Bayern, das Sehnsuchtsland: eigenwillig, selbstverliebt und voller Attraktionen! Das »Wir« ist hier exklusiv. Aber was ist eigentlich bayerisch? Und wie wurde bayerisch, was heute als bayerisch gilt? War Bayern schon immer so bayerisch wie heute? Wilfried Rogasch klärt in 24 Stationen aus der Kulturgeschichte das Werden einer Idee und fördert dabei Erstaunliches zutage.
Ein jeder scheint ein Bild von Bayern zu haben, wo immer er auch zu Hause ist. Ideal, Klischee, Realität und Fiktion geraten dabei stets in ein munteres Charivari. Wilfried Rogasch geht anhand ausgewählter Artefakte und Erscheinungsformen des Bayerischen an die Wurzeln dieses Phänomens. Dabei entsteht eine ethnografische Historie voller Überraschungen, die nicht nur den Touristen und Zugereisten, sondern auch dem Angestammten die Augen für die wirkliche Bavaritas und ihre Ursprünge zu öffnen vermag: eine unterhaltsame Lesewanderung durch eine Kulturlandschaft, die bunter ist als nur weiß und blau.
Ein jeder scheint ein Bild von Bayern zu haben, wo immer er auch zu Hause ist. Ideal, Klischee, Realität und Fiktion geraten dabei stets in ein munteres Charivari. Wilfried Rogasch geht anhand ausgewählter Artefakte und Erscheinungsformen des Bayerischen an die Wurzeln dieses Phänomens. Dabei entsteht eine ethnografische Historie voller Überraschungen, die nicht nur den Touristen und Zugereisten, sondern auch dem Angestammten die Augen für die wirkliche Bavaritas und ihre Ursprünge zu öffnen vermag: eine unterhaltsame Lesewanderung durch eine Kulturlandschaft, die bunter ist als nur weiß und blau.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2016In Bayern ticken die Uhren anders
Die Frage, was den Freistaat zu einem Sehnsuchtsland macht und was eigentlich bayerisch ist, ist immer noch nicht letztgültig beantwortet. Wilfried Rogasch hat nun
versucht, das ganze Land anhand von 24 typischen Objekten zu erklären. Sein Fazit: Das eigentliche Faszinosum sind nicht die tourismustauglichen Klischees von Oberbayern
VON HANS KRATZER
München – Die in Nürnberg hängenden Monatsbilder des Landshuter Hofmalers Hans Wertinger (1466-1533) belegen eindrucksvoll, dass die Uhren in Bayern seit jeher anders ticken. Eine Szenerie zeigt etliche Bauern bei der Arbeit, dahinter prangt eine Dorfkulisse. Die Wirklichkeit hat mit Sicherheit hässlicher ausgesehen, als sie hier dargestellt ist. Wertinger präsentierte das Landleben aus der Sicht eines höfischen Städters. Brisant ist das Bildthema aber aus einem anderen Grund. Zu seiner Entstehungszeit, um 1525, wütete in Mitteleuropa der große Bauernkrieg, von dem allein Bayern verschont blieb. Oft wird argumentiert, dies habe an der Anhänglichkeit der hiesigen Bevölkerung zu ihrem Landesherrn gelegen. Der Autor Wilfried Rogasch tischt dagegen eine andere Erklärung auf: Im Herzogtum Bayern, so argumentiert er, hatte jeder Bauer die Möglichkeit, gegen seinen Grundherrn vor einem landesherrlichen Gericht zu klagen. Das war ein wichtiges Ventil, um gegen obrigkeitliche Willkür vorzugehen. Anderswo blieb dieser Rechtsweg den Bauern verwehrt, sie litten unter Not, Abgaben und Frondiensten, ohne sich wehren zu können. So könnten Wertingers Idyllen durchaus als Propaganda zu verstehen sein: Demnach war in Bayern für die Bauern alles in Ordnung.
Vielleicht liegt es an Geschichten wie dieser, dass Staatsbegriff und Identifikation in Bayern noch so intakt sind. Die Literatur, die diesen Mythos Bayern enträtseln will, ist inzwischen fast unüberschaubar. Trotzdem verdient der Versuch von Wilfried Rogasch, Bayern in 24 Kapiteln zu erklären, gefällige Beachtung. Sein Ansatz, Licht in das bavaristische Durcheinander aus Ideal, Klischee, Realität und Fiktion zu bringen, ist nicht ungeschickt. Rogasch erklärt Bayern mithilfe von Kunstwerken und Objekten, die eine Geschichte erzählen und ein Schlaglicht auf eine Epoche werfen. Dabei können selbst Bayernkenner noch etwas lernen, auch wenn Rogasch, der in München Ausstellungen kuratiert hat und jetzt in Berlin als Buchautor lebt, auf eine Leserschaft ohne großen Bayernbezug abzielt.
