Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2021Zwischen Sucht und Sehnsucht
Hunter Biden musste den Tod der Mutter und der Geschwister verarbeiten. Er flüchtete sich in Alkohol, Drogen und eine vergebliche Liebe
mit der Witwe seines Bruders. Jetzt hat der Sohn des US-Präsidenten seine Autobiografie veröffentlicht
VON THORSTEN DENKLER
In rechten Verschwörungszirkeln ist Hunter Biden nicht weniger als der lebende Beweis für angeblich korrupte Machenschaften der Biden-Familie. Einer, der die Hand aufhält, weil der Papa eine Machtposition hat. Angeblich soll er von ukrainischen Oligarchen Geld genommen haben, um ihnen die Türen zu Joe Biden zu öffnen, als der noch Vizepräsident der Vereinigten Staaten war. Außerdem soll er in dubiose und entsprechend gut bezahlte Beratungsgeschäfte mit staatsnahen chinesischen Unternehmen verstrickt gewesen sein. Belegt ist davon nichts. Aber das tut ja in der Welt der Mythen und Märchen wenig zur Sache.
Hunter Biden hat beschlossen, der Jagd auf ihn ein Ende zu machen. Am Dienstag ist seine Autobiografie erschienen. „Beautiful Things“ heißt das Buch, schöne Dinge. Biden beschreibt sich darin als Mann, der durch viele Täler gegangen ist. Und der jetzt, mit 51 Jahren, dank einer neuen Liebe endlich Halt gefunden hat. Hunter Bidens Memoiren sind, das sei schon verraten, keine Geschichten, die ein amtierender US-Präsident oder irgendein anderer Vater über seinen Sohn lesen möchte.
Die Täler, die Hunter Biden beschreibt, sind so tief, dass die Sonne wohl keine Chance hatte, den Boden zu wärmen. Im Prolog schreibt er: „Ich habe Crack auf den Straßen von Washington D. C. gekauft und mir mein eigenes Zeug in einem Hotelbungalow in Los Angeles zusammengebraut. Ich war so verzweifelt nach einem Drink, dass ich es nicht geschafft habe, den einen Block vom Spirituosengeschäft zu meiner Wohnung zu gehen, ohne die Flasche zu öffnen und einen Schluck zu trinken. In den vergangenen fünf Jahren hat sich meine zwei Jahrzehnte dauernde Ehe aufgelöst, wurden mir Waffen ins Gesicht gehalten, und irgendwann bin ich dann ganz durchs Netz gerutscht und lebte in Super-8-Motels für 59 Dollar pro Nacht an der Autobahn I-95, während ich meine Familie noch mehr in Angst versetzte als mich.“
Präsident Joe Biden spricht viel über Trauer. Er kennt sich damit aus. Im Dezember 1972, Biden war gerade erstmals im Bundesstaat Delaware zum Senator gewählt worden, starben seine Frau Neilia Hunter Biden und seine damals gerade 13 Monate alte Tochter Naomi bei einem Autounfall. Hunter Biden, zu dem Zeitpunkt drei Jahre alt, und sein ein Jahr älterer Bruder Beau überlebten den Unfall nur knapp. Joe Biden wachte über Wochen an ihren Krankenbetten. Dort ließ er sich auch als Senator vereidigen. Im Mai 2015 dann starb Beau an einem Hirntumor. Der jüngste Schicksalsschlag für die Familie Biden.
Joe Biden musste seine erste Frau und zwei Kinder zu Grabe tragen. Weniger bekannt ist die Geschichte von Hunter Biden, der den Tod seiner Mutter, seiner kleinen Schwestern und zuletzt den seines großen Bruders überwinden musste. Der Unfall hat ihn nie losgelassen. In dem Buch erinnert er sich. Seine Schwester habe tief und fest in einem Babykorb auf dem Beifahrersitz geschlafen. „Plötzlich sehe ich, wie sich der Kopf meiner Mutter nach rechts dreht“, schreibt er. „Ich kann mich an nichts anderes an ihrem Gesicht erinnern: nur an den Blick in ihren Augen, den Ausdruck ihres Mundes. Ihr Kopf schwingt einfach hin und her.“ Das war der Moment, in dem ein mit Maiskolben beladener Sattelzug von der Seite in das Auto krachte.
Als junger Erwachsener begann Hunter zu trinken. Er machte einen Entzug. Der erste Rückfall kam, als sein Vater 2009 Vizepräsident wurde – und Hunter seine eigene Karriere als Lobbyist beenden musste. Wieder Entzug. Nach Beaus Tod kam der zweite Rückfall, nun nahm Hunter auch Drogen. „Ich habe nicht viel gegessen, außer dem, was es im Spirituosengeschäft zu kaufen gab. Doritos, Ramen-Nudeln. Schließlich konnte mein Magen nicht mal mehr mit den Nudeln umgehen.“ Er habe in der Zeit bald zehn Kilo abgenommen.
Hunter Biden und Beaus Witwe Hallie Biden flüchteten sich in eine romantische Beziehung. Sie zogen zusammen. Hunter Biden ließ sich von seiner Frau Kathleen scheiden, mit der er drei Kinder hat. Seine Beziehung zu Hallie Biden „begann mit dem verzweifelten Streben nach der Liebe, die wir beide verloren hatten“, schreibt er. Aber es hat nicht funktioniert. „Es machte eines klar: Was vergangen ist, ist für immer vergangen.“
Seinen Vater Joe beschreibt Hunter Biden als Stütze. „Er hat mich nie vergessen lassen, dass nicht alles verloren war. Er hat mich nie verlassen, mich nie verstoßen, mich nie verurteilt, egal, wie schlimm die Dinge wurden.“ Und sie wurden noch schlimmer. An einem Punkt kaufte er Crack von einem obdachlosen Dealer, mit dem er dann zusammenzog. „Ich war ein Crack-Süchtiger, und das war es.“
Erst im März 2019 sollte sich das Blatt vorerst wenden. Joe Biden war da kurz davor, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2020 bekanntzugeben. In dieser Zeit lernte Hunter Biden die südafrikanische Filmemacherin Melissa Cohen kennen. Wie Hunter Biden es beschreibt, war es Liebe auf den ersten Blick. Am ersten Abend gestand er ihr, ein Crack-Süchtiger zu sein. Ihre Antwort: „Nicht mehr. Damit bist du fertig.“
Der Moment, in dem ein
beladener Sattelzug von der Seite
ins Auto krachte
Im Rampenlicht nach dunklen Schicksalsjahren: Hunter Biden bei der Amtseinführung seines Vaters Joe Biden (links), mit Stiefmutter Jill und seinem jüngsten Sohn (oben), oder mit Daddy und Ex-Präsident Barack Obama. Fotos: AP (2), AFP
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Hunter Biden musste den Tod der Mutter und der Geschwister verarbeiten. Er flüchtete sich in Alkohol, Drogen und eine vergebliche Liebe
mit der Witwe seines Bruders. Jetzt hat der Sohn des US-Präsidenten seine Autobiografie veröffentlicht
VON THORSTEN DENKLER
In rechten Verschwörungszirkeln ist Hunter Biden nicht weniger als der lebende Beweis für angeblich korrupte Machenschaften der Biden-Familie. Einer, der die Hand aufhält, weil der Papa eine Machtposition hat. Angeblich soll er von ukrainischen Oligarchen Geld genommen haben, um ihnen die Türen zu Joe Biden zu öffnen, als der noch Vizepräsident der Vereinigten Staaten war. Außerdem soll er in dubiose und entsprechend gut bezahlte Beratungsgeschäfte mit staatsnahen chinesischen Unternehmen verstrickt gewesen sein. Belegt ist davon nichts. Aber das tut ja in der Welt der Mythen und Märchen wenig zur Sache.
Hunter Biden hat beschlossen, der Jagd auf ihn ein Ende zu machen. Am Dienstag ist seine Autobiografie erschienen. „Beautiful Things“ heißt das Buch, schöne Dinge. Biden beschreibt sich darin als Mann, der durch viele Täler gegangen ist. Und der jetzt, mit 51 Jahren, dank einer neuen Liebe endlich Halt gefunden hat. Hunter Bidens Memoiren sind, das sei schon verraten, keine Geschichten, die ein amtierender US-Präsident oder irgendein anderer Vater über seinen Sohn lesen möchte.
Die Täler, die Hunter Biden beschreibt, sind so tief, dass die Sonne wohl keine Chance hatte, den Boden zu wärmen. Im Prolog schreibt er: „Ich habe Crack auf den Straßen von Washington D. C. gekauft und mir mein eigenes Zeug in einem Hotelbungalow in Los Angeles zusammengebraut. Ich war so verzweifelt nach einem Drink, dass ich es nicht geschafft habe, den einen Block vom Spirituosengeschäft zu meiner Wohnung zu gehen, ohne die Flasche zu öffnen und einen Schluck zu trinken. In den vergangenen fünf Jahren hat sich meine zwei Jahrzehnte dauernde Ehe aufgelöst, wurden mir Waffen ins Gesicht gehalten, und irgendwann bin ich dann ganz durchs Netz gerutscht und lebte in Super-8-Motels für 59 Dollar pro Nacht an der Autobahn I-95, während ich meine Familie noch mehr in Angst versetzte als mich.“
Präsident Joe Biden spricht viel über Trauer. Er kennt sich damit aus. Im Dezember 1972, Biden war gerade erstmals im Bundesstaat Delaware zum Senator gewählt worden, starben seine Frau Neilia Hunter Biden und seine damals gerade 13 Monate alte Tochter Naomi bei einem Autounfall. Hunter Biden, zu dem Zeitpunkt drei Jahre alt, und sein ein Jahr älterer Bruder Beau überlebten den Unfall nur knapp. Joe Biden wachte über Wochen an ihren Krankenbetten. Dort ließ er sich auch als Senator vereidigen. Im Mai 2015 dann starb Beau an einem Hirntumor. Der jüngste Schicksalsschlag für die Familie Biden.
Joe Biden musste seine erste Frau und zwei Kinder zu Grabe tragen. Weniger bekannt ist die Geschichte von Hunter Biden, der den Tod seiner Mutter, seiner kleinen Schwestern und zuletzt den seines großen Bruders überwinden musste. Der Unfall hat ihn nie losgelassen. In dem Buch erinnert er sich. Seine Schwester habe tief und fest in einem Babykorb auf dem Beifahrersitz geschlafen. „Plötzlich sehe ich, wie sich der Kopf meiner Mutter nach rechts dreht“, schreibt er. „Ich kann mich an nichts anderes an ihrem Gesicht erinnern: nur an den Blick in ihren Augen, den Ausdruck ihres Mundes. Ihr Kopf schwingt einfach hin und her.“ Das war der Moment, in dem ein mit Maiskolben beladener Sattelzug von der Seite in das Auto krachte.
Als junger Erwachsener begann Hunter zu trinken. Er machte einen Entzug. Der erste Rückfall kam, als sein Vater 2009 Vizepräsident wurde – und Hunter seine eigene Karriere als Lobbyist beenden musste. Wieder Entzug. Nach Beaus Tod kam der zweite Rückfall, nun nahm Hunter auch Drogen. „Ich habe nicht viel gegessen, außer dem, was es im Spirituosengeschäft zu kaufen gab. Doritos, Ramen-Nudeln. Schließlich konnte mein Magen nicht mal mehr mit den Nudeln umgehen.“ Er habe in der Zeit bald zehn Kilo abgenommen.
Hunter Biden und Beaus Witwe Hallie Biden flüchteten sich in eine romantische Beziehung. Sie zogen zusammen. Hunter Biden ließ sich von seiner Frau Kathleen scheiden, mit der er drei Kinder hat. Seine Beziehung zu Hallie Biden „begann mit dem verzweifelten Streben nach der Liebe, die wir beide verloren hatten“, schreibt er. Aber es hat nicht funktioniert. „Es machte eines klar: Was vergangen ist, ist für immer vergangen.“
Seinen Vater Joe beschreibt Hunter Biden als Stütze. „Er hat mich nie vergessen lassen, dass nicht alles verloren war. Er hat mich nie verlassen, mich nie verstoßen, mich nie verurteilt, egal, wie schlimm die Dinge wurden.“ Und sie wurden noch schlimmer. An einem Punkt kaufte er Crack von einem obdachlosen Dealer, mit dem er dann zusammenzog. „Ich war ein Crack-Süchtiger, und das war es.“
Erst im März 2019 sollte sich das Blatt vorerst wenden. Joe Biden war da kurz davor, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2020 bekanntzugeben. In dieser Zeit lernte Hunter Biden die südafrikanische Filmemacherin Melissa Cohen kennen. Wie Hunter Biden es beschreibt, war es Liebe auf den ersten Blick. Am ersten Abend gestand er ihr, ein Crack-Süchtiger zu sein. Ihre Antwort: „Nicht mehr. Damit bist du fertig.“
Der Moment, in dem ein
beladener Sattelzug von der Seite
ins Auto krachte
Im Rampenlicht nach dunklen Schicksalsjahren: Hunter Biden bei der Amtseinführung seines Vaters Joe Biden (links), mit Stiefmutter Jill und seinem jüngsten Sohn (oben), oder mit Daddy und Ex-Präsident Barack Obama. Fotos: AP (2), AFP
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