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Gegen Ende des 19.. Jahrhunderts geriet die partiarchale Welt ins Wanken. Die Entwicklung zum modernen Staatswesen ging Hand in Hand mit der Modifizierung des traditionellen Rollenverständnisses. In diese Aufbruchsstimmung hinein wurden die Protagonistinnen dieses Buches geboren. Jene zwölf aus Bayern stammenden Frauen, die exemplarisch für viele "Amazonen" stehen, waren in ihrer Radikalität, mit der sie Neues wagten, eine Herausforderung an die Gesellschaft.

Produktbeschreibung
Gegen Ende des 19.. Jahrhunderts geriet die partiarchale Welt ins Wanken. Die Entwicklung zum modernen Staatswesen ging Hand in Hand mit der Modifizierung des traditionellen Rollenverständnisses. In diese Aufbruchsstimmung hinein wurden die Protagonistinnen dieses Buches geboren. Jene zwölf aus Bayern stammenden Frauen, die exemplarisch für viele "Amazonen" stehen, waren in ihrer Radikalität, mit der sie Neues wagten, eine Herausforderung an die Gesellschaft.
Autorenporträt
Dr. rer. pol. Michaela Karl, geboren 1971 in Straubing, studierte Politologie, Geschichte und Psychologie in Berlin, München und Passau. Promotion 2001 an der FU Berlin über Rudi Dutschke. Derzeit arbeitet sie an ihrer Habilitation über die "Revolution in Bayern".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2004

Der Mythos von der mutigen Münchnerin
Michaela Karl beschreibt in zwölf Porträts „Bayerische Amazonen” des beginnenden 20. Jahrhunderts
Das Leben der Autorin, Journalistin und Frauenrechtlerin Carry Brachvogel hat sich in ihrer Geburtsstadt München abgespielt, „in dieser farbigen, von Kunst überfluteten Stadt, deren Humor voll Anmut ist und die es versteht, Gegensätze lächelnd zu versöhnen”, schrieb sie im Vorwort ihres Buches „Das Grammophon”, das 1920 in Leipzig erschienen ist. Sie avancierte zum Mittelpunkt der gehobenen Gesellschaft, ihr berühmter Salon lockte „sowohl Einheimische als auch zugereiste Gäste an den Teetisch am Siegestor”, wie Ernst von Wolzogen lobend erwähnte. Auch Rainer Maria Rilke, Luise Kiesselbach, Ricarda Huch und Annette Kolb verkehrten in ihrem Haus, einem gesuchten Ort kulturellen und politischen Gedankenaustauschs.
Weniger wohl fühlte sich die Dichterin Emerenz Meier in der Landeshauptstadt, missverstanden sowohl von den Bohèmekünstlern, als auch von den adeligen Kreisen um Prinzessin Therese von Bayern. „Ich bin des freien Waldes freies Kind”, so artikulierte sie ihren Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben, Lieben, Arbeiten. Aus Chicago schickte die Emigrantin später Agitationsbriefe gegen Kapitalismus und Imperialismus nach Deutschland und gestand: „Ich bin fürchterlich radikal gesinnt, war es eigentlich immer, insgeheim.” Beides könnten auch Michael Heigl oder Mathias Kneißl ausgerufen haben, auch wenn diese nicht bewusst politisch wirken wollten. Amerika war für sie alle ein Symbol für eine gerechte Weltordnung ohne Klassenschranken. So knüpft die Politologin und Autorin Michaela Karl mit ihrem Buch „Bayerische Amazonen” an ihr erfolgreiches Räuber-Buch „Sozialrebellen in Bayern” an, während sie weiter an ihrem Großprojekt einer Habilitation über die „Revolution in Bayern” arbeitet.
„Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit” – die Forderungen nach Gleichberechtigung waren männlich formuliert, Frauen nicht zwangsläufig mitgedacht. Es bedurfte couragierter Bürgerrechtlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, die in der Aufbruchstimmung der Jahrhundertwende überkommene Rollenschemata in Frage stellten, neue Optionen der Geschlechtsidentität entwarfen, selbstbewusst gegen verlogene Konventionen rebellierten: Die Aristokratin Mechthilde Lichnowsky wurde beispielsweise zur liberalen Freidenkerin, die Bäckerstochter Liesl Karlstadt zur Komödiantin, Olga Benario, die Tochter eines Rechtsanwalts, zur Revolutionärin. Sie wagten Grenzüberschreitungen, planten eigene Lebensentwürfe, mitunter gegen Eltern, Ehemänner, ach so ehrbare Autoritäten.
Therese Giehse wollte partout Schauspielerin werden, gegen den Willen ihrer Eltern, trotz damaliger Schönheitsideale, trotz des aufkeimenden Antisemitismus. „Mit Hartnäckigkeit und Chuzpe” gelang es ihr, bei dem einflussreichen Staatsschauspieler Albert Steinrück vorzusprechen: „Ich weiß, ich bin zu dick, aber das Gretchen will ich ja gar nicht spielen.” Sie entwickelte sich zur gesuchten Charakterdarstellerin, die bis über ihren 70. hinaus Theater-, Fernseh- und Kinoerfolge feierte: „Auf der Seite der Gerechtigkeit, mit unverschmiertem Gefühl und unegoistischem Sinn für das Reale”. Carola Neher verbreitete in Zeitungsinterviews eine ähnlich vielsagende Anekdote ihres Karrierebeginns als Schauspieldiva: „Ich wollte zur Bühne, und da meine Mutter davon nichts wissen wollte, bin ich eines Morgens von ihrer Seite frisch und frei weggelaufen. Nicht heimlich und bei Nacht, sondern am helllichten Tag; meine Mutter auf der Nymphenburger Straße in München immer hinter mir her. Ich lief die Schienen entlang. Da kam – o Engel vom Himmel – eine Straßenbahn! Ich sprang auf . . . und meine Mutter blieb, verzweifelt winkend, zurück.” Auch Lena Christ wollte sich von ihrer Mutter frei zu machen. Als unehelich geborenes Kind war sie deren pervertierten Schuldprojektionen ausgesetzt, physischen und psychischen Misshandlungen, Verwünschungen, Schlägen. Fluchtversuche zu den Großeltern, ins Kloster, in die Ehe scheiterten. Doch die Verarbeitung ihrer leidvollen Erfahrungen im literarischen Schaffen machten sie zur Meisterin unmittelbarer, realistischer Milieuschilderungen.
Viele der dargestellten Frauen wurden von der gesellschaftlichen Realität wieder eingeholt. Carry Brachvogel, die an ihrem 60. Geburtstag am 16. Juni 1924 noch in einem rauschendem Fest von offiziellen politischen Vertretern, unter ihnen Oberbürgermeister Karl Scharnagl, geehrt wurde, erhielt 1933 das Publikationsverbot, lebte als Jüdin geächtet, zurückgezogen in einer bescheidenen Wohnung in der Herzogstraße, bis sie 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde und dort vier Monate später den Schwächetod erlitt. Emerenz Meier starb 54-jährig, ohne ihre Heimat wiedergesehen zu haben. Auch ihr Wunsch, von Neuem mit dem Schreiben zu beginnen, ließ sich nicht mehr erfüllen. Die eigenwillige Brecht- und Horváth-Interpretin Carola Neher wurde fälschlich als Hochverräterin in sowjetischen Zuchthäusern interniert. Sie starb mit 42 Jahren und wurde in einem Massengrab verscharrt. Lena Christ wählte 38-jährig den Freitod am Münchner Waldfriedhof.
Michaela Karls These: „Nichts und niemand vermochte sie zu hindern, ihren Weg zu gehen”, verwundert auf den ersten Blick. In der Tat aber war dokumentiertermaßen die Willenskraft dieser Frauen ungebrochen. Sie waren stark trotz oder gerade wegen ihrer Schwäche. Trotz emotionaler und sozialer Bindungen traten sie heraus aus der anonymen Masse, definierten sich als eigenständige Menschen und hinterließen ein beachtliches Œuvre.
Michaela Karl hat zwölf einfühlsame Kurzporträts verfasst. Ansatzweise geht sie auch auf die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte ihrer Protagonistinnen ein. Irritierend wirkt nur die pathetische Rahmung mit dem reißerischen Titel, die weder der akribisch arbeitenden Wissenschaftlerin noch den dargestellten Frauen gerecht wird: Der merkwürdig mythelnde Amazonen-Panzer engt ein wie ein Schnürkorsett. Eine Penthesilea wollten sie alle nicht sein: Nur sie selbst.
(Michaela Karl: Bayerische Amazonen. 12 Porträts. Verlag Friedrich Pustet.)
EVA MARIA FISCHER
Sie waren stark, trotz oder gerade wegen ihrer Schwächen: Therese Giehse in den fünfziger Jahren bei der Lesung eines Hörspiels (links), Carola Neher 1926 in dem Stück „Kukuli” (Mitte) und die bayerische Schriftstellerin Lena Christ im Jahr 1914.
Fotos: SZ-Archiv / Fred Lindinger, Scherl, SV Bilderdienst
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