Mit dem Konkurs der oberpfälzischen Maxhütte im Sommer 2002 endete ein bedeutendes Kapitel bayerischer Wirtschaftsgeschichte. 150 Jahre nach der Gründung erloschen die Hüttenfeuer in "Bayerns Ruhrgebiet", das einmal 10.000 Menschen Lohn und Brot gab. Der Autor untersucht die Hintergründe der Krise und beschreibt die Arbeitswelt von Industriearbeitern zwischen 1945 und der weltweiten Stahlkrise in den siebziger Jahren. Im Mittelpunkt stehen die Regionen zwischen Sulzbach-Rosenberg, Maxhütte-Haidhof, Schwandorf und Wackersdorf, die lange als "rote Inseln" in der konservativen Oberpfalz galten. Was aber blieb vom sozialdemokratischen Milieu nach Krieg und Verfolgung? Und wie veränderte sich das Profil von SPD und Gewerkschaften in den fünfziger und sechziger Jahren? Der Autor macht deutlich, wie einschneidend die Studentenbewegung von 1968 war und wie sehr sich die alte Arbeiterbewegung unter dem Druck der jungen "Revoluzzer" veränderte. Gestützt auf eine Vielzahl neuer Quellen wirdin "Kumpel und Genossen" ein wichtiges und bislang kaum erforschtes Stück deutscher Gesellschaftsgeschichte erzählt. Der Autor Dietmar Süß, geb. 1973 in Neuss, 1999 bis 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, seit 2001 Mitarbeiter bei der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Für dieses Werk wurde Dietmar Süß mit dem Doktorandenpreis der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz ausgezeichnet. Aus der Presse: "Die bisherigen Bände der Reihe, zu denen auch Dietmar Süß preisgekrönte Studie über die Arbeiterschaft der Montanindustie im 'Bayerischen Ruhrgebiet' der Oberpfalz zählt, beruhen sämtlich auf soliden Quellenstudien und sind sehr sorgfältig redigiert worden. 'Bayern im Bund' wird nicht nur endlich Licht in die dunkle Geschichte der fünfziger und sechziger Jahre bringen, sondern auf lange Zeit das Standardwerk zum Thema sein; [...]" Christian Jostmann, in: SZvom 29.01.2003 "Methodisch höchst anspruchsvoll, gelingt es dem Autor, sperrigeBegriffe und schwierige Zusammenhänge so anschaulich darzustellen und zu verknüpfen, daß es dem Leser Freude macht, sich mit ihnen zu befassen" Werner Abelshauser, in: FAZ vom 29.04.2003
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2003A scheene Leich
Ein Nachruf auf Bayerns proletarische Provinz
Dietmar Süß: Kumpel und Genossen. Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayerischen Montanindustrie 1945 bis 1976. R. Oldenbourg Verlag, München 2003. 504 Seiten, 39,80 [Euro].
Das Ende der "Proletarität" ist seit langem verkündet, die Arbeiterbewegung für tot erklärt. Warum also in Leichen stochern? Kann Bayerns Montanindustrie enthüllen, was Legionen von Historikern dem Ruhrgebiet nicht längst schon an Einsichten abgerungen haben? Politisch dient das Thema der regionalen und gesellschaftlichen Austarierung eines vielbändigen Forschungsprogramms, mit dem Bayern seine Rolle im Bund herausstreichen und die wirtschaftliche Pionierleistung des Südstaates ins rechte Licht rücken will. Staatsgeschichtsschreibung im herkömmlichen Sinne bietet der jetzt vorgelegte Band der Reihe "Bayern im Bund" nicht, jedoch läßt sich mit ihm in jeder anderen Hinsicht durchaus Staat machen.
Im Mittelpunkt einer Gesellschaftsgeschichte der Landkreise Sulzbach-Rosenberg und Burglengenfeld steht die Mikroperspektive zweier Großbetriebe der Montanindustrie, die im agrarischen Umfeld zwischen Naab und Vils wie Raumschiffe aus einer anderen Welt wirken. Die 1853 gegründete Eisenwerksgesellschaft Maxhütte in Rosenberg gehörte von 1929 bis 1976 zum Flick-Konzern. Sie schloß 2002 endgültig die Tore. Die Bayerische Braunkohlenindustrie AG in Wackersdorf, seit 1929 in bayerischem Staatsbesitz, mußte schon 1982 aufgeben. Zu ihrer besten Zeit beschäftigten sie zusammen 10000 Arbeiter und boten über 60000 Menschen eine Lebensgrundlage. Neben der Mikropolitik der Betriebe sind es die sie umgebenden sozialdemokratischen Milieus, die wie "rote Inseln" in der mittleren Oberpfalz liegen, auf die sich der Fokus der Untersuchung richtet. Nichts, so erfährt der verblüffte Leser, ist in Bayern wesentlich anders gewesen als in den Hochburgen der montanindustriellen Arbeiterbewegung an Saar und Ruhr, die uns besser vertraut sind. Die Geschichte der SPD muß vor dem Hintergrund der ostbayerischen Erfahrungen ebensowenig umgeschrieben werden wie die Nachkriegsgeschichte der industriellen Beziehungen. Auf der Suche nach einer spezifisch bayerischen Note wurde der Autor doch noch fündig. Der Bierkonsum lag in der Maxhütte mit pro Mann und Monat durchschnittlich 17 Litern - in manchen Betrieben mit 33 Litern - selbst für bayerische Verhältnisse sehr hoch. Die Arbeiter empfanden das nicht so. Alkohol gehörte so sehr zum Selbstverständnis und zum Arbeitsrhythmus der "Hütterer", daß sie den Versuch der Unternehmensleitung, das Biertrinken am Arbeitsplatz zu verbieten, im März 1960 mit einem "wilden" Streik quittierten. Letztlich fiel diese letzte Bastion bayerischer Hütten-Folklore der Humanisierung des Arbeitslebens zum Opfer.
Die regionalen Befunde zum Zeitpunkt der "Entproletarisierung" der sozialen Lage und deren Folge für den Abschied vom Leitbild des klassenbewußten Arbeiters weichen ebenfalls nicht vom main stream ab, bringen aber mehr Transparenz und Anschaulichkeit in diese für die westdeutsche Gesellschaftsgeschichte so bedeutenden Prozesse. Die Dynamik der langen fünfziger Jahre hat auch in der Oberpfalz den sozialen Umbruch herbeigeführt, der in den sechziger Jahren alle klassischen Kennzeichen proletarischer Existenz verblassen ließ. Das Ende der Arbeiterbewegung war dies noch nicht. Dafür sorgte die 1968er Bewegung, die auch die SPD, die Gewerkschaften und sogar die Betriebe erfaßte. Sie gab zwar der "alten" Arbeitbewegung den letzten Treff, sorgte aber für frisches Blut und wagte im sozialdemokratischen Milieu der siebziger Jahre "mehr Demokratie". Aufbruch und Neuorientierung mit einer neuen, kulturell und generationell offeneren Sozialdemokratie machen deutlich, daß die Entproletarisierung der sechziger Jahre nicht zwingend das Ende der Arbeiterbewegung bedeutete - auch wenn gerade in Bayern dem sozialdemokratischen Frühling kein Sommer folgte.
Nicht diese Ergebnisse als solche machen die Untersuchung so lesenswert. Gewiß sind auch sie nicht geringzuachten. Wenn die bekannten Thesen der Arbeitergeschichtsschreibung für die Zeit nach 1945 selbst in der mittleren Oberpfalz greifen, so spricht dies für ihre Allgemeingültigkeit. Was das Buch auszeichnet, ist vielmehr der Weg, der zu den Ergebnissen führt. Methodisch höchst anspruchsvoll, gelingt es dem Autor, sperrige Begriffe und schwierige Zusammenhänge so anschaulich darzustellen und zu verknüpfen, daß es dem Leser Freude macht, sich mit ihnen zu befassen: Out mag das Thema ja sein, aber wenigstens, auf gut bayerisch gesagt, a scheene Leich.
WERNER ABELSHAUSER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Nachruf auf Bayerns proletarische Provinz
Dietmar Süß: Kumpel und Genossen. Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayerischen Montanindustrie 1945 bis 1976. R. Oldenbourg Verlag, München 2003. 504 Seiten, 39,80 [Euro].
Das Ende der "Proletarität" ist seit langem verkündet, die Arbeiterbewegung für tot erklärt. Warum also in Leichen stochern? Kann Bayerns Montanindustrie enthüllen, was Legionen von Historikern dem Ruhrgebiet nicht längst schon an Einsichten abgerungen haben? Politisch dient das Thema der regionalen und gesellschaftlichen Austarierung eines vielbändigen Forschungsprogramms, mit dem Bayern seine Rolle im Bund herausstreichen und die wirtschaftliche Pionierleistung des Südstaates ins rechte Licht rücken will. Staatsgeschichtsschreibung im herkömmlichen Sinne bietet der jetzt vorgelegte Band der Reihe "Bayern im Bund" nicht, jedoch läßt sich mit ihm in jeder anderen Hinsicht durchaus Staat machen.
Im Mittelpunkt einer Gesellschaftsgeschichte der Landkreise Sulzbach-Rosenberg und Burglengenfeld steht die Mikroperspektive zweier Großbetriebe der Montanindustrie, die im agrarischen Umfeld zwischen Naab und Vils wie Raumschiffe aus einer anderen Welt wirken. Die 1853 gegründete Eisenwerksgesellschaft Maxhütte in Rosenberg gehörte von 1929 bis 1976 zum Flick-Konzern. Sie schloß 2002 endgültig die Tore. Die Bayerische Braunkohlenindustrie AG in Wackersdorf, seit 1929 in bayerischem Staatsbesitz, mußte schon 1982 aufgeben. Zu ihrer besten Zeit beschäftigten sie zusammen 10000 Arbeiter und boten über 60000 Menschen eine Lebensgrundlage. Neben der Mikropolitik der Betriebe sind es die sie umgebenden sozialdemokratischen Milieus, die wie "rote Inseln" in der mittleren Oberpfalz liegen, auf die sich der Fokus der Untersuchung richtet. Nichts, so erfährt der verblüffte Leser, ist in Bayern wesentlich anders gewesen als in den Hochburgen der montanindustriellen Arbeiterbewegung an Saar und Ruhr, die uns besser vertraut sind. Die Geschichte der SPD muß vor dem Hintergrund der ostbayerischen Erfahrungen ebensowenig umgeschrieben werden wie die Nachkriegsgeschichte der industriellen Beziehungen. Auf der Suche nach einer spezifisch bayerischen Note wurde der Autor doch noch fündig. Der Bierkonsum lag in der Maxhütte mit pro Mann und Monat durchschnittlich 17 Litern - in manchen Betrieben mit 33 Litern - selbst für bayerische Verhältnisse sehr hoch. Die Arbeiter empfanden das nicht so. Alkohol gehörte so sehr zum Selbstverständnis und zum Arbeitsrhythmus der "Hütterer", daß sie den Versuch der Unternehmensleitung, das Biertrinken am Arbeitsplatz zu verbieten, im März 1960 mit einem "wilden" Streik quittierten. Letztlich fiel diese letzte Bastion bayerischer Hütten-Folklore der Humanisierung des Arbeitslebens zum Opfer.
Die regionalen Befunde zum Zeitpunkt der "Entproletarisierung" der sozialen Lage und deren Folge für den Abschied vom Leitbild des klassenbewußten Arbeiters weichen ebenfalls nicht vom main stream ab, bringen aber mehr Transparenz und Anschaulichkeit in diese für die westdeutsche Gesellschaftsgeschichte so bedeutenden Prozesse. Die Dynamik der langen fünfziger Jahre hat auch in der Oberpfalz den sozialen Umbruch herbeigeführt, der in den sechziger Jahren alle klassischen Kennzeichen proletarischer Existenz verblassen ließ. Das Ende der Arbeiterbewegung war dies noch nicht. Dafür sorgte die 1968er Bewegung, die auch die SPD, die Gewerkschaften und sogar die Betriebe erfaßte. Sie gab zwar der "alten" Arbeitbewegung den letzten Treff, sorgte aber für frisches Blut und wagte im sozialdemokratischen Milieu der siebziger Jahre "mehr Demokratie". Aufbruch und Neuorientierung mit einer neuen, kulturell und generationell offeneren Sozialdemokratie machen deutlich, daß die Entproletarisierung der sechziger Jahre nicht zwingend das Ende der Arbeiterbewegung bedeutete - auch wenn gerade in Bayern dem sozialdemokratischen Frühling kein Sommer folgte.
Nicht diese Ergebnisse als solche machen die Untersuchung so lesenswert. Gewiß sind auch sie nicht geringzuachten. Wenn die bekannten Thesen der Arbeitergeschichtsschreibung für die Zeit nach 1945 selbst in der mittleren Oberpfalz greifen, so spricht dies für ihre Allgemeingültigkeit. Was das Buch auszeichnet, ist vielmehr der Weg, der zu den Ergebnissen führt. Methodisch höchst anspruchsvoll, gelingt es dem Autor, sperrige Begriffe und schwierige Zusammenhänge so anschaulich darzustellen und zu verknüpfen, daß es dem Leser Freude macht, sich mit ihnen zu befassen: Out mag das Thema ja sein, aber wenigstens, auf gut bayerisch gesagt, a scheene Leich.
WERNER ABELSHAUSER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einen "Nachruf auf Bayerns proletarische Provinz" sieht Rezensent Werner Abelshauser in Dietmar Süß' Buch "Kumpel und Genossen". Im Mittelpunkt des Buches, einer Gesellschaftsgeschichte der Landkreise Sulzbach-Rosenberg und Burglengenfeld, stehen laut Abelshauser zwei Großbetriebe der Montanindustrie sowie die sie umgebenden sozialdemokratischen Milieus, die wie "rote Inseln" in der mittleren Oberpfalz liegen. Etwas überrascht hat Abelshauser, dass in Bayern nichts wesentlich anders war als in den vertrauteren Hochburgen der montanindustriellen Arbeiterbewegung an Saar und Ruhr - vom deutlich höheren Bierkonsum einmal abgesehen. Methodisch höchst anspruchsvoll, lobt Abelshauser, gelingt es dem Autor, sperrige Begriffe und schwierige Zusammenhänge so anschaulich darzustellen und zu verknüpfen, dass es dem Leser Freude mache, sich mit ihnen zu befassen. "Out mag das Thema ja sein", resümiert der Rezensent, "aber wenigstens, auf gut bayerisch gesagt, a scheene Leich."
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH