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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2018

ALLES WIRD BESSER UND BESSER

Buckminster Fullers "Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde" ist die Theorie der Sharing Economy. Also der wirklichen Sharing Economy, nicht unserer

Die Menschheit war noch nie so reich wie jetzt. Die Zukunft aber wird noch besser. Das Universum ist ein widerspruchsfreies System, und dessen fundamentale Prinzipien sind dem menschlichen Verstand zugänglich. Die Erde ist ein Raumschiff, das von der Sonne gespeist wird. Auf diesem Raumschiff gibt es alles, was wir brauchen. Sobald wir nur verstehen, wie es funktioniert, werden alle Passagiere satt und glücklich sein und einander immer das Beste wollen. Alles wird immer besser werden. "Wir sind von einer unsichtbaren Flutwelle ergriffen, die die Menschheit - falls sie überlebt - beim Zurückfluten auf einer Insel universalen Erfolgs zurücklassen wird, ohne dass wir verstehen, wie all das geschah."

Wir werden also leben wie Buckminster "Bucky" Fuller auf jenem Foto, auf dem er, äußerlich alt gewordener, innerlich Kind gebliebener Mann, an einem langen Seil durch eine seiner geodätischen Kuppeln schwingt (man kennt diese von minimalen geometrischen Grundstrukturen gehaltenen Riesenkugeln vom Gelände der Expo '67 in Montreal oder aus dem Europapark Rust). Wer arbeitslos ist, wird Stipendien bekommen, um die Menschheit durch Reichtumsvermehrung mittels Nachdenken voranzubringen, und wenn jemand von dem Geld lieber Angeln geht, ist das in Ordnung, denn "Angeln ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, um klar zu denken".

Jetzt müssen wir nur klar genug denken, damit wir dieses Raumschiff bedienen lernen. Bisher gab es nämlich für die Erde keine Gebrauchsanweisung. Hier ist sie.

Auf Youtube lässt sich das kreisende Denken dieses großen Universalgelehrten, das zwischen Ökonomie, Mathematik, Architektur, Metaphysik und Existenzphilosophie hin und her springt, in der 42-stündigen Vortragsserie "Everything I Know" aus dem Jahr 1975 bewundern. Im selben Duktus könnte der vorliegende Aufsatz heißen: "Alles, was es gibt, wie es entstanden ist, und wie es jetzt weitergehen kann".

Fragen, die dieses Buch beantwortet: Was existiert? Was sind die Prinzipien des Universums? Was ist Reichtum? Wozu ist der Mensch fähig? Und, vor allem: Was ist zu tun? Und weil das Buch sich nicht zu blöd ist, diese Fragen nicht nur zu stellen, sondern tatsächlich zu beantworten, kann man heute beim Lesen nur staunen über den unbedingten Fortschrittsoptimismus, die ansteckende Klar- und Zuversicht, für die die Zeit um 1968 eben auch stand beziehungsweise gerade noch stand. Auch wenn all die drohenden Gefahren und die mit ihnen verbundenen apokalyptischen Siebziger-Jahre-Diskurse anklingen, von neuen Kriegen bis zur Vernichtung der Lebensgrundlagen durch die blinde Verzehrung der fossilen Rohstoffe. Im Vergleich zu deutschen Texten der Zeit könnte man sagen: maximal hell, maximal traumafrei, maximal komplexfrei. Und das Tolle ist, dass es zwar ganz in der Linie amerikanischer Machbarkeitsfanatismen steht, dabei aber amerikanischem Individualismus völlig unverdächtig ist. Fullers Denken ist durchdrungen von buddhistischer Demut.

Seine Leitfrage ist die schon 1927 gestellte, als der Architekt sich nach dem Verlust seiner Tochter Alexandra gegen den Selbstmord entschied: Was kann ich als Einzelner für die Menschheit tun? Dazu gehörte dann neben dem jurtenförmigen Dymaxion-Haus aus Aluminium und den erwähnten geodätischen Kuppeln dieser 1967 gehaltene und 1968, kurz vor der Mondlandung, auf Englisch erschienene Vortrag, der Umweltbewegung, Sharing Economy und die Versprechen des Silicon Valley vorwegnimmt und auch die junge Strömung des Akzelerationismus. Fuller erzählt die Geschichte der Kapitalakkumulation und der Kolonisation als Märchen, in dem "Große Piraten" die großen Denker in die Spezialisierung trieben und so vom Verständnis und der Ausbeutung des von ihnen produzierten Wissens abhielten, bis die Industrialisierung und die Funktechnik die Kontrolle aus den Händen Einzelner in die aller legten.

Die Vorstellung der Erde als Raumschiff hatte Fuller bereits 1951 in einer Diskussion über das amerikanische Raketenprogramm verwendet. Tatsächlich schrieb der Ökonom Henry George schon 1879, die Erde sei "ein gut ausgestattetes Schiff, auf welchem wir durch das All fahren". Da Fullers Anleitung dafür so einfach ist und auch noch die Garantie mitliefert, dass sie binnen zehn Jahren umgesetzt werden würde, fragt sich, warum sich Menschen immer noch nach Nationen, Rassen, festen Wohnstätten und Individuen aufteilen und in erbitterten Wettstreiten um vermeintlich knappe Ressourcen gefangen halten, statt sich als Teil eines globalen, synergetischen, ständig in Bewegung befindlichen Systems zu verstehen, das immer nur mehr Reichtum produziert.

"Reichtum", sagt Fuller, "ist im höchsten Grade von Konzentration anti-entropisch." Da überrascht es, dass er als relational denkender Systemtheoretiker hinter der Marxschen Werttheorie zurückbleibt. Die Begründung des Zweiten Weltkriegs aus den ideologischen Differenzen zwischen Staaten wirkt mindestens unvollständig. Und es leuchtet ein, wie Politiker und ihre Institutionen dem Fortschritt im Weg stehen, aber es wird nicht ganz vorstellbar, wie sie aus dem Weg zu räumen wären. Die ganze Wette läuft auf den Computer, der in Zukunft die Güterverteilung und alles andere regeln soll. Nur arbeitet der bislang immer noch in erster Linie für die "Großen Piraten" im Silicon Valley - und heute sind sie es, die Buckys Sprache sprechen.

KOLJA REICHERT.

Buckminster Fuller: "Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften". Fundus, 318 Seiten, 18 Euro

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