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Im Freistaat Bayern leben mehr als 12,5 Millionen Menschen (weitausmehr als etwa in Belgien). Seit 1871 gehört das widerspenstige Königreich zu Deutschland - mit Sonderrechten. Die Nachkriegsverfassung von 1946 hat für das bayerische Volk - eingedenk einer mehr als tausendjährigen Geschichte - bis heute besonderes Gewicht. Trotzdem hat das Land Bayern an Kraft und Wirksamkeit in der politischen Realität verloren, obwohl es durch den Fleiß und die Tüchtigkeit der Bayern an der Spitze der deutschen Länder steht sowie im europäischen Vergleich - bezogen auf die Wirtschaftsund Finanzkraft - an…mehr

Produktbeschreibung
Im Freistaat Bayern leben mehr als 12,5 Millionen Menschen (weitausmehr als etwa in Belgien). Seit 1871 gehört das widerspenstige Königreich zu Deutschland - mit Sonderrechten. Die Nachkriegsverfassung von 1946 hat für das bayerische Volk - eingedenk einer mehr als tausendjährigen Geschichte - bis heute besonderes Gewicht. Trotzdem hat das Land Bayern an Kraft und Wirksamkeit in der politischen Realität verloren, obwohl es durch den Fleiß und die Tüchtigkeit der Bayern an der Spitze der deutschen Länder steht sowie im europäischen Vergleich - bezogen auf die Wirtschaftsund Finanzkraft - an siebter Stelle auf die Niederlande folgt. Bayern ist Doppelmitglied in einer Transferunion und zahlt für die deutschen wie für die europäischen Länder. »Endlich Schluss damit!«, sagt Wilfried Scharnagl, einst Alter Ego von Franz Josef Strauß und Mitglied des CSU-Parteivorstands. In seiner Streitschrift führt derlangjährige Chefredakteur des »Bayernkuriers« mit Verve und Sachverstand aus, warum Bayern für seine Autonomie kämpfen sollte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2012

Bayern, begehre auf!
Wilfried Scharnagl setzt sich gegen den Berliner und Brüsseler Zentralismus zur Wehr

Um es mit Georg Christoph Lichtenberg zu sagen: Wer zwei Paar Lederhosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an. Schöner ist schon lange nicht aufgeschrieben worden, wo der Garten Eden liegt. Wer das Glück hat, in Bayern zu leben, kann sich vom Rest des Erlöses - eine Lederhose hat ihren Wert erst mit einer richtigen Patina, es kann also ein ordentlicher Preis verlangt werden - ein, zwei oder drei Maß Bier auf dem Oktoberfest leisten und auf Wilfried Scharnagl anstoßen, den Herold der bayerischen Glorie. Oder, wenn ihm ein unerbittliches Schicksal ein Dasein jenseits der weiß-blauen Grenzen beschieden hat, sich eine Fahrkarte nach Bayern kaufen, eine einfache.

Scharnagl verbindet die Liebeserklärung an sein Land mit einem Aufruf zur Unabhängigkeit Bayerns. In Bayern verbirgt sich auch hinter grimmigen Mienen - Scharnagl ist ein Meister in dieser Disziplin - dialektisch gewendeter Humor. Lange Jahre Chefredakteur des "Bayernkurier", hat Scharnagl zwar nicht Karl Valentin, sondern einer anderen bayerischen Zentralgestalt gedient: Franz Josef Strauß. Aber auch bei Strauß war es ein Fehler, nicht immer das Gegenteil des Gesagten mitzudenken; Helmut Kohl war eines der Opfer, obwohl ihm als Pfälzer das bayerische Wesen hätte vertraut sein müssen.