Primär geht es ihm um die Frage, was eigentlich bayerisch ist und wie das bayerisch wurde, was heute als bayerisch gilt. Zurecht blickt er deshalb über die Landesgrenzen hinaus, um etwa aufzuzeigen, dass die Entdeckung des Hochgebirges keineswegs in Bayern erfolgt ist, sondern durch englische Alpinisten in der Schweiz. Nicht nur hier wird deutlich, dass viele vermeintlich bayerische Eigenarten in Wahrheit Spielarten einer europäischen Kulturgeschichte sind.
Ein anderes Kapitel widmet sich dem Humor, der in Bayern allzu oft tragischkomische Züge trägt. Vor allem der Umgang mit Karl Valentin ist ein Jahrhundertdrama. Die Genialität dieses Mannes wurde zu Lebzeiten nie verstanden, was sich zum Teil bis heute fortsetzt. Allein die Tatsache, dass er „Walentin“ genannt wird, trägt kulturschändlichen Charakter. Derlei Sprachverhunzer müssten eigentlich zur Strafe mit einem von Valentins pelzbesetzten Winterzahnstochern aus dem Valentin-Karlstadt-Musäum gebitzelt werden.
Rogasch weist nachdrücklich darauf hin, dass sich die 1500-jährige Staatlichkeit Bayerns lediglich auf das altbayerische Territorium bezieht. Die vielen hundert kleinen Herrschaften, die es auf dem heutigen Staatsgebiet gegeben hat, gehören mitsamt Franken und Schwaben erst seit 200 Jahren dazu. Sie verfügten über ein politisches Eigenleben, aus dem eine enorme kulturelle Vielfalt und Dichte resultierte. Für Rogasch sind deshalb diese alten Reichsgebiete und nicht die tourismustauglichen Klischees Oberbayerns das eigentliche Faszinosum Bayerns. Wenn man in Rogaschs Buch etwas vermisst, dann ist es der Sport. Vor allem der Fußball erfährt heute eine solche gesellschaftliche Dominanz, dass ein Nachdenken über Bayern ohne Einbeziehung dieses Phänomens eigentlich nicht mehr möglich ist.
Wilfried Rogasch, Bayern in 24 Kapiteln, Hirmer Verlag, 360 Seiten, 19,90 Euro.
Bayerische Phänomenologie (von links): Infanterietrommel, um 1800; Schützenliesel (Friedrich von Kaulbach) und Valentins Winterzahnstocher.
Fotos: Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt, Münchner Stadtmuseum, Valentin-Karlstadt-Musäum München
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Frage, was den Freistaat zu einem Sehnsuchtsland macht und was eigentlich bayerisch ist, ist immer noch nicht letztgültig beantwortet. Wilfried Rogasch hat nun
versucht, das ganze Land anhand von 24 typischen Objekten zu erklären. Sein Fazit: Das eigentliche Faszinosum sind nicht die tourismustauglichen Klischees von Oberbayern
VON HANS KRATZER
München – Die in Nürnberg hängenden Monatsbilder des Landshuter Hofmalers Hans Wertinger (1466-1533) belegen eindrucksvoll, dass die Uhren in Bayern seit jeher anders ticken. Eine Szenerie zeigt etliche Bauern bei der Arbeit, dahinter prangt eine Dorfkulisse. Die Wirklichkeit hat mit Sicherheit hässlicher ausgesehen, als sie hier dargestellt ist. Wertinger präsentierte das Landleben aus der Sicht eines höfischen Städters. Brisant ist das Bildthema aber aus einem anderen Grund. Zu seiner Entstehungszeit, um 1525, wütete in Mitteleuropa der große Bauernkrieg, von dem allein Bayern verschont blieb. Oft wird argumentiert, dies habe an der Anhänglichkeit der hiesigen Bevölkerung zu ihrem Landesherrn gelegen. Der Autor Wilfried Rogasch tischt dagegen eine andere Erklärung auf: Im Herzogtum Bayern, so argumentiert er, hatte jeder Bauer die Möglichkeit, gegen seinen Grundherrn vor einem landesherrlichen Gericht zu klagen. Das war ein wichtiges Ventil, um gegen obrigkeitliche Willkür vorzugehen. Anderswo blieb dieser Rechtsweg den Bauern verwehrt, sie litten unter Not, Abgaben und Frondiensten, ohne sich wehren zu können. So könnten Wertingers Idyllen durchaus als Propaganda zu verstehen sein: Demnach war in Bayern für die Bauern alles in Ordnung.
