme-Planern wie Le Corbusier, Kenzo Tange und Zaha Hadid. Die fakten- und bildreichen Fallstudien machen greifbar, wie aus Wunschdenken der Anstoß zum Um- und Andersdenken wird.

Ausstattung: 100 Farbabbildungen
Autorenporträt
CHRISTOPHER BEANLAND hat ein Auge für außergewöhnliche Architektur. Seine Erfahrungen als Reisejournalist sind unter anderem in ein Buch über Gebäude im brutalistischen Stil geflossen. Ansonsten schreibt der vielseitige britische Autor regelmäßig für ausgewählte Print-Medien und seine zahlreichen Follower auf Twitter und Instagram.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.11.2021

In die Röhre gucken
Architektur-Utopien sind im Klimawandel aktueller denn je. Zwei besonders
kühne Visionen kommen ausgerechnet aus der Hauptstadt der Ideenlosigkeit: München
Wir versuchen aus unserem Elend was zu machen, bevor das Leben vergeht. Das ist wahr. Es gärt in uns. Auch das ist wahr. Das Risiko macht uns nichts mehr aus. So weit sind wir schon. Wir wissen: Wir können nicht hoffen, dass unsere Probleme mit den Mitteln konventionellen Denkens zu regulieren sind.“ Günther Ludwig Eckert, gebürtig 1927 in der Oberpfalz, gestorben 2001 in München, war Anfang 50, als er zu dem Schluss kam, das Risiko mache ihm nun nichts mehr aus.
So ging der Architekt, der die „Nasszelle“ erfunden und das Olympische Dorf in München zu den Spielen 1972 mitentworfen hat, das definitiv größte Risiko ein: sich zu blamieren. Mit einer Utopie, wie sie größenwahnsinniger nicht sein kann.
Das Gelächter war groß, als 1980 Eckerts Buch „Die Röhre“ erschien. Untertitel: „Eine Architektur für denkbare Zeiten“. Darin skizziert der Architekt eine abenteuerliche Raumutopie. Während man das nur noch antiquarisch erhältliche Buch wegen seiner Brüchigkeit am liebsten nur mit der Pinzette durchblättert, drängt sich ein Gedanke auf.
Die denkbaren Zeiten sind: genau jetzt.
Vor einem Jahr wurde im Magazin Science Advances eine Studie von Wissenschaftlerinnen und Experten rund um den Umweltforscher Eric Dinerstein veröffentlicht: Um die größten Krisen der Gegenwart zu bewältigen, also Klimawandel, Verlust von Biodiversität und das Aufkommen neuartiger Pandemietreiber (wie Fledermäuse in China oder ungeimpfte Ignoranten im Alpenraum), muss die halbe Welt zum Schutzgebiet werden.
Ein „globales Sicherheitsnetz“ außerhalb besiedelter und bewirtschafteter Areale wäre notwendig, um die Erdoberfläche vor dem Wahnsinn des marodierenden Menschengeschlechts zu bewahren. Aktuell stehen 15 Prozent der globalen Landmasse unter Schutz. Schon die UN-Biodiversitätskonvention (30 Prozent bis 2030) gilt derzeit als viel zu utopisch. Undenkbar.
Das Undenkbare ist ein Fall für Eckert. Der hat satte 100 Prozent vorgeschlagen: Die Erde solle am besten als Ganzes für lange Zeit nicht mehr von Menschen betreten werden. Zu diesem Zweck hat er Überirdisches geplant. 35 000 Kilometer lang sollte sich eine röhrenartige Konstruktion mit einem Durchmesser von 250 Metern, auf hohen Pylonen ruhend, zwischen dem 40. und 50. Breitengrad als Raumkontinuum einmal um die Erde herum legen. Vorbei an Le Havre, Saarbrücken, Regensburg, Krakau, Wolgograd, Sapporo, San Francisco, Boston – und schon ist man wieder in der Normandie.
Zum Zeitpunkt dieser Fantastik lebten rund vier Milliarden Menschen auf der Erde. Alle sollten sie ihr Zuhause in der Röhre finden. Samt Ackerbau und Viehzucht, samt Kultur und Verkehr und Produktion. Eckert wollte der Menschheit ein futuristisches Habitat geben und zugleich der Natur ermöglichen, sich vom siedelnden Menschen wie von einem Parasiten zu befreien.
Das war grotesk, selbst nach Maßstäben der utopisch geneigten Siebziger- und Achtzigerjahre. Eckert geriet in Vergessenheit. Und dann verging auch das Leben des Mannes, der was machen wollte, bevor es vergeht. Aus heutiger Sicht kann man ihm nur recht geben. Es wäre ganz gut, den menschlichen Fußabdruck mit allen Konsequenzen auf der geschundenen Erde zu minimieren.
Die Röhre ist als Gedankenspiel so faszinierend wie abseitig. Schade, dass sie nicht in das jüngst erschienene Buch des britischen Autors Christopher Beanland gefunden hat, das sich ansonsten als heitere Fundgrube der nur erdachten, aber nie erbauten Seltsamkeiten erweist. Das Buch „Bauwerke, die nie errichtet wurden“ über gescheiterte Visionen der Architektur (Prestel Verlag, 208 Seiten, 30 Euro) versammelt 50 Projekte von Frank Lloyd Wright bis Norman Foster und Zaha Hadid. Es versteht sich als „Hommage an die Kraft der Vision“, die nie nur eine Vorstellung der Technik oder der Ästhetik von morgen war – sondern immer auch eine von einem besseren Leben. Das Übermorgenland ist ein Sehnsuchtsort.