Wenn Scharnagl es dabei bewenden ließe zu schildern, dass Bayern "kein Land wie jedes andere" sei; wenn er nur "das Selbstbewusstsein und den Eigensinn der Menschen, den Reichtum und die Vielfalt landschaftlicher Schönheit" besingen würde; wenn er ausschließlich die "soziale, gesellschaftliche und politische Stabilität" priese und die "wirtschaftliche Leistungskraft" referierte - es wäre besser, in ein Charivari für die Zweitlederhose zu investieren. Aber Scharnagl ist nicht, wie man in Bayern sagt, "auf da Brennsupp'n dahergschwumma"; er kann auch im achten Lebensjahrzehnt auf der medialen Klaviatur spielen.

Schade allerdings, dass nicht ein Lektor die Partitur umgestellt hat: Das Schlusskapitel, das mit dem herrlichen Satz beginnt: "Es ist Zeit für das große bayerische Aufbegehren" - es hätte an den Anfang gehört. Dann würde auch deutlich, was Scharnagl nicht im Sinn hat, nämlich einen historischen Essay zu schreiben. Wie er die Gründung des Deutschen Reichs im Januar 1871 als das große Verhängnis Bayerns beschwört, das ist in seiner grandiosen Einseitigkeit nicht tauglich für Oberseminare; Verfasser von Dissertationen, ob Mitglied der CSU oder nicht, seien ausdrücklich vor "Copy and Paste" gewarnt.

Scharnagls weiß-blaue Geschichtstheologie, dass das Ja Bayerns zur Reichsgründung in das Verderben mit den Katastrophen der Weltkriege geführt habe, ist nur die Folie, auf der er den Aufstieg des Landes nach 1945 deutet. Eine Deutung, in der sich die große Hintersinnigkeit Scharnagls offenbart; nur kurz erwähnt er, dass es Franz Josef Strauß gewesen sei, der "den ökonomischen Durchbruch Bayerns an die Spitze" bewirkt habe. Mehr braucht es gar nicht, um den Grundakkord des Buches anzuschlagen - dass es die CSU gewesen ist, die Bayern wieder zu der historischen Größe geführt hat, die 1871 verspielt worden ist.

Wer will, kann das Buch als vergnügliche Geschichte lesen, wie sich der bayerische Phoenix nach 1945 aus der preußischen Asche erhob - eine Geschichte, die sich aber niemand auf den Nachttisch legte, wenn Scharnagl nicht ins separatistische Horn stieße. Weit lässt er erschallen, bemüht gar das "sowjetisch-kommunistische Imperium", nach dessen Zusammenbruch das untergegangene Baltikum wiedererstanden sei mit Litauen, Lettland und Estland. Und ein bevorzugter Referenzpunkt der Bayern fehlt auch nicht - die Schotten, deren Streben nach Unabhängigkeit Scharnagl bewundernd beschreibt. Listig lässt er aber anklingen, dass niemand im übrigen Deutschland vor Angst schlottern muss, die Bayern könnten sich von der Republik lossagen, wenn er über den "bayerischen Commonwealth" räsoniert, den er selbst in Anführungszeichen setzt - einen Commonwealth aus Altbayern, Franken und Schwaben. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit dieser Stämme, zu denen sich die Heimatvertriebenen gesellten, sei nicht zuletzt im Aufbegehren gegen die Münchner Zentralgewalt begründet.

So gesehen wird also ein Scharnaglscher Schuh daraus: Er will den deutschen und europäischen Zusammenhalt stärken, nicht schwächen. "Bayern kann es auch allein" ist ein Hilferuf, die Bayern nicht alleinzulassen in ihrem Widerstreben gegen einen allzu ungestümen Berliner und Brüsseler Zentralismus. In die Zeit vor 1871 wollen die Bayern nicht zurück, in die Zeit vor 1806, als ihnen - es muss gesagt werden, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen - ein Franzose das Königtum bescherte, erst recht nicht. Scharnagl, das spricht aus vielen Zeilen des Buchs, genügt schon ein kleiner Zeitensprung, zurück in die Ära von Franz Josef Strauß.

ALBERT SCHÄFFER

Wilfried Scharnagl: Bayern kann es auch allein. Plädoyer für den eigenen Staat. Quadriga Verlag, Berlin 2012. 191 S., 16,99 Euro

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