Vielleicht liegt es an Geschichten wie dieser, dass Staatsbegriff und Identifikation in Bayern noch so intakt sind. Die Literatur, die diesen Mythos Bayern enträtseln will, ist inzwischen fast unüberschaubar. Trotzdem verdient der Versuch von Wilfried Rogasch, Bayern in 24 Kapiteln zu erklären, gefällige Beachtung. Sein Ansatz, Licht in das bavaristische Durcheinander aus Ideal, Klischee, Realität und Fiktion zu bringen, ist nicht ungeschickt. Rogasch erklärt Bayern mithilfe von Kunstwerken und Objekten, die eine Geschichte erzählen und ein Schlaglicht auf eine Epoche werfen. Dabei können selbst Bayernkenner noch etwas lernen, auch wenn Rogasch, der in München Ausstellungen kuratiert hat und jetzt in Berlin als Buchautor lebt, auf eine Leserschaft ohne großen Bayernbezug abzielt.
Primär geht es ihm um die Frage, was eigentlich bayerisch ist und wie das bayerisch wurde, was heute als bayerisch gilt. Zurecht blickt er deshalb über die Landesgrenzen hinaus, um etwa aufzuzeigen, dass die Entdeckung des Hochgebirges keineswegs in Bayern erfolgt ist, sondern durch englische Alpinisten in der Schweiz. Nicht nur hier wird deutlich, dass viele vermeintlich bayerische Eigenarten in Wahrheit Spielarten einer europäischen Kulturgeschichte sind.
Ein anderes Kapitel widmet sich dem Humor, der in Bayern allzu oft tragischkomische Züge trägt. Vor allem der Umgang mit Karl Valentin ist ein Jahrhundertdrama. Die Genialität dieses Mannes wurde zu Lebzeiten nie verstanden, was sich zum Teil bis heute fortsetzt. Allein die Tatsache, dass er „Walentin“ genannt wird, trägt kulturschändlichen Charakter. Derlei Sprachverhunzer müssten eigentlich zur Strafe mit einem von Valentins pelzbesetzten Winterzahnstochern aus dem Valentin-Karlstadt-Musäum gebitzelt werden.
Rogasch weist nachdrücklich darauf hin, dass sich die 1500-jährige Staatlichkeit Bayerns lediglich auf das altbayerische Territorium bezieht. Die vielen hundert kleinen Herrschaften, die es auf dem heutigen Staatsgebiet gegeben hat, gehören mitsamt Franken und Schwaben erst seit 200 Jahren dazu. Sie verfügten über ein politisches Eigenleben, aus dem eine enorme kulturelle Vielfalt und Dichte resultierte. Für Rogasch sind deshalb diese alten Reichsgebiete und nicht die tourismustauglichen Klischees Oberbayerns das eigentliche Faszinosum Bayerns. Wenn man in Rogaschs Buch etwas vermisst, dann ist es der Sport. Vor allem der Fußball erfährt heute eine solche gesellschaftliche Dominanz, dass ein Nachdenken über Bayern ohne Einbeziehung dieses Phänomens eigentlich nicht mehr möglich ist.
Wilfried Rogasch, Bayern in 24 Kapiteln, Hirmer Verlag, 360 Seiten, 19,90 Euro.
Bayerische Phänomenologie (von links): Infanterietrommel, um 1800; Schützenliesel (Friedrich von Kaulbach) und Valentins Winterzahnstocher.
Fotos: Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt, Münchner Stadtmuseum, Valentin-Karlstadt-Musäum München
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»So wird Wilfried Rogasch kluges Opus zum Bilderbuch und zum sachkundigen Nachschlagewerk in einem.«
Münchner Merkur {ts '2015-11-08 00:00:00'}
Münchner Merkur {ts '2015-11-08 00:00:00'}