Es ist denkwürdig, wie sehr sich unsere Zeit wieder für Futurismen interessiert. Stadtutopien von Walt Disneys „Project X“ über Wasserstädte („Lilypad“) bis zu Buckminster Fullers Kuppel über Manhattan tauchen als Referenzen immer häufiger auf. Kein Wunder: Das Planen und Bauen ist für 40 Prozent der Treibhausgase verantwortlich, Städte verbrauchen 70 Prozent der weltweiten Energie. Logischerweise liegt ein Schlüssel zum Bewältigen des Klimawandels dort, wo er verursacht wird. Daher erlebt auch der Retrofuturismus unrealistischer Vorhaben aus den Schubladen der Baugeschichte aktuell eine Neuauflage.
Buckminster Fullers Kuppel, die 1960 Manhattan überwölben sollte, um die Luftverschmutzung zu bannen und Heizenergie zu sparen, taucht im Buch über die Bauwerke, die nie errichtet wurden, auf: „Die Kuppel ist eine herrliche Idee. Total verrückt natürlich (...) Die Kuppel vermittelt Sicherheit.“ Die Sicherheit dieser surrealen Schneekugel (Buckminster schätzte, völlig irre, dass sich die Baukosten durch das eingesparte Schneeräumen ausgleichen würden) kann man mit Eckerts Risiko kurzschließen. Wir wissen, dass die Sicherheit mindestens trügerisch geworden ist; wir ahnen, dass wir eben deshalb vielleicht wieder mehr Risiken eingehen müssen. Wenn die Technik für einen Teil unserer Probleme verantwortlich zu machen ist, könnte dann nicht auch die Technik, immer schon zweigesichtig in der Zivilisationsgeschichte, vernichtend und rettend zugleich, einen Teil der Lösung bergen?
Ein weitere Idee, die vom Wahnsinn kaum zu unterscheiden ist, kommt ebenfalls aus München. Es geht um „Atlantropa“. Der Architekt hinter dem Projekt heißt Herman Sörgel, geboren 1885 in Regensburg, gestorben 1952 in München. „Atlantropa“ sollte ein neuer Kontinent heißen, der sich aus der Tieferlegung des Mittelmeeres um bis zu 200 Meter mit Hilfe riesiger Staudämme ergeben hätte. Europa und Afrika würden, glaubte Sörgel, aufgehen in diesem neuen Kontinent. Eine halbe Million Quadratkilometer wollte der Planer dem Meer abtrotzen. Damit sei, so meinte er, der Welthunger zu stillen.
Auch der nach Energie. Der Strom aus megalomanen Wasserkraftwerken, bis zu 300 Meter hoch, hätte seiner Ansicht nach die halbe Welt versorgen können. Und weil Hunderttausende von Arbeitern jahrzehntelang beschäftigt gewesen wären (man befand sich gerade zwischen zwei Kriegen), so wäre das Mammutprojekt auch ein Beitrag zum Frieden: Schwerter zu Staudämmen. An Bizarrerie ist auch dieses Projekt nicht zu überbieten.
Seinem Buch „Mittelmeersenkung“ stellte er 1929 als Motto ein Faust-Zitat voran: „Den lieb ich, der Unmögliches begehrt.“ Die Nazis misstrauten Sörgel trotz ihrer faustischen Goetheverehrung. Zu Recht. Der Mann war ja Pazifist.
Manches von dem, worüber Sörgel nachdachte, wird auch heute wieder hervorgeholt: Das Projekt „Desertec“ etwa würde ebenfalls zu Monsterstromtrassen zwischen Afrika und Europa führen. Und die 50 000 Megawatt, die ein Staudamm bei Gibraltar produziert hätte gemäß der „Atlantropa“-Idee: reinster Ökostrom. Nach dem Krieg starb Sörgel, um den es schnell einsam wurde, ausgerechnet bei einem Autounfall auf der Prinzregentenstraße. Sörgel war mit dem Rad unterwegs.
Die Moderne ist eine Ära der Technikgläubigkeit, aber auch eine Epoche der ideologischen Kritik am Fortschritt. Wie beim Impfen. Ziemlich sicher werden wir in Zukunft weder in einer Röhre noch in „Atlantropa“ leben, dennoch wird der ökologische Umbau die Welt verändern wie nichts zuvor. Solardächer, Windparks, Naturschutzgebiete, Ökostädte, die Verkehrswende: Der Umbau als Rettungsaktion ist in Gang gesetzt. Zögerlich. Womöglich zu spät. Dass ausgerechnet zwei Architekten mit ihrem radikalen Öko-Futurismus aus einer Stadt kommen, aus München, der aktuellen Welthauptstadt der Ideenlosigkeit und des Stillstands, gehört zu den Pointen der Architekturgeschichte.
GERHARD MATZIG
Auch „Atlantropa“ ist eine Idee,
die vom Wahnsinn
kaum zu unterscheiden ist
„Es gärt in uns“: Die Röhre von Günther Eckert, einmal um die Erde gebaut, sollte zum Lebensraum für vier Milliarden Menschen werden.
Foto: Epaefecit/Eckert
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr