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Von der Diagnose Krebs bis zum Tod beschreibt eine junge Frau ihren letzten Lebensabschnitt: "Die Zukunft wird auch ohne mich auskommen. Okay, Matt gießt nie den Garten, so dass die Wisteria kaum das nächste Jahrhundert erleben dürfte. Außerdem steht er nie nachts auf, um die Kinder wieder zuzudecken, aber in einem Haus mit Zentralheizung ist ja noch keiner vor Kälte gestorben. Ansonsten, denke ich, wird das Leben weitergehen wie immer. Nur es wird mir so fehlen."

Produktbeschreibung
Von der Diagnose Krebs bis zum Tod beschreibt eine junge Frau ihren letzten Lebensabschnitt: "Die Zukunft wird auch ohne mich auskommen. Okay, Matt gießt nie den Garten, so dass die Wisteria kaum das nächste Jahrhundert erleben dürfte. Außerdem steht er nie nachts auf, um die Kinder wieder zuzudecken, aber in einem Haus mit Zentralheizung ist ja noch keiner vor Kälte gestorben. Ansonsten, denke ich, wird das Leben weitergehen wie immer. Nur es wird mir so fehlen."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.1999

Das Auslaufen der Sanduhr
Bewegende Berichte aus einer kurzen Krankheit zum Tode

Zu den Errungenschaften moderner Medizin gehört sicherlich, daß sie auch über ihre Ohnmacht von Fall zu Fall besser Bescheid weiß als je zuvor. Nur ist es zugleich Teil menschlicher Natur, sich gegen Ohnmacht immer wieder aufzulehnen. Bei einer jungen Engländerin, zweiunddreißig, wird Brustkrebs diagnostiziert. Ein Jahr zuvor hatte sie Zwillinge geboren, und ganz auf Zukunft war nun ihr Leben eingestellt. Wochen nach der Diagnose weiß sie bereits, daß sie nur noch Monate zu leben hat: Metastasen melden sich überall im Körper. "Doch egal welcher Teil meiner siechen Anatomie zuerst versagen mag, ich bin ziemlich fertig. Am meisten schmerzt es, die Zukunft zu verlieren. Ich werde nicht mehr da sein und applaudieren, wenn meine geliebten Babys zum erstenmal ihren Namen schreiben, wie sie schwimmen lernen oder in die Schule gehen."

Angst und Mut, emotionale Leere und Überfülle wechseln einander ab, und das schöne große Wort Hoffnung schrumpft zusammen: "Ich hoffe, es wird kein langsames Lungenversagen sein, sondern Tochtergeschwulste im Gehirn, die mich ins Koma fallen lassen. Ich kann noch immer nicht ganz glauben, daß ich sterben werde, und tief im Innern rechne ich mit einem Wunder." Schnell lernt man allerdings, daß die Gurus und Wunderheiler ihre Hilflosigkeit um des Geldes willen lediglich geschickter kaschieren als die Ärzte. Aber auch gegen deren Euphemismus, ihre "Heimlichtuerei" und ihr Versprechen von "palliativer Behandlung" entsteht Abwehr, ebenso wie gegen die Illusion vom würdevollen Tod.

Diese junge Engländerin, Ruth Picardie, lernt es, sich auf andere Weise zu bewahren: Sie macht sich schön, erfüllt sich Wünsche, tut das, was sie "Konsumtherapie" nennt. Und sie korrespondiert per E-Mail mit ein paar Freunden. Merkwürdig: Das neue, scheinbar so kalte technische Kommunikationsmittel wird die angemessenste Form für sie, sich auszudrücken. Leichter zu handhaben ist es als die Mühen der Handschrift, dennoch unmittelbar, ohne Zwischenträger und dauerhaft zugleich. Die Tröstungen des Glaubens sind der Atheistin nicht zugänglich, im virtuellen Raum sucht sie sich ihre eigenen. Doch beschreibt sie, was sie fühlt, leidet, denkt, in ein paar Beiträgen, die der "Observer" veröffentlicht, und sieht sich plötzlich nützlich für andere, wo sie nur noch selbst hilfsbedürftig zu sein schien.

