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Zwar galt Böhmen schon lange vor ihm als das »Konservatorium Europas«, dennoch war es Bedrich Smetana, der uns heute als der erste herausragende Vertreter einer spezifisch tschechischen Musik in den Sinn kommt. Tatsächlich war sein Werdegang als Komponist aufs Engste mit dem Aufblühen eines tschechischen Nationalbewusstseins verbunden, und viele seiner Werke genießen auch aus diesem Grund ungebrochene Popularität. In seinem bislang unveröffentlichten Buch beschreibt der große Journalist und Musikschriftsteller Hans-Klaus Jungheinrich (1938-2018) Smetanas Herkunft und das brodelnde kulturelle…mehr

Produktbeschreibung
Zwar galt Böhmen schon lange vor ihm als das »Konservatorium Europas«, dennoch war es Bedrich Smetana, der uns heute als der erste herausragende Vertreter einer spezifisch tschechischen Musik in den Sinn kommt. Tatsächlich war sein Werdegang als Komponist aufs Engste mit dem Aufblühen eines tschechischen Nationalbewusstseins verbunden, und viele seiner Werke genießen auch aus diesem Grund ungebrochene Popularität. In seinem bislang unveröffentlichten Buch beschreibt der große Journalist und Musikschriftsteller Hans-Klaus Jungheinrich (1938-2018) Smetanas Herkunft und das brodelnde kulturelle und musikalische Umfeld im Prag jener Tage genauso wie er dessen herausragende Bedeutung als Komponist von Opern, Liedern und Kammermusik im Musikleben seiner Zeit würdigt. Auf spannende und unterhaltsame Weise gelingt es Jungheinrich, das faszinierende Panorama einer Epoche mit der musikwissenschaftlichen Betrachtung der Werke Smetanas zu verbinden.Mit Beiträgen von Norbert Abels, Gerhard R.Koch, Ivana Rentsch und Wolfgang Sandner.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2020

Promenaden durch musikalische Landschaft
Streitbare Hommage: Hans-Klaus Jungheinrichs nachgelassene Betrachtungen über Bedrich Smetana

Dieses Buch ist eine späte Liebeserklärung. Sie führte Hans-Klaus Jungheinrich, den vor anderthalb Jahren verstorbenen Musikkritiker der "Frankfurter Rundschau", nochmals in die tschechische Musiklandschaft, der er sich zuvor schon öfter gewidmet hatte, nämlich zu deren erstem herausragenden Exponenten, Bedrich Smetana. Es gilt, einen außerhalb seines Heimatlandes meist auf zwei Werke - die "Verkaufte Braut" und den Tondichtungs-Zyklus "Mein Vaterland" - verkürzten Komponisten in seiner ganzen, durchaus widersprüchlichen Vielfalt zu erschließen.

Der Autor schildert, wie schwierig es für Tschechien war, eine eigene Identität innerhalb des habsburgischen Vielvölkerstaates auszubilden. Im Laufe dieses Prozesses wurde der ikonisch gewordene Nationalkomponist Smetana als Symbolfigur herangezogen. Die historischen Erfahrungen der Tschechen mit Deutschland hat Jungheinrich genauso kritisch im Blick wie die wichtige Literatur zum Thema. Wenn etwa in Quellen Sachverhalte verkürzt dargestellt werden, um dem "Nationalheiligtum" Smetana nicht zu nahe zu treten, wird dies deutlich benannt.

Einerseits sind viele der von Jungheinrich abgehandelten Aspekte bekannt: dass das Deutsche die allgemeine Umgangssprache der damaligen böhmischen Intelligenz und so auch Smetanas war, der sich erst in der zweiten Hälfte seines Lebens an das geschriebene Tschechisch heranarbeitete und es nie fehlerfrei beherrschte; dass er als bekennender Wagnerianer den internationalen Erfolg gerade seiner "Verkauften Braut" eher misstrauisch betrachtete; dass sich sein Selbstverständnis als tschechischer Nationalkomponist nur in einem langen Prozess formte.

Andererseits offenbaren sich solche Problemlagen als permanenter, immer mitbestimmender Kontrapunkt dieses "Musikerlebens in der Mitte Europas". Da erhalten auch scheinbare Kleinigkeiten ihre Bedeutung wie die, dass der Komponist, dessen Vornamen wir heute politisch korrekt nur noch in seiner tschechischen Form verwenden, seinerseits im Schriftverkehr lange Zeit nicht nur als "Friedrich", sondern - und das nicht etwa in einem Geschäftsbrief, sondern in einer Liebeserklärung an seine spätere zweite Frau - als preußisch strammer "Fritz" auftritt.

Im Übrigen ist der biographische Abschnitt eher knapp gehalten, sieht man von einigen Schlaglichtern auf die zentralen Umschlagpunkte dieser Künstlervita ab. Besonders pointiert verfährt Jungheinrich, wenn er sich den Werkbeschreibungen widmet. Dabei handelt es sich nicht um wissenschaftliche Analysen, sondern um Klangpromenaden, denen er mit Begriffen wie "qualstrig", "schlurihaft" und "Hardrock-Oper" beikommt. Ebenso erfrischend mutet es an, wenn er Passagen aus der "Libussa" mit den Landschaftsbildern eines Ferdinand Hodler oder Giovanni Segantini vergleicht.

Man folgt dieser souveränen Betrachtung selbst da gern, wo man die Dinge aus eigener Erfahrung anders sehen oder zumindest gewichten würde - so bei der Frage, ob die Ophüls-Verfilmung der "Verkauften Braut" von 1932 wirklich ein eigenes Kapitel braucht. Streitbar ist der Autor auch da, wo er über Smetana hinaus bis in die Gegenwart weiterdenkt, etwa im Abschnitt über verschiedene kompositorische Handschriften und deren Einflüsse auf die weitere (nicht nur tschechische) Musikentwicklung. Ähnlich Prägnantes findet sich im Einleitungskapitel, wo er - übernommen aus einer früheren Publikation - das Problemfeld der "Nationalkulturen" allgemein und der tschechischen insbesondere polemisch zugespitzt abhandelt und dabei eine Analyse der "realsozialistischen" CSSR-Kulturpolitik zwischen 1945 und 1989 liefert.

Am Ende des Buches kommen in drei angefügten Essays neben Ivana Rentsch, die sich dem Austausch zwischen Smetana und anderen slawischen Musikkulturen widmet, mit Gerhard R. Koch und Wolfgang Sandner auch zwei Autoren dieser Zeitung zu Wort. Dass der Schlussabsatz von Sandners Essay - er umkreist den von Bohumil Hrabal in die Welt gesetzten Begriff "Krasosmutnení" (zu Deutsch: "Schöntrauer") - auch schon zu Beginn der Abhandlung unter Jungheinrichs Namen erscheint, ist sicher, wie ein verirrtes Notenbeispiel an späterer Stelle, mehr als nur ein Schönheitsfehler des ansonsten gut lektorierten Bandes. Die Verwechslung mag an der Einigkeit zweier Autoren liegen, die nationale Eigenheiten für unbedingt reflexions- und liebenswert halten. Auch Irrtümer können manchmal zur Wahrheit führen.

GERALD FELBER

Hans-Klaus Jungheinrich: "Bedrich Smetana und seine Zeit".

Laaber-Verlag, Lilienthal 2020. 336 S., geb., 37,80 [Euro].

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