Beethoven-Bildnisse gibt es seit über 200 Jahren, und jenseits des omnipräsenten Titanenhauptes gibt es eine Vielfalt von Gestaltungen in gezeichneter, gemalter und plastischer Form, die viel über ihre jeweilige Zeit und über unsere Zugänge zu Beethovens Musik zu erkennen geben. Eine originelle Perspektive auf 200 Jahre Kulturgeschichte eröffnet dieses Gespräch zwischen einem Musik- und einem Kunsthistoriker beim Betrachten diverser Beethoven-Bilder und -Denkmäler. Das reicht vom Klassizismus der Goethezeit bis zum Dekonstruktivismus der Gegenwart, von Joseph Stieler bis Markus Lüpertz, von Napoleon Bonaparte bis Wilhelm Furtwängler und Mauricio Kagel. Ein unterhaltsames und erhellendes Gespräch zweier ausgewiesener Vertreter ihres Fachs.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2019Ein Orpheus mit Tituskopf
Sehr frisurbetont: Werner Busch und Martin Geck plaudern mit Vergnügen über Beethoven-Bilder im buchstäblichen und übertragenen Sinn.
Von Jan Brachmann
Gutgelaunte Gelehrsamkeit spricht aus diesem Buch. Der Untertitel "Was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben" deutet an, dass die beiden Autoren beim Schreiben Spaß hatten. Er teilt sich auch beim Lesen mit. Zwei pensionierte Professoren, der Kunsthistoriker Werner Busch und der Musikwissenschaftler Martin Geck, haben sich geeinigt, siebzehn bildlichen Darstellungen des Komponisten Ludwig van Beethoven aus gut zweihundert Jahren Textminiaturen zu widmen, um sprachlich zu fassen, was diese Bilder und Plastiken über Beethoven, seine Musik und die jeweilige Zeit verraten. Es geht also um Beethoven-Bilder im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn, um eine Suite anschaulich gewordener Bedeutungszuschreibungen.
Die Auswahl setzt ein mit dem Ölporträt von Willibrord Joseph Mähler aus dem Jahr 1803, das Beethoven selbst so sehr schätzte, dass er es bei seinen zahlreichen Wohnungswechseln in Wien immer mit sich führte. Die Auswahl schließt mit der Beethoven-Figur von Markus Lüpertz, deren Aufstellung in Leipzig 2015 nicht nur bei Legida- und AfD-Anhängern für Empörung sorgte, eine Empörung, die vom Künstler selbst schon eingepreist war, wie Busch mokant bemerkt.
Rechenschaft über die Kriterien ihrer Auswahl legen die beiden Autoren allerdings nicht ab. Warum sie dem Ölgemälde von Joseph Stieler aus dem Jahr 1820 einen ikonischen Rang zusprechen, die gipserne Lebendmaske Beethovens von Franz Klein aus dem Jahr 1812 und die Kreidezeichnung von August von Kloeber aus dem Jahr 1818 aber völlig unerörtert lassen, leuchtet nicht ein. Denn ikonographisch waren Klein - für das Gesicht - und Kloeber - für die Frisur - viel folgenreicher als Stieler. Besonders die Denkmäler in Bonn, Wien, New York und Washington, die allesamt im Buch besprochen werden, sind ohne Klein und Kloeber nicht denkbar.
Die Gesamtauswahl wie die Texte im Einzelnen tragen den Charakter spontaner Improvisationen, die sich aus Jahrzehnten von Lehrerfahrungen, viel Angelesenem und großer Meinungsfreude speisen. Dabei sorgt Geck für viele Assoziationen, die von der Werkbetrachtung wegführen in die allgemeine Kulturgeschichte, während Busch dichter am Objekt bleibt. So gelangt Geck beim Gemälde von Mähler schnell von Beethovens modischer Tituskopf-Frisur (die damals auch bei vielen Adligen beliebt war) zu Napoleon Bonaparte und dessen Verknüpfung mit der Prometheus-Figur in Beethovens Werk. Obwohl es kein Prometheus-Motiv in dem Bild gibt, sondern alles eher auf Apoll und Orpheus hindeutet, wird die Napoleon-Nähe sehr betont.
Mählers Bild wird für Geck zum Symbol für den von Beethoven selbst - aus Anlass seiner Klaviersonaten op. 31 - proklamierten "neuen Weg", zu dem, so Geck, "ein neuer Mensch" gehöre, "der sich als neuer Orpheus und virtueller Partner Napoleons versteht". Das alles hat argumentativ und rhetorisch ein nachgerade beethovensches Tempo, so dass man fast nicht bemerkt, wie unter der Hand Prometheus gegen Orpheus ausgetauscht wurde.
Busch flieht nicht aus dem Bildraum. Er verweilt beim eigenartigen Licht als dem Moment der Inspiration (Beethoven lauscht, hält inne, greift noch nicht in die Saiten), verweilt bei der Lyra in Beethovens Hand als dem Instrument sowohl des Gottes Apollo wie des Sängers Orpheus, und beim Monopteros - dem Apollotempel - im Hintergrund. So wird dieses Porträt Beethovens als "neuer Orpheus" zur Vorahnung eines tragischen Weges als Künstler. Denn Orpheus, Sohn des Apollo und der Muse Kalliope, ist von den Thrakischen Mänaden in Stücke gerissen worden.
Die Detailfülle der Betrachtungen bereichert den Leser fort und fort, und doch vermisst man Leitbegriffe, die durch das Buch hätten führen können. Zum Beispiel: Wie wird im Lauf der Zeit Beethoven als Beethoven erkennbar? Was sind seine ikonographischen Attribute? Zum anderen drängt sich die kunstreligiöse Grundierung in der Beethoven-Darstellung auf. Schon bei Mähler erscheint Beethoven in der Nähe des Gottes Apoll. Fidus, stilbildender Grafiker der Lebensreformbewegung, will einen Beethoven-Tempel errichten. Antoine Bourdelle, ein Assistent von Auguste Rodin, zeigt 1929 "Beethoven am Kreuz". In erhellender Ergänzung dazu haben die beiden Autoren noch das Aquarell "Grande Sonate" von Gabriel von Max aufgenommen, das Christus am Kreuz zeigt, darunter die Noten mit dem Anfang von Beethovens Klaviersonate op. 57, der "Appassionata". Ein durchgearbeiteter Begriff von "Kunstreligion", der hier fehlt, hätte den Autoren erlaubt, Kontinuität und Wandel schärfer zu beschreiben.
Am meisten verwundert es, dass Busch in der ausführlichen - und lohnenden - Diskussion des Beethoven-Denkmals von Max Klinger den Adler zu Beethovens Füßen ausschließlich als Attribut des Gottes Zeus und des Titanen Prometheus sieht und sich irritiert zeigt, dass man auf Beethovens Thron auch ein Golgatha-Relief findet. Dabei hat Klinger zweimal - in seiner "Pietà" 1890 und der "Kreuzigung" 1893 - dem Jünger Johannes die Züge Beethovens gegeben. Und das Attribut des Evangelisten Johannes ist nun einmal der Adler. Darin ist Klinger sich selbst treu geblieben. Nur liest man davon in diesem Buch nichts.
Dem zwölften Kapitel über Peter Breuers Beethoven-Denkmal hätte ein gründlicheres Lektorat gutgetan. Es weist zahlreiche Flüchtigkeitsfehler auf (1927 war Beethovens hundertster Todestag, nicht Geburtstag, auch ist die Ode "An die Freude" von Schiller, nicht von Beethoven). Doch ebenso anregend wie unterhaltsam geriet das Kapitel zu Dieter Roth, das daran erinnert, wie kontrovers in dieser Zeitung 1970 zwischen Gerhard R. Koch und Hilde Spiel Mauricio Kagels Film "Ludwig van" diskutiert wurde. Diese erfahrungssatte Anschaulichkeit ist die Stärke dieses Buches.
Werner Busch und Martin Geck: "Beethoven-Bilder". Was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben.
Metzler/Bärenreiter Verlag, Stuttgart/Kassel 2019. 187 S., geb., 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sehr frisurbetont: Werner Busch und Martin Geck plaudern mit Vergnügen über Beethoven-Bilder im buchstäblichen und übertragenen Sinn.
Von Jan Brachmann
Gutgelaunte Gelehrsamkeit spricht aus diesem Buch. Der Untertitel "Was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben" deutet an, dass die beiden Autoren beim Schreiben Spaß hatten. Er teilt sich auch beim Lesen mit. Zwei pensionierte Professoren, der Kunsthistoriker Werner Busch und der Musikwissenschaftler Martin Geck, haben sich geeinigt, siebzehn bildlichen Darstellungen des Komponisten Ludwig van Beethoven aus gut zweihundert Jahren Textminiaturen zu widmen, um sprachlich zu fassen, was diese Bilder und Plastiken über Beethoven, seine Musik und die jeweilige Zeit verraten. Es geht also um Beethoven-Bilder im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn, um eine Suite anschaulich gewordener Bedeutungszuschreibungen.
Die Auswahl setzt ein mit dem Ölporträt von Willibrord Joseph Mähler aus dem Jahr 1803, das Beethoven selbst so sehr schätzte, dass er es bei seinen zahlreichen Wohnungswechseln in Wien immer mit sich führte. Die Auswahl schließt mit der Beethoven-Figur von Markus Lüpertz, deren Aufstellung in Leipzig 2015 nicht nur bei Legida- und AfD-Anhängern für Empörung sorgte, eine Empörung, die vom Künstler selbst schon eingepreist war, wie Busch mokant bemerkt.
Rechenschaft über die Kriterien ihrer Auswahl legen die beiden Autoren allerdings nicht ab. Warum sie dem Ölgemälde von Joseph Stieler aus dem Jahr 1820 einen ikonischen Rang zusprechen, die gipserne Lebendmaske Beethovens von Franz Klein aus dem Jahr 1812 und die Kreidezeichnung von August von Kloeber aus dem Jahr 1818 aber völlig unerörtert lassen, leuchtet nicht ein. Denn ikonographisch waren Klein - für das Gesicht - und Kloeber - für die Frisur - viel folgenreicher als Stieler. Besonders die Denkmäler in Bonn, Wien, New York und Washington, die allesamt im Buch besprochen werden, sind ohne Klein und Kloeber nicht denkbar.
Die Gesamtauswahl wie die Texte im Einzelnen tragen den Charakter spontaner Improvisationen, die sich aus Jahrzehnten von Lehrerfahrungen, viel Angelesenem und großer Meinungsfreude speisen. Dabei sorgt Geck für viele Assoziationen, die von der Werkbetrachtung wegführen in die allgemeine Kulturgeschichte, während Busch dichter am Objekt bleibt. So gelangt Geck beim Gemälde von Mähler schnell von Beethovens modischer Tituskopf-Frisur (die damals auch bei vielen Adligen beliebt war) zu Napoleon Bonaparte und dessen Verknüpfung mit der Prometheus-Figur in Beethovens Werk. Obwohl es kein Prometheus-Motiv in dem Bild gibt, sondern alles eher auf Apoll und Orpheus hindeutet, wird die Napoleon-Nähe sehr betont.
Mählers Bild wird für Geck zum Symbol für den von Beethoven selbst - aus Anlass seiner Klaviersonaten op. 31 - proklamierten "neuen Weg", zu dem, so Geck, "ein neuer Mensch" gehöre, "der sich als neuer Orpheus und virtueller Partner Napoleons versteht". Das alles hat argumentativ und rhetorisch ein nachgerade beethovensches Tempo, so dass man fast nicht bemerkt, wie unter der Hand Prometheus gegen Orpheus ausgetauscht wurde.
Busch flieht nicht aus dem Bildraum. Er verweilt beim eigenartigen Licht als dem Moment der Inspiration (Beethoven lauscht, hält inne, greift noch nicht in die Saiten), verweilt bei der Lyra in Beethovens Hand als dem Instrument sowohl des Gottes Apollo wie des Sängers Orpheus, und beim Monopteros - dem Apollotempel - im Hintergrund. So wird dieses Porträt Beethovens als "neuer Orpheus" zur Vorahnung eines tragischen Weges als Künstler. Denn Orpheus, Sohn des Apollo und der Muse Kalliope, ist von den Thrakischen Mänaden in Stücke gerissen worden.
Die Detailfülle der Betrachtungen bereichert den Leser fort und fort, und doch vermisst man Leitbegriffe, die durch das Buch hätten führen können. Zum Beispiel: Wie wird im Lauf der Zeit Beethoven als Beethoven erkennbar? Was sind seine ikonographischen Attribute? Zum anderen drängt sich die kunstreligiöse Grundierung in der Beethoven-Darstellung auf. Schon bei Mähler erscheint Beethoven in der Nähe des Gottes Apoll. Fidus, stilbildender Grafiker der Lebensreformbewegung, will einen Beethoven-Tempel errichten. Antoine Bourdelle, ein Assistent von Auguste Rodin, zeigt 1929 "Beethoven am Kreuz". In erhellender Ergänzung dazu haben die beiden Autoren noch das Aquarell "Grande Sonate" von Gabriel von Max aufgenommen, das Christus am Kreuz zeigt, darunter die Noten mit dem Anfang von Beethovens Klaviersonate op. 57, der "Appassionata". Ein durchgearbeiteter Begriff von "Kunstreligion", der hier fehlt, hätte den Autoren erlaubt, Kontinuität und Wandel schärfer zu beschreiben.
Am meisten verwundert es, dass Busch in der ausführlichen - und lohnenden - Diskussion des Beethoven-Denkmals von Max Klinger den Adler zu Beethovens Füßen ausschließlich als Attribut des Gottes Zeus und des Titanen Prometheus sieht und sich irritiert zeigt, dass man auf Beethovens Thron auch ein Golgatha-Relief findet. Dabei hat Klinger zweimal - in seiner "Pietà" 1890 und der "Kreuzigung" 1893 - dem Jünger Johannes die Züge Beethovens gegeben. Und das Attribut des Evangelisten Johannes ist nun einmal der Adler. Darin ist Klinger sich selbst treu geblieben. Nur liest man davon in diesem Buch nichts.
Dem zwölften Kapitel über Peter Breuers Beethoven-Denkmal hätte ein gründlicheres Lektorat gutgetan. Es weist zahlreiche Flüchtigkeitsfehler auf (1927 war Beethovens hundertster Todestag, nicht Geburtstag, auch ist die Ode "An die Freude" von Schiller, nicht von Beethoven). Doch ebenso anregend wie unterhaltsam geriet das Kapitel zu Dieter Roth, das daran erinnert, wie kontrovers in dieser Zeitung 1970 zwischen Gerhard R. Koch und Hilde Spiel Mauricio Kagels Film "Ludwig van" diskutiert wurde. Diese erfahrungssatte Anschaulichkeit ist die Stärke dieses Buches.
Werner Busch und Martin Geck: "Beethoven-Bilder". Was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben.
Metzler/Bärenreiter Verlag, Stuttgart/Kassel 2019. 187 S., geb., 29,99 [Euro].
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"... Hier werden Beethoven-Darstellungen in der bildenden Kunst beleuchtet und diese verraten einiges über die zeitgenössische und posthume Rezeption des Komponisten. Ein Buch, das den Blick über den Tellerrand hinaus wagt und gleichzeitig Ansätze liefert, inwieweit Beethoven aus eigener Kraft an seinem Selbst-Bildnis mitgewirkt hat ..." (Christoph Vratz, in: Neue Musikzeitung, nmz.de, Heft 6, Juni 2020)