Aus diesen Dokumenten über Ruth Picardies Krankheit - sie starb ein Jahr nach der Diagnose - ist von Angehörigen ein bewegendes Buch zusammengestellt worden. Man wird es seiner Art nach in Beziehung setzen können zu den Aids-Tagebüchern des letzten Jahrzehnts: Jamie, der aidskranke Freund, schreibt solidarisch von den "Brustkrebsmädels". Bücher dieser Art lassen sich angesichts der Wirklichkeit des Todes ihrer Verfasser nicht mit ästhetischen Geschmacksurteilen messen. Krankheiten wiederum existieren nicht um einer guten Sache willen, an die man glauben und deren Märtyrer man sein könnte. Pathos verbietet sich, aber dessen bewußte Vermeidung kann Berichte über eigenes Leiden zuweilen literarischen Rang verleihen.

1976 war bei dem damals siebenunddreißigjährigen Horst Karasek eine unheilbare Nierenerkrankung festgestellt worden. Karasek, den seine Freunde als einen sanften Anarchisten kannten, war in einer Reihe von Büchern den Schicksalen der Verfolgten und Geschlagenen in der Geschichte nachgegangen; nun wurde er als Patient selbst ein Geschlagener. Sein Widerstand dagegen war 1985 sein Buch "Blutwäsche", die "Chronik eines eingeschränkten Lebens", worin er ohne Selbstmitleid und Sentimentalität physische Prozesse, seelische und körperliche Qualen und das Aufbegehren gegen alle Einschränkungen dargestellt hat. Karasek starb 1995.

Seine Aufzeichnungen hat er nun über dieses Buch hinaus bis in die letzte Lebenszeit fortgesetzt. "Rasend das Herz" lautet dessen zweiter Teil, der jetzt als "Chronik eines zu Ende gehenden Lebens" aus dem Nachlaß erschienen ist. Im Unterschied zu Picardie ist Karasek der professionelle Schriftsteller, den nicht erst die Krankheit zum Schreiben brachte und der anderes als nur sich selbst beobachtet. Die Landschaft Burgunds, ihre Menschen und ihre Geschichte beschäftigen ihn, wenn er sich dort zu langen Besuchen bei der Schwester aufhält: Fragmente eines Reisebuchs um seiner selbst willen. Aber die Krankheit läßt sich nicht verdrängen: Dialyse, eine mißlungene Transplantation, Kreislaufstörungen, Infarkt und Fußamputation machen den Reisenden mehr und mehr zum abhängigen Patienten. Körperlicher Verfall und sommerlich blühende Landschaft treten so in einen beklemmenden Kontrast.

Was Picardie ihre "Konsumtherapie" bedeutet, ist Karasek die Lust an einem anderen Lande, das er sich mit seinem Mofa zu erfahren sucht, und es ist zugleich der nie aufgegebene Versuch, Leben als körperlichen Genuß zu erfahren, in der Liebe, im Essen, Trinken, im Freundesgespräch. Darüber hinaus jedoch verbindet die beiden einander so ganz und gar fernen, über das eigene Sterben Berichtenden die sehr alte Erkenntnis, daß zwar am Ende gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist, Schreiben wie schöpferische Arbeit überhaupt - öffentliche oder privateste - ihm hingegen ein Schnippchen schlägt. Denn über das, was Feder, Schreibmaschine oder Computer-Tastatur hervorbringen, hat er keine Macht. GERHARD SCHULZ

Horst Karasek: "Rasend das Herz. Chronik eines zu Ende gehenden Lebens". Mit einem Vorwort von Hellmuth Karasek. Luchterhand Literaturverlag, München 1998. 136 S., geb. 32,- DM.

Ruth Picardie: "Es wird mir fehlen, das Leben". Aus dem Englischen übersetzt von Kim Schwaner. Wunderlich Verlag, Reinbek 1999. 176 S., geb., 29,80 DM.

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