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Eugen Kogon (1903 - 1987) ist einer der großen deutschen Publizisten der Nachkriegszeit, die durch ihr von christlicher und sozialer Verantwortung getragenes kritisches Engagement und ihre visionäre Kraft die geistige und politische Geschichte der Bundesrepublik mitgeprägt haben. Besondere Beachtung fand Kogon durch seine Leitartikel in den "Frankfurter Heften", als Präsident der Europa-Union, als Moderator von "Panorama" und durch seine Bücher, darunter sein Buch über das System der deutschen Konzentrationslager "Der SS-Staat". Die 'Gesammelten Schriften' enthalten neben Kogons großen Reden…mehr

Produktbeschreibung
Eugen Kogon (1903 - 1987) ist einer der großen deutschen Publizisten der Nachkriegszeit, die durch ihr von christlicher und sozialer Verantwortung getragenes kritisches Engagement und ihre visionäre Kraft die geistige und politische Geschichte der Bundesrepublik mitgeprägt haben. Besondere Beachtung fand Kogon durch seine Leitartikel in den "Frankfurter Heften", als Präsident der Europa-Union, als Moderator von "Panorama" und durch seine Bücher, darunter sein Buch über das System der deutschen Konzentrationslager "Der SS-Staat". Die 'Gesammelten Schriften' enthalten neben Kogons großen Reden und Aufsätzen eine Reihe von Texten, die aus verschiedenen Gründen bisher nicht in deutscher Sprache gedruckt vorlagen. Sie umfassen acht Bände, die jeweils einem eigenen Thema gewidmet sind.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2000

Geistige Abwehr tut not
Mit den abendländischen Frühschriften ist die Ausgabe der Werke Eugen Kogons abgeschlossen
Bizarre Lebenswege mögen spannender sein als moralische Geradlinigkeit von der Wiege bis zur Bahre. Dennoch tendiert der Renegat zum tönenden Langweiler, wenn sein politischer Wandel in eine Bekehrungsmission mündet. Zur sympathischeren Minderheit einer lautlosen Läuterung gehört zweifellos der Publizist und Politologe Eugen Kogon (1903 bis 1987). Sieben Bände lang schoben die Herausgeber seiner Gesammelten Werke – Gottfried Erb und Michael Kogon – die heiklen Frühschriften vor sich her, ehe sie nun die Belege dafür liefern, was Historiker schon lange wussten: dass der große Nachkriegspublizist als junger Mann in trüben politischen Gewässern fischte. Der elternlos aufgewachsene Katholik huldigt in Wien als Publizist dem christlichen Ständestaat, ehe er sich als Buchenwald-Häftling zum linken Faschismus-Kritiker, später zum Pionier eines Vereinten Europa wandelt.
Die Aufsatzsammlung aus den Jahren 1921 bis 1940 dokumentiert, wie Kogon geistig zwischen Duce und Dollfuß gerät. Sein Bildungsweg beginnt in einer Münchner Pflegefamilie. Im bayerischen Benediktinerinternat wird er von der tiefen Mystik jenes barocken Katholizismus erfasst, der ihn in eine „Abwehr gegen die übrige Welt” treibt und ihm jegliche Kritik an der Obrigkeit untersagt. Seine nicht eheliche Herkunft lässt ihn früh nach einem „Sinn für Ordnung” trachten. Die Arbeiterenzyklika rerum novarum des Papstes Leo XIII. mit ihrem Ziel der Überwindung der Klassengegensätze und Schaffung einer sozialen Ständegemeinschaft stimmt ihn ebenso antikapitalistisch wie stockautoritär. Währenddessen schien ihm die Arbeiterschaft vom bösen Marxismus verführt.
Als Mussolini die Idee vom Ständestaat aufgreift, begibt sich der junge Diplomvolkswirt für ein Jahr nach Florenz, um diesen Ansatz zu studieren. „Mussolini posiert nicht nur, er kann auch etwas; er ist eine Gestalt aus beidem: aus Kraft und Geste. ” Italien sei eine historische „Hoffnung, die sich langsam realisiert”, heißt es 1926. Kogon ist 23 Jahre alt und sinniert darüber, ob dem Faschismus das „Jahrhundertwerk eines sozialen Ständestaates” gelingen könne. Es fasziniert ihn, Nation und Staat als organisches Ganzes zu sehen und der beklagten Atomisierung des Individuums durch den Liberalismus entgegen zu arbeiten: „Der Faschismus ist ein neues Prinzip, ohne ein Zweifel. ” Ordnung und Disziplin haben für den jungen Idealisten abendländische Geltung. Die Parteiendemokratie des liberalen Staates steht zur angestrebten ständischen Ordnung genau so in Widerspruch wie die Diktatur: „Denn beide vernichten sowohl die wahren Bindungen als auch die wahren Freiheiten des Menschen. ” Eine zunächst noch differenzierte Position, die sich in den Wirren der bürgerkriegsähnlichen Verhältnisse in Österreich rasch verflüchtigen sollte.
Im Juli 1927, als die Heimwehren in Österreich gegen die Schutzbündler der Sozialisten antreten, steht Kogon auf der rechten Seite der Barrikade. Er schreibt für die Wochenschrift Schönere Zukunft in Wien, ein sozialkatholisches Blatt, das nicht nur für die Realisierung der christlich-abendländischen, korporativen Idee, sondern auch gegen den „überproportionalen Einfluss der Juden” streitet. Als Hitler an die Macht kommt, herrscht auf Seiten der österreichischen Katholiken eine Mischung aus Ratlosigkeit und Opportunismus. Die Nazi-Idee einer sozialen Volksgemeinschaft scheint nicht weit von der päpstlichen Sehnsucht nach einer starken Hand gegenüber zersetzenden Elementen in der Gesellschaft.
Verrottete liberale Gebilde
Auch wenn im August 1931 erste Skepsis gegenüber der NSDAP und deren „Romhass, Rassen- und Staatsvergottung” aufkommt, bleiben naive Bündniserwartungen. Vom Januar ’33 bis Januar ’34 übernimmt Kogon die Leitung des christlichen Gewerkschaftsblattes Neue Zeitung in Österreich. Die faschistische Losung „Ordnung und Disziplin” wird als hilfreich empfunden, die Hoffnung richtet sich darauf, „die weltgeschichtliche Revolution der Nationalsozialisten möge die verrotteten Rechtsgebilde des Liberalismus hinwegfegen und die christliche, soziale, nationale Volksordnung mit autoritärer Spitze und berufsständischer Grundlage zustandebringen. ” Das Programm nennt sich: „Die Wiedergeburt des Abendlandes”.
Am 9. Februar 1934 erscheint anstelle der Neuen Zeitung der Österreichische Beobachter, Herausgeber ist weiterhin Eugen Kogon. Das Blatt wirbt unverhohlen antisemitisch um neue Abonnenten: „Volksgenossen! Helft im Kampf um die Erhaltung der christlich-deutschen Presse in Österreich! Marxismus und Judentum schmieden Anschläge gegen unser Volk! Geistige Abwehr tut not. ” Freilich hat der Autor mit dem Kürzel Dr. E. K. eine Vorahnung, dass nach der Vernichtung der Parteiendemokratie, des Marxismus, Bolschewismus und des Judentums auch die Substanz des Christentums gefährdet werden könne.
Doch noch ehe das Blatt an der Aufgabe scheitert, die radikalen Nazis zu zähmen, wird es im April 1934 von der Dollfuß-Regierung wegen nationalsozialistischer Umtriebe verboten. Karl Prümm nennt den jungen Kogon dieser Zeit „einen intelligenten, frommen Idioten”. Er muss schwer büßen für die abstrusen Hoffnungen auf einen moderierten Nationalsozialismus – obwohl er 1942 vom NS-Sippenamt die Auskunft erhält, „Arier” zu sein, wird er in einer Weisung der Wiener Gestapo an die politische Abteilung des KZ Buchenwald als Jude deklariert. Seinem Abtransport nach Auschwitz kann er nur durch eine dramatische Rettungsaktion entkommen.
„Ich bin im Lager ein anderer geworden”, bekannte Eugen Kogon später: „Die Zusammenarbeit mit den anderen Gefangenen hat mein ganzes politisches Denken verändert. Ich ging praktisch auf Kooperation mit den gesellschaftlichen Kräften, und das ist etwas ganz anderes, als das autoritäre Denken des Konservatismus. ” Seine Haltung nach ’45 gegenüber geläuterten früheren Nazis ist sicher durch die Irrtümer seines frühen politischen Denkens beeinflusst worden. In einem seiner bekanntesten Essays billigte er im Juli 1947 in den Frankfurter Heften all jenen „das Recht auf politischen Irrtum” zu, die sich konstruktiv am Aufbau der Demokratie beteiligen wollten.
Dem Sohn, Michael Kogon, will es im Vorwort nicht gelingen, ein angemessenes Verhältnis zwischen familiärer Nähe und analytischer Distanz zu wahren – er versucht den bizarren Lebensweg im Resümee zu begradigen: „Im radikalen Wandel ein klarer Trend – hin zu besserer Verwirklichung der von Anfang an gewollten Humanität. ” Manche antisemitische Phrase zweifelt er sogar an: „Pfuschte ihm jemand in seine Tinte hinein?” Selbst das schwere Pfund vom „Reich, das seiner gewaltigen Mission wegen groß und stark sein müsse” sei nur patriotisch, aber niemals nationalistisch gemeint. Schließlich gipfelt das Vorwort im affirmativen Festredenjargon: „Und da Eugen Kogons Position nach dem Krieg wohldurchdacht und grundanständig war, konnte sie vorher insgesamt so schlimm und undifferenziert kaum gewesen sein. ” Wer fühlt sich hier nicht an die fatale Sentenz jenes schrecklichen Marinerichters erinnert: Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Das überragende Lebenswerk des Eugen Kogon hat ungeachtet seiner frühen politischen Irrtümer derlei Apologetik nicht verdient.
NORBERT SEITZ
EUGEN KOGON: Gesammelte Werke Band VIII. Die Idee des christlichen Ständestaates. Frühe Schriften 1921–1940. Hrsg. Michael Kogon und Gottfried Erb. Ullstein Quadriga Verlag, Berlin 2000. 326 Seiten, 58 Mark.
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