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Die Bayreuther Festsspiele, 1876 von Richard Wagner aus der Taufe gehoben, sind ein in der neueren europäischen Musik-, Kunst- und Geistesgeschichte einzigartiges aber auch höchst problematisches Phänomen. Von Anfang an war Bayreuth nich nur ein kulturelles, sondern ebenso sehr ein Kultzentrum nicht zuletzt für eine höchst problamatische völkische Ideologie. Dieses Buch zeichnet offen und rücksichtslos die Geschichte und Wirkung dieser einmaligen Institution nach.

Produktbeschreibung
Die Bayreuther Festsspiele, 1876 von Richard Wagner aus der Taufe gehoben, sind ein in der neueren europäischen Musik-, Kunst- und Geistesgeschichte einzigartiges aber auch höchst problematisches Phänomen. Von Anfang an war Bayreuth nich nur ein kulturelles, sondern ebenso sehr ein Kultzentrum nicht zuletzt für eine höchst problamatische völkische Ideologie. Dieses Buch zeichnet offen und rücksichtslos die Geschichte und Wirkung dieser einmaligen Institution nach.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.1996

Meerestierchen am Strand von Walhall
Kabale und Familie: Die Bayreuther Festspiele gehen weiter, die Konflikte mehren sich, die Produktivität sinkt / Von Nike Wagner

Bayreuth und kein Ende: Die Literatur über Richard Wagner, die Bayreuther Festspiele, die familiären Verzweigungen und politischen Verstrickungen des Wagner-Clans wächst unaufhörlich. Nationalkonservative Rechtfertigungen und liberal-kritische Aufarbeitung stehen sich immer noch gegenüber. Nike Wagner, Tochter Wieland Wagners, die sich gerade für die Nachfolge Wolfgang Wagners ins Gespräch gebracht hat, befaßt sich mit zwei höchst konträren Neuerscheinungen zu Bayreuth. F.A.Z.

Die Bayreuther Buchhändler klagen, wo sie doch Anlaß zu Jubel hätten. Sie ertrinken in der Flut der Neuerscheinungen über Richard Wagner, jedes Jahr schlagen die Wellen höher. Da wird analysiert, paraphrasiert, parodiert, resümiert. Wagner ist das Element, in dem zu schwimmen und das zu spiegeln der kulturellen Nachwelt immer noch Bedürfnis ist: Wagner das Meer, wir die Quallen. Verlaufen dann die saisonalen Hochwasser, so bleibt manch seltsames Tierchen am Strand.

Ein ungutes Exemplar aus bräunlich schwammiger Gallerte zum Beispiel bildet die aus dem Nachlaß herausgegebene Schreiberei von Wilhelm Matthes ("Was geschah in Bayreuth von Cosima bis Wieland Wagner?". Wißner, Augsburg 1996, 270 S., geb., 38,- DM). Erstaunt nimmt man zur Kenntnis, daß die Bayerische Akademie der Schönen Künste, die Bayreuther Festspiele und der renommierte Joachim Kaiser dieses gänzlich unbedeutende, zwischen Pathos und Geschwätz schwankende, von Unsinnigkeiten, Wiederholungen, angelesenen Dummheiten und Schludrigkeiten strotzende, von schiefen Bildern, unfreiwillig komischen Sätzen und formaler Haltlosigkeit gekennzeichnete Machwerk unterstützt und gefördert haben. Ist ihnen denn gar nichts aufgefallen? Weder die immer wieder lustvoll hervorbrechende militaristische Rhetorik noch die fest zwischen Hans Pfitzner, Hans Sedlmayr, Oswald Spengler und Curt von Westernhagen angesiedelte geistige Herkunft dieses Heimatdenkers vom Jahrgang 1889? Waren sie so zufrieden mit seiner apologetischen Grundtendenz, Richard Wagner als den "Giganten" zu zeigen, an dem jede Kritik, ob von Nietzsche, Thomas Mann oder gar Theodor Adorno, nur abprallen kann? Oder mit seinem affektbeladenen Freund-Feind-Denken, in das sich gelegentlich rassistische Untertöne mischen? In den Kübel mit diesem häßlichen Häufchen eingedickter alter Säfte, sofort entsorgen! Wilhelm Matthes, seit 1919 Musikredakteur des den "musikalischen Marxismus" aufs schärfste bekämpfenden "Fränkischen Kurier" in Nürnberg, war der nach Parteibuch und Eignung ausgesuchte "Landesleiter" der nationalsozialistischen "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Musikkritiker" für Bayern.

Um von der Geschichte der Bayreuther Festspiele Stichhaltigeres zu erfahren als aus Matthes' vor dreißig Jahren abgeschlossenem Handbuch der Regressionen, greifen wir lieber auf ein anderes Meerestier vom Wagnerstrand zurück. Vor zwei Jahren an Land gespült, erweist es seine Haltbarkeit: Frederic Spotts. Bayreuth. Eine Geschichte der Wagner-Festspiele, übersetzt von Hans J. Jacob (Wilhelm Fink Verlag, München 1994, 359 S., geb., 98,- DM).

Der Verfasser ist keiner, der aus der heimischen oder internationalen musikalisch-publizistischen Szene bekannt wäre, auch gehört er nicht zur Zunft der Historiker, Soziologen oder Theaterwissenschaftler. Als "a bit of an odd duck", als "seltsamen Vogel", charakterisierte ihn einmal ein Geschichtsprofessor aus Berkeley, wo Frederic Spotts nach seiner diplomatischen Laufbahn am Foreign Office und einer Dozentur für "European Studies" in Harvard inzwischen tätig ist. Vom Verlag wird nur mitgeteilt, der geheimnisvolle Unbekannte habe seit 1955 die Festspiele regelmäßig besucht. Solche Leute sind selten geworden, und der Verdacht auf einen Pilger will sich aufdrängen, wird aber entkräftet angesichts eines Vorhabens, das alle Fäden, die bisher nur zu Einzeldarstellungen geführt haben, verknoten will: ein ehrgeiziges, aber berechtigtes und notwendiges Programm, eine Art Gesamtkunstwerk der Aspekte, das uns das Phänomen des Wagnertheaters in seiner historischen, familiären, künstlerischen, institutionellen und politischen Polychromie vorführen will. Es ist ja nicht zu leugnen, daß dieses Theater immer mehr sein wollte als ein Theater, daß Realität und symbolische Repräsentation, deutsches Musikdrama und Vollendung eines geschichtsphilosophischen Ziels auf dem Grünen Hügel immer ineinanderspielen. Vom mittellosen Komponisten einem König abgerungen, mußte es aber auch immer wieder in die Fänge derjenigen geraten, die Geld hatten, und damit in politische Machtbereiche, mußte es sich eng mit der politischen Geschichte dieses Landes verzahnen, bis es schließlich selber zum Paradigma dieser Geschichte geworden ist: Schildere ich den Werdegang Bayreuths, so schildere ich den Werdegang Deutschlands, im Kulturellen steckt das Nationale und umgekehrt. Nimmt man die europäischen Mythen hinzu, die auf der Wagnerbühne nacherzählt werden, so mag die Perspektive nicht abwegig sein, im fränkischen Festspielhaus das theatrum mundi zu erkennen, Gleichnis für die "Welthistorie".

Gleich eingangs freilich verwahrt sich der Autor, dem die Archive genauso wenig rückhaltlos geöffnet worden sind wie anderen Forschern bisher, gegen die Möglichkeit einer vollständigen Durchdringung seines Sujets. Kein Argus wird das Dickicht hundertzwanzigjähriger Verfilzung familiärer mit finanziellen Faktoren, ideologischer mit ästhetischen je erhellen können, und ein Sherlock Holmes müßte sein, dem es gelingt, jene Bereiche persönlicher Interessen offenzulegen, von denen das Geschichtsbild Bayreuth heute gesteuert wird.

Was nämlich die Besonderheit der Wagner-Festspiele ausmacht, enthält zugleich das zentrale Ärgernis: Im Zusammenfallen von dynastischer Geschichte mit Theatergeschichte entsteht ein Zwielicht, das schließlich die Augen verdirbt. Daß es keine "authentische" Lesart der Bayreuther Geschichte geben kann, ist selbstverständlich. Nicht selbstverständlich ist, daß der Autor häufig auf wenig verbürgte Anekdoten und allzu subjektive Quellen zurückgreifen muß, um dem Gewesenen auf die Spur zu kommen. Wie wir aus Rossinis "Barbiere" wissen, wächst jedes verleumderische Lüftchen solcherart zu einem Donnerwetter heran, wird aus jedem Gerücht ein Glaubensartikel und verhindert klügere Einsichten. Ein Detail: An der Namensgebung des Sohnes von Wieland Wagner hätte sich ablesen lassen, wie sehr der spätere Umstürzler 1943 noch im Banne der Familientradition gestanden hat, als er die Vornamen seines Bruders und seines Vaters zu "Wolf-Siegfried" zusammenschweißte, während seine Töchter sich bereits der Freiheit griechischer Namen erfreuen durften. Die pikantere Assoziation mit dem Hausfreund Adolf Hitler, der im inner circle den Decknamen "Wolf" trug, hätte man nicht ungeprüft übernehmen dürfen. (Ähnlich falschen Schein übrigens wirft das bei deutscher Selbstkritik beliebte modische Wortspiel, nach dem in dem Wagnerschen Begriff der "Erlösung" bereits die "Endlösung" aufschimmere.) Ein anderes Detail: Es wäre zu überlegen gewesen, ob der bei den Wagners offenbar beliebte Rückgriff auf die Kunst - Siegfried Wagner verwendete das Hans-Sachs-Zitat "Hier gilt's der Kunst" zuerst 1924 gegen die deutschnationalen Kundgebungen im Festspielhaus, und seine Söhne griffen diese Weisung per Plakat 1951 auf - nicht einmal anders interpretiert werden müßte. Im Kontext totaler Politisierung ist die Berufung auf Kunst ein antipolitischer, also ein politischer Akt, Notwehr, kein "Feigenblatt". Zumal der Autor an andrer Stelle richtig behauptet, daß auch im Nachkriegsdeutschland jeder künstlerische Akt ein politischer gewesen sei.

Hermeneutische Defizite im einzelnen und gelegentliche begriffliche Unschärfen mag man dem Autor bei der Fülle des Materials jedoch nur im Vorübergehen anlasten. (Chamberlains Hauptwerk sollte nicht "Meisterwerk" genannt werden, und es fragt sich, ob für Wieland Wagners Bilderstürmerei das Wort "entmythisieren" zutrifft, wurden an die Stelle der germanischen doch die tiefenpsychologischen Mythen gesetzt.)

Fehlperspektiven in politicis - daß nur Hitler Wagner-Opern geliebt habe, die übrigen höheren Nazichargen aber zu Wagner abkommandiert werden mußten - hat der in Kanada lehrende Zeitgeschichtler Michael H. Kater bereits korrigiert. Auch wenn einzelne Parteigenossen das Horst-Wessel-Lied den Liebesklagen Tristans sicher vorgezogen haben, stellt sich die Frage nach persönlichen Präferenzen in einer Ära nicht, in der Wagner generell als Begleitmusik zu einer Lichtspielszene von Leni Riefenstahl rezipiert wurde.

Literarisch empfindliche Leser werden Spotts eine gewisse Ungeschicklichkeit in der Wahl der narrativen Mittel ankreiden. Einerseits scheint er als Erzähler auftreten zu wollen ("Schon seit dem frühen Morgen regnete es stark"), verfällt dann aber immer wieder in den Stil von Aufführungsberichten ("beeindruckte als Amfortas . . . bezauberte mit ihrer Brünhilde"), und jede nacherzählende Beschreibung von Bühnenbildern und Inszenierungen muß trocken wirken für den, der kein persönliches Erlebnis damit verbindet. Ähnliche Schwierigkeiten stellen sich beim Versuch einer Charakterisierung von Dirigenten und Musizierstilen. Das Hören ist bekanntlich ein sehr relatives Phänomen; außer über die Tempi läßt sich wenig aussagen. Historiker schließlich ist Spotts im Sinne von Rilkes weißem Karussell-Elefanten: "Dann und wann" kommen Fußnoten und Nachweise, aber nicht immer, nicht wenn der Essayist mit ihm durchgeht.

Aber wer wollte den ersten Stein werfen. Nach der nicht unoriginellen These, daß das Leben hier einmal die Kunst nachahme, führt uns der Autor das Familien/Festspiel-Drama in neun Akten, respektive Kapiteln vor. Zu der die "Ring"-Tetralogie imitierenden Struktur des Buchs trägt eine dem "Rheingold"-Vorspiel nicht unähnliche Einleitung bei, die für eine Abklärung der Gegebenheiten an der Basis sorgt. Spotts geht auf die technischen, baulichen und aufführungspraktischen Spezifika des Festspielhauses ein, bevor er mit emphatischer Einfühlsamkeit den Kampf Richard Wagners mit Ludwig II. um den Bau eines "Nibelungentheaters" nach seinem Willen und Geschmack darstellt. Es grenzt ja wirklich an ein Wunder, daß dieses Haus und seine der Architektonik einkomponierte Akustik Wirklichkeit werden konnten. "Sehr ergriffen von dem Anblick des Theaters umarmen wir uns, und R. spricht: Es ist mit unserem Blute gerötet", heißt es dementsprechend in Cosimas Tagebuch.

Damit hebt das Epos an. Und richtig gilt das Augenmerk des Erzählers jenen wiederkehrenden Konstellationen, die das geheime Strickmuster des Schicksals bilden. Die Idee einer Stiftung zum Beispiel zieht sich durch das immer wieder von Finanzproblemen geplagte Familienunternehmen; was Siegfried Wagner 1914 gerade noch umgehen konnte, wird nach 1945 erneut debattiert, um dann erst 1976 von seinem Sohn Wolfgang durchgeführt zu werden. Oder die Praxis einer Zuflucht zu privatwirtschaftlicher Hilfe: Mit den Patronatsvereinen der ersten Festspiele beginnt das, wiederholt sich nach dem ersten Krieg ("Wer Deutschland liebt . . . muß Bayreuth zu Hilfe eilen") und findet seine Neuauflage nach dem zweiten in der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth". Auch durch die familiären Figurationen ziehen sich rote Fäden: Alte Männer heiraten junge Frauen, und durch deren Tod kommen diese dann an die Macht. Was für die Witwe Cosima 1883 galt, wird sich, leicht variiert, für die Witwe Winifred 1930 wiederholen. Durch Winifreds gleichsam politischen Tod, ihr Engagement für Hitler, kommen die Söhne Wieland und Wolfgang dran, wobei dann der frühe Tod des Älteren dem Jüngeren den Thron sichert. Daß von den Kalamitäten, in die eine bürgerliche Familie mit künstlerisch/ökonomischer Erb-Masse geraten muß, von ihren Prozessen und Unterschlagungen, ihren Aneignungen und Enteignungen ohne Häme berichtet wird, schließt an gute Vorbilder an. Bei Aischylos oder Shakespeare wurde Leid auch nicht an den Tageswitz verkauft.

Um Genauigkeit und Gerechtigkeit bemüht, werden die einzelnen Geschichtsabschnitte in ihren geistigen und ideologischen Optionen und Zwängen gesehen: vom Bismarck-Konservativismus bis in den antisemitischen National(sozial)ismus, von der Wiedergutmachungsdemokratie mit halbgarer Entnazifizierung nach dem Krieg bis in das richtungslose Marketing unserer Tage. Dabei ergeben sich erfreulich klischeeferne Aspekte: Trotz des deutschnationalen Wagnerkultes, den sie zweifellos mitverantwortete, wird hier daran erinnert, daß eine Internationalität des Publikums während der Regentschaft Cosimas ("halb Magyarin, halb Französin") selbstverständlich war, daß sie wegen ihrer künstlerischen Eigenmächtigkeiten den Anfeindungen der Wagnerorthodoxie nicht viel weniger ausgesetzt war als Jahrzehnte später ihr Enkel Wieland und daß ihre Inszenierungen immerhin für lange Zeit das unumstrittene Vorbild für die Produktionen außerhalb Bayreuths abgaben.

Gerechtigkeit im Sinne der Anerkennung von Widersprüchen läßt Spotts auch walten für den, der die undankbare (Übergangs-) Rolle des Meistersohnes zu übernehmen hatte und die daraus resultierenden Konflikte heiter zu verdrängen wußte. Siegfried Wagner hatte keine Chance, aber er nutzte sie. Geistig an die Mutter und die von ihr geschaffenen Traditionen gebunden, wagte er zwar schüchterne Bühnenneuerungen - sein Bayreuth aber war 1928 so modern, wie man es andernorts bereits 1890 war. Auch als Komponist versäumte er den Anschluß an die Moderne, hatte er doch die überragende Figur des gleichaltrigen Richard Strauss vor der Nase; daß er politisch erzkonservativ war und die Weimarer Republik haßte, schloß den Kosmopoliten nicht aus, dem die leicht versnobte Lässigkeit der Höhergeborenen eigen war.

Politisch radikalisiert zeigt sich erst seine Frau, nach dem Wagner-Schwiegersohn Chamberlain das zweite "überassimilierte" englische Mitglied der Familie. Eingespannt in die Rivalitäten der Kulturzuständigen Göring und Goebbels, gepeinigt von den Animositäten der Dirigenten Furtwängler und Toscanini, regaliert vom künstlerischen Leiter jener Ära, Heinz Tietjen, vertraute Winifred Wagner ganz auf ihre persönliche Freundschaft zu Adolf Hitler, der sie weder als Festspielförderer noch als Protektor im Stich ließ. Unaufgeregt schildert Spotts die diachronen und synchronen Züge Bayreuths in dieser Epoche: die musikalische Blüte jener politisch immer häßlicher werdenden dreißiger Jahre und den Übergang in die Moderne, den Winifred Wagner vollzog, indem sie die Presse integrierte, "persönliche" Interpretationen der Partituren erlaubte und den abstrahierenden Tendenzen eines Preetorius stattgab, als anderswo die ästhetischen Uhren schon zurückgestellt wurden. Immerhin wurde, trotz dringlicher Empfehlung, der Reichsbühnenbildner Benno von Arent in Bayreuth nicht engagiert. Das Privileg, sich einer gewissen künstlerischen Unabhängigkeit zu erfreuen, verschleierte freilich nur schlecht die Tatsache, daß Bayreuth den "besten und vornehmsten Deckmantel" für die Naziherrschaft zur Verfügung stellte.

Ohne die angepaßte Jugend Wieland Wagners zu übergehen, der als Porträtfotograf des "Führers" für die Bayreuther Festspiele fungierte und von Onkel Adolf noch anstelle des gehaßten Tietjen zum Chef eingesetzt werden wollte, bedeutet dessen Ära künstlerisch und politisch wohl das Herzstück unseres nobile dilettante. Mit dem Instrumentarium des gebildeten Eingeweihten zeichnet er die szenische und stilistische Neudefinition Bayreuths durch Wieland nach - vom Schaffen eines möglichst "unsichtbaren Theaters" der ersten Phase, das nur mehr die Musik zu Wort kommen lassen wollte (worin sich auch politisches Schamgefühl kundtat), bis zur plastischen Akzentuierung des Bühnenraumes einer zweiten, in der politische Fragen wie die nach Geschichte und Gewalt neu gestellt wurden. Die Jahre von Wielands Arbeit in Bayreuth, von 1951 bis 1966, werden mit der "Meistersinger"-Zeile "Wunder ob Wunder nun bieten sich dar" überschrieben, während die künstlerische Stagnation der darauf folgenden Alleinherrschaft seines Bruders hintersinnig mit dem Fafner-Wort "Ich lieg und besitz" bezeichnet wird. Außer Frederic Spotts hat noch keiner die familienneurotisch bedingten Zerstörungs-, Verschleierungs- und Diffamierungsfeldzüge des jetzigen Bayreuth-Chefs offengelegt, kaum einer ging auch so klar mit seinen inszenatorischen Inkompetenzen ins Gericht - es sei denn Wolfgang Wagner selber, der von sich sagte, er wolle nicht "interpretieren", sondern nur "inszenieren": ein anderer Dorfrichter Adam, ein Schildbürger. Nur schade, daß man vom bundesrepublikanischen Kontext der Neubayreuther Ära, von den sich wandelnden Bildern der Institution, des Publikums, der Öffentlichkeit, der Politik kaum mehr etwas erfährt - als ob die spannenden ästhetischen und psychologischen Ereignisse im Innern des Hauses alles an sich gerissen hätten.

Den Abspann, die "Götterdämmerung" sozusagen, bildet dann die Öffnung Bayreuths für andere Bühnenkünstler seit 1969, der Übergang zum Regietheater, in dem nun vielleicht wirklich zuviel "interpretiert" wird. Jedenfalls für den Autor, der im letzten Kapitel etwas lustlos geworden scheint, obwohl er dem heutigen Bayreuth artig das "gute Opernmanagement" attestiert und sein qualitatives "Auf und Ab" mit dem anderer Häuser gleichsetzt. Daß seine erzählerischen Ermüdungserscheinungen vielleicht mit den Ermüdungserscheinungen der inzwischen überalterten und phantasielosen Leitung der Wagner-Festspiele und der mangelnden Vorsorge für den Aufbruch ins 21. Jahrhundert zu tun haben, durchschaut der in Ehren ergraute Chronist nicht. Das nimmt seinem verdienstvollen Nibelungen-Lied am Ende den glanzvollen Schwung des Anfangs. "So viel Geschichte, um so zu enden?" Botho Strauß' Frage an Deutschland hätte sich eben auch an Bayreuth stellen lassen.

Abschließend noch eine Warnung an den gutwilligen Wagner-Strandläufer: Das Buch ist schlampig übersetzt, strotzt vor Anglizismen, Druck- und Grammatikfehlern, Auslassungen, bizarren Fremdwörtern, Verzerrungen von Worten bis zum Unsinn und falsch zitierten Eigennamen